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The Company You Keep – Die Akte Grant

Terrorismus-Aufarbeitung auf amerikanisch. Um diesem erstklassigen Kinoprodukt das Tüpfelchen aufzusetzen: á la Robert Redford. Er spielt hier nicht nur die Hauptrolle des Jim Grant. Er führt auch die Regie mit einem handverlesenen Ensemble nach einem Buch von Lem Dobbs, der einen Roman von Neil Gordon zur Vorlage hatte.

Die terroristische Gruppe nannte sich „The Weather Underground“, eine Protestgruppe gegen den Vietnamkrieg. Eine der Aktionen war ein Banküberfall, der einen Toten zur Folge hatte. Dieser Fall wird jetzt, 30 Jahre später, wieder akut, weil sich eine der Beteiligten gestellt hat.

Ein junger Zeitungsmann von der Sun Times, ein Mensch der das Gute will, ein idealtypischer guter Amerikaner, vielleicht könnte man sagen, ein so guter Mensch wie Redford auf jung, interessiert sich für die alte Geschichte. Er kommt dahinter, dass Robert Redford, der inzwischen als Jim Grant ein erfolgreicher Anwalt mit einer 11-jährigen Tochter ist, einer der Beteiligten war.

Auch das FBI fängt wieder an, sich für den Fall zu interessieren. Wenn Redford auffliegt, muss er ins Gefängnis. Sein kleines Familienglück ist bedroht. Wenn seine frühere Mittäterin Mimi, Julie Christie, die auch untergetaucht ist, sich stellen würde, könnte sie Redford entlasten.

Mit inszenatorischer Kinogeschmeidigkeit und prima geführten Schauspielern breitet Redford als Regisseur nun diese spannende Geschichte spannend vor uns aus in beinah zwei Kinostunden.

Auch ein Film übers Altern. Einmal fasziniert mich zusehends bei diesen amerikanischen Stars wie sich das Alter auf ganz eigene Weise im Gesicht festschreibt, so als ob es von der Jugend nicht lassen könne. Und entsprechend ist es mit den Rollen. Irgendwie geht das nicht ganz zusammen. Es scheint, als versuche Redford den jungen Redford zu spielen, er rennt, er joggt, aber das geht alles nicht mehr so leicht. Ein Mensch, der in diesem fortgeschrittenen Alter noch Räuber- und Gendarmspiele treibt, der vor der Polizei flieht, der eine alte Mitkämpferin ausfindig macht, der eine einsame, verlassene Waldhütte aus der Vergangenheit aufsucht, um sich dort mit der früheren und ebenfalls untergetauchten Mitkämpferin zu treffen; das ist doch viel näher bei der Action und Konspiration als bei Weisheit oder gar ausgebufften Machtspielen.

Das ändert nichts daran, dass die Zubereitung dieses Kinomahles vom Feinsten ist. Gekonnt durch und durch. Leicht schaumig geschlagen, keine Ecken, keine Kanten. Ein handwerklich beherrschte Welt und durchdrungen von einem Idealismus, der auch nicht zu altern scheint. Die Darsteller spielen erstklassig und ohne Fehl und Tadel. Jeder seine Rolle. Mit dem richtigen Maß. Allerdings befürchte ich, so ein Film kann hier gleich im Museum untergebracht werden als ein Bericht aus einer exklusiven amerikanischen Star-Altersresidenz, der uns zwei Dinge erzählt: dass die Bewohner den Glauben an das Gute nicht verloren haben, auch das Verständnis für das Gute an gewissen „terroristischen“ Ideen, wenn die gegen den größtmöglichen Terror, den Krieg nämlich, gerichtet sind; aber auch den Glauben an die eigene Unsterblichkeit, an die Möglichkeit, das eigene Startum ständig zu reproduzieren, ohne das Risiko eines Fachwechsels eingehen zu wollen.

21 & Over

Mit 21 wird der Amerikaner erwachsen, darf aus diesem Anlass grenzenlos über die Stränge schlagen und saufen und Texte unter der Gürtellinie ausstoßen. So interpretieren die Autoren und Regisseure Jon Lucas und Scott Moore dieses denkwürdige Ereignis; mit 21 darf der Mensch kindisch sein, wie er will, darf er eine Zote an die andere hängen, darf besinnungslos seinen Witz und seine Würde, seinen Scharfsinn, seinen Tiefsinn und seine Fröhlichkeit gegen ein geblähtes Aneinanderreihen von krampfhaft gesuchten Sex-Ersatzpointen eintauschen.

So exponieren das unsere Autoren in ihrem Film. Wobei zu fragen ist, ob das Zielpublikum der 21jährigen oder jener, die auf diese magische Grenze zu gehen, das wirklich lustig finden. Denn erst gegen Minute 90 dieses 93-minütigen Filmes wird wenigstens die Hauptfigur Justin Chon, der im Film an einer Stelle ein Reisfresser genannt wird, zu einer Figur mit einem Konflikt, mit einem verdammt ernsten Konflikt, von dem man bislang aber nichts bemerkt hat. Denn zuletzt wurde er auf einer dieser Partys mit einem roten BH-bekleidet und einem Teddybär der an sein Gemächt angeheftet worden war, gesichtet und tobt auf einem Autodach herum. Untertext: Leute, das ist urlustig. Der Film ist auch äußerlich generell dunkel gehaltenen, meist spielt er nachts in schlecht beleuchteten Straßen oder in ebensolchen Innenräumen.

Da das nicht lustig genug ist, geraten seine beiden besten Freunde, die ihn zu dieser Geburtstagssause eingeladen hatten – obwohl er der brave Sohn eines strengen Vaters doch so zuverlässig ist und am nächsten Morgen ein Vorstellungsgespräch hätte, denn er möchte, wie schon 5 Generationen in seiner Familie nichts lieber als Arzt werden – also das Modell der Dramaturgie könnte ja funktionieren, wenn, wenn nämlich sein innerer Zwiespalt, dass er überhaupt nicht Medizin studieren möchte und dass er sich nicht traut, das seinem Vater zu sagen, schon von Anfang an klar wäre. Aber das hält der superkluge Film bis zuletzt für sich nach dem Motto, ich erzähle Euch nicht, was ich weiß; somit käme es einem Spoilern gleich, das hier schon zu verraten.

Andererseits, wenn dieser Zwiespalt des Protagonisten von Anfang an klar wäre, dann würde den ganzen Nachtabenteuern die Spannung fehlen; sie fehlt aber auch so; eine dramaturgische Konstruktion, die so oder so nicht aufgehen kann, ein dramaturgie-immunes Stück Blödsinn. Da die Autoren dieses elementare Manko spüren, müssen sie verzweifelt zu „Einfällen“ greifen: einem Mädchenheim, das nachts Sado-Maso-Spiele pflegt. Und weil die beiden Kumpels des Protagonisten auf der Suche nach dessen Adresse da hineingeraten, welch aufwändige, wenig sinnreiche Konstruktion, und auffliegen, muss später eine schwarze Messe der Latina Sisterhood, in der die Frauen in den Kutten die beiden Kumpels ausziehen und ihnen je einen Socken um ihr Geschlechtsteil hängen, den genauen Vorgang wiederum, der hätte ja noch spannend sein können, den enthalten die Filmemacher uns feigerweise vor. Die Strumpfnackerten müssen, weil das so überbordend originell und innovativ ist, ewig durch den Universitätscampus marschieren, bis sie endlich in einer Klinik … oh, hier ist der Ideensaft längst erschöpft, längst vor Beginn des Filmes wahrscheinlich … die Birne mit Alkohol fluten, ist einer der Programmsätze dieses Filmes … den Film mit Zoten und Unter-der-Gürtellinie und mit ausgelutschten, uninspirierten Pointen (komm wieder, wenn Du in der Pubertät bist) verstopfen ohne Interesse für die Figuren. Ein Über-die-Stränge-hau-Film, der das lustig findet.

Die Alpen – Unsere Berge von oben (fünf seen film festival)

Dieser Film schert angenehm unkonventionell aus der drögen Front rekordsüchtiger „von oben“-Filme aus. Er nimmt sich und seinen Titel insofern schon mal ernst, als die Macher, das sind Peter Bardehle und Sebastian Lindemann und der hervorragende Klaus Stuhl an einer fantastischen Kamera, bis auf wenige statische Zeitraffer-Wolken-Aufnahmen als Zwischenschnitte tatsächlich die Welt nur von ihrem Helikopter aus oder in wenigen Momenten mit Leihaufnahmen von Kameras auf Raubvögeln oder auf Vom-Berg-Herunter-Springer aufgenommen haben. Auch dabei haben sie eine wunderbar neugierige, aber ihrer Betrachtungsposition angemessen skeptische, gelegentlich fast belustigte Sichtweise auf das, was hier im Alpenraum zwischen Südfrankreich und Slowenien und der Adria so „kreucht und fleucht“ (so zitieren sie Reinhold Messner am Schluss), wie sich die Menschen an den Alpen abarbeiten und sich an ihnen abmühen.

Überraschend sind einige Einstellungen gleich zu Beginn des Filmes. Die Kamera fliegt über die Alpen, aber sie schaut öfter von unten auf Wände und Gipfel hinauf statt von ganz oben hinunter, noch viel weniger die gerne pathetisch-sentimentale Sicht des Bergsteigers einnehmend, der den großen Rundblick und die Ruhe und die Einsamkeit genießen will. Dieser romantisierenden Bergsehnsucht nach Einsamkeit setzt sie Bilder von einem Aufstieg gegenüber, der eher wie eine Ameisenstraße denn eine einsame Bergflanke ausschaut.

Rasante Aufnahme eines Adlers, der auf einem Bergvorsprung sitzt, der Helikopter dreht sich in weitem Bogen um ihn, die Kamera bleibt äußerst ruhig auf ihm und so scheinen sich die Berge um den Adler herum zu drehen. Bildertaumel.

Der Kommentar wundert sich über vieles und bringt immer wieder Wissenswertes. Über die tektonische Entstehung der Alpen als ein Produkt des Zusammenstoßes der afrikanischen und der europäischen Kontinentalplatten, eines Prozesses von über 50 Millionen Jahren. Dass die Alpen immer noch weiter aufgetürmt werden, dass aber das Wachstum gleichzeitig durch die Erosion wieder egalisiert wird.

Über das Matterhorn, von dem die Filmemacher nebst dem weltberühmten Standardbild ganz ungewöhnliche Sichtweisen bereit stellen, als eines Topmodells von Berg.

Über den Wintersport, der Geld in die Berge bringt und die kargen Berggegenden und -dörfer ökonomisch zum Erblühen bringt; dass sie dafür aber immer neue Attraktionen bieten müssen. Über die Berge als Wege und Hindernis zugleich. Über eine Frontlinie im zweiten Weltkrieg. Die Berge und die Wasserkraft, zum Beispiel der Verzasca-Stausee, an dessen Mauern eine berühmte James-Bond-Szene gedreht wurde, die heute nachgesprungen werden kann.

Die Tiba in Graubünden, ein einfaches Blasinstrument, mit dem die Sennen früher mit dem Tal kommunizieren konnten und dass die Tiba im harten Leben der Räter eine schöne Ablenkung gewesen sei.

Es ist ein buntes Potpourri aus dem Leben auf den Alpen und dem Kampf mit ihnen, der Urbarmachung und als Platz der Erholung, des Sportes und auch der nicht zu bremsenden Gier oder des Dranges des Menschen, nach oben zu kommen, wobei das doch ziemlich gefährlich sein kann, wie manche Bilder überzeugend darlegen.

Seilbahnen und Straßen, Saumpfade und Serpentinen, Panoramastraßen und ein Kirchturm im Stausee, die Trampelpfade der Kühe, die im Sommer wegen der feinen Gräser auf die Alpe gehen. Ach ja, und hier wurde doch der Ötzi gefunden, also die Alpen sind schon über 5000 Jahre Menschengebiet.

Aber auch industrielle Nutzung, malerischer Eisenerzabbau oder die farbvirtuose Mündung des kalten Rheinwassers in den Bodensee. Die Traumschlösser von König Ludwig. Elektroschiffe auf dem Königsee.

Lustig wirken immer jene Luftaufnahmen, die ganz nah an die Menschen auf dem Boden, in Ortschaften, im Boot herangehen. Eigernordwand, was treibt die Menschen dermaßen nach oben? Der kurze Moment des Glücks? Und zum Schutz von Obstplantagen steigen auch mal Flugzeuge in eine Wetterfront auf, um sie mit Jodpartikelchen zum Abregnen zu bringen, vorbeugend gegen Hagel. Und wenn der Hagel die Plantage nicht kaputt macht, so kann es ein Bergsturz sein.

Ein unbeschwerter, vielfältig-interessanter Flug, gelegentlich mit ironischer Distanz gewürzt über und an und durch die Alpen, wilde Täler und steile Berghänge, wilde Flüsse und gezähmte, und überall menschliche Siedlungen.

Portugal Mon Amour (fünf seen film festival)

Obwohl der Film in Paris spielt und nur ein einziger Fado-Song drin vorkommt und zwar erst im hinteren Teil des Filmes, ist dieser durchdrungen von diesem matt-weichen Charme Portugals und der portugiesischen Sprache, die sich so unaufdringlich ans Ohr anschmiegt. Denn die Hauptakteure dieses Filmes des Portugal-Franzosen Ruben Alves, Hugen Gélin hat am Buch mitgeschrieben, sind Portugiesen.

Es ist das Ehepaar Maria und José Ribeiro. Die wohnen schon über dreißig Jahre in Paris und ernähren sich redlich. Es sind keine Revolutionäre, es sind selbstverständlich dienende und höchst zuverlässige Personen. Maria als Concierge in einem feinen Stadthaus und José als Polier in einer Baufirma.

Beide werden von ihren Chefs nach allen Regeln der Kunst ausgenutzt, José vom Bauunternehmer Francis Cailaux, Maria von der Hausbesitzerin Mme Reicher. Maria hilft immer mit, den Innenhof so mit Blumen zu bestücken, dass Madame Reichert regelmäßig den Wettbewerb für die schönste Bepflanzung gewinnt. Und José wird gerade jetzt unentbehrlich für seinen Unternehmer, der am Rande der Pleite steht, und ein Einkaufszentrum plant; Bedingung für das Geschäft ist von den Kunden, dass José als Vorarbeiter dabei ist.

Das Schicksal wird jetzt allerdings eintreten für eine kleine, so gut wie gewaltlose Tulpenrevolution (die portugiesische war damals die Nelkenrevolution), hier ist der Begriff ein kleiner Scherz.

Denn José hatte einen Bruder in Portugal, der ein großes Landgut mit vielen Hektar Reben besaß und betrieben hat. Aber die beiden Brüder waren verkracht, hatten jahrelang keinen Kontakt mehr. Nun platzt also in die Pariser Ausnutzungsidylle ein Notarschreiben, dass der Bruder gestorben sei und José sein Erbe werde. Bedingung, er müsse das Gut weiter betreiben, was bedeutet, dass er sich aus der Abhängigkeit des Ausgenutztwerdens befreien müsste und das gleiche gälte für seine Frau.

So topsecret wie das brave Ehepaar diese Neuigkeit für sich behält, so topsecret macht sie schnell die Runde. Es sind zwei erwachsene Kinder in der Familie. Ein Sohn und eine Tochter. Die Tochter ist gerade verliebt in den Sohn des Arbeitgebers von José. Durch das Gerücht aufgeschreckt, setzen jetzt die Chefs alles daran, ihre ausgebeuteten Angestellten zu behalten.

Madame Reichert hatte mit den übrigen Wohnungsbesitzern gerade errechnet, wie viele Zehntausend Euro sie dank Maria spare und der Unternehmer bangt um seinen rettenden Auftrag. Diese merkwürdige, masochistische Loyalität zu ausnutzenden Dienstherren, die löst nun einen Kampf im Inneren der braven, zuverlässigen Portugiesen aus, verkompliziert durch die Beziehungen und Verwicklungen der Kinder. Sollen die Portugiesen die Revolution wagen, gerade jetzt, wo ihre Herrschaften, denen sie so lange gedient hatten, denen sie konsequent treu ergeben waren und von denen sie sich genau so konsequent haben ausnutzen lassen, sollen, dürfen sie die Revolution wagen, jetzt wo ihre Herrschaften sie doch so dringend brauchen?

Ein sanfter portugiesischer Revolutionsfilm voll bodenständiger Herzlichkeit und einem Humor, der sich nicht anbiedert, umrahmt von einigen herrlichen Nebenfiguren, die beiden verwöhnten Kinder von Madame Betrand oder der chinesische Bonsailiebhaber; aber auch die Sprachlosigkeit in den Familien, wie keiner entscheidende Dinge sich zu sagen traut, wird schön eingebracht – und zwar knallhart sowohl in der ausgebeuteten Unterschicht als auch in der ausbeutenden Oberschicht.

Und der Fado, der klingt noch lange nach dem Kinobesuch nach.

Sadhu (fünf seen film festival)

Was macht ein junger Mann, fast schon in den besten Jahren, körperlich ideal gebaut (und wohl ein Freund der Freikörperkultur), der einmal davon geträumt hat, eine Karriere als singender Musiker zu machen, der noch ganz verhalten, fast theoretisch ein Leben in Zweisamkeit erwägt, der aber offenbar den Sinn im Leben noch nicht gefunden hat?

Suraj Baba ist ein solcher junger Mann. Er hat sich 8 Jahre als Einsiedler in Indien ins Gebirge zurückgezogen und ein Eremitenleben als Sadhu, als Wahrheitssuchender gelebt in einer einfachen Behausung, mehr Höhle als Haus.

Ihn hat der Schweizer Dokumentarist Gael Métroz dort aufgesucht und ist bei ihm geblieben. Erst hat er ihn in seinem Einsiedlerleben mit vielen Nahaufnahmen gefilmt. Wie er kocht, meditiert, sich am Fluss wäscht. Wie er erzählt, dass das nicht immer leicht war in dieser Zeit. Dass er Zweifel gehabt hat. Und dass er jetzt eine Abwechslung brauche.

Er hat sich zu einer Pilgerreise nach Kumbha Mehla entschlossen. Der Dokumentarist begleitet ihn. Die Pilgerreise hat er barfuß, resp. nur mit Sandalen als Schuhwerk angetreten. Das ist nach etwa einer halben Filmstunde, die bisher ein Einpersonenfilm gewesen ist, der Fall.

Métroz heftet sich an seine Fersen, wird sein intimer Begleiter bei dieser Wahrheitssuche. Wir sind dem Suchenden ständig nah. Und doch erfahren wir bis zuletzt nicht, was ihn treibt. Er hat aber von einer gelegentlichen, gewissen Leere gesprochen. Er spricht auch von Jahren des Leidens, von einem Ungleichgewicht in seinem Denken – braucht er eine Therapie?

Er entscheidet nach dem Prinzip der via negationis. Kumbha Mehla, das ist filmergiebiger Zirkus und Massen und Show und Jahrmarkt und Wettbewerb der Gurus um den aufregendsten Auftritt. Das gefällt Baba nicht. Ein Guru will er auch nicht sein. Das erzählt uns eine Szene mit einer Frau, die um seinen Segen bittet.

Ein Sadhu referiert über die Wachheit der Sadhus und dass sie wenig Schlaf brauchen. Baba möchte aber ganz etwas Spezielles, das Konkrete, wie er meint – und bleibt doch nur abstrakt. Er möchte zur Quelle der Schöpfung, das ist sein neuer Entschluss, er will zu den Heiligen Seen tief im Gebirge Nepals, eine lange und strapaziöse Reise durch endlose, kahle, steinige Hochtäler.

Eine Zwischenstation ist Kathmandu. Hier fährt der Pilger Rikscha und deckt sich mit Reiseutensilien ein und mit neuen Schuhen. In einer Musikbar greift er selbst in die Gitarre. Wie er überhaupt oft Musik macht und dazu Lieder singt „Zögere nicht, wenn ein schönes Mädchen kommt“ oder „Baby, ich liebe dich“. Aber sein Verlangen nach Frauen scheint mehr theoretischer Natur zu sein.

Zwischendrin lässt Métroz stimmungsvoll einen Adler kreisen. Der Suchende sucht das Konkrete, aber Tempel und Klöster behagen ihm nicht. So sucht er denn den See, wundert sich selbst zwischendrin, auf was für einen Weg er sich aufgemacht habe, sorgt sich ein bisschen, was er nach dieser Reise, die ihm viele Erkenntnisse verschafft habe, machen werde.

Im Film werden wir es jedenfalls nicht erfahren. Baba lebt immer dann auf, wenn er mit anderen Menschen zusammen ist. Ob ihm das selbst auch aufgefallen ist? Ein unkonkreter Traum von Spontaneität. Ein dem Sucher und dem Suchenden zugeneigter Film, die immer wieder Unruhe stiftende Frage nach der Essenz des Lebens, nach dem Glück, nach der Perfektion.

Only God Forgives

Die Geschichte ist eine übliche, keine kinoungewöhnliche. Es gibt eine Mutter. Die sieht aus wie ich mir eine nordische Göttin vorstelle und blond. Sie hat zwei Söhne. Der eine hat den Vater umgebracht und ist deshalb aus den USA nach Hongkong geflohen. Dort hat er eine Minderjährige umgebracht. Deshalb ist er von Verwandten derselben getötet worden. Das war der Bruder mit dem großen Schwanz, wie die Mutter erzählt, der Tüchtige, der Starke. Der andere Bruder hat immer schon das kleinere Pfeiflein gehabt. Er gilt als der Schwächere. Er wird gespielt von Ryan Gosling mit den blauen Augen. Er ist nun selber auf dem Rachepfad für den größeren Bruder mit dem großen Schwanz. Die Mutter will zusehen, dass diese Rache ordentlich vollbracht wird.

Was macht Nicolas Winding Refn aus diesem halbarchaischen Rachestoff? Das Archaische betont er mit einer auf Tiefe und Wucht getrimmten Musik, in der auch Urhörner ertönen. Ob es ihm aber sonst auch um das Arachaische, das Töten- und Rächenwollen geht oder ob er sich mehr als ein Kinoforscher sieht, der dem aktuell häufigen Bildermassenübertrumpfmodus Hollywoods, der Temposucht und der 3D-Einsimensionalität etwas entgegensetzen will? Oder ob er gar erforschen will, ob das Kino noch einen Existenzgrund hat, das bleibt mir unklar.

Jedenfalls versucht er, den Szenen durch Verlangsamung, durch Annäherung an den Stillstand Bedeutung zu verleihen. Auch Tapetenmusterfilm, Strukturfilm, der an Tapeten hängen zu bleiben droht. Oder Refn versucht sich an einer Art Vivisektion des Banalen im Kino. Oder am Herausstreichen des Banalen an solchen Geschichten.

Das scheint ihm zu gelingen. Seltsam leer mutet sie an, diese Übung. Die Schauspieler wirken austauschbar. Es sind lediglich verschiedene Typen. Die Mutter eine nordische Hünin. Einige prototypische Asiaten. Und Ryan Gosling, von dem wie auch von den anderen Akteuren nicht mehr verlangt wird, als dass sie ganz exakt auf Position gehen können oder noch leichter für sie, sie werden statuarisch wie für eine Fotosession so eingerichtet, dass man genau die Augen sieht, oder die Augen genau nicht sieht.

Ferner erhalten sie von Nicolas Winding Refn noch die Anleitung, auf welchen Punkt genau sie schauen, besser starren sollen. Bedeutungsgewinn des Kinos durch Machtverlagerung von der Regie in Richtung Kamera, die lange Phasen in düsterem Rotlicht filmt.

Oder Refn sucht wirklich die Wahrheit im Kino, indem er versucht, die Action anzuhalten. Nur fündig wird er nicht. Das Resultat wirkt eher wie gepflegte Langeweile. Denn Rollenarbeit an den Figuren interessiert ihn nicht. Die Entwicklung von Figuren geht allenfalls von Intakt über Arm-ab bis Blutiggeschminkt. Viele Blicke in bedeutungsvoll ruhende Flure. Adjustiert sich an einen hohlen Fotoästhetizismus. Hoffnungssuche? Das Archaische in Daunen und Seide gebettet, dass es ganz zahm und lahm wird. Er fotografiert die Menschen in Momenten der Entscheidungsfindung oder des Innehaltens. Zu sehen ist nichts. Verharren der Wahrheit. Skelettkino. Kalte Behandlung und Abservierung der Darsteller. Sie auf fixe Positionen dirigieren und stehen lassen. Beleuchtungs- statt Regiekunst. Dekor statt Geheimnis.

Pacific Rim

Gegen sein Riesenroboterspektakel sind 9/11 und Kingkong Krabbelstuben, das will uns wohl Guillermo del Toro mit diesem Film vermitteln. Roboter so groß wie Hochhäuser müssen gegen Monster kämpfen, die aus den Meeren steigen.

Sonst gibt es nicht viel zu berichten über diese Massierung von Standardsituationen (man tut das Heldische für die Familie, eine Kommandozentrale beobachtet die Helden draußen, nicht zu Helden Bestimmte und ein ausrangierter Roboterkoloss vollbringen die Heldentat, sie müssen eine Brücke sprengen, später wird es heißen „they did it“, Jubel im Studio, oder „they are in“ später dann „they are out“).

Zwischendrin liebenswürdige Details, die vor lauter Monstertum das Kleinmenschliche nicht vergessen lassen, ein verlorener, roter Schuh, ein kleines Kugelspielspiel auf Metallstänglein, die Kugeln geben die Energie eines Anstoßes ungerührt weiter.

Ein Bild für eine immer noch futuristische Idee allerdings gibt es. Das ist die Konstruktion der Roboterkolosse. Die ist faszinierend. In ihrem Inneren strampeln sich zwei Helden, Pilot und Kopilot, ab. Sie sind verkabelt, ihre Gehirn- und Bewegungsströme sind mit dem Roboterkoloss verbunden und ihre Bewegungen werden auf den Koloss übertragen. Wenn so ein Roboter nun mit einem Monster aus dem Meer kämpft, so kann es ihn ganz schön durcheinanderschütteln und die ihn steuernden Piloten auch. Diesen Effekt der strampelnden Menschen, oder sie treten wie mit schweren Stiefeln in schwere Pedale, den setzt Guillermo del Toro auch zur Genüge ein.

Oder auch: eine Variante aus dem Feuerwehr-Genre, Feuerwehr-Helden, statt mit dem Feuerwehrauto gegen das Feuer mit dem Kolossroboter gegen die Monster.

Die einzelnen Figuren sind von del Toro prägnant besetzt und in ihren wenigen Texten und Aktionen entsprechend herausgestellt, die zwei verrückten Wissenschaftler beispielsweise. Oder einer der Helden mit einem unglaublich pathetischen Schmelz in der Stimme, der dadurch eher an ein Erlösungsspektakel denken lässt.

Was es noch zu sagen gibt über diesen Film, dass er sehr laut ist und man auch noch die nicht weiter ergiebige Anstrengung 3D auf sich nehmen und bezahlen muss.

Oder: eine saubere, etwas laute und zu sehr actionkompilierende- und massierende Repertoire-Übung im Kolossal-Action-SciFi-Format.

Paulette

Aus dem vollen Leben schöpfen die ersten Bilder, aus Erinnerungen, teils in Super-8, der Laden von Paulette, das war sie einmal. Heute ist sie alt, arm, misanthropisch und rassistisch bis zum Geht-nicht-mehr, hart, brutal gegen die eigene Tochter, wenn die den Bimbo, das ist ihr Enkel, den die Tochter mit einem Schwarzen hat, ihre Abneigung spüren lässt.

Paulette hat zwar ein paar Freundinnen, mit denen sie gelegentlich Karten spielt; ihre Freundlichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie über eine leicht demente Mitspielerin meint, man solle sie einschläfern lassen.

Die Rente von 600 Euro reicht hinten und vorne nicht. Insofern hochaktuelles Thema. Paulettes Mann, Francis, der ist gestorben. 10 Jahre ist das her; ihr persönliches 9/11. Den Laden hat sie an Asiaten abgegeben und aus Hass denen Schaben in die Nahrungsmittel getan. Immerhin beichtet Paulette das dem Pfarrer.

Auch den Witwer, der sie auf dem Friedhof anmacht, weil das Grab von dessen Frau direkt neben dem ihres Mannes liegt, lässt sie brutal abfahren. Ebenso den verehrenden Nachbarn.

Die Schauspielerin Bernadette Lafon, die die Rolle spielt, kann aus dem Vollen schöpfen. Laut IMDb hat sie schon 183 Rollen auf dem Buckel. So spielt sie leicht die schrullige Alte, die wie eine Miss Marple herumtäppeln kann. Ihre erste Phase in diesem Film ist von Negativität gegenüber der Welt gekennzeichnet. Selbst zu ihrem Enkel, den sie hin und wieder hüten muss, ist sie abweisend.

Paulette wohnt in einem anonymen Hochhaus in der Banlieu von Paris. Unten im und vorm Haus treiben sich halbseidene Jungs rum. Paulette beobachtet, wie sie dealen, wie sie von der Polizei gefilzt werden. Durch Zufall gerät ihr ein Paket Hasch in die Hände. Von ihrem Schwiegersohn, der bei der Polizei ist, erfährt sie von einem Dealer namens Vito.

Mit dem Paket dringt sie in die Höhle von Vito ein, bietet sich ihm als Dealerin an. Schon irre, wie sie erst in einer Unterführung wildfremde Menschen anquasselt, ob sie Hasch wollen. Vom Schwiegersohn hat sie sich in der Asservatenkammer und im Archiv über Preise und Liefermengen informiert. Die handlungsfähige Alte.

Zuhause zerkleinert sie die Barren zu Detaillisten-Größe. Der Laden brummt. Bis die Jungs sich ausgebootet fühlen. Vorher war ihr Hab und Gut gepfändet worden, das dürfte die Initialzündung gewesen sein fürs neue Business, für ihre Alterskarriere. Mit dem Umsatz wächst der Wohlstand. Und der Neid und die Wut derer, die sich übergangen fühlen. Sie wird sogar verhauen von den Jungs. Übersteht das ohne Blessuren.

Sie entscheidet sich, den Stoff in Plätzchenform anzubieten. Jetzt läuft der Laden erst recht auf Hochtouren. Sie engagiert die Jungs, sie engagiert die Kartenspielfreundinnen, sie kleidet sich fein, fährt ans Meer; sie ist im Alterswohlstand angekommen – sicher Wunschtraum für viele.

Sie hat ihr misanthropisches Wesen abgelegt. Jetzt wird sogar der Oberdealer, der Russe M. Taras, auf sie aufmerksam, lässt sie mit einer Stretchlimousine abholen. Bis ihr seine Forderungen zu viel werden. Wer sich ihm gegenüber verweigert, der ist draußen. Also muss sie sich etwas Neues einfallen lassen, was wir als schöne Moral der Geschichte interpretieren können: erstens: Armut ist schlecht für die Laune und die Moral und zweitens, legalisiert doch endlich Hasch! Das als schrullige Komödie erzählt in der Art, gib dem Affen nicht Zucker, gib ihm Hasch. Eine Mutter Courage des Hasch – fast brechtisch schon.

Dieses Vergnügen, das keine Unklarheiten übrig lässt, verdanken wir Jérôme Enrico, der mit Laurie Aubanel auch das Buch geschrieben hat.

Systemfehler – Wenn Inge tanzt

Hier traut sich das deutsche Kino im Genre des Teenie-Filmes ohne das Gehirn abzustellen, seine Verkopftheit über Bord zu werfen und sich auf eine Gefühlsgeschichte einzulassen, die von der Story her zuerst vermuten ließe, aha, wieder einer der Teeniefilme, wie jede Generation sie mehrfach hervorbringt.

Vier Jungs, Schüler an der Theodor-Heuss-Schule, haben eine Band. Die heißt „Systemfehler“, ihr Hit ist „Wenn Inge tanzt“. Inge gibt es auch. Sie ist eine verspannte, widerborstige Streberin, ein Rühr-mich-nicht-an-Blümchen und sauer auf die Jungs wegen dem Song. Für sie ist sie die Batikflunse, Tofutrulla, Benefizbitsch. Musikalisch ist sie klassisch zugange.

Die Band bekommt nun die Chance, als Vorgruppe der bekannten Band Matzen aufzutreten. Leider verletzt sich der Gitarrist. Der Auftritt könnte das Sprungbrett für einen Plattenvertrag sein, er muss also unbedingt stattfinden und gelingen. Wo Ersatz für den Gitarristen herholen? Inge. Nur darf sie nicht wissen, dass ihr Hass-Song auf dem Programm steht, denn sonst würde sie sofort aussteigen. Dass sich das Ganze zu einem umjubelten Happy-End hin entwickelt, darf bei diesem Feel-Good-Movie erwartet und verraten werden.

Was mich überrascht hat, ist einmal die Besetzung der jungen Darsteller, die alle in ihrem Untertext zu verstehen geben, dass sie für so ein Rolle durchs Feuer gehen würden. Max, ist der Held, ein kleiner Tom Cruise, der am Schluss heldisch die Grundaussage nur halbherzig widerlegt, dass auch diese Generation, um nach oben zu kommen, bereit ist, einiges zu unternehmen. Sie selbst singen „Alle wollen nach oben“; in einem heldischen Akt konterkariert Max das, das ist sicher ein too much zu viel an Idealismus.

Alle sind sie aufgestellte Typen mit je eigenen Charakterisierungen. Der rothaarige Tino Mewes als Fabio, der es mit dem Feuer hat, darum muss er auch Sozialstunden ableisten. Diese wiederum spielen ihm einen Krankenwagen in die Hände, in dem er die taube, alte Dame im Rollstuhl spazieren fahren soll; der Krankenwagen ist aber auch ideal für den Transport von Musikinstrumenten und der Band. Constantin von Jascheroff als der Gitarrist, der sich die Hände einbinden muss. Und schließlich Tando Walbaum als derjenige, der immer Nacktvisionen hat und nicht glaubt, eine Frau zu kriegen. Besetzung Emrah Ertem, der schon öfter ein gutes Feeling für Kinobesetzungen bewiesen hat.

So weit so üblich, könnte man sagen, ein Drehbuch mit nicht allzu blöden Dialogen, geschrieben von Thomas Winkler, Rainer Ewerrien und David Ungureit. Und auch die Inszenierung von Wolfgang Groos macht die Sache tragfähig.

Aber jetzt kommt der Clou der Geschichte, die sie über den jährlichen Output an Teenie-Filmen hinaushebt. Der Onkel, bei dem Max wohnt, der von seinen Eltern, die auf Kuba leben, abgehauen ist, sein Onkel Herb ist der leibhaftige und er lebt noch Schlagersänger Peter Kraus, der schon in den fünfziger Jahren sein Karriere als Sänger begonnen hat. Und obwohl er kein brillanter Schauspieler ist, eher wie ein Laiendarsteller aber mit großer Wahrhaftigkeit, aber schon wie die Figur geschildert wird, ist zumindest köstlich, herzlich, dass er ständig Särge ausprobiert, dass auf seinem Anrufbeantworter zu hören ist, er liege im Sterben und Max gerade nicht da sei, dass er sich mit dem Tod beschäftigt, auch wenn er ins Schwärmen kommt, wenn er an seine alten Schlager denkt, „Rosen auf Hawai“. Sein Spiel lässt um so mehr die neue Professionalität der jungen Stars in bestem Lichte erscheinen; es ist aber mehr. Interessant ist doch, dass hier der Film einen kulturgeschichtlichen Bezugspunkt im eigenen Lande sucht, der im Kino nicht so leicht finden sein dürfte, auf dieser Gefühlsebene. So bekommt die Story einen fesselnden Gegenpunkt, um den herum sie sich entwickeln kann. Hier versucht das deutsche Kino anzuknüpfen an eine Kulturabteilung, die immer emotional war, die durch den Krieg offenbar nicht so nachhaltig geschädigt wurde wie das Kino: das Singen, der Schlager, der Rockn Roll. Vielleicht ein Hoffnungsschimmer, dass das deutsche Kino auf dem Weg ist, sich von seiner themenlastigen Sachlichkeit aufzumachen zu einer Fühligkeit, die den Geist nicht auslässt?

Oder wird hier nur, wie die Tafel, die in Max‘ Zimmer an die Wand gelehnt ist: frisch gebohnert?

Die Jungs sprechen sich als „compadres“, Kumpel auf Spanisch, an. Egoshooter ist ein Thema. Und ihr Ziel ist die „Streetcredibility“, was sicher auch ein Ziel dieses Filmes ist; wenn auch dahin noch ein Weg sein dürfte.
Weiterer Song von „Systemfehler“: „Konsuminfarkt“

Große Party in der Villa von Onkel Herb.

Die Flunkerei von Onkel Herb, wie er im Spital liegt und nachdem zwei alte, weibliche Fans ihn besuchten haben, sie hätten einen Gipsabdruck von seinem Geschlechtsteil machen wollen; er hätte solche Fans erlebt, die so was sammelten.