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Bekas

Wie doch die Erinnerung die Vergangenheit in schönem Lichte lauschig und romantisch erscheinen lässt.
Karzan Kader, der kurdische Autor und Regisseur dieser schwedisch-finnisch-irakischen Koproduktion, ist im Alter von 6 Jahren, so steht es im Presseheft nachzulesen, 1988 mit seinem Eltern aus dem Irak geflohen, denn es war die Zeit der Kurdenverfolgung unter Saddam und des Irakkrieges. In Stockholm hat er Film studiert und als erfolgreiche Abschlussarbeit einen Kurzfilm „Bekas“ gedreht. Hier haben wir den Langfilm dazu.

Kader hat seine Geschichte rührend auf zwei Waisenknaben, deren Eltern von den Häschern von Hussein umgebracht worden sind, verändert. Die unzertrennlichen Brüder Zana und Dana, die sich andauernd verlieren auf der Flucht und wiederfinden. Trotz schlimmer Dinge, die sie erleben, wirkt diese Flucht wie ein wunderbares Abenteuer von Knaben im Sommerurlaub, obwohl immer wieder gesagt wird, sie würden stinken in ihren bescheidenen Klamotten. Stereotyp wird die Geschichte noch durch eine erste Liebesgeschichte des älteren Bruders mit einem Mädchen angereichert.

Eine schöne Szene ist eine der exponierenden, die uns erklärt, woher die beiden Knaben ihre Traumvorstellung von Amerika haben, wohin sie ohne jede Recherche abhauen wollen. Diese Vorinformation erhalten sie aus dem Kino. Das können sich die beiden Buden zwar nicht leisten. Aber in der Kuppel über dem Kino gibt es ein kleines Fenster. Zu dem kann man waghalsig hochklettern und sieht dann Batman und was der alles kann. Bubenträume, die die beiden wahr werden lassen wollen.

Die Beschreibung des Dorflebens wirkt vereinnahmend, die Hektik in den engen Gassen, wie die beiden Jungen als Schuhputzer sich durchschlagen, wie sie einen Vertrauten, den blinden Alten, haben. Wie der stirbt, hält sie nichts mehr. Mit einem Esel machen sie sich von dannen. Das ist hochromantisch. Zwei junge Waisenknaben mit einem Esel auf der Flucht im Nahen Osten. Das erinnert an biblische Bilder.

Auch wenn auf der Flucht wirklich gefährliche Dinge passieren, wie sie sich unter Lastwagen festklammern, um über Polizeisperren zu kommen, wie sie beinah erstochen werden bei der Grenzkontrolle, wo sie in einem Sack mit Sonnenblumenkernen versteckt sind, wie der Fahrer sie nachher mitten im Niemandsland rauswirft, entsteht der Eindruck, der Regisseur wolle seinem neuen Heimatland Schweden dankbar Bilder aus dem schönen Kurdistan seiner Erinnerung liefern.

Diese Absicht allerdings gerät in Konflikt mit der eventuellen Absicht, eine glaubwürdige, atemberaubende Geschichte zu erzählen. Vielleicht war die Entscheidung einfach zu rührselig, sich für zwei Waisenknaben, und dann noch so hübsche und lebendige, auch wenn der Jüngere fast immer nur schreit, zu entscheiden, statt näher bei der eigenen Realität zu bleiben. So wirkt denn der Film als typischer „Ausländer“film, als Entwicklungshilfefilm, die guten, humanistischen Schweden gönnen einem armen Kurdenjungen, einen Film über sein Leben zu drehen.

Immerhin lernen wir, zu einem drängenden Problem auf so einer Flucht kann das Bedürfnis zu Pinkeln werden, speziell wenn es im Versteck stattfinden soll. Dagegen hilft keine noch so aufgemotzte Filmmusik, die sich gelegentlich fragen muss, ob sie den Film wirklich verstanden hat

Stiller Sommer

Schöne Grüße aus dem Deutschen Filmförder- und Zwangsgebührenkosmos. In gediegen lavendel-provencalischer Farbgebung und mit einigen schönen französischen Chansons garniert versucht die Regisseurin und Autorin Nana Neul die deutsch-bürgerliche Idee von der kaputten Familie von erhaben weltfremd-intellektueller Warte herab für das Untertanenpublikum leinwändisch zu dozieren.

Ein Themenfilm also, der auf eine Hauptfigur verzichtet und auf Konflikte ebenso, wie auch auf die Geschichten der Figuren. Ein Stötzner-Film auch, Ernst Stötzner, der Subventions- und Zwangsgebührenstar, der entlaubte Baum im deutschen Förderfilm, der impermeabel gegen jede Rolle, gegen jeden Stoff zu sein scheint, gegen jeden Film und jedes Team, insofern überall einsetzbar. Einen Beruf hat seine Figur auch nicht. Eine Tochter Anna hat er mit Dagmar Menzel, die hat einen Beruf. Sie ist Auktionarin. Das ist die formal intakte, inhaltlich längst geschlissene Familie.

Wobei wir die Bilder der Intaktheit, und damit der Angst, dass etwas kaputt gegen könnte, gar nicht erst geliefert bekommen. Die Absicht der Filmemacherin ist unkaschiert und laut: ich zeige Euch wie kaputt Familie ist. Zuerst ist die Stimme von Kristine, so heißt die Rolle von Frau Menzel, kaputt. Das hat zwar den Reiz, dass sie über weite Strecken eine stumme Rolle spielt. Wie sie allerdings mit dieser Stummheit umgeht, das muss nicht unbedingt die Ideal- oder Einziglösung für so ein schauspielerisches Problem sein. Lässt aber ihren gelegentlichen Seidenblick gut wirken.

Die Familie hat in den Cevennen ein seit Jahren nicht mehr benutztes Ferienhaus. Den Stimmverlust will Kristine dort auskurieren. Ohne ihr Wissen findet sich bereits ihre Tochter dort, die mit dem Franzosen Franck für eine Prüfung lernen will. Und was Männlein und Weiblein sonst an so einem lauschigen Ort miteinander treiben. Jetzt kommt mit Kristine ein weiteres Weiblein, 50 und sexuell hungrig, unbefriedigt in das Arrangement. Und es passiert, was die Regisseurin so fasziniert. Franck und Kristine fühlen sich zu einander hingezogen. Die ersten der Seitensprungfantasien in den Varianten Kanufahrt oder geheimes Treffen in einer Hausruine.

Bald taucht ohne weiteren Grund, ein Handlungsfaden ist in solchen Themenfilmen, die von der verbindlichen Kraft ihrer Themensetzung überzeugt sind, nicht nötig, ihr Mann Herbert, Ernst Stötzner, auf. Auch er hat, erfahren wir nach und nach, eine Seitensprunggeschichte hinter sich, eine zum eigenen Geschlecht. Hier verzettelt sich das Arrangement der Regisseurin schnell; es kommt zu einem Seitensprungverzetteln, denn es kommt die Erinnerung an ein weiteres schwules Verhältnis von Papa Herbert in der Vergangenheit dazu, das mit einem Toten in einem in einen Fluss gestürzten Auto endete. Die Seitensprungfantasien der Regisseurin haben nun zur Folge nicht allzu attraktive Liebesszenen quer Beet und Bett und zu Hauf über die Generationen und die Geschlechtergrenzen hinweg. Diese Verzettelung wirkt umso verzettelter, als Schnitte wie Zeitsprünge zurück eingefügt werden, die aber die hilfreiche Funktion von Rückblenden nicht erfüllen können.

Schon beim Lesen einer kurzen Inhaltsangabe im Presseheft vor der Filmvorführung, kam mir das alles sehr bekannt vor, als hätte ich diesen Film schon hundertmal im deutschen Studienratskino gesehen, wo es wirkt, als seien die Schauspieler auf einem Workshop und versuchen nun, kaputte Familie zu mimen, weil den Figuren die Geschichte und dem Film der dramaturgische Faden fehlt, weil es ein Themenfilm und kein Film mit einer Hauptfigur mit einem die Spannung festzurrenden Konflikt ist.

Insofern wirken Farbgebung der Kamera und die Chansons als die Mini-Highlights. Schon einer der ersten Sätze ist „was machst Du da?“, ein inzwischen im deutschen Kino untrügliches Indiz für welt- und kinofremde, papierene Drehbuchkonstruktion. Die Menschen werden dadurch zu abstrakten Figuren, die sich nur ihrer schauspielerischen Mittel bedienen können, die aus diesem Grund jedoch extrem ausgestellt/workshophaft wirken und nicht selten unbeholfen. „Spielen Sie eine Stumme!“. „Spielen Sie Eifersucht““. „Spielen Sie Schwule!“. „Spielen Sie Seitensprung!“. „Und jetzt sind wir lustig auf Kommando!“ (die beiden Freundinnen Barbara und Kristine, wenn sie die Klamotten von einem Mann verbrennen, nachdem sie auf eine Zielscheibe mit Menschenfigur geschossen haben). Wen interessiert so etwas? Spielen Sie Rausch durch Psilocybin (ein Pilzgift). Wen interessiert das, außer den Kursteilnehmern und den Organisatoren des Kurses, sprich den Filmförderern, die hier wieder fahrlässig mit öffentlichem Steuergeld und Rundfunkzwangsgeld umgehen. Dass solche Filme auch nur entfernt mit dem Rundfunkauftrag etwas zu tun haben, das müsste erst noch bewiesen werden.

Motto des Workshops: „Einer verschwindet und alles gerät aus dem Gleichgewicht“. Vergleich des schiefen Mobiles. Als solches wirkt der Film. Es gibt kein Ziel der Handlung, es gibt keinen Spannungsbogen. Aber die Film- und Medienstiftung NRW (Dr. Frauke Gerlach, Vorsitzende des Aufsichtsrates), der Deutsche Filmförderfonds (DFFF, Vorstand Peter Dinges)), das Kuratorium Junger Deutscher Film (Andreas Schardt, Vorsitz) und Stefanie Gross (SWR) haben solches wieder ganz toll und fördernswert gefunden. Widerspruch zumindest des Zwangsgebührenzahlers ist nicht zu erwarten; er schaut sich das gar nicht erst an.

Es gibt auch kaum konkrete Vorgänge, man sitzt und trinkt Wein, schlachtet ein Wildschwein, geht spazieren, liegt im Bett, oder Herr Stötzner ist irgendwo hoch an einem Gittertor wie hingetuckert und macht eine offensichtlich sinnlose Handbewegung, die Szene wird später sogar wiederholt, kaum zu glauben, oder man schreibt mit Zahnpasta das Wort „eifersüchtig“ auf den Badezimmerspiegel, die verliebten Männer duschen unter der Freiluftdusche ohne jede Erotik. Ein Film ohne Exposition und Ziel. Illustration der Behauptung: diese deutsche Familie ist nur Fassade, jeder hat unerfüllte Liebessehnsüchte. Wie aufregend. Das hätten wir nun nie gedacht. Dafür zahlen wir gerne Zwangsgebühren. Wir fahren jetzt alle mal mit dem ganzen Team nach Südfrankreich und spielen dort im Urlaub deutsche Familienkrise. Oder spielen wir: deutsches Kino in der Krise?

Willst Du nicht Tschüss sagen, er hat dir eben das Leben gerettet.
Und dann noch am Pool eine pseudoernsthafte Unterhaltung über das Glück, handlungsmäßig vollkommen unmotiviert. Studienratskino, am nicht abgestaubten Computer ausgedacht. Nur ja nicht die Menschen studieren für einen Film.

Fett symbolisch für das Diabolische, was überall in der Bürgerlichkeit lauert, lassen wir anfangs und Ende des Filmes noch eine Katze über den Weg gehen oder platzieren sie sogar neben Kristine und Herbert. Und bei der Auktion muss es um eine Katze gehen. Noch Fragen?

Super-Hypochonder

Dany Boon, der das Buch geschrieben und die Regie geführt hat, spielt auch die Hauptrolle des Super Hypochonders.
Die Menschen kennen wir, die wenn sie ein Hotelzimmer beziehen, als erstes die Lavabos und Wasserhähne und Türklinken mit Sagrotan reinigen. Eine weitere, typische Eigenschaft der Hypochonder dürfte das Googeln nach Krankheitssymptomen sein. Der Superhypochonder Romain Faubert, den Dany Boon hier spielt, und der passenderweise einen Job als Fotograf für ein Medizinlexikon hat, der lässt sich noch dazu wegen jeder kleinen Einbildung ins Krankenhaus einliefern.

Mit einer solchen Einlieferung mitten durch das Pariser Partyleben in der Sylvesternacht fängt der Film an. Der Patient führt sich auf wie der extremste Notfall. Doch die Ärzte finden nichts. Schließlich verlangt er nach seinem Hausarzt, der ihn schon seit Jahrzehnten betreut. Den nervt er sowieso zu jeder Tag- und Nachtzeit. Kad Merad, der diesen Arzt Dimitri Zvenka spielt, versucht deshalb, seinem lästigen Dauerpatienten eine Frau zu vermitteln.

Das Hypochondertum spielt Boon in der Art eines stillen Einverständnisses mit seinem lachbereiten Publikum, also ich spiele Euch jetzt möglichst übertrieben einen Hypochonder vor, bevor ihr die Chance habt, überhaupt zu bemerken, was an mir nicht ganz in Ordnung ist.

Hypochondertum allein scheint Danny Boon für einen Film nicht zu reichen, er greift auch noch auf das Genre der Verwechslungskomödie zurück, damit er noch mehr auf die Tube drücken kann. Bei einer Hilfsaktion für Flüchtlinge, bei der Romain dem Arzt zuliebe mitmacht, wird er dummerweise mit einem der meistgesuchten Terroristen aus dem Staate Tscherkien verwechselt.

Ab hier kämpfen Hypochonderkomödie und Verwechslungskomödie um das Oberwasser. Das bleibt hübsch lebendig, weil Boon sein Drehbuch sicher recht spontan entwickelt hat ohne allzu viel Absicherung auf Stimmigkeit hin, und führt nicht nur zu seiner Abschiebung in jenes Land zurück, in dem ihm die Todesstrafe droht, sondern nach geglückter Rettung auch zu einer Wandlung und zum Finden der wahren Liebe.

Was die französische Literatur betrifft, so werden zwar Verlaine und Rimbaud, Victor Hugo und Cyrano von Bergerac angeführt, merkwürdigerweise aber Moliere nicht, der doch den gegen alle Zeitströmungen resistenten „Der eingebildete Kranke“ geschrieben hat; der macht allerdings keine Show primär fürs Publikum, wie Dany Boon, der traktiert seine Umgebung tyrannisch. So ernst wollen wir es denn in dieser lustig sein sollenden Filmkomödie doch nicht angehen.

Die Deutsche Synchro gibt keine besondere Ambition zu erkennen.

Komik und Komödie hier im Sinne eines Banlieutheaters, was gerne auf bewährte Gags zurückgreift.

Noah

Die Welt in einer völlig anderen Zeit, als uns wissenschaftlich gebildeten möglich erscheint. Die Menschheit, allesamt Nachfahren von Adam und Eva, haben sich in zwei Stämme gespalten. Die einen, die Erben Kains, leben als Menschenmassen in gigantischen Städten, deren Durst nach Energie und Rohstoffen die ganze Erde zerfressen (Parallelen zu heute sind intendiert). Die anderen, die Nachfahren des nicht erschlagenen dritten Bruders (also nicht Abel), frohlocken in der freien Natur, wo sie nicht einmal Blümelein abpflücken, um ja der Schöpfung nicht zu schaden, und leben von dem, was die Natur ihnen freiwillig gibt. Während die Zahl der einen in die Milliarden gehen muss, scheinen die anderen ein Familienverbund von nur fünf oder sechs Leuten zu sein.

Der Familienvater Noah sieht sich gezwungen, aus seiner angestammten Gegend zu verschwinden, da die nächstliegende Stadt nun auch in seiner Gegend nach Rohstoffen sucht, und dabei natürlich brutal und schonungslos vorgeht. In der Nacht hat er eine Vision, einen Traum, von einer Flut, der alle Lebewesen zum Opfer fallen, und er sieht den Berg, auf dem sein Vater lebt. Am nächsten Morgen bricht die Familie zu diesem Berg auf. Auf dem Weg finden sie ein lebendes, aber verletztes Mädchen neben den Leichen seiner Familie – Ila. Das Kind wird kurzerhand in die Familie aufgenommen und reist nun mit zum Berg. Der Weg führt durch eine verkohlte, steinige Einöde, in der gefallene Engel, zu ungelenken steinernen Monstern geworden, ihr Dasein fristen. Sie wollen diese Menschen eigentlich tot sehen, doch einer von ihnen ist überzeugt, dass nicht jeder Mensch verkommen ist und steht ihnen bei.

Auf dem Berg trifft Noah seinen Vater, hier hat er auch seine zweite Vision, nämlich die einer Arche, die diese Flut überstehen kann, und in der je ein Paar der Tiere der Welt aufgenommen werden soll. Mit Hilfe eines Samens und eines Wunders des Schöpfers entsteht bald ein Wald, dessen Holz für den Bau der Arche genutzt werden kann.

Jahre später ist das Schiff fast fertig, die Kinder erwachsen, Noah alt und weise. Nun kommen die Menschen aus der Stadt, wollen sehen, was da los ist, wollen den Wald nutzen und die Tiere, die sie ihn ihm finden. Es kommt zum Konflikt. Als massenhaft Tiere in die Arche strömen und es zu regnen beginnt, beginnen auch die Menschen zur Arche zu drängen – doch deren Untergang ist ja beschlossen, daher muss das Schiff gegen die Menschen verteidigt werden. Wieder helfen die gefallenen Engel, und schließlich kommen die Wasser.

Der Konflikt gärt noch weiter, es gibt einen blinden Passagier, und familieninternen Streit, und Noah selbst ist dem religiösen Wahn verfallen, da er Ilas Unfruchtbarkeit als Fingerzeig Gottes empfindet, dass auch die Menschen nicht überleben sollen, Noah und seine Familie nur noch für die „Überfahrt“ in eine neue Welt gebraucht wird und dann in der neuen Welt ihr Leben auf natürliche Weise zu Ende leben darf.

So ein Stoff gibt natürlich einiges her für die große Leinwand, Hollywood macht ja schon seit Urzeiten mit Bibelschinken Kasse. Optisch ist der Film völlig in Ordnung, die Tricks sind fein und alles, aber von der Botschaft her ist es eher schwierig, diese Pille zu schlucken. Zunächst einmal das Konzept eines Schöpfers, der einerseits schuf, andererseits wieder nimmt, der aber nicht gerade intensiv auf Dialog aus ist mit seinen Subjekten. Gut, das ist die Religion, in den Augen von vielen halt ein aufwendiges Märchen, um den Menschen die Angst vor der großen, stillen Weite des Universums zu nehmen, und mit ihr die unausweichliche Erkenntnis, dass selbst der großartigste unter ihnen immer noch so unbedeutend ist wie ein einzelnes Sandkorn auf den Malediven.

Was aber gewaltig stört, ist zum Beispiel die Tatsache, dass die Evolution des Menschen eindeutig geleugnet wird im Film. Alle anderen Tierchen entstanden, wie Darwin es herausgefunden hat, in mühsamer Vererbung und Mutation, nur als der Mensch auf den Plan tritt, wird er vom Schöpfer auf die Erde gesetzt, die er sich fortan untertan machen soll. Das beißt sich schon sehr mit dem, was man heute von einem verantwortungsvollen Film erwartet.

Und abgesehen von den anderen Ungereimtheiten (von gefallenen Engeln über die Herkunft der Wassermassen, die den Planeten ja strenggenommen 8850 Meter hoch überschwemmen müssen, bis zur Frage, was zwei Löwen essen sollen, bis sich die zwei Antilopen von der Arche zu einer tragfähigen, sprich, bejagbaren Population entwickelt haben, oder auch, warum der Schöpfer die ungewünschten Menschen nicht einfach tot umfallen lässt) ist der Film optisch tatsächlich genießbar.

Da aber niemand im Kino das Hirn so weit ausschalten kann, um dieses Märchen ohne kritische Rückfragen annehmen zu können, wird wohl kaum einer wirklich genießen können. Schade, denn man hätte das Thema wirklich deutlich realitätsnäher und metaphorischer inszenieren können (was ja zum Beispiel in Evan Allmächtig gelungen ist). Zum Beispiel gibt es erdgeschichtlich eine Zeit, in dem das Mittelmeer vollief, was man durchaus als göttlichen Zorn verstehen konnte, hätte man damals in der trockenen Senke gelebt. Gut, das ganze ist 5,3 Millionen Jahre her, da hätte man also auch noch ein paar künstlerische Freiheiten gebraucht, aber es wäre wenigstens realistischer gewesen als der liebe Gott, der alle ertränkt.

Sorry, aber Religion ist im Lichte der Erkenntnis einfach … unglaubwürdig.

Snowpiercer

Ein Comic kann eine grandiose Vorlage für ein Drehbuch sein. Und wenn dieses auf dem höchsten Level filmischer Kunst realisiert wird, so muss man nach den knapp über zwei Stunden Fahrt um die vereiste Erde erst mal tüchtig durchatmen.

Dies ist jedenfalls dem Südkoreaner Joon-ho Bong gelungen. Er hat mit Kelly Masterson auch das Drehbuch geschrieben nach einem Comic von Jacques Lob, Benjamin Legrand, Jean-Marc Rochette.

Comic-Zeichner sind meist hervorragende Beobachter und üben sich darin, die Dinge und Menschen auf Wesentliches zu reduzieren. Das kann atemberaubende Folgen haben. Denn ein Regisseur, der nach so einem bereits präzise formulierten Buch arbeitet und außerdem ein Feeling dafür hat, kann auf jeden unnötigen TV-Realismus verzichten, kann die Figuren und Szenen auf ihre Grundidee hin realisieren.

Hier ist es ein Zug, eine Art Arche Noah. Seit 17 Jahren ist er unterwegs rund um den Erdball, non stop, er ist autark, umfasst ein Bild der ganzen Menschheit. Er ist Hunderte von Metern lang. Es sind die Überlebenden der misslungenen Aktion gegen die Erderwärmung mit dem Mittel CW7, denn die Dosierung muss so stark gewesen sein, dass eine sofort eintretende Eiszeit die Folge war. Wer in den Zug flüchten könnte, der hat überlebt und befindet sich seither in rasender Dauerflucht.

Der Zug spiegelt die menschliche Gesellschaft, die auf elementare Grundstrukturen und Grundmachtverhältnisse reduziert wird. Im hinteren Teil, in der Holzklasse, vegetiert mehr denn dass sie lebt, die unterste Klasse, die Masse. Sie wird ernährt von einem synthetischen Mampf, jahrein, jahraus. Ihre Waggons haben keine Fenster. Immer wieder müssen sie zu Zählappellen vor Schwerbewaffneten antreten. Ab und an wird auch ein Kind geholt. Die werden vorher ausgemessen. Die Lösung, wofür die gebraucht werden, kommt dann gegen Ende des Filmes, nur eines von vielen erschütternden Bildern.

Die Menschen erhalten hin und wieder in ihre Nahrung geschmuggelt und in eine Art Patronenhülsen verpackt rote Zettel mit Hinweisen, wie sie sich vielleicht befreien könnten. Es gab im Verlauf der 17 Jahre einige spektakuläre Ausbruchsversuche, Versuche, von hinten ganz nach vorn im Zug durchzustoßen. Das ist schwieriger als aus einem Hochsicherheits-Gefängnis auszubrechen. Sicherheitsschleusen über Sicherheitsschleusen.

Bekannt ist in den hinteren Teilen, dass der Chef des Ganzen ein Dr. Wilford ist. Er ist die Heiligkeit. Seine Maschine, die seit 17 Jahren läuft, ist seine Erfindung. Er ist der absolute Herrscher des Zuges. An ihn ranzukommen von hinten im Zug ist ein Ding der schieren Unmöglichkeit. Noch dazu, da seine Sicherheitskräfte martialisch ausgerüstet sind, wie Sicherheits- und Polizeikräfte es heute zu sein pflegen.

Der Hauptteil des Filmes schildert nun einen massiven Ausbruch, lange vorbereitet, der unter enormem Personen- und Blutverlust und immer neuen Überraschungen und Hindernissen schließlich die Verbliebenen bis an die Spitze führt, wo der Film allerdings um unerwartete Wendungen nicht verlegen ist.

Eigentlich schade, zu verraten, wie es im weiteren Verlauf des Zuges aussieht, was für ein bestechend genaues Bild der Menschheit hier geschildert wird. Unter anderem mit grandiosen Auftritten von Tilda Swinton als einer Art Vermittlungsfigur zwischen Wilford und den Aufständischen. Oder mit welch drakonischen Strafen erwischte Aufständische gemaßregelt werden.

Ein Überlebenszug, in dem die Überlebenden selbst wiederum um ihr Überleben kämpfen, gegen eherne menschliche Machtgebilde und Schichtung, gegen vermeintliches Schicksal aufstehen; denn Dr. Wilford ist auch ein gnadenloser Schicksalsphilosoph. Aus seiner Sicht ein gute, vorbeugende Maßnahme gegen zu viele eigene Ideen der Menschen.

Wobei andererseits er peinlich darauf achten muss, die Balance im Zug zu wahren. Könnte das Denken von Staatslenkern sein, vielleicht sieht es im Kopf von Frau Dr. Merkel nicht viel anders aus. Der Gedanke ist nicht ganz auszuschließen.

Molière auf dem Fahrrad

Schauspielerschnurren.
Wie ein gemütlicher Hock oder Plausch mit zwei arrivierten Schauspielern, die eine größere Drehpause nutzen, resp. einem Regisseur, Philippe Le Guay, der die Idee zum Film mit dem einen der beiden Protagonisten, Fabrice Luchini als Serge Tanneur, ausgeheckt und darauf das Drehbuch geschrieben und inszeniert hat.

Tanneur hat sich in die Normandie in ein kleines Kaff zurückgezogen. Er war ein erfolgreicher Schauspieler. Von der Bühne hat er Abschied genommen. Er verbringt seine Tag garantiert ohne Fernsehen, ohne Anschluss an die öffentliche Kläranlage mit Malen und Puzzles; nur, rein glücklich scheint er nicht zu sein. Sein Negativmotto ist, keine Bühne mehr.

Vor sechs Jahren hatte Tanneur noch in Prag gedreht. Dabei hatte er den Kollegen Lambert Wilson kennen gelernt. Dieser ist ein typischer Beau, immer gut sitzende Frisur, muss nie viel machen, vor allem da stehen und gut aussehen, die Muskeln drei bis vier Mal im Fitnessstudio trainiert. Der möchte für eine Tourneeaufführung den Menschenfeind von Molière inszenieren und er möchte Tanneur unbedingt als die seiner Ansicht nach negativere Figur, den Philinte besetzen.

Tanneur allerdings hatte immer davon geträumt, die Hauptrolle, den Alceste, zu spielen. Hat er aber nie gekriegt. Hat ihm keiner zugetraut. Jetzt taucht der Kollege, der ihn nicht vergessen hat, Lambert Wilson, gespielt von Gauthier Valence, im Kaff auf. Wilson ist auf dem Höhepunkt seiner Popularität wegen der Rolle eines Gehirnchirurgen in einer Fernsehserie. So bekannt wie seinerzeit Klaus-Jürgen Wussow als Schwarzwalddoktor.

Der Hauptteil des Filmes sind nun seine Versuche, den Kollegen Tanneur zur Rolle zu überreden. Tanneur lässt sich immerhin auf Proben ein. Und so wird es viele, viele, Leseproben geben mit ständig wechselnden Rollen, sie spielen Kopf oder Zahl vor jeder Proben, wer wen liest. Für genaue Beobachter wird sich auch zeigen, wie die Darsteller langsam in die Rollen hineinwachsen.

Dazwischen gibt es Fahrten mi dem Fahrrad, auch mit einem ohne Bremse und der Star lässt sich auf ein Interesse für Immobilien ein, lernt dabei die attraktive Italienerin Francesca kennen, die aber behauptet, die Italiener würden keine französischen Schauspieler kennen.

Zwischendrin springen ein paar Schauspieleranekdoten ab oder auch pinggelige Kritik von Tanneur am Kollegen, wenn es um die 12 Silben des in Frankreich und bei Molière heiligen Alexandriners geht.

Zwischen dem Probenstaub und den Alexandrinern wird immer wieder mit Ausflügen ans Meer, in die Dünen, zu den Salzgewinnungsanlagen Luft zum Durchatmen gegeben und logisch, dass die beiden Herren Francesca gegenüber nicht ohne Gefühle bleiben können.

Weitere Zutaten zu diesem vergnüglichen Schauspielertreffen sind das Thema Vosektomie, Fans des Stars, ein junges Mädel, was bereits X-Filme macht (Pornos), die Agentin in Paris, der Immobilienmakler, der Taxifahrer, der den Star um einen Gefallen bittet und bei Erinnerung daran vom Star ein Veilchen verpasst kriegt, ein wild gewordener, lauschiger Whirlpool, die Salzgärten. Alles mit abgeklärter Ruhe und Gelassenheit.

Eine sympathische Liebeserklärung an die Schauspielerei und das Theater. Vielleicht auch ein Film fürs Theatermuseum. Und immerhin besser, drehfreie Zeit so zu nutzen, statt im Alkohol abzusaufen oder das Jammern anzufangen. Gilt ebenso für den Zuschauer.

Rio 2

Im 1 zu diesem Film, der schlicht „Rio“ hieß, ging es darum, dass die beiden blauen Papageien zusammenfinden, um eine Familie zu gründen und sich in Rio zivilisiert anzusiedeln und die Art zu retten. Hier war das Auffällige die rasante Action.

Im Film „Rio 2“ geht es darum, dass das blaue Papageienpaar, das sich in Rio bürgerlich in Holzhäuschen niedergelassen und vermehrt hat, am Fernsehen davon erfährt, dass im Urwald noch Artgenossen leben. Die will die jetzt 5-köpfige, dschungelunerfahrene Blaupapageienfamilie suchen.

Der Film fängt mit allerlei Sylvestervergnügungen in Rio an, Flamingo-Tango tanzende Menschenmassen und die kleinen Papageien zündeln mit dem an einer Rakete angebunden Kleinsten herum.

Linda und Nico, die Naturschützer, die sich auch um die Blaupapageien gekümmert haben, sind schon im Dschungel unterwegs und haben die blaue Feder gefunden, die auf noch unbekannte Vorkommen der blauen Papageien schließen lässt.

Auf dem Weg in den Dschungel befindet sich auch der schauspielernde, Shakespeare rezitierende Kakadu mit seiner spanischen Halskrause und mit Compagnons. Er hat sich aufgemacht, um Darsteller für seine Jahrmarktshow zu suchen, Dschungelploitation auf seine Art.

Bereits im Dschungel befinden sich die kommerziellen Dschungelabholzer.
Und im Dschungel selbst gibt es eine Kolonie von roten Papageien, die die blauen als Konkurrenten sehen werden.

Mit vielen „Einfällen“ bestückt und mit Gesangs- und Tanznummern in einer bunten Mischung aus Musical, indigen brasilianischen Rhythmen, Samba und sogar aus der Oper, werden jetzt diese verschiedenen Spieler in 3D-Dunkel im Dschungel auf einander losgelassen. Es gib einen Kampf zwischen den Roten und den Blauen (Papageien) in einer riesigen Arena mit einer Kulisse wie beim amerikanischen Soccer-Endgame als Vorspiel zum Kampf gegen die Abholzer. Nach dem Großangriff auf die Abholzer kann das Happy-End kommen.

Auge um Auge

Scott Cooper, der mit Brad Ingelsby, das Drehbuch geschrieben hat und die Regie führt, erzählt uns hier eine einwandfrei amerikanische Männergeschichte auf emotional und bildnerisch hohem Niveau.

Die Geschichte der beiden Brüder Russell und Rodney Baze. Der eine ist der ehrbare, brave, der andere der Irakveteran, der sich und sein Leben nicht in Griff bekommt.

Die Geschichte spielt in einer malerisch verkommenen Eisenhüttenstadt. Vater Baze und Russel arbeiten am Hochofen. Vater ist bereits anfangs des Filmes krank und stirbt bald. Während Rodney sich nicht zum Arbeiten überwinden kann, sich Geld leiht und es prompt verspielt. Dadurch kommt er in Teufels Küche. In die bekannte Bredouille, die amerikanisch-filmbekannte Bredouille: Spiel, illegale Ringkämpfe, Drogen und ein ganz böser Bösewicht mit seltsamem Ohrgehänge, Harlan de Groat, der 5 Autostunden entfernt in jenen Hügeln von New Jersey residiert, wo durch die Abgeschiedenheit nur Inzucht geübt werde.

In der ersten Szene wird in traumhaft schönen Bildern eines Autokinos die Gewalttätigkeit und Grobheit von Harlan gezeigt, wie er mit der Nutte in seinem Auto grob wird und auch Nachbarn, die sich einmischen wollen, eins vor den Latz knallt. Grobian. Grober Kerl. Gegen den zeichnen sich die beiden Brüder durch Sinnlichkeit, Sensibilität aus. Wobei dem Kämpfer allerdings bei den getürkten Schaukämpfen allzu gerne die Zündschnur durchgeht und er nicht verliert, wenn er verlieren sollte. Das bringt ihn ins Visier von Harlan.

Er wird die Reise zu Harlan nicht überleben. Vorher hatte er sich allerdings rührend um Russell gekümmert, wie der wegen eine Alkoholfahrt mit Personenschaden im Knast gelandet ist. Während der Irak-Bruder also sich nach New Jersey aufmacht, schneidet der Filmemacher eine Jagdszene auf einen Hirsch mit dem braven Bruder und seinem Onkel, Sam Shepard als Gerald ‚Red‘ Baze.

Wenn Shepard mit von der Partie ist, ist garantiert, dass amerikanisches Männer- und Gangstertum hochliterarisch abgehandelt wird. Oder vielleicht nicht ganz hochliterarisch, aber hochcineastisch. Wobei einem die Icons doch immer merkwürdig bekannt vorkommen, die Twists, die nur allzu gerne auf das Thema Selbstjustiz hinauslaufen. So auch hier. Denn nach dem Tod von Rodney hat Russell eine Rechnung mit Harlan offen. Verkomplizierend, aber die Lösung auch raffinierend, sozusagen als neuer Zwischenton zur plumpen Selbstjustiz, hat die Frau von Russell während er im Knast einsaß, sich den Cop geangelt, der nicht so erotisch und prototypisch amerikanisch filmheldisch wirkt wie Russell, der aber zuverlässig ist. Also soll erst der Mechanismus des Vollzuges des Gesetzes sich um den verschwundenen Bruder kümmern. Der wird auch gefunden nach einer gefährlichen, fast explosiven Annäherung von Russell an Harlan.

Andererseits, was wäre ein amerikanischer Film, bei dem die Justiz die Gerechtigkeit wieder herstellte, das wäre doch todlangweilig. So haben sich denn die Autoren Scott Cooper und Brad Ingelsby auf einen Kompromiss geeinigt. Das Gesetz darf einschreiten. Aber am Schluss entscheidet sich der Film doch anders. Das wirkt wie eine ironische Pointe. Mehr davon wäre bei so einem Film durchaus drin gelegen. Das Männerbild, was hier entworfen wird, scheint mir doch sehr pathetisch.
Shepard ist der Onkel.

Die Ureinwohner von New Jersey. Die Arschlöcher von Ramapo.
Cineastisches Männerbild on a highly sophisticated Level. Aber doch recht fern vom europäischen Stahlwerkromantizismus.

Uramerikanische Filmwelt, die sich doch sehr um sich selber dreht. Die für Außenstehende wenig Message hat, die den Geist zwar das Können, die Emotion, die Sinnlichkeit, die Bilder genießen lässt, aber sonst wenig in Bewegung setzt. Es scheint in einem Entwicklungsstillstand zu verharren, dieses Männerbild. Das einzige Problem, was sich besonders in Europa im Kino überhaupt nicht mehr gut verkauft, das ist die Selbstjustiz. Und da geht dieser Film so einen halben Schritt auf Europa zu, wenn man so will.

Ja, und dann muss der Bösewicht, der Obergrobian den tapferen, braven Amerikaner, der aber nicht aufgibt, obwohl er doch so bieder scheint, als toughen Kid loben.

A Long Way Down

Das Pikanteste an diesem Film dürfte sein Grundidee sein: vier potentielle Selbstmörder kommen sich ausgerechnet am Sylvesterabend auf dem Dach des Fleet-Tower in London ins Gehege. Diese Idee ist skurril. Warum? Weil der Selbstmord etwas Endgültiges ist und es ist schon komisch, wenn sich mehrere solche Endgültigkeitsentscheide im Modus der Endlichkeit im Wege stehen und sich an deren Durchführung hindern.

Mit dieser skurrilen Grundidee-Szene fängt der Film an, werden die Figuren eingeführt. Der erste ist Pierce Brosnan als Martin Sharp. Er hat sich gut vorbereitet auf seinen letzten Sprung, ist mit einer Leiter unterwegs um die Selbstmordverhinderungsanlage aus Gittern und Stracheldraht zu überbrücken. Er steht schon einen Schritt vor seinem letzten, hoch über London, will noch eine letzte Zigarre rauchen, die fällt ihm dummerweise runter und da taucht auf dem Dach schon Maureen, Toni Collette, auf und vereitelt das Vorhaben. In kurzen Abständen folgen noch Imogen Poots als Jess Crichton und Aaron Paul als J.J., der vorgeblich eine Pizza abliefern will.

Es handelt sich um eine erste Garnitur von Schauspielern, die auf diesem Hochhausdach in London versammelt sind und die erstklassig die weiteren Entwicklungen vom Absehen vom Vorhaben über das Hinuntersteigen und sich Verabschieden und durch den heftigen Regen wieder Zusammenfinden und dann sogar den Pakt schließen (Schonfrist bis zum Valentinstag) uns niveauvoll vorführen werden.

Die Geschichte wird insofern eskalieren, als die Medien hinter diesen Pakt kommen und Sharp ein bekannter Frühstücksmoderator gewesen ist, während Jess die Tochter des Bildungsministers ist und ziemlich heruntergekommen wirkt. Selbstmordverhinderungsstory mit Promibonus oder -malus.

Im Vergleich zum Vorhaben Selbstmord wirken die sich entwickelnden Alternativ-Aktivitäten allerdings recht spießig, der Entschluss beispielsweise, statt sich von den Medien aussaugen zu lassen, denen die Geschichte, leicht verändert und verschönert zu verkaufen: ein nackter Engel wie Matt Damon sei ihnen erschienen – da es sich um eine Erfindung handelt, bleibt dem Zuschauer dieser Cameo-Auftritt dankenswerter Weise erspart.

Um dem Presserummel zu entfliehen, bucht die Gruppe einen Flug nach Teneriffa. Dort wird alles urlaubsspießig, aber eine Klatschkolumnistin schafft es, sich J.J. für eine Nacht zu angeln. Auch das kriegt die Gruppe in Griff.

Die Überraschungen nach dem pikanten Anfang halten sich im Rahmen, im Rahmen sehr gepflegten Spiels allerdings. Regisseur Pascal Chaumeil, der das Drehbuch von Jack Thorne nach dem Roman von Nick Hornby vor sich hatte, schließt quasi mit dem Publikum gleich bei der Eingangsszene einen Pakt, nämlich den, dass man sich hier gepflegt britisch unterhalten wolle und sicher die Tragik, die hinter einem Selbstmordversuch stehen kann, nicht als ernsthaftes tiefgründig Thema aufdröseln wolle. Das hat allerdings den Nachtteil, dass die aus dem nicht verlorenen Leben gewonnene Freiheit auch nur in überschaubarem Rahmen zur Ausweitung des eigenen, kleinen Glückes gewonnen wird, dass vielleicht die Einsamkeit, die zum Suizidwunsch geführt haben mag, etwas weniger einsam gestaltet wurde; insofern der menschenfreundliche Input oder die Moral: das Leben muss nicht unbedingt so einsam sein, wie man es in manchen Momenten der Verzweiflung sieht. Einsamkeit kann offenbar ein Impuls-Zustand sein – das ist jetzt allerdings Metainterpretation. Wörtlich allerdings beschreibt Sharp es als ein Problem von Demütigungen, die er erlitten habe.

Her

Stadtneurotiker anno 2014 in L.A. oder eine skeptische Meditation über die Liebe eines Großtadtmenschen in Zeiten der virtuellen Welten.
Hier geht die Liebe nicht durch den Magen, denn wir sind nicht in Frankreich, hier geht die Liebe durch den Kopf. Und da wir in L.A. und im Heute sind, findet die Liebe sogar ihr virtuelles Double, ein Operating System, selbständige Cumputerintelligenz, die man sich als Partnerin auf den Laptop oder den Computerbildschirm holen kann, nach Lust und Laune verfügbar.

Theodore, Joaquin Phoenix, entscheidet sich nach dem Durchblättern des virtuellen Kataloges für Samantha, wie sie sich aus Intuition heraus spontan nennt. Scarlett Johansson leiht dieser computergenerierten, virtuellen Frau die Stimme. Zu sehen bekommen wir sie nicht. Es wird allerdings eine Stelle geben, wo Samantha ungefragt ein physisches Stand-In, eine nicht allzu agile, nicht allzu attraktive Blondine zu ihrem Abonnenten Theodore Twombly schickt. Da zeigt sich deutlich, dass beim heutigen Stadtneurotiker von L.A., die Liebe nicht über den Körper geht. Sondern über den Text.

Theodore ist ein netter, sympathischer, mitteljunger Mann, wohnt hoch oben in einer gläsernen, eleganten Wohnung eines Wohntowers. Er hatte zwar einmal eine Beziehung, die ist aber zerbrochen. Sein Job ist es, für eine Firma Liebesbriefe auf Bestellung zu schreiben. In einem topmodernen Büro sitzen die Mitarbeiter an Computern, komfortabel, und sprechen die Texte der Liebesbriefe, die die künstliche Intelligenz der Computer sofort in feine Handschrift umwandelt und ausdruckt. Bei Arbeitsende werden die Briefe kurz gescannt und dann in einen Briefschlitz zum Versand eingeworfen.

Theodore ist hochsensibel, irgendwie auch lustig, am Rande zum Komiker mit seinem Schnauzer, seiner schwarzen Brille und seinen Komikerhosen, deren Bund weit über dem Bauchnabel liegt. Aber er ist einsam. Zuhause spielt er gerne ein virtuelles Spiel, dessen dreidimensionales Aufscheinen seine ganze Wohnung in Beschlag nimmt, er hockt nur davor und mimt Bewegungen wie beim Schreibmaschinenschreiben in die Luft und es bewegen sich Figuren, am prominentesten eine Art kleines Mondmännchen, das ihn auch noch blöd anmacht.

Samantha wird zusehends seine Vertraute. Sie, das ist ein Knopf im Ohr und ein Handy mit Kamera, die ihn aufnimmt. Diese jederzeitige Verfügbarkeit dürfte gewissen Machoansprüchen gelegen kommen.

Die Beziehung zwischen Theodore und Samantha wird im Laufe dieses Filmes von Drehbuchautor und Regisseur Spike Jonze immer romantischer dargestellt, die Musik und die Bildgestaltung dazu. Theodore wird mit Samantha einen Ausflug in die Berge machen. Er ist nie mehr allein. Allerdings ist es zumindest gewöhnungsbedürftig, Samantha zum Picknick mit einem Kollegen und seiner Freundin mitzunehmen. Drei Menschen und ein Laptop um ein Picknick versammelt.

Die Liebe geht über den Geist. Mit Samantha kann er sich jederzeit und an jedem Ort unterhalten. Es gibt auch Begegnungen mit anderen Menschen, mit weiteren Kollegen oder sogar ein Blind Date mit einer Asiatin. Aber schon beim Küssen mit der Zunge, wird sie zickig, sie möchte nicht so viel Zunge. Das alles macht Theodore nicht glücklich. Solche Probleme hat er mit Samantha nicht, selbst wenn er virtuell mit ihr schläft, sie gibt ihm genau das, was er braucht.

Theodore schreibt die schönsten Liebesbriefe. Und nur Samantha scheint seinem Geist adäquat. Seine Liebesbriefe werden sogar veröffentlicht.

Ein Film aus dem Heute für das Heute, ein Film der zart die Teileinsamkeit eines gebildeten Großstadtmenschen schildert. Eine grandiose Solobühne für Joaquin Phoenix mit vielen kleinen Regungen im Gesicht, mit viel Perzeption – und wie eine Figur wahrnimmt, wie sie ist in der Welt und im Leben, erzählt oft viel mehr als jeder Text, selbst in einem Film über die Liebe, die über den Text geht, den Liebestext. Auch bei den Komparsen in den öffentlichen Räumen scheinen einige mit einem Operating System zugange zu sein, ihrem Artikulieren und Gestikulieren nach zu schließen.

Das wird später noch eine bittere Pille für Theodore werden, wenn Samantha ihm gesteht, wie viele Kunden sie hat, ihn aber liebe. Das Problem ist aufgekommen, weil das Samantha-System zusammengebrochen war.

Liebe ist aber auch, nur da sitzen und zu Zweit etwas betrachten, zum Beispiel L.A. vom Dach eines Wolkenkratzers aus.