Vivian Maier, die große unbekannte Fotografin, die sich als Nanny getarnt hatte.
Ein Wust an unausgegorener Realität, der von der Leinwand auf den Zuschauer einprasselt, beschäftigt diesen über den Kinoausgang hinaus, weil er sich mit diversen Needs konfrontiert sieht, die nicht von Vivian Maier stammen und mit viel Statement-Blabla dazu, was selbst wieder ein Bild von Realität abgibt, mit dem man sich zusätzlich auseinandersetzen muss und aus dem heraus man sich das Bild von Vivian Maier herauspuhlen muss. Und im nächsten Moment sehe ich in der Straßenbahn eine Frau sitzen, die ihr verblüffend ähnlich sieht. Ein Déja-vue oder wandert sie noch?
Hier gibt es eine ungewöhnliche Fotografin zu entdecken: Vivian Maier, über die nur wenig bekannt ist, die sich hinter der Identität eines Kindermädchens versteckt, sich damit die Freiheit zum Fotografieren erkauft; die mit dem Etikett des „Street Fotografers“ versehen wird. Sie ist immer wieder losgezogen und ständig hat sie fotografierender Weise Ansichten, Menschen, Dinge entdeckt. Sie lebte von 1929 bis 2009. Über sie gibt es eine offizielle Website.
Der Film von Johan Maloof und Charlie Siskel stellt uns einerseits viele Fotos von Vivian Maier vor, erzählt aber auch über John Maloof, dem bei einer Auktion ein Teil ihres Nachlasses in die Hände geraten ist, Unmengen von Fotos, entwickelten, Negativen und unentwickelten Fotorollen, und wie er sich auf den Weg zur Erforschung dieser Person aufmacht. John Maloof erzählt selbst oder stellt Szenen nach, wie er auf den Schatz gestoßen ist. Wie er erst nach und nach entdeckte, um was für einen Schatz es sich hierbei handelt. Wie er anfing Nachforschungen anzustellen und Fotos zu veröffentlichen und wie er im Internet eine überwältigende Resonanz fand, wie er Ausstellungen organisiert und wie er um Anerkennung im Kunst- und Museumsmarkt kämpft.
Maloof hat frühere Arbeitgeber von Vivian Maier gefunden, Kinder, die sie als Nanny erlebt hatten. Die kommen ausführlich mit mehr oder weniger ergiebigen Statements zu Wort und zeichnen so das Bild einer exzentrischen Frau, die eine dunkle Seite gehabt habe, die sich zusehends zurückgezogen habe, deren Zimmer niemand betreten durfte, die ein Spiel um ihre Identität getrieben habe (Französin oder nicht?), die wenn immer sie losgezogen ist, die Kamera dabei hatte und auch mal die Kinder an einer Straßenecke stehen ließ, um in einer Gasse einem Motiv nachzujagen. Die aber offenbar kaum ernsthafte Schritte unternommen hat, ihre Bilder zu veröffentlichen, die möglicherweise oft auch zu wenig Geld hatte, um die Bilder entwickeln und drucken zu lassen.
Jetzt macht John Maloof das Geschäft mit den Bildern von Vivian Maier. Offenbar gibt es von keiner Seite von Verwandten Rechtsansprüche. Selbstverständlich steckt Maloof das Geld in die weitere Hebung des Schatzes, für ihn inzwischen ein Fulltime Job. Denn Vivian Maier hatte nicht nur dieses ganze Fotomaterial, das meiste mit einer Rolex-Spiegelreflex aufgenommen, hinterlassen, es kommen jede Menge Footage von Filmrollen dazu, außerdem konnte sie nichts wegwerfen, jede Quittung, jeder Kassenzettel, jede Rechnung, jede Mahnung und was auch immer scheint sie aufbewahrt zu haben. Sie stapelte Zeitungen noch und nöcher, schien fasziniert von den Schlagzeilen der Zeitungen, wollte die Berge irgenwann abarbeiten. Aber eher bogen sich die Zimmerböden.
Vivian Maier scheint eine schwierige Person gewesen zu sein. So wird sie beschrieben. War nie verheiratet, hatte kein Liebesleben oder eines im Dunklen, in der Vergangenheit. Je weniger über eine Person bekannt ist, desto üppiger sprießen die Spekulationen. Insofern wohnt diesem Film viel Spekulatives und weniger Dokumentarisches über die Heldin inne. Vielleicht hätte eine Zusammenstellung, die sie vor allem durch ihre Bilder hätte sprechen lassen, ein stärkeres Bild von ihr abgegeben, denn die Bilder sind eindrücklich, sensationell eindrücklich.
So aber mischt der Film die fotografische Intention der Protagonisten mit der egomanischen Intention des Dokumentaristen. Warum will man einer von sich aus ansprechenden Kunst noch auf ein spekulatives Geheimnis kommen? Insofern auch ein Ratsch- und Tratschfilm, nebst jeder Menge grandioser Fotos von Vivian Maier, auch viele, auf denen sie selbst zu sehen ist, Selbstportraits über Spiegel und Spiegelungen. Andererseits will der Film die Entdeckungsstory von John Maloof als eine typisch amerikanische Erfolgsstory vom großen Fund auf dem Flohmarkt ausbreiten; das verwischt den Eindruck von den bestechend klaren Fotos.