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A most wanted Man

John le Carré, der berühmte Agententhrillerautor, möchte mit seinem Buch, das diesem Film zugrunde liegt, ein Licht werfen auf die Ängste und Aufgeregtheiten in der staatlichen Sicherheitsindustrie nach 2011. (Das Attentat ist von Hamburg aus vorbereitet worden. Es hätte bei einwandfreiem Funktionieren der Geheimdienste verhindert werden können.)

Es gibt im Film zwei Exponenten konkurrierender Sicherheitsbehörden. Günther Bachmann, eine der vielen letzten Rollen des überzeugenden Philip Seymour Hoffman, der eher eigenständig arbeitet, und Dieter Mohr (Rainer Bock), der wie ein Ableger der Amis agiert und offenbar im Innenministerium in Berlin sein Wirkzentrum hat.

An diesen beiden Figuren sollen sich die verschiedenen Abwehrdispositive reiben; das wird im Film recht sachlich, informativ wie in einem Sicherheitsseminar aufbereitet, denn keine der beiden Figuren ist die Hauptfigur des Filmes, was vermutlich der größte Mangel an der Drehbuchbearbeitung durch Andrew Bovell ist. Für keine der beiden Figuren hängt viel davon ab, ob sie in der Gefahrenabwehr erfolgreich sind oder nicht.

Der Fall, um den es geht, ist ein recht merkwürdiger. Ein tschetschenischer Islamist, Issa Karpov, Issa wie Jesus, taucht in Hamburg auf. Die Behörden sind alarmiert. Sein Anliegen ist jedoch nicht die Gründung einer neuen Terrorzelle oder der Beitritt zu einer bereits bestehenden. Issa möchte eine Erbschaft seines Vaters antreten. Dieser hatte ein Vermögen dem Vater des Bankers Thomas Brue zur Aufbewahrung anvertraut. Willem Dafoe spielt diesen Banker, er scheint sich anfangs in der Rolle allerdings nicht so richtig heimisch zu fühlen. Es geht um ein Millionenvermögen.

Die Sicherheitsbehörden lassen sich von Bachmann überreden, nicht gleich zuzuschlagen, sondern den Tschetschenen zu überwachen, um herauszufinden, was er mit dem Geld vorhabe. Aber, oh Unglück für den Thrill im Thriller, erstens ist auch er nicht die Hauptfigur, bleibt also dem Zuschauer auch recht egal, und zweitens, das ist noch schlimmer, ist er ein schuldbewusster, unglücklicher Mensch, der von Regie (der weltbekannte Fotograf Anton Corbijn) und Buch offenbar nur auf diesen einen Ausdruck getrimmt ist.

Die Anwältin Annabel Richter lässt sich von Bachmann als Lockvogel verpflichten. Die Beziehung zwischen ihr und Issa wird im Film allerdings nicht ausgeschrieben. Dabei spielen die Gefühle mit. Das verkompliziert die Angelegenheit, macht sie riskant.

Die Szenen wirken alle so, als ob das Skelett einer Analyse eines Falles, der gut recherchiert sein mag, bebildert werden soll. Mehr nicht. Philipp Seymour Hoffman habe vor allem sich selber inszeniert, so steht es im Presseheft, dadurch wirkt er glaubhaft wie immer, während er offenbar seine deutschen Gegenparts, Nina Hoss als Erna Frey und Daniel Brühl als Maximilian, eher eingeschüchtert, denn aufgemacht hat. Dadurch wirken sie steif und unbeweglich. Das mag mit an der mangelnden Regieerfahrung von Anton Corbijn liegen, der andererseits sein fotografisches Talent nicht augenfällig einbringen konnte bei der Tatortdramaturgie-Philosophie, die der Drehbuchbearbeitung zu Grunde zu liegen scheint. Mit Tatort-Dramaturgie meine ich, dass hier ein Fall als solcher vorgeführt wird ohne eine Hauptperson, der die Empathie gilt.

Der Film ist nicht viel mehr als das Filettieren und Offenlegen eines Falles, die Figuren sind auf das Funktionieren darin reduziert, sie haben keine Konflikte, resp. diese werden nicht offengelegt.

Kurz zum Lachen: die Kneipe „zum Silbersack“ und der Sportclub „zur Ritze“ – und das wars dann auch schon mit dem Humor. Vielleicht noch der Name Mr. Lippizaner.

Die Szenen informieren immer darüber, was passiert. Handlung existiert in diesem Sinne nicht, Konflikte müssen nicht gelöst werden, die würden die Filettierung stören, den reinen Kasus. Oft ist die Musik die einzige, die versucht dem Zuschauer mitzuteilen, dass hier Spannung beabsichtigt ist.

Die Ordentlichkeit von Inszenierung und Regie erweist dem gepflegten Fernsehspiel die Reverenz. Der Fotograf Corbijn belegt hier, dass er nicht sicher über eine fließende, smarte Filmsprache verfügt, der narrative Fluß ist zäh, viele Dinge, die nur der Information dienen, werden viel zu ausführlich behandelt, zum Beispiel die Verwanzung des Zimmers von Issa; so ist es nur illustrativ und nicht spannungserzeugend, die Info allein kann dem Zuschauer im Bruchteil einer Sekunde mit einem Bild mitgeteilt werden; hier wird sie ellenlang ins Detail ausgewalzt, um zu zeigen, wie das gemacht wird, Anleitung zur Installation von Wanzen.

Es gibt zwar die persönliche Pleitegeschichte von Bachmann in Beirut, weshalb er nach Hamburg degradiert wude, aber auf die Handlung, auf den Thrill hat sie keinen Einfluss, auch sie ist lediglich Information, die zu nichts nütze ist.

Wie Issa im plastikplanenverhängten Zimmer Papierflieger wirft und das vom Sicherheitsapparat beobachtet wird, scheint wie ein Poesieversuch; ein Hinweis auf seine Harmlosigkeit?

Was braucht es für einen guten Film, welche drei Dinge? Ein gutes Buch, ein gutes Buch, ein gutes Buch!

Issa versucht als einziger sein Rollenprofil zu erfüllen, dass er sich verloren fühle. Beim Satz, mit dem Bachmann seine Motivation erklären will, to make the world a better place, da ist nicht klar, ob der nun ironisches Zitat ist oder bierernste Geheimdienstideologie.

Und dann, welch dramatischer Aufwand, wie Abdullah seine letzte Unterschrift leisten soll. Nur Pseudothrillerspannung, gespielt durch die anwesenden Beobachter, im Kinopublikum nicht ein Ausschlag spürbar, man weiß es theoretisch, dass er sich damit ans Messer liefern wird. Aber auch dies ist nur als Info in den Film gebracht worden und nicht als empirisch drohendes Verhängnis für ihn, wobei diese Figur einem sowieso herzlich wurst ist. Denn er ist gar nicht als Bösewicht vorgestellt worden.

The Rover (Fantasy Film Fest)

Die Weite Australiens. Staub. Staubtrockene Farben. Schrottautos. Der Arm des Gesetzes zu kurz, ein Stumpf nur. Alle Schaltjahre einmal eine Anhäufung von einigen Wohncontainern oder schäbigen Hütten, ein abweisender Kiosk oder eine in Vergessenheit geratene Tankstelle. Misstrauen, wo immer Menschen aufeinandertreffen. Australische Dollar werden schon grad gar nicht an Zahlung genommen.

Ein Traumsetting für Männerschicksale, die kein Gesetz brauchen. Für einen Mann, Guy Pearce als Eric, wettergesichtig zerfurcht, ein männliches Wesen ohne sich als solches weiter aufzuführen oder erkennen geben zu müssen, dieses Sein braucht keine Show, ist unterwegs in einer Schrottlaube von Auto. Er hat seine Freundin umgebracht, wie ein anderer sie versucht hat zu betouchen. Den anderen erschoss er dazu. Was heißt Mannsein im Sinne der Weite. Im weiten Sinne.

Hier kann man lange unterwegs sein, bis das Gesetz einen findet. Das Gesetz interessiert sich für so einen Mord nicht einmal. Das sei das allerschlimmste, erfahren wir später, dass er nicht mal bestraft wird dafür. Das Töten und das Vergessen scheinen selbst in so einem abgehärteten Gesicht nicht leicht vereinbar. Vielleicht ein Motor für ständiges Unterwegssein in der staubigen Weite.

Ein weiteres Motiv kommt hinzu. Eric wird zu Anfang des Filmes sein Rosthaufen von Auto geklaut. Wenn es auch kein Gesetz gibt in dieser Weite, so gibt es wohl so etwas wie einen Gerechtigkeitssinn oder womöglich ein anderes, diesen kompensierendes Motiv. Diesen Diebstahl kann er jedenfalls nicht auf sich sitzen lassen. Er verfolgt die Diebe. Knackt dazu selbst eine staubige Blechkiste. Das wird der Bewegungsablauf, die Action in diesem Film werden. Führt so in Facetten durch diese menschenabweisende Staubwüste.

Vor allem, er wird nicht allein sein in dieser Verfolgung. Er stößt auf Rey (Robert Pattinson, kaum zu glauben, das war doch der von Twilight!). Das ist der nicht so ganz dichte Bruder von Henry, einem der Autodiebe. Rey ist etwas halbschlau, wirkt unterbelichtet, ist körperlich verkrümmt, ständig mit dem Gesicht in fast zwanghafter Bewegung sich befindend, die Miene immer voller Emotion, kann drauflosplappern selbst über das Schweigen, kann so nervtötend wirken wie stimulierend.

Rey ist bei einer Story vor diesem Film von seinem Bruder angeschoßen und liegen gelassen worden. Henry ist mit den zwei Kumpanen geflohen. Wir begegnen ihnen zuerst, wie sie, und das ist filmisch alles großartig und extensiv aufgenommen und erzählt, das Auto von Eric klauen.

Die Zeitangabe im Film ist: Australien, zehn Jahr nach dem Zusammenbruch. Welcher Zusammenbruch, das ist unklar, der persönliche von Eric oder bezieht sich das auf eine wirtschaftliche Krise, da mehrfach das Problem mit dem nicht geschätzten australischen Dollar aufkommt.

Ein Film wie er heute nur noch in einem Land wie Australien mit seiner nicht regulierbaren Weite denkbar ist; eine Weite, die eine extrem existenzialistische Dimension der Menschlichkeit abbilden kann, der Weltverlorenheit, der lächerlichen Sinnsuche (nach einem Schrottauto, ums Himmels willen, so etwas als Lebenssinn, was ist mit der menschlichen Existenz los?; und das von einem voll ausgebildeten Mann!).

Die musikalische Untermalung beschränkt sich bis zum Finale lediglich auf rhythmusschlagende Instrumente, Pulsgeber, Pulsmesser, dazwischen, spät, noch ein, zwei Songs mit Themenhinweis. David Michôd, der die Regie geführt hat und auch das Buch nach einer Geschichte von Joel Edgerton, geschrieben hat, versteht sich aufs Dosieren.

Die Sinnlosigkeit oder vermeintliche Sinnhaftigkeit eines Menschenlebens kann sich hier ungehemmt, ungebremst, zügellos, gesetzlos ausbreiten. Wer einmal getötet hat, der schreckt vorm zweiten Mal nicht mehr zuürck. Aber, so die Lehre von Eric an seinen Adlatus, er solle die Toten nicht vergessen, das sei das Schlimmste, dies zu tun. Unziseliertes, knalliges Männerdrama.

Wenn die Polizei auftritt, dann in gepanzerten Wagen, so als schütze sie sich selbst vor der Weite und dem reinen Naturgesetz der Wüste. Irgendwo muss es eine Zivilisation, eine Kultur geben, einmal kreuzt ein horizontweit-langer Güterzug den Weg unseres Schrottautofahrers. Diese Kultur, die so einen donnernden, endlosen Güterzug in Gang setzt von A nach B, die muss unendlich weit weg und mächtig sein.

Rey und Eric sind eine faszinierende Paarung und mit einer solchen steht und fällt ein jedes Roadmovie, der verwitterte Held, der seine ganze Lebensenergie auf die Wiederbeschaffung eines teildemolierten, gestohlenen Wagens einsetzt und der angeschoßene, halbgare, halbschlaue Junge; das verwittert-verschloßene Gesicht gegen das beweglich-mimotische. Das Faszinosum Wilder Mann gegen Halbclown. Eine Ödnis, in der mehr Sorgfalt auf die Beerdigung eines toten Hundes gelegt wird, als auf die Entsorgung Erschoßener.

Mit ganzer Kraft

Leises, unspektakulär schönes Kino zum Abheben. Leicht fängt der Film an. Mit einer Flugaufnahme in Richtung Strand von Nizza. Hier wird gleich einer der härtesten Sportwettbewerbe gestartet, der Iron Man. Er fängt mit einem Schuss an, nach welchem die Massen von Teilnehmern sich ins Meer stürzen zur ersten Wettbewerbsetappe. Noch davor erwischt unsere Kamera, jetzt irdisch geworden, unsere beiden Hauptdarsteller, Fabien Héraud als Julien, ein Glücksfall von Besetzung mit oranger Warnweste in einem Gummiboot sitzend und daneben sein Vater Paul, Jacques Gamblin im Schwimmanzug.

Die Vorgeschichte fängt ein Jahr zurück an. Wieder liebt die Kamera das Fliegen. Auf Bergesspitze umkreist sie einen Tragemasten von einer Bergbahn. Dort in luftiger Höhe hängt angekettet, immobilisiert wie sein Sohn im Rollstuhl, der Vater und lötet. Frau und Sohn warten im wohlausgebauten, architektonisch spröd-schönen Chalet auf den Vater. Er wird mit dem Helikopter von der Arbeit zurückgebracht.

Regisseur Nils Tavernier, der mit Pierre Leyssieux und Laurent Bertoni auch das Buch geschrieben hat, schickt den Vater erst mal in die Kneipe, denn er er muss verdauen, dass er eben seinen Job verloren hat.

Weiter führt Tavernier mit leichter Hand zwar, aber fast ein bisschen dröge, ganz unaufdringlich, weil es halt erzählt werden muss, einige Infos über Julien ein. Der wird bald 18, ist massiv körperbehindert und an den Rollstuhl gefesselt. Aber er ist willenstark. Und schlau und keck dazu. Vater ist für ihn eine Art No-Go-Aerea; der Vater kann nicht viel mit ihm anfangen, erst recht jetzt nicht, wo er arbeitslos ist. Die Mutter Claire, Alexandra Lamy, erträgt die Situation stoisch, in sich hinein. Dieses Vorstellen der Ausgangssituation geschieht in einer dokumentarisch trockenen Art.

Tavernier versucht in keiner Weise, sich dem Publikum anzubiedern oder Juries auf sich aufmerksam zu machen mit Mätzchen. Er erzählt seine Geschichte schnörkellos, weil es sein muss und sein Protagonist Julien versprüht so einen Charme, hat so ein gewinnendes Wesen, dass auch alles drum herum Gemachte nur störend wirken würde.

Julien entdeckt beim Googeln ein Bild von der Sportveranstaltung „Iron Man“, in dem ein Vater mit seinem behinderten Sohn mitgelaufen ist. Somit ist das Ziel für den Film definiert und mit viel Hartnäckigkeit und auch mal Frechheit und Kühnheit ertrotzt der Sohn die Teilnahme. Wie er zuerst nicht zugelassen werden soll, macht Julien sich mit seinem ebenfalls behinderten Freund Yohan auf nach Nizza zu den Veranstaltern. Wie der Concierge sie nicht einlassen will ins Hochhaus, wendet Julien den Rammtrick mit dem Rollstuhl an. Bis der Herr am Empfang sich erholt hat, sind die beiden Lausejungen längst im Lift in die Hohe Etage entschwunden und holen sich die Genehmigung.

Durch die Vorbereitung, das gemeinsame Trainieren wachsen Vater und Sohn zusammen und die Kamera entdeckt ganz nebenbei als ob es selbstverständlich sei, unglaublich schöne Bilder, oft lichtdurchflutet wie bei Renoir, wenn die ganzen Schwimmer ins Meer stürzen, von der Luft aufgenommen oder auch von unter Wasser.

Mindestens zwei Dinge, die vielleicht dazu beitragen, dass daraus so ein bezaubernd schöner Filme geworden ist. Einmal hat Nils Tavernier das Filmen im Blut, er ist der Sohn von Bertrand Tavernier. Zum anderen hat er viele Schauspielerrollen selbst gespielt, was sich positiv auf die Arbeit mit den Darstellern auswirkt. Und er hat ausgiebig Dokumentarfilme gemacht, zuletzt mit Behinderten, wo er die Realität genau studieren konnte. Seine Erzählweise kommt mir wie luftgefedert vor, unbekümmert, aber auf die Geschichte bedacht, auf das Thema Vater-Sohn. Vielleicht ist es diese Ungezwungenheit, diese Selbstverständlichkeit, die ihm noch die fliegerische Freiheit dazu gibt, auch das Schöne zu sehen, die Schönheit vom Licht auf Gegenden und Berge und Meer und auch auf schwimmende Massen oder auf erschöpfte Marathonläufer. So kommt er zu traumhaften, aber in keiner Weise überkandidelten Bildern. Das unterscheidet ihn erheblich von zwei neueren, deutschen Filmen, bei denen es auch um sportlichen Willen ging Die Frau die sich traut, hier will eine Frau mit Schwimmen den Krebs überwinden oder der erfolgreichere Sein letztes Rennen, hier läuft Dieter Hallervorden gegen die Altenheimimmobilität an.

Dabei schildert Tavernier mit diesen unaufdringlich vereinnahmenden Bildern ein essentiell-existenziell menschliches Verhältnis, das Verhältnis eines Vaters zu seinem behinderten Sohn.

So wie Julien an einer Stelle ganz unvermittelt dankt für alles, so möchte man Nils Tavernier für diesen Film danken.

Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit

Uberto Pasolini schließt uns in dieser italienisch-britischen Koproduktion eine tägliche Randnotiz in unseren Zeitungen in der Nähe der Todesanzeigen in ewigkeitsnahen Bildern auf. Es ist die kleine Rubrik, in der das städtische Bestattungsinstitut nach Verwandten von frisch Verstorbenen sucht. Falls niemand gefunden wird, dann wird im Falle unsere Filmes Mr. May, Eddie Marsan als John May, in Funktion treten.

Mr. May kümmert sich als Bestattungs-Angestellter der Stadtverwaltung London um den letzten Gang von Toten ohne Verwandte, ohne Freunde, ohne Nachbarn, ohne Kollegen. Schon die ersten Szenen des Filmes wollen einem schier das Herz still stehen lassen. In ruhigen Einstellungen ohne jeden Kamerabohai gibt es Einblicke, einen nach dem anderen, in die immer gleiche Begräbnisfeier in lauter verschiedenen Kappellen, Abdankungsräumlichkeiten. Ein Pfarrer spricht letzte Wort. Der einzige Trauergast ist Mr. May. Er begleitet den Sarg zum Grab oder greift sich die Urne und verstreut die Asche auf einem Stück Erde für namenlose Verstorbene.

Pasolini nimmt sich viel Zeit, so viel wie Mr. May, zu zeigen, wie konzentriert, wie würdevoll und ernsthaft Mr. May sich erst in den Wohnungen der Toten umsieht, wie er durchaus eine private Obsession hat und von jedem ein Foto einsteckt, was er zuhause in ein Album klebt. Portraitbilder aus solchen Original-Alben setzt Pasolini hier im Film ein.

Es ist eine anrührende Geschichte. Mr. May scheint kein anderes Leben zu haben. Genaus so ruhig und bedacht führt er sein Privatleben, bereitet sich das Essen. Hat alles in seinem Einpersonenhaushalt ordentlich geregelt. Leben als Geregeltheit, die sich in den Tod forführen muss. Ihn füllt seine Tätigkeit offenbar aus. Defizite, Sehnsüchte sind nicht zu bemerken. Vielleicht eine Sehnsucht nach Leben, die aber höchstens über die Betrachtung der Fotos der Verstorbenen, wie sie im blühenden Leben stehen, angedacht wird.

Mr. May hält gerne kurz inne, bevor er etwas tut und nachdem er etwas getan hat. Der Begriff „case closed“ bekommt ein dezidierte Bedeutung. Den trägt er in einer Akte ein, wenn der Tote oder seine Asche würdig und mit Respekt den letzten Ort gefunden hat. Der Begriff erhält somit unversehens, dank Mr. May, seine alte Bedeutung ganz frisch zurück. Wird zum Inbegriff des friedlichen Ortes. Halb lebt Mr. May schon in so einer friedlichen Welt in seinem Büro mit der Hängeregistratur, mit dem Mitarbeiter, der burschikos seine Kommentare zu den Ein- und Ausgängen abgibt.

Mr. Mays ruhiges, würdiges Leben könnte ewig so weiter gehen, wenn nicht die Sparpolitik der Stadt London plötzlich auf die Idee kommt, in diese Kalmen am Rande der Millionenstadt kostenoptimierend eingreifen zu müssen. Sein Chef verkündet ihm, dass auf die Zeremonien künftig verzichtet wird. Breitbeinig, breitschenklig und mindestens zwei Meter groß wirkt seine Nachfolgerin Mrs. Pilger wie eine Art überlebensgroßes Urweib. Sie wird in einer späteren Szene, die Mr. May aus Distanz beobachtet, mit kräftigen Oberarmen den Inhalt von zwei Urnen gleichzeitig und unzimperlich in ein offenes Erdloch kippen. Das muss zack-zack gehen. Der Mitarbeiter beklagt sich schon bei Mr. May, dass sie auf diese Art mehr Ausgänge als Eingänge hätten.

Aber Mr. May verschafft sich noch einige Tage Karenzzeit, weil er einen letzten Fall schließen will. Den von Jim Stoker, einem Gewalttäter und Trunkenbold, Falkland-Veteranen und Ex-Fallschirmsoldaten. Die Recherche nach Angehörigen und Bekannten von ihm wirkt wie ein unerwartet lauer Frühlingsluft in diesem Film, besonders mit den Auftritten von Jimmys Tochter Joanne Froggatt als Kelly Stoke, wirkt wie ein letzter Hauch Leben, wie eine kleine Agonie, die zumindest schmunzelt über das „Leben“, das Mr. May so andachtsvoll führt.

Dass Mr. May Respekt vor Kleinstem hat, zeigt er in einer Bahnfahrtsszene im Speisewagen, wie er ganz sorgfältig die Brosamen vom Croissant zusammenwischt und entsorgt. Besser kann man diese Figur, die Eddie Marsan so vorzüglich spielt, kaum charakterisieren: Respekt vor allem, Non-Aggressivität, Demut, Würde und Anspruch darauf, obwohl er in ein, zwei Momenten ins Laufen kommt und dass er am Schluss seinem Chef ans Auto pinkelt, ob das sein musste? Ok, das will zeigen, dass er sich nicht alles bieten lässt; insofern wäre spannend eine Fortsetzung, was macht er, nachdem ihm die Toten genommen worden sind? Allerdings hat sich der Film, vorbeugend gegen diese Frage ein anderes, überdeutlich elliptisches Ende einfallen lassen.

Another Me

Kinematographischer Nachvollzug einer Psychose.
Einem solchen Schizo-Psychose-Drama rational beizukommen dürfte schwierig sein. Es ist ein Bildwerk dicht gewoben aus bewährten Standard-Horrorsituationen: lange Flure, dunkle Unterführungen, bleiche Lichter im Dunkeln, Horrorkorridore allerorten, Angstkorridore und Flure, beengte Liftsituationen, Bilder für „das Leben ist ein Tunnel“, Extrapolation des Ich und Dunkel und Schwarz, düstere Schattenfiguren, Überlappungen von Realität und Wahnvorstellungen, Lachenspiegelungen am Boden, Lightflares, Verlangsamung der Bewegung, Verschwommenes Glas, Verschwimmen der Perspektive und eine Musikfülle wie mit Botox aufgeschwemmt, damit dem Gefühl von Psychose, von Schizophrenie nicht zu entkommen ist.

Ein Familie ohne genauere Hintergrundangabe und ohne besonderes Herausstellen ihrer wirtschaftlichen Seite, scheinbar in gut situiert bürgerlichen Verhältnissen lebend, Vater, Mutter und Tochter, die kurz vorm Sprung ins Leben steht. Vater erhält die Diagnose Multiple Sklerose. Von dem Moment an ist bei Tochter Fay nichts mehr wie es war. Sie fängt an, schlechte Träume zu haben. Tunnelgewaltbilder. Sie will der Angst entkommen. Sie hat Wahrnehmungsstörungen, ihre Welt ist nicht mehr die normal-rationale Welt. Das inszeniert die Regisseurin Isabel Coixet, die auch das Buch geschrieben hat, intensiv, atemberaubend.

Im College hat Fay sich für die Theatergruppe entschieden. Diese will Macbeth zur Aufführung bringen. Fay soll die Lady Macbeth spielen, die die Töthemmung überwinden muss und wird. Sie hat Konzentrationsprobleme. Sieht bald in der Mitschülerin Monica den bösen Blick, den neidischen Blick; psychosehaft reagiert sie darauf. Das zeigt uns Coixet eindrücklich, schmerzlich, wie die Grundlagen der menschlichen Psyche an den Rand des Zusammenbruchs, des Wegrutschens geraten können.

Die Lage von Fay verschlimmert sich, wie sie nach und nach erfährt, dass sie eigentlich ein Zwilling ist; ihre Schwester hätten die Eltern Lea genannt; die sei zur Rettung von Mutter und ihr dem Tod überlassen worden. Den Entscheid fällte einsam der Vater. Die Psychose: eine Übertragung von Vaters Schuldgefühlen. Er sitzt inzwischen im Rollstuhl.

Noch dubioser wird die Angelegenheit, wie die Schwester offenbar gar nicht aus dem Leben geschieden ist, sondern noch herumgeistert. Am extremsten wird das deutlich, wie Fay einen Tag krankheistshalber zuhause bleibt und am nächsen Tag alle behaupten, sie wäre da gewesen und hätte eine hervorragende Probe abgeliefert.

In der Zwischenzeit ist der Theaterlehrer mit einer fremden Frau im Auto gegen einen Baum gerast. Es kann sich nur um die Schwester gehandelt haben. Zum Glück hat Fay eine Liebelei mit ihrem Spielpartner angefangen. Das oder die Rolle bringen sie kurz vor der Aufführung zur Erkenntnis, dass sie sich von nichts mehr aufhalten lassen darf. Vielleicht hat die Schauspielerin ihr Double gefunden, was einer Referenz an Antoine Artaud gleichkäme, zumindest einer reizvollen Sichtweise auf diesen intensiven Bildteppich. Nach dem endlos langen Tunnel wird Fay bereit sein.

Erlöse uns von dem Bösen

Verstörend wirkt der Film insofern, als es schon was heißt, sich fast zwei Stunden dieser professionell erzeugten Düsternis und Hoffnungslosigkeit auszusetzen, Düsternis und Hoffnungslosigkeit manipuliert durch Elektriker und Lichtmenschen, die den Strom aus- und angehen oder Aquarien zum Zittern bringen lassen; ferner Erschütterungsspezialisten, die von außerhalb des Bühnenbildes Gegenstände zum Schwanken bringen. Alles genreüblich und genrepassend. Was dem Exorzismusthema das Sahnehäubchen aufsetzt, das sind die Betroffenen. Es handelt sich um Irakkriegs-Veteranen, pikanterweise auf beiden Seiten, bei den Cops als auch bei den Besessenen.

Was die Amis immer schon konnten, so eine Geschichte glaubwürdig einzuführen. Der kurze Text im Anspann, dass dem Film eine wahre Begebenheit zugrunde liege, die Geschichte von Ralph Sarchie. Sie wurde von Scott Derrickson und Paul Harris zu einem Drehbuch umgearbeitet. Die Inszenierung besorgte Scott Derrickson (Sinister).

Die Wüstenaufnahmen von einem Hinterhalt, in den einige Soldaten am Rande einer Oase geraten und wie sie in ein Labyrinth von unteridischen Gängen vorstoßend fliehen wollen, auch das entbehrt nicht der Glaubwürdigkeit, wenn man nur an die Nachrichten vom neuesten Nahostkrieg denkt, wie die Führung der Hamas sich tief unter den Wohnhäusern in Gängen und Bunkern aufhalte und versteckend sich schütze.

Einer der Veteranen ist Sarchie, Eric Bana. Er ist Cop in der Bronx und geht nach seinem Irakkriegseinsatz offenbar unbeschadet seiner Coptätigkeit nach. Als erstes ist er mit einer Kindsleiche auf einem Mülleimer in einer engen Hintergasse befasst. Dann mit einer geschlagenen Frau. Dann mit einer Frau, die im Zoo ihr Baby in den Graben vor dem Löwengehege geworfen habe. Hier schlägt der Wahrhaftigkeitsanspruch schnell in ein Spektakel um des Spektakels willen um mit dem nächtlichen Einsatz im Zoo, bei dem dummerweise auch der Strom ausfällt.

Spätestens wie der Jesuitenpater ins Spiel kommt, wird klar, dass es nicht um die Verarbeitung eines Irakkriegstraumas geht, sondern um ein mutwilliges Drama von Besessenheit mit dem Bedarf nach Exorzismus.

Deprimierend wirkt auf mich, wie die Figuren geführt sind, die Frauen sind alle Hexen und die Männer kommen als bierernste, bleischwere, wie fremdgesteuerte Kriegsveteranenroboter daher; auch Edgar Ramirez als Mendoza wird von der Regie all der Reize, die er als „Carlos“ bei Olivier Assayas zeigen konnte, beraubt.

Vielleicht wollte Scott Derrickson dieses Thema einmal anders aufdröseln, zeigen, was für paradoxe Folgen so ein Krieg haben kann. Allerdings liefert er außer der kleinen Story am Anfang keine weiteren Hinweise für diese These. Es ist eine Welt ohne Lichtblicke, ohne Lichtfiguren, denn auch der Pater ist es nicht. Eine Welt ohne Freude, obwohl unser Cop doch verheiratet ist, aber zuhause muss er zusehends den geistig Abwesenden mimen. Sarchie hat sogar ein Kind. Wenn er daran denkt, was ihm passieren könnte, so kann das in ihm einen heiligen Zorn auslösen, eine Wut, die er nicht beherrschen kann. Außerdem ist seine Frau schwanger. Deshalb will er ihr nichts berichten von den psychisch belastenden Vorfällen. Was sie jedoch nicht aus der Welt schafft.

Derrickson scheint dem Genre so auf den Grund spüren zu wollen, dass er glaubt, ohne einen Spannungsbogen auskommen zu können; Exorzismus-Dogmatik pur. Keine Freude mehr. Nicht mal mehr freuen soll sich der Konsument über diesen Horror, zu deutlich ist er als solcher gemacht. Dazu kommt die fast gezwungen-gepresste Sprechweise der Darsteller, die an die Mechanik eines Roboters an einer schwächelnden Batterie erinnert, der die Worte nicht mit Leichtigkeit rausbringt. Der Horror entsteht hier nicht durch Realismus, sondern durch Bleifüßigkeit, durch die Konsequenz der Inszenierung.

Sarchie ist ein eindimensionaler Funktionstyp; immer mit Sorgenfalten auf der Stirn und mit offenem Mund, wenn er Unerwartetem begegnet, nie aber hinterfragt er seine Mission. Er wirkt so, als hätte ihm die Regie Gewichte an die Eier gehängt. Tell me who the fuck they are.
Horror als Strafe für den Irakkrieg?

Na, und endlich ist’s vorbei, da darf unser Star kurz mit Sonnenbrille noch den Sunnyboy raushängen lassen als Bewerbung für fröhlichere Filme und seine befreite Frau und Töchterchen in die Arme nehmen. Horror geschafft. Irakkriegstrauma endgültig als Exorzismus auf die Leinwand verbannt.

Lola auf der Erbse

Die gemütlich familär erzählte Geschichte von der hübschen, kleinen, sinnlichen Lola, die mit ihrer Mutter, einer Masseuse, auf dem Wohnboot „Erbse“ in idyllischer Lage am Main wohnt.

Thomas Heinemann hat das nach dem Roman von Annette Mierswa in der Art eines gutmütigen Kindertheaters inszeniert. Lola ist nicht nur Protagonistin, sondern als Rahmen und durchgängiger Faden auch die Ich-Erzählerin. Dazu setzt der Regisseur sie auf das Boot neben einen Rettungsring, der mit „Erbse“ schwarz angeschrieben ist. Sie muss versuchen zu erzählen, als ob ihr das alles gerade einfalle. Die Regieanweisung hebt die Performance durchaus auf die Ebene einer gewissen Künstlichkeit, erhöht dadurch die Konzentration. Das hat zur Folge, dass keine der Figuren richtig bösartig ist, manche aber schon als Böse erkennbar werden.

Lola schaut die Welt an, in der sie lebt und leidet. Leiden vor allem darunter, dass der Vater weg ist und sie nicht weiß, was mit ihm los ist und dass und weshalb Mutter plötzlich mit einem Tierarzt anbandelt. Ein Flittchen scheint die Mutter zu sein.

Einem weiteren gesellschaftlich aktuellen Problem begegnet Lola in der Person eines Buben von der anderen Seite des Flusses. Es ist Rebin. Er ist Kurde. Seine Familie lebt illegal in Deutschland. Bei Entdeckung dieses Zustandes droht ihr Ungemach. Trotzdem arbeitet der Vater bei dem Kneipier, die Mutter als Putzkraft in der Schule und Rebin geht auch zur Schule, geduldet von der bemerkenswerten Lehrerin Kuhbart, die Beles Adam in einer raren Mischung aus entzückend und resolut spielt.

Figuren, die schräg auf Lolas und Rebins zart sich anbahnendes, noch so junges Glück stieren, das sind speziell zwei andere Buben, einer davon Kevin, die stehlen den beiden nach, belauschen sie, verpetzen sie, werfen den Schulranzen von Rebin in den Fluss. Auch die etablierten Erwachsenen wie der Polizist und der Kneipier und Hafenaufseher sind typisch kinderfreundlich gespielte Negativfiguren. Diese wollen die kleinen Glücke am Rande der Gemeinschaft verhindern und zerstören.

Da die Produktion über den familiären Rahmen hinaus von mehreren Filmförderern unterstützt wurde, mussten auch zwei Subventionsstars in den Cast. Antoine Monot als Herr Bartelt, der Kneipenwirt und Hafenaufseher fügt sich in das Ensemble wie auch Christiane Paule als nicht allzu verantwortungsvolle Mutter; dass sie so ein hübsch hergerichtetes Schiff mit intakter Beleuchtung hat, passt allerdings nicht ganz zu ihrem Charakter. Olaf Krättke als Somssen ist eine weitere halb pittoresk, halb tragische Kindertheaterfigur, ein Möchtegern-Seeman, der seine Geschichte vom Kap Horn und der Ladung mit den Rasenmähern nie richtig an den Mann bringen kann.

Mitproduzent Tobias Oertel stylt sich als Tierarzt nach Burt Reynolds und bringt dadurch und mit seinem schwarzen, amerikanischen Limousinen-Cabrio einen romantisch-verträumten Hauch von Hollywoodsehnsucht in den Film. Dieser verzichtet darauf, den Zuschauer mit Action und Special Effects zuzudeckeln, verzichtet darauf, zu kalkulieren, wie genau er sein Zielpublikum ansprechen müsse um am Box-Office erfolgreich zu sein. Das macht ihn sympathisch aber nicht unbedingt verbindlich. Diese Filmemacher scheinen Filmemacher zu sein, die das Kino mögen und die Geschichte in den Vordergrund stellen und sie nach ihrem Gusto gestalten.

Festzustellen sind unterschiedliche Stufen von Ernsthaftigkeit der Darstellung bei den verschiedenen Figuren wie Lehrerin, Polizist, Kneipier, Lola.

Sympathisch macht den Film, dass die Filmemacher nicht vorgeben, etwas zu tun, was sie nicht können – Äquivalent von Anspruch und Performance; das ist schon viel an Gleichgewicht.
Signifikant: die Spur von Papas letztem Kuss auf dem Hals von Lola; ihr Trotz, sich nicht mehr zu waschen und die Haare zu schneiden. Bis es mit Rebin funkt.

Gegen den Schluss hin, wirkt die Geschichte etwas sehr bewusst und katzenmusikhaft auf Ende getrimmt. Ein recht unverbindlicher Hinweis auf eine filmgeschichtliche Koordinate: das andere Boot, das vom Seemann, das heißt Hans Albers. Zeiten waren das.

Amma & Appa

Erfrischend persönlich erzählt Franziska Schönenberger unterstützt von ihrem Freund Jayakrishnan Subramanian ihre eigene Culture-Clash-Geschichte zwischen ihr, der Bayerin, und ihm, dem Tamilen aus Indien, und gibt uns Einblicke in indisch-buddhistisches Denken und Leben, wie kein Tourist es so einfach bekommen kann. Szenenübergänge hat sie mit lustigen Animationen bewältigt. Wenn sie aus Indien wieder zurückreist, kommen wie bei einem Wetterhäuschen aus je einer Tür das indische Männchen und das bayerische Weibchen oder verschwinden wieder darin.

Franziska habe schon immer das Exotische geliebt und auch ihr erster Freund sei ein Farbiger gewesen, erzählt an einer Stelle Franziskas Mutter. Der Film wandert von München nach Indien und zurück und zwischendrin arbeitet er mit Parallelschaltung, denn nicht immer kann das Paar beisammen sein. Höhepunkt ist die große Reise der deutschen Eltern nach Indien, die für Überraschungen immer hart am Rande des Erwartbaren gut ist.

Die tamilische Mutter erzählt, dass sie von ihren Eltern verheiratet worden ist, von Liebe ist in ihrer Ehe zumindest anfänglich nie die Rede gewesen, denn sie hatte gesehen, dass es ihren verheirateten Schwestern nicht gut ging, dass sie verprügelt wurden und insofern hat sie ein Stück einen eigenwilligen Weg gemacht, indem sie studiert hat und so die Hochzeit hinausschieben konnte. Was ihr Mann arbeitet, habe ich nicht mitbekommen, sie scheinen ihrem Haus nach zu schließen zum oberen Mittelstand der kleinen Stadt Kadalur zu gehören, die von Touristen garantiert kaum je aufgesucht wird.

Jetzt muss die Mutter von Jay damit zurecht kommen, dass ihr Sohn, der schon lange zum Studieren in Deutschland weilt, wohl seine Zukunft in der Ferne sieht. Das gibt ihr enorm zu schaffen. Das ist gegen die Tradition. Das tut ihr weh. Trotzdem versuchen die indischen Eltern der Beziehung ihres Sohnes zur Bayerin wohlwollend gegenüberzustehen. Für den Besuch der Eltern aus Bayern haben sie ihr Haus wie für einen Staatsbesuch hergerichtet: eine Sitztoilette wurde eingebaut, ein Tisch zum selber Zusammenbauen gekauft, die Wände frisch gestrichen.

Beiden Elternpaare reden nicht von einer Liebesheirat. Franziskas Vater erzählt von einer ersten Liebe, in der er beschissen worden sei und dass er dann keine schöne Frau mehr gebraucht habe, und auch seiner Frau große Liebe war ein anderer; also mehr eine Heirat aus praktischen Gründen. Scheint sich bei beiden Paaren bewährt zu haben. Die Tamilen feiern 35 jähriges Hochzeitsjubiläum, bei den Bayern sind es 32 Ehejahre. Zum 35. gibt es in Indien religiöse Zeremonien.

Indien ohne religiöse Folklore, das ist in einem deutschen Film nicht denkbar. Ständig sind im Indien dieses Filmes Prozessionen mit Gottheiten unterwegs und, klar, muss die Bayerin einen Sari bekommen und der Bayer einen Vesti und, klar, müssen die Bayern die Inder einmal bekochen, grillen auf der Dachterrasse zwischen Ziegelsteinen, dem Hausherren wird Angst und Bange.

Jedenfalls nicht die schlechteste Art eine Dokumentation zu machen, die eigene Geschichte. In Minsu Park hatte die Dokumentaristin einen ausgezeichneten Kamermann, der leicht und unaufdringlich dabei war und Robert Vakily hat zügig zusammengeschnitten. Die köstlichen Animationen und Grafiken stammen vom Protagonisten und Freund der Dokumentaristin, Jayakrishnan Subramanian.

Wie im Bollywoodfilm blendet die junge Filmemacherin indische Liebeslieder dazwischen und die größte Angst des tamilischen Vaters ist, dass der Sohn in Deutschland zum Alkoholiker werden könnte. Das sollte Deutschland zu denken geben.

Hercules

Dieser Film von Brett Ratner nach einem Drehbuch von Ryan Condal und Evan Spillotopoulos nach dem Comic von Steve Moore schwankt unentschieden und in trübstem 3D, wirklich anstrengend für die Augen, zwischen der Schwere und dem pompösen Auftritt eines Monumentalfilmes aus den 50ern und 60ern des letzten Jahrhunderts (und entsprechend altbacken) und dem Pfiff eines Comics, der dem Film ja auch zugrunde liegt.

Immerhin gegen Ende derrappelt sich der Comic, zeigt dem Monumentalfilm die lange Nase und kommt zu einem überraschenden Ende, das einen heiter aus dem Kino entlässt, nachdem er sich vorher behaglich so verhalten hat, als würde er noch stundenlang weitergehen, und mit diesem abrupten Ende ein Grinsen sich nicht verkneifen kann.

Es ist nicht alles bierernst, was herkulisch ist. Auch wenn der Darsteller der Titelrolle, Dwayne Johnson, unter einer tragenden Rolle in diesem Fall vor allem verstanden haben dürfte, Muskeln tragende Rolle, so dass er gelegentlich vor lauter Muskelpaketen sich kaum bewegen kann, ein Traum von Mann in dieser Hinsicht. Visuell ist sein coiffeuriertes Kopfmerkmal messianisch, sprachlich ist sein Hauptmerkmal das Gebrüll. Richtig herkulisch, so wie man es sich aus früher Kindheit vorstellt, ist der Moment, wo er eine gut und gerne 20 Meter hohe Statue der Hera auf seine Angreifer kippt.

Überhaupt ist dem Sohn des Gottes Zeus und einer menschlichen Mutter ein hartes Schicksal widerfahren, seine Frau und seine Kinder wurden getötet. Auf diese Schmerzensseite des Helden als Schmerzenmannes, siehe seine jesushafte Haarpracht, wird im Film mehrfach hingewiesen.

Berühmt ist Hercules für seine Heldentaten. Die werden freudig herumerzählt von seinem Cousin. Der ist einer der Figuren, die sein Netzwerk bilden. Dabei ist noch die Amazone Atalanta, der stumme, aber fast kampfmaschienenkräftige Tydeus, der Seher Amphiaraus, der mit seinen Prophezeiungen gerne daneben liegt und andere mehr. Eine Truppe mit Defekten behaftet. Das macht sie sympathisch, ulkig und spannend.

Vorsicht ist geboten vor Thrakien. Hier wird Hercules als Söldner angeheuert und reingelegt. Es gibt Schlachten über Schlachten und Fallen und wilde Krieger nur mit Lendenschurz und Kentauren. Schließlich wird Herkules selber festgesetzt. Aber seine Kraft ist tatsächlich unermesslich und stärker als alle Schmiedeketten.

Dass dem Drehbuch ein Comic zugrunde liegt, macht sich bemerkbar mittels diverser Jokes, mittels der Charakteristik der Figuren und es kommt auch zu einigen dialoghaften Auseinandersetzungen.

Der Film spielt zuerst in Mazedonien um 358 vor Christus.

Heldenpathos, so richtig fett amerikanisch: I did it with my bare hands.
Many lifes depend on you.

Kitsch: überreichen eines Zahnes eines von Hercules höchstpersönlich und eigenhändig getöteten Löwenzahnes an einen Buben, der damit zum Helden ausersehen ist (wird ihm nicht gut bekommen; von den Filmemachern kritisch gemeint?)

Kriegspathos: give me time to make warriors. Führt zu Ausbildungsszenen. Training wie in amerikanischen Militärfilmen.

Amerikanische Ideologie: eine Zeit, in der einem der Glauben fehlt und man Helden brauche, um an sie zu glauben. Vielleicht auch nur frommer Produzentenwunsch.
Erhöhung des Helden durch Stilisierung zum Heilsbringer, Propheten, Jünger.

3D ungeschickt eingesetzt oder durch kopflose Schnitte ungeschickt gemacht, sowieso die Billigvariante, die man gut stückweise auch ohne Brille schauen kann, wenn zwei Personen in Nahaufnahme einen Dialog führen.
Aber keiner soll Hercules hintergehen.
Denn ein amerikanischer Megaheld meint, wenn er schon mal richtig zugeschlagen hat, I am just getting started.

Holy Motors (arte, 3. 9. 2014, 21.50 Uhr)

Der hochkarätige Filmemacher Leo Carax nimmt uns und seinen Hauptdarsteller Denis Lavant in einer weißen Stretchlimousine der Firma „Holy Motors“ mit auf eine über zweistündige, höchst abwechslungsreiche, rätselhafte, überraschende und vielfältig interpretierbar Stadtrundfahrt durch Paris und stellt dabei unser Weltbild auf den Prüfstand. Stefes Review anlässlich des Filmfestes München.