Archiv der Kategorie: Film

Der blinde Fleck (arte, 10. Oktober 2014, 20.15 Uhr)

Dieser an sich schon brisante Film über das Münchner Oktoberfest-Attentat von 1980, der zeigt, wie der Staat mit allen Mitteln an der Einzeltäter-Theorie festhalten will, um selber aus dem Schussfeld zu geraten, ist durch den Zeitpunkt seiner Ausstrahlung auf arte noch brisanter insofern als es ernsthafte Bemühungen gibt, das Verfahren wieder aufzunehmen. Dazu dürfte auch dieser Film des Recherche-Journalisten Ulrich Chaussy beigetragen haben. Stefes Review anlässlich des Kinostarts.

Schwarzer Ozean (arte, 8. Oktober 2014, 22.40 Uhr)

Eine hochsensible, beklemmende Meditation zum Thema wissenschaftlich-militärische Hybris (die französischen Atomversuche auf dem Mururoa-Atoll 1972) und die Zukunft der Menschheit (dafür stehen drei blutjunge Marinesoldaten als Protagonisten), unterlegt mit einer eher pessimistischen Musik.

In diesem Film von Marion Hänsel von 2010 bleibt das wissenschaftlich-machtpolitische Experiment mit der Atomexplosion im Hintergrund. Es ist insofern vorhanden, als bekannt ist, um was es geht und es dann auch in einer kurzen Szene gezeigt wird. Dem Experiment stellt sie die Leben dreier Burschen gegenüber, Soldaten der Marine auf einem Beobachtungsschiff, Moriaty (Adrien Jolivet), Massina (Nicolas Robin) und Da Maggio (Romain David).

Moriaty wird im Anspann als zehnjähriger Junge vorgestellt mit einer kleinen Geschichte von Geheimnis und Mut. Er überwindet einen kalten Fluss, um an eine unter einem Baum vergrabene Dose zu gelangen, mit dem Kommentartext zu seiner Handlung, dass wer diesen Mut beweise, ein gutes Leben verdient habe. Eine zwiespältig interpretierbare Geschichte, wenn man den Mut auf das Atomexperiment überträgt, und ob das eine gute Zukunft verheiße.

Diese Geschichte scheint Moriatys Lebensmotto, aber auch sein Trauma zu sein. Er verkraftet den Atomversuch am schlechtesten. Sein ihm ähnlichster Kollege ist Massina. Der ist zwar ein nachdenklicher Mensch, der an einer Stelle auch bemerkt, dass er dabei sei, dumm zu werden wie die anderen. Massinas Spielkamerad auf dem Schiff ist der Hund Giovanni, der da eigentlich gar nicht sein dürfte. Moriaty und Massina sind Freunde auf ähnlicher Wellenlänge, so wie kommunizierende Röhren, aber sich Gefühle zu zeigen, das trauen sie sich nicht. Sie stehen für die Hoffnung auf eine Zukunft. Während der dritte im Bunde, der übergewichtige Da Maggio, ein Fotofreak ist, der immer etwas sieht und der noch im gefährlichsten Moment der Explosion seine Kamera zückt und offenbar weniger von Hoffnungen, Erwartungen oder Ängsten belastet wird.

Die Regisseurin schildert nun die Zeit vor dem Experiment. Das ist ganz normaler Alltag auf einem Marineschiff: Nachtwachen, Kartenspielen, Schiffspflege, Gasmaskenübungen, Fahne hissen, Drill, auch dumme Dinge, wie einem Oktopus aus den Tentakeln Zöpfe flechten, Landgänge (da gibt’s auch mal Frauen), auch eine gröbere Rempelei auf dem Clo, alles mehr signifikant als realismusnah. Die Zeit, die sehr lang werden kann auf See, die Nächte, der Ozean, der nächtens schwarz ist. Nähe und Gespräche, die sich ergeben, aber auch massiver Widerstand dagegen. Oder gar mal ein kleines Ausbüchsen nächtens auf den Ausguck mit einer „beschafften“ Flasche Sekt.

Es wird das Atom-Experiment gezeigt, man hält den Atem an, wie die in Sichtweite der Explosion lediglich mit Sonnenbrillen geschützt sich zur Seite drehen sollen, aber dann zum Teil lieber ohne Brille direkt hineinschauen in den sich entwickelnden Atompilz, dessen Bildmagie Marion Hänsel allerdings nicht erliegt.

Dass das Experiment eben doch ein Schock ist, das zeigt sich bei der darauf folgend eintretenden Ruhe, die bald in aufgeregtes, übertönendes Durcheinanderplappern ausartet – Übersprungshandlung. Nur Moriaty verkriecht sich nachdenklich gekrümmt in eine Ecke.

Auf den Schock folgt als letztes Kapitel des Filmes ein Tag und eine Nacht der Belanglosigkeit, teils Sprachlosigkeit, den die drei Freunde an einem paradiesischen Südsee-Palmenstrand verbringen (ihre Bierdosen werfen sie achtlos in die Brandung); die Sprachlosigkeit verläuft zwar nicht textlos, aber Moriatiy ist der erste, der überhaupt wieder und zwar heftige Worte zur Angelegenheit findet.

Dracula Untold

Hochprofessionel eignet Hollywood der Dracula-Figur von Bram Stoker eine Vorgeschichte zu. Das Buch stammt von Matt Sazama und Burk Sharpless, die Regie hatte Gary Shore. Man könnte das ganze weitere Team anführen, es scheint der Film ist in allen Abteilungen vom Buch über die Regie zu den Schauspielern über die Ausstattung, die Kostüme, die Musik, die Animation, den Schnitt, exzellent und sorgfältig besetzt, so dass wir spannende 90 Minuten lang unbekannte Einblicke in die Historie von Dracula gewinnen und damit vielelicht dem Thema Vampirismus („eine Seele verzehrt sich nach der anderen“) eine neue Facette abgewinnen können.

Fürst Vlad, der britische Schauspieler Luke Evans, ist anfangs des Filmes noch ein ganz normaler Held, ein markantes Gesicht, nicht unnötig pathetisch, vertrauenerweckend und verantwortungsbewusst. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Der Held im Status von einem wie Du und Ich. Er selbst hat einen Teil seiner Jugend am türkischen Hof verbracht, weil der das von seinem Vater verlangt hatte. Denn der türkische Hof war der mächtige. Vlad stammt aus der transsilvanischen Provinz.

Wie Vlad jetzt in seiner Provinz an der Macht ist, verlangt der türkische Sultan von ihm tausend Jünglinge und einen dazu, seinen Sohn Ingeras, noch halb ein Milchbub. Das wird für Vlad zum großen Konflikt, denn seiner Frau hatte er hoch und heilig versprochen, das nicht zu tun. In letzter Sekunde löst er diesen Konflikt unerwartet mutig, indem er eigenhändig die osmanische Gesandtschaft, die die Forderung einziehen will, umlegt. Den Ruf des „Pfählers“ hat er da schon lange weg. Damit bringt er aber sich und die Seinen in akute Gefahr, denn das kann Sultan Mehmed nicht auf sich sitzen lassen. Es geht jetzt um den Preis der Sicherheit der Familie.

In der Eingangssequenz des Filmes haben er und seine Soldaten den Helm eines türkischen Kämpfers entdeckt, aber keiner von ihnen hatte Feindkontakt. Das führt zur Erkenntnis, das es da noch einen Mitspieler gebe. Es handelt sich um den Master Vampire, der mit seinen unheimlichen Kräften im Inneren eines Berges haust. Wer da hineingegangen ist, ist nie wieder herausgekommen. Dort spürt Vlad, könne er ein Mittel zur Lösung seines Konfliktes finden.

Vlad macht sich in einer waghalsig-malerischen Szene auf den Weg zu dieser Höhle, die mitten in einer steilen Felswand den Eingang zum Berg markiert, trifft auf den Master Vampire und trinkt dessen Blut, was ihm gewaltige, übermenschliche Kräfte verleiht, ihn aber auch auf den Tabubereich für Vampire einschränkt: Schwäche für Silber und Licht. Das ist der Preis für den Erhalt der Liebe und der Sicherheit der Familie. Dank dieser Kräfte zerstört Vlad eine erste Streitmacht des Sultans von 1000 Mann im Handstreich.

Das stachelt den Sultan nur noch mehr an. Vlad lässt sein Volk sich in eine Burg von Mönchen tief im Inneren des Landes zurückziehen, um vor den Türken zu fliehen. So wird sich die sich anbahnende Kampfsituation unter erschwerten Bedingungen zusätzlich zuspitzen. Je heißer der Kampf tobt, desto mehr bedienen sich die Filmemacher der Computeranimation, mit der sie sich bis dahin angenehm und wohldosiert zurückgehalten haben, was sich für die Kämpfe als durchaus vorteilhaft erwiesen hat. Mit der Animation bekommt die Geschichte allerdings auch mehr Spukhaftigkeit.

Wilde Schwärme von Fledermäusen greifen in den Kampf ein, fast wie eine Tanzchoreographie mutet das Dirigat von Vlad an, hoch auf einem Felsvorsprung, ein Urtraum des Menschen mit wenigen Dirigierbewegungen so viel Wirkung auszulösen, denn so ein Fledermausschwarm kann ein rieisiges, osmanische Heer durcheinander bringen. Allerdings ist ein Vampir nicht gefeit gegen die Kriegslisten seines Gegners. Der Sultan dringt in die Festung ein, was zu noch prekäreren, atemberaubenderen Situationen führt, seine Frau wird in die Enge getrieben, hält sich nur noch mit den beiden Händen am Felsvorsprung fest und wie sie loslässt …
Man wünschte sich solche Zaubermittel gegen das aufkommende Kalifat im Irak und überhaupt gegen den Terror auf der Welt.

Die deutsche Synchro braucht sich vor der Qualität des Filmes nicht zu verstecken.

Gone Girl – Das perfekte Opfer

Ehe bis aufs Messer. Ehe bis aufs Blut. Was haben wir uns angetan? ‚Was werden wir uns noch antun? Ich möchte dir den Schädel einschlagen, um zu erfahren, was da drin ist, wer du bist.

Hochkarätiger, unterhaltsamer Ehethriller inszeniert von David Fincher nach dem Roman und raffinierten Drehbuch von Gillian Flynn, nicht ohne Kichermomente (liegt das vielleicht an der deutschen Synchro?).

Rosamunde Pike ist Amy Dunne. Sie ist verheiratet mit Nick Dunne, Ben Affleck. Sie war ein Kinderstar. Das kann Menschen ganz schön kaputt machen, ganz schön dominant und unfähig zu partnerschaftlichem Kompromiss werden lassen. Sie war berühmt als „Amazing Amy“; sie selbst ist jemand anders. Sie stammt, verwöhnt, aus reichem Elternhaus. Amy und Nick arbeiten journalistisch in New York. Wegen dem Gesundheitszustand der Mutter von Nick sind sie vor zwei Jahren nach Missouri gezogen, in die Provinz. Sie hat keine Arbeit. Er hat keine Arbeit. Sie hat ihm aus einem geerbten Fonds eine Bar gekauft. Die ist aber ein Zuschussgeschäft.

Zeit genug für die ungleichen Partner, sich ehemäßig zu fetzen, dem Unglück seinen Lauf zu lassen. Es ist der fünfte Hochzeitstag. Er verlässt nach dem Frühstück das Haus. Wie er zurückkommt, ist Amy nicht mehr da, ein zertrümmerter Tisch, da und dort ein paar Blutflecken und wie später festgestellt wird, ein flüchtig geschrubbter Boden. Bald taucht die Polizei auf. Die Suche beginnt. Es bilden sich Unterstützerkreise. Schnell sind die Medien dabei und wittern ihr Geschäft im nun beginnenden Krimi, der ein Ehekrimi und möglicherweise ein Mordfall wird. Das beherrschen die Amerikaner sowieso aus dem Effeff, die Medien einzusetzen, um einen Konflikt mit diesen als einem zusätzlichen Spieler, der sein eigenes Süppchen kocht, nochmal tüchtig anzuheizen, nicht neu zwar, aber es funktioniert hervorragend.

Fincher und Flynn erzählen nun, zeitversetzt ineinandergeschnitten und mit Rückblenden angereichert, den Fortlauf der Ermittlungen, das Verfolgen der Spuren, Clues: Sinnwörter die zu einem nächsten Punkt führen, die Amy gelegt hat. Bald sieht es für Nick nicht mehr gut aus. Bald steht der Verdacht im Raum, er habe Amy umgebracht. Das Publikum will einen Täter.

Sie hat enorm viel Energie investiert, das Spiel in Gang zu setzen und zu halten. Da ist der Zuschauer gelegentlich Nick voraus in seinem Wissen. Sie hat ein Irrsinnsspiel geplant, am Ende dessen sie tot sein würde und Nick garantiert als der Mörder da stünde. So kann man es seinem Partner heimzahlen und, gut zu wissen, dass es in Missouri die Todesstrafe gibt.

Aber wie es so ist mit dem perfekt geplanten Verbrechen, es kommt Unkalkulierbares dazwischen. Zum einen hat ein berühmter Star-Anwalt einen guten Riecher und übernimmt ungeduldig den Fall als Verteidiger von Nick, den die Öffentlichkeit bereits als Mörder sieht (wobei die Leiche noch fehlt). Andererseits sind es Zufallsganoven, die Amy in einem Motel ihr Fluchtgeld klauen. So dass sie ihre Strategie ändern muss und das Spiel mit einem ihrer ersten Freunde, dem langweiligen, stinkreichen Mr. Collins, wieder aufnehmen muss. Männer sind ja so leicht zu gängeln und zu trietzen.

Das Gros des Filmes nehmen die ersten paar Tage nach Amys Verschwinden ein, das komplexe und doch gut nachvollziehbare Ineinandergreifen der Puzzleteile aus den beiden Erzählperspektiven, die sich gegenseitig befeuern. Dass sie mit Collins nicht leben kann, führt zu einer weiteren, blutigen Inszenierung von Amy und ihrer darauf folgenden Rückehr nach Hause. Was erst mal den Mordverdacht von Nick nimmt.

Der Count-Down kann einen dann richtiggehend mitnehmen, das schier unerträgliche Dilemma, ob Nick sich, nachdem er längst gesehen hat, welch miesen Spiele Amy treibt, sich von ihr lösen kann oder nicht. Denn der Preis für die Ehe und allenfalls für bevorstehendes Kinderglück kann ziemlich hoch sein. Da dürfte dem Film die Zustimmung von breiten Teilen des Publikums sicher sein.

Ehe ist harte, ja schmerzhafte Arbeit und kann ebenso schmerzhafte Kompromisse bedeuten. Die Ehe kann ein ziemliches Verhängnis werden und sich aus ihr zu befreien, ein Ding der schieren Unmöglichkeit. Hier kommt erschwerend hinzu das wirtschaftliche Ungleichgewicht und die Ungleichprominenz der Partner, sie hat das Geld und die Berühmtheit, er einen durchgeknallten Vater. Aber er schafft es, Amy in die Provinz zu holen, gleichzeitig meint er, Amy habe ihn annektiert und er sieht auch, dass sie ein verlogenes Miststück ist, dass sie eine berchenende Mörderin und Psychopathin ist. Schicht um Schicht werden die Disproportionen dieser Ehe freigelegt, wie eine Operation am offenen Herzen. „Wir haben uns nur noch verletzt“. „Das nennt man Ehe“.

Männerhort

Die Begründung dafür, warum die Männer ihren Rückzugsraum genannt „Männerhort“ brauchen, die der Film physisch, also mit Szenen anführt, die ist nicht tragfähig. Hauptsächlich kommen die Männer nicht damit klar, dass ihre Püppchenfrauen ständig shoppen wollen. Die Folge der Shoppingwut im Internet ist für die Männer die, dass sie die Retour-Pakete bei der Post abliefern dürfen. Dort stehen sie in langen Schlangen, denn offenbar ist das das Schicksal aller Männer. Darum brauchen sie einen Rückzugsort. Nur beim Piloten gibt es, aber die wird viel später nachgeschoben, eine andere, halbtragische Begründung für die Suche nach einem Rückzugsort.

So hat es denn das Hauptmotiv des Filmes, der männerwirtschaftlich eingerichtete Heizungskeller mit TV-Leinwand, Kühlschrank, bequemen Sitzgelegenheiten, schwer, in Gang zu kommen als ein Ort von tieferer Auseinandersetzung der Männer, die mich als Zuschauer von dem Moment an interessieren, wie es plötzlich um Lebenslügen geht oder um Unfruchtbarkeit, kurz: um männliche Schwächen. Aber da ist schon mehr als eine Stunde Filmzeit vorbei.

Zu lange und zu substanzlos (kompensiert mit Billig-Geschlechterwitzchen) ist der Anlauf, den sich die Drehbuchautoren Rainer Ewerrien und David Ungureit im Sinne einer Kinoadaption des Theater-Erfolgsstückes von Kristof Magnusson ausgedacht haben.

Auch wie der Vierte im Bunde, der zum Facility-Manager aufgestiegene Hausmeister türkischer Provenienz, der den Keller sofort räumen lassen will, dann noch noch zur Runde stößt und plötzlich wie selbstverständlich dazu gehört, scheint nicht gründlich durchdacht von den Autoren, ist kein plausibel nachvollziehbarer Vorgang und erst recht nicht mit Unterhaltungswert.

Wie mir sowieso das, was die Männer als ihre Show aufführen und was dann Löcher kriegt, aus dem Augenmerk gerutscht zu sein scheint. Zum notdürftigen Auffangen dieser beachtlichen Drehbuchdefizite setzt die Regisseurin Franziska Meyer Price eine solide, TV-routinierte Regie ein.

Trotzdem ist noch eine Musik drüber gelegt worden, die dem Geschehen auf der Leinwand wie ständig zuruft, Mensch, bringt doch endlich Leben und Spannung in die Bude.

Die packendsten Szenen sind jene spät im Film, wenn die Männer länger in ihrem Keller sind und sich die Auseinandersetzungen anbahnen, wenn Ehrlichkeit aufkommt, dann bin ich als Zuschauer plötzlich interessiert. Da kann ich auch erahnen, warum das Theaterstück so erfolgreich war.

Sprüche in der Anfangsphase des Films, die nicht unbedingt geeignet sind, eine Spannung aufzubauen:
Lasst mich durch, meine Frau ist eine Ärztin – eine schwangere Ärztin.
Wer ist es denn, Pam, Spam, so ne Kacke (am Handy).
Welche Behinderung haben Sie denn? Tourette du Fotze – uralt, aber immer wieder schön (am Behindertenparkplatz).
Immer wenn Du denkst, du hast es geschafft, ist ein Schuhgeschäft in der Nähe.
Wir sind die drei Musketiere, wer sich mit uns anlegt, wird sein Waterloo erleben.

Später und schon ermattet von der Sprücherei: wir sind der Beginn einer wunderschönen Freundschaft.
Was ist das griechische Wort für Gebärmutter? Hysteria – und die ist hysterisch.
Anne, doch, ich erinnere mich, FickenaufdenerstenKlick.de.

Wobei die Frauen im Film vom Drehbuch her nicht weiter ernsthaft studiert worden sind, sondern primär auf bildhübsche Shoppingfetischistinnen reduziert. Deshalb wirkt der Film auf große Strecken ziemlich überkommen – und das mit plattem, deutschem Humor angereichert. Das odelt.

Yaloms Anleitung zum Glücklichsein

Ein angenehmes, menschenfreundliches Plauderstündchen von 77 Minuten in freier Natur mit einem gewinnenden Mann, glücklichem Familienmenschen und Erfolgsautor vermittelt uns die Schweizer Dokumentaristin Sabina Gisiger mit diesem Film, der voll mit lebens- und erkenntnisphilosophischen Einsprengseln gespickt ist.

Yrvin D. Yalom ist ein Erfolgsautor und berühmter Psychiater dazu. Für ihn sind die Menschen alle gleich in ihrer existentiellen Isoliertheit nach Kantschen Kategorien gedacht und in ihrer Angst vor dem Tod, in ihrem Ausgesetztsein daraus folgender Ängste. Das Gefühl eines Gespräches in freier Natur, eines philosophisch-meditativen dazu, stellt die Dokumentaristin durch viele Aufnahmen vom Meer, auch mit Tauchaufnahmen oder von Feldern mit blühendem Mohn oder blühendem Lavendel her.

Auch ein Akt der Liebe, mit dem Autor zusammen gemeinsam in die Natur schauen und ihn erzählen hören aus einem reichen Leben, das noch in der Nazizeit in Russland angefangen hat im Schtetl Seitz. Mit seinen Eltern als Flüchtlingen kam er nach New York. Dort haben sie ein Lebensmittelgeschäft geführt. Aber von ihnen hat der Bub keine geistige Führung erhalten. So hat er selbst gepaukt und geschuftet, um möglichst schnell zu studieren und in die Praxis zu kommen.

Seine Frau kennt er schon seit er Teenager ist. Das Glück ihrer Ehe demonstrieren sie mit einem gemeinsamen Bad in der Jacuzzi-Wanne und sie gibt freimütig zu, dass sie sich nur zum Zwecke der Filmaufnahmen dazugesetzt hat, sie gibt zu verstehen, dass das wohl ein Spleen von ihm sei.

Dieses nun schon über 60-jährige Liebesglück, das stets über allem gestanden habe, selbst über den Kindern, wirft seine Schatten auf die Kinder: die haben alle bereits gebrochene Partnerschaften hinter sich. Es sind Promikinder; sie selbst haben garantiert nie so kämpfen, sich durchbeißen müssen wie ihre Eltern.

Berühmt gewordenen ist Yalom mit seiner existentiellen Psychotherapie und mit Gruppentherapie. Es finden sich im Film nachgestellte Gruppensitzungen, die durch einen Einweg-Spiegel beobachtet werden. Auch privates Super-8-Material von der Familie ist dazwischen geschnitten und andere historische Aufnahmen. Und immer wieder befragt Gisiger ihn oder seine Frau, später auch die Kinder selbst, wie das gewesen sei, wie das mit ihrem Glück gewesen sei.

Ein bemerkenswerter Unterschied in seiner Physiognomie zeichnet sich ab, sobald er mit Menschen redet, auf einem Podium sitzt oder an einem Rednerpult steht, im Gegensatz zu Momenten, wo man ihm am Schreiben sieht, ganz allein, da wirkt das Gesicht konzentriert und zerfurcht. Er kennt den Unterschied: ihm selbst sind verliebte Menschen suspekt für die Therapie, weil die Verliebtheit einen enormen Schutz bietet. Also das wäre so ein Punkt, wo ich gerne nachhaken würde.

In seiner Theorie spielen die „angry thoughts“ gegen die Eltern eine wichtige Rolle. Hat er die bei seinen Kindern aufkommen lassen? Oder warum sind die in ihren Beziehungen gescheitert? Geht es beim Glück und beim Vorspielen von glücklicher Familie nicht immer auch um das Abstecken von Machtpositionen? Von so einer Selbstreflektion ist hier allerdings nicht die Rede. Gibt es ein Glück, was auf Kosten von anderen geht, ist so eine Frage, die sich mir stellt. Er spricht von der Beziehung als Schutzschild – und deutet an, oder das sagt seine Frau, dass dieser auch gegen die Kinder gerichtet war. Später hat er Romane geschrieben und wiederum phänomenalen Erfolg damit gehabt. Ferner ist er auch involviert in Tauch- und Schreibkurse.

Die Musik, das sind vornehmlich feierliche Streicher mit dem klassischen Touch, mit dem man bei so einer Doku nichts falsch machen kann.

Glück ist eine relative Angelegenheit. Yalom ist zweifelsohne ein kreativer Geist, das zeigt nicht nur die Entwicklung und Linie seiner Veröffentlichungen, sondern auch seine Äußerungen und seine Biographie. Den lebenden Zweifel an der Gültigkeit seiner Lehre liefern indes seine eigenen Kinder, die sich mit dem Glücklichsein mit Partner oder Partnerin schwer tun.

Todesangst und Glücklichsein. Thema Reue als ein Zugriff aufs Unglück der Menschen.
Plauderton wie mit einem vertrauten Menschen, der es nicht nötig hat, sich in den Vordergrund zu spielen, sich wichtig zu machen, sich aufzuführen, sich abzugrenezn, einen auf Image zu machen.

Praia do Futuro

Strand der Zukunft. Vom Strand der Zukunft, ausgehend von einem Trauerfall. Ein Trauerverarbeitungsfilm. Heinz und Konrad, wir wissen noch lange nichts über sie, auch nicht, dass sie ein Paar sind, rasen auf Motorrädern easyridermäßig aus dem steppigen Hinterland in Richtung Küste Brasiliens. Dann rennen sie ins Wasser. Sie kommen in die Wellen des Ozeans, sie drohen zu ertrinken. Das ist vielleicht die erste Moral des Filmes, renne nie erhitzt vom Motorrad direkt in die Wellen. Sie schauen prima aus, muskulös und sportlich. Die schönen männlichen Körper, mehr oder weniger entblösst, spielen fortan eine große Rolle. Heinz ertrinkt, Konrad wird gerettet von Donato. Sie fangen sofort ein Verhältnis an. Erst Liebe in Brasilien.

Ein Hochkulturfilm, ein hemdsärmelig, nicht stringent durchdachtes, trendig-internationales, geruchsloses Designkino. Man tippt nur an. Der Zuschauer muss sich den Rest denken. Das aber nicht als Erhöhung des Reizes, sondern als lehrmeisterliche Methode, Thesenkino: schwule Liebe in Brasilien ist schöner als schwule Liebe in Berlin. Kleine Buben wachsen eines Tages zu leckeren Früchtchen heran. Schwule Trauer äußert sich im sekundenschnellen Bespringen eines neuen Partners.

Das ist mir natürlich peinlich, dass ich diesem Film so grad kaum was abgewinnen kann, ist doch der Regisseur Karim Ainouz, der mit Felipe Branganca auch das Drehbuch geschrieben hat, ein internationaler Überall-Dabei und was er anrührt wird preisgekrönt. Da muss schon was dahinterstecken, mehr als nur Schwülstigkeiten im hochkulturell-intellektuellen Gewande mit einem einzigen, kleinen, lyrischen Text und ebenso wohldosiert die leicht tragische, modern-klassische Musik drüber.

Das erste Kapitel widmet sich der Liebe von Donato und Konrad in Brasilien. Aber Konrad muss zurück nach Berlin. Und Donato geht mit. Jetzt geht die Liebe in Berlin weiter. Im dritten Kapitel erfahren wir, dass Donato aus Brasilien einfach abgehauen ist. In diesem Kapitel nämlich ist sein kleiner Bruder inzwischen als Erwachsener in Berlin aufgetaucht. Jetzt entwickelt sich eine Menage a trois in Berlin. Motorradfahren ans Meer. Das lässt auf den baldigen Schluss deuten, denn jetzt ähneln die Bilder den Anfangsbildern. Am Schluss fahren die Drei auf zwei Motorrädern auf der Autobahn landeinwärts in den Nebel von Deutschland. Symbolhaft. Die Kamera sieht die roten Schlusslichter verschwinden. Der Regisseur legt bedeutungsschwangere Neoklassik-Musik darüber. Und mich friert. Vielleicht wollte der Regisseur das bezwecken.

Was aber soll das? Ich komme mir leer, getäuscht, veräppelt vor, ob dieser kalt angerichteten Bilder, über die das Presseheft vermutlich mehr erzählt als aus dem Film herauszulesen ist. Oder man muss es wirklich wie jemandem, dem man die Würmer aus der Nase zieht, herauspuhlen. So macht Kino keinen Spaß. Aber bei einem, der international so viel Erfolg hat, darf man das wohl nicht sagen, oder man outet sich als Banause. „Love for Syle“ von Ainouz hatte Uraufführung in Venedig, gewann über 50 Preise, den ersten Preis in Havanna. Und dann noch ein Film mit 20 Preisen, 40 Festivalteilnahmen. Dann wieder Cannes als Uraufführungsort für einen Film und Regiepreis in Rio de Janeiro. Und da ein Kurzfilm und dort Teilnahme an einem Episodenfilm Kathedralen der Kultur.

Tja, da müssen wir schon in die Knie gehen und alles toll finden und enthusiasmiert sein. Dann Jurymitglied in Cannes und in Berlin und weiteren Festivals, und weitere Dokumentationen und Kurzfilme und Zusammenarbeit mit visuellen Künstlern sowie Co-Autor weiterer Filme. Und noch Gastlektor dazu. Tiefe Verbeugung.

Aber was will er uns mit seinem Film bloss erzählen? Wo wird klar, dass dieser Film keine Pseudokunst ist, dass es hier nicht lediglich um kunstvolles Suhlen im Schwulen geht? Dass der Regisseur mehr als nur ein geschickter, begabt beredter Filmförderabzapfer ist, der sich aus diesen Gründen einen Brasilien-Deutschland-Film zusammenstiefelt? Schnell, schnell, husch, husch, es rufen ja noch andere Pflichten und Geldverdienstmöglichkeiten. Ist das intellektuelle Masche, den Film in manchen Momenten offenbar bewusst unbedarft aussehen zu lassen?

Immerhin: brasilianisch ist eine schöne Sprache, das zeigt die kleine Lyrik gegen Ende, die den leeren Bildern wieder Bedeutung einflößen soll.
Es wirkt, als hätte diesen Film ein Computer, ein künstliches Hirn hergestellt. Es fehlt ihm die Seele. Es ist ein reines Spiel mit Chiffren, besonders natürlich aus der Sicht eines homoerotischen Männlichkeitsfetischismus.

Planet Deutschland – 300 Millionen Jahre

Wieder einer dieser trendigen, fördergängigen Naturfilme, die sich mehr durch Aufwand von Logistik und Herstellung legitimieren denn durch eine Fragestellung, die Filmspannung erzeugen könnte: ein Team von Maskenbildnern arbeitet 4 Wochen an den Masken der Neandertaler, Tausende von Haaren einzeln appliziert, Landschafts- und Tierfaufnahmen aus 3 Kontinenten und 9 Ländern (oh, Planet Deutschland?), 35 Kameraleute, 7 Grafikdesigner arbeiten über 35 Monate an den Animationen, 12 Archäologen, Geologen, Biologen und Palantäologen aus 9 Forschungseinrichtungen steuern ihr Fachwissen bei. Diesen Aufwand bewältigt hat Stefan Schneider nach einer Vorlage von Uwe Kersken und Hilmar Rathjen.

Das Resultat ist zweischneidig: die Bilder sind schön, sind ein Traum, sind kinowirkungsvoll und auch mit der entsprechenden Orchestermusik voluminös unterlegt. Die Bilder vom Rhein beispielsweise sind erhellender und schöner als jene im Film Rheingold – Gesichter eines Flusses (die Mündung in den Bodensee).

Die Kommentare sind unaufgeregt populärwissenschaftlich und angenehm gesprochen von Max Moor. Nur ändert das nichts daran, dass der Zuschauer diese Bilderfülle als scheinbar willkürliches Potpourri geboten bekommt, was innerhalb von Deutschland wild hin und her zu hupfen scheint durch die Jahrmillionen und Jahrtausende, mal ist der Rhein von Interesse, dann die Ostsee, die Nordsee, die Elbe, dann der Steinabbau, die Salzgewinnung und die Jagd.

Je näher der Film ans Heute, damit auch an die uns vertrauten geographisch-politischen Verhältnisse kommt, desto verwirrender wirkt die Rumhupferei. Und der Kommentar, dass wir nicht wissen, wie es weiter gehen wird, wie Deutschland in Zukunft aussehen wird, lässt eher auf Hilflosigkeit schließen, denn auf ein Konzept. Führen doch solche langzeiträumigen Betrachtungen über Hunderte von Millionen Jahren eh zu philosophischen Betrachtungen, was ist der Mensch, führen zur Relativierung seiner Bedeutung, seines aktuellen Herrschaftsanspruches, seines Gefühls, die Natur im Griff zu haben.

Der Eindruck über weite Teile des Filmes ist der, dass er sicher für den Schulunterricht oder fürs Naturkundemuseum durchaus geeignet ist. Vielleicht hätte man früher aufhören sollen, denn je vielschichtiger die Geschichte wird und je beliebiger sie vorgetragen wird, desto mehr entsteht das Gefühl, das ist jetzt nur noch eine zufällige Aneinanderreihung. So mag er ein Stück weit als kursorischer Schnelldurchlauf, zu dem etliche Zeitrafferaufnahmen positiv beitragen, durch die Erdgeschichte interssant sein.

Aber das Verhältnis des Menschen, der urplötzlich da ist, ist eingreifend, aber er schafft es nicht, den Naturraum total einzuschränken, im Gegenteil, in den Städten entsteht ein vielfältiger Raum für Lebewesen, sogar für solche, die zugewandert sind, die grünen Papgeigen beispielsweise. Oder die Falken, die sich im Elbgestein nicht nur an der Elbe, sondern auch in Hamburg in Gebäuden aus solchem Stein niederlassen.

Um einen solchen Film von hochqualitativem Material auch spannend zu machen, müsste vermutlich das geistige Gerüst, warum man das zeigen will, viel präziser konstruiert werden, doch nicht nur, weil Redaktionen und Förderer auf solche Projekte abfahren, das reicht als filmimmanente Begründung nicht aus. Hier wurden Zwangsgebührengelder verarbeitet über den NDR, den WDR und arte.

Dass sich der Film an die ganze Familie richtet, wie im Presseheft zu lesen ist, da dürften sich die Produzenten in Träumen bewegen, denn für die Familie, da fehlt just die Geschichte, die dem Zuschauer die Orientierung gibt. Immerhin: was gezeigt wird, das ist ansprechend zubereitet, es wirkt wie eine leichtverdauliche Consommée

Land der Wunder – Le Meraviglie

Hier wird deutsch, französisch, wienerisch und italienisch gesprochen und dazu von drei alten Frauen in einem wunderbaren, italienischen Landdialekt gesungen. Ein europäisches Produkt, was uns Alice Rohrwacher zeigt, die deutsche Wurzeln habe, ein italienisch-schweizer-deutsches Kinporodukt, was man auf gar keinen Fall nachsynchronisieren sollte. Denn Europa heißt auch Mehrsprachigkeit. Das ist Musik.

Aber das ist nicht das dringlichste Thema, was die Filmemacherin uns auftischen möchte. Vielmehr scheint es, als lasse sie sich inspirieren von einem verlassenen Hof, der der Hof ihrer Kindheit gewesen sein könnte, fängt an bei der Imkerei, die dort betrieben worden ist, lässt sich treiben zu europäischen Agrarthemen, dem Schaden, den Pestizide bei Bienenvölkern anrichten und dem Damoklesschwert europäischer Richtlinien für die Imkerei, über den Gast Martin, der den ganzen Film über kein Wort spricht, aber wunderbar pfeifen kann und auf diesem Hof, er ist noch Jugendlicher, resozialisiert werden soll. Er ist der einzige männliche Nachwuchs unter den vier Mädchen, die der Vater und Deutsche Wolfgang, Sam Louwyck, gezeugt hat mit Angelica, Alba Rohrwacher, der Schwester der Regisseurin.

Die älteste Tochter Gelsomina trägt viel Verantwortung. Sie spielt dies ohne Mätzchen und ohne alles Getue konzentriert und faszinierend. Und sicher werden wir Maria Alexandra Lungus Spiel mit Bienen, die sie aus dem Mund kommen lässt und die ihr über das Gesicht krabbeln nicht vergessen.

Als weiteres Topos kommt, Frau Rohwacher scheint sich ihren Vorstellungen recht intutitiv hinzugeben, eine Fernsehshow hinzu, die über das Landleben berichten möchte mit Drehlocation und absurd-geschmacklos-kitschigen Kostümen, die etruskisch sein sollen. Hier wird Interessantes und Vorbildliches aus dem Landleben gesucht. Unsere Familie meldet sich an und wird genommen. Erst aber kommt ein Abgesandter der Produktion und will den Hof unter die Lupe nehmen.

War die Inszenierung bis hierher mehr dardennesch-realistisch, so mäandert die Geschichte jetzt zu mehr dramaturgischer Künstlichkeit. Vater ist gerade in der Stadt, das mittlere Töchterchen verletzt sich mit dem Arm in der Honigzentrifuge, sie muss sofort in die Notfallklinik, derweil läuft der Honig über, weil keiner den Eimer unter den Zentrifuge ausgewechselt hat. Das hat eine riesige, klebrige Masse in der Honigküche zur Folge, so viel Honig kann es gar nicht geben und mit blossen Händen und Armen schöpft Gelsomina ihn zurück, welch Glück, dass der Show-Inspektor nur ganz, ganz leicht am Boden kleben bleibt.

Jetzt scheint die Filmemacherin vollends auf den Showzug aufzuspringen. Lang und ausführlich wird der merkwürdige Vorgang geschildert, kaum zu glauben, dass es so unterbelichtetes Fernsehen gibt. Fernsehkritik? Vielleicht. Oder sie lässt sich selber faszinieren. Denn hier fällt der Arbeitsstil von Alice Rohrwacher besonders auf. Sie scheint zuerst die Szenen zu inszenieren, grob, würde ich schätzen, und dann sucht sich die Kamera, was ihr gefällt. Wenn zwei Leute in einem Dialog sind, der als solcher vom Bild her nicht besonders ergiebig ist, dann streift die Kamera umher über Höhlenwände, Lichterketten, findet Farbeffekte auf dem Wasser oder an Mauern. Dadurch haben die Akteure offenbar auch nicht dieses gestresste Gefühl, ganz genau im Mittelpunkt stehen zu müssen und den entsprechenden Leistungsdruck aufzubauen. So besehen mag die Bilderwelt von Frau Rohwacher durchaus zu vereinnahmen.

Das schönste, poetischste Bild im Film; wenn Gelsomina dem kleineren Schwesterchen rät, den Sonnenstrahl, der in den staubigen Stall einfällt, zu trinken. Unbändige weibliche Kinointuition. Oder dann bläst plötzlich der Wind. Die Deckel der Bienenkästen werden abgehoben. Wolfgang legt sich mit dem gesamten Körpergewicht darüber. Steine müssen beschafft werden und am Schluss liegen er und die Kinder unter einer Plane auf den Kästen. Solche und andere Einfälle geben zu verstehen, dass es sich hier um einen sehr persönlichen Film handelt, man hat kaum den Eindruck, dass die Filmemacherin sich außenorientiert, dass sie andere Filmer imitiert. Und dann wieder eine quietschfröhliche Bottich-Bade-Szene auf dem Meer. Ein Kino, was von Spiel und Spontaneität lebt.

Die Geschichte mäandert nicht, es scheint viel eher, als haue sie die Faszination am Trivial-Fernsehen aus der Kurve.

Hüter der Erinnerung – The Giver

Eine Weltanschauungsfrage steht im Zentrum dieser Bestsellerverfilmung von Phillip Noyce (Regie) und Michael Mitnick und Robert B. Weide (Drehbuch nach dem Bestseller von Lois Lowry).

Was ist die gute Welt, die menschenwürdige Welt? Hier im Film ist es die herrschende Welt, die sich für die gute Welt hält, die Schwarz-Weiß-Welt, in der alle Menschen gleich sind, eine Art realisierter, urkommunistischer Utopie, die die reinste Diktatur ist, denn der Mensch ist zu freien Entscheidungen nicht fähig, das meint Meryl Streep als oberster Boss dieser Welt, es ist eine total überwachte Welt, neckisch und aktuell die Drohnen, es ist eine uniforme Welt, alle Häuser sehen gleich aus, die Kinder werden von Leihmüttern ausgetragen und ohne Liebe erzogen.

Am Ende der Jugend werden die Menschen bei einer großen Versammlung ins Erwachsenenleben entlassen. Vor allen wird erklärt, was aus jedem wird. Unser Protagonist Jonas, der kommt als letzter dran. Er ist ausersehen, eine Speziallehre beim Hüter der Erinnerung, bei Jeff Bridges als dem Giver, zu machen. Er wird Einsichten in Dinge kriegen, in Bücher zum Beispiel, die es in der Schwarz-Weiß-Welt nicht gibt. Das, wovor sich die Schwarz-Weiß- Welt offenbar am meisten fürchtet, das sind die Erinnerungen. Darum müssen die Menschen diese einmal täglich an einem entsprechenden Apparat, der ihr Blut identifizieren kann, löschen.

Die von der Schwarz-Weiß-Welt verdrängte Welt der Erinnerungen, die ist bunt, die ist das pralle Leben, die ist immer mit zwei Medaillenseiten versehen, dem Bösen wie der Liebe, das sind Erinnerungen an Krieg, Wildererei wegen Elfenbein, an Nestwärme, an glückliche Familie, das ist die Welt in Farbe.

Dadurch, dass Jonas diese Welt der Erinnerungen, die die Menschenwürde ausmacht, entdeckt, wird er in der Schwarz-Weiß-Welt zum Rebellen. Er will auch Fiona, auf die er ein Auge geworfen hat, zum Ungehorsam, zum Hintergehen der Erinnerungsabgabe überreden. Denn er hat gesehen, dass in dieser Schwarz-Weiß-Welt manche Leben einfach entsorgt werden sollen wie zum Beispiel das Baby Gabriel. Mit diesem wird er aus der Schwarz-Weiß-Welt ausbrechen in eine Welt, aus der man nicht zurückkomme, wie es heißt, was zu Action und Verfolgungsjagd mit Drohne führen wird.

Ein Film, der vermutlich den Lesern und Verschlingern des Bestsellers taugen dürfte, falls das auch der Geist des Buches ist, was ich hier ablesen konnte. Allerdings eher für Menschen in unefestigtem Alter, wo man noch nach Werten und dem Sinn des Lebens sucht, nach Bestimmung und Freiheit.

Es wird impliziert, dass die diktatorische Welt eine schmerzlose Welt sei, während die farbige Welt schmerzhaft sei.
Eine Welt auch, in der immer nach Neuem gefragt wird.
Den Injektionsapparat mit einem Apfel mit etwas Blut dran täuschen.
Lost to the edge.
Ceremony of Loss.

Thematisch ist der Film, was aber überhaupt nicht thematisiert wird, in der Nähe des brandaktuellen Themas anzusiedeln, dass das Internet kein Vergessen kenne.
Und ganz köstlich, dass Jonas (der aus dem Wal entfloh?) mit einer kleinen Skizze auf Karton sich in der Welt jenseits zu orientieren sucht. Nix Navi. Dabei geht es doch um die Navigation im Leben.