Archiv der Kategorie: Film

Ella und der Superstar

Durchlüftete Existenzen.
Dieser finnische Kinderfilm von Marko Maiklaakso nach dem Kinderbuch-Bestseller von Timo Parvela lässt genügend Luft für Fantasie und ganz ohne pädagogischen Zeigefinger als Gegengewicht gegen die Regeln der Mathematik und die Konzentration darauf oder auch als Gegengewicht gegen den Karrierismus.

Aus dem Gefängnis von Schule und Einmaleins entfleucht Pekka mit dem Traum vom Rockstar. Aus dem Gefängnis des Karrierismus entfleucht die Sängerin Elvira in das Leben eines einfachen Bootseigners mit dickem Bart und die weibliche Frisur verdeckender Wollmütze. Das wiederum durchlöchert das stringente Karrieredenken ihre Managers, der den guten Lauf der Sängerin konterkariert, indem er ihn für jede Menge unsinniger PR-Aktionen nutzen möchte.

Der Junge Pekka träumt davon, mit Elvira gemeinsam auf einem großen Konzert aufzutreten. Das streng-schulische Denken seiner Mutter, einer Lehrerin, wird durch diese Aussicht widerstandslos erschüttert, ihr ist jetzt die Karriereaussicht ihres Sohnes plötzlich wichtiger als seine Einmaleinskünste.

So bleibt die Erziehungsfunktion dem langhaarigen Lehrer überlassen, der selbst nicht so ganz erwachsen scheint, und der immer wieder mit dem 31. Mai drohen muss, wo der entscheidende Mathe-Test stattfinden wird. Und wenn nur einer durchfällt, dann muss die ganze Klasse das Jahr in einem Unterrichtsraum im Keller wiederholen (und wieder dieser Keller, oh Seidl, oh, Seidl, was hast du alles verpasst!). Sippenhaft als Erziehungsmittel. Traum und Realität. Träumer und Zwang der Mathematik. Wo soll die uns im Leben nützlich sein, wird an einer Stelle gefragt. Der Lehrer hat auch keine Antwort parat.

Zu Pekkas Träumereien gehören Limousinen, ein Manager und auch skrupelloser Austausch der Manager bei aufsteigender Karriere, die kreischenden Fans; aber auch der Angsttraum, nicht zu wissen, was singen, nicht Gitarre spielen können vorm Publikum oder eben, dass Elvira gar nicht auftaucht.

Ganz ungeniert lässt Makilaakso die Dinge sich entwickeln. Denn das Leben ist oft widersprüchlich und gleichzeitig hart. Doch ein Lehrer kann sich schon mal unkonventionell mit einem Body-Guard oder einem Musikmanager anlegen, wenn ihm seine Schäfchen und deren Beherrschung des Einmaleins am Herzen liegt. Denn der Lehrer ist selbst noch wie ein Kind und spielt mit Spielzeugfiguren, übt mit denen den Kampf (des Lebens), dem er doch an der Schule so wunderbar ausweichen kann. Aber für die Kinder will er kämpfen.

Brasserie Romantiek – Das Valentins-Menü

Der Valentinstag gilt vielerorts als der Tag der Liebenden. Soll zurückgehen auf mehrere christliche Märtyrer, die mittels Enthauptungen gestorben sind. Heute geht die Liebe des Valentinstags durch den Blumenladen. Viele Männerseelen kaufen an diesem Tag, indoktriniert von der Werbung des Blumenhandels, beinah verdattert eine Rose für ihre Liebste und stehen damit ungeschickt im abendlichen Berufsverkehr herum.

Um die Liebe geht es auch dem belgischen Filmemacher Joel Vanhoebrouck, der ein Buch von Jean-Claude van Ruckeghem und Pat van Beirs zur Drehgrundlage hatte, allerdings nicht um die Liebe durch die Blumen, sondern um die Liebe, die durch den Magen geht, um den Valentinstag in dem Einsterne-Restaurant Brasserie Romantiek, die von Pascaline geführt wird. In der Küche erfährt sie Unterstützung durch ihren Bruder Angelo als Küchenchef.

Der Film hat sich den Valentinsabend in diesem Restaurant vorgenommen, von den Vorbereitungen bis zum Eintreffen der Gäste, dem Servieren des Einheitsmenüs, bis die Gäste das Lokal verlassen und das meiste Personal auch, bis zu den Aufräumarbeiten von wenig Zurückgebliebenen.

Die Erzählung pendelt zwischen Küche und Gastraum hin und her und lässt ihre Absicht, dass sie den Valentinstag als Märtyrertag sieht, unverhohlen raushängen, was zu einigen rechten ruppigen Auseinandersetzungen und Abgängen im hinteren Teil des Filmes führen wird.

Andererseits gibt sich der Film gar nicht erst die Mühe, positive Erwartungen hochzuschrauben. Es fängt knatschig mit dem Personal an, weil Lesley, der Kellner, wieder mehr als eine halbe Stunde zu spät kommt, während ein Gast viel zu früh eintrifft. Es ist ausgerechnet Frank, der Ex von Pascaline, der sie vor 23 Jahren verlassen hat und der sie auf der Stelle noch an diesem Abend mit nach Argentinien nehmen möchte. Für Konfliktstoff ist also gesorgt, umso mehr als die Rolle der Pasciline als der einer nicht besonders glücklichen Person angelegt ist.

Aber auch die nach und nach eintreffenden Gäste bringen ihre Problemchen mit. Das Ehepaar, bei dem es knirscht und das die beste Zeit längst hinter sich hat, denn der Mann treibt sich allzu gerne auf Automessen mit den Hostessen rum. Oder der alte Angeber, der stets mit jungen Bewunderinnen hier auftaucht, sich als Weinkenner aufbläht und prinzipiell die ersten zwei Flaschen als korkig zurückgehen lässt. Aber ein Sternerestaurant weiß sich zu helfen in solchen Fällen. Oder der überaus verhemmte Walter, der Blinddate-Spezialist, der sich den halben Abend einer vollbusigen Blondinen gegenüber sieht, die ihn als Tiger charakterisiert, während er vor dem Spiegel im Clo Texte übt und etwas von Liebe statt von Sex stammelt. Oder das Drama von Mia, die einmal mehr sitzen gelassen worden ist. Aber da ist ja noch Lesley.

Liebenswürdige Beobachtungen durch und durch, die zu vielen würzigen Pointen wie aus dem Leben gegriffen führen, das dürfte die hauptsächliche Qualität dieser ansonsten eher bemühten filmischen Anstrengung sein, bei der die richtige Mischung aus Tempo, Rhythmus, Schnitt und Kameraauschnitten noch diskutiert werden könnte.

Immerhin, der Film legt seine Zutaten ebenso wie das Prinzip, das er erfüllen möchte, offen und wirkt dadurch ehrlich.

Manolo und das Buch des Lebens

Die Geschichte ist solide um nicht zu sagen konservativ gebaut. Dieser animierte Film von Jorge R. Gutierrez, der mit Douglas Langdale auch das Drehbuch geschrieben hat, nimmt den angepeilten jungen Zuschauer mit einer kleinen Rahmenhandlung mit ins innerste Geheimnis des Geschichtenerzählens.

Die Püppchen, Buben- und Mädchen treffen sich mit der Lehrerin vor dem Museum. Viele Busse stehen davor. Einige schnell getimte Knallgags mit Aktion und Reaktion laufen ab.

Die Kinder gelangen über eine Tür in der Mauer, eine Geheimtür, die sie anfangs gar nicht sehen, aus ihrem Alltag in die Räume des Geschichtenerzählens. Hier werden die ebenfalls animierten Hauptfiguren vorgestellt: Manolo, Maria und Joaquin. Sie kennen sich von Kindsbeinen an. Die beiden Jungs waren immer verliebt in Maria. Einer etwas mehr als der andere. Jetzt sind sie groß geworden. Maria kehrt nach einem Europaaufenthalt zurück und die Frage ist, welcher der beiden Burschen Maria heiraten wird. Diese Frage wird auch als Wette verhandelt.

Manolo stammt aus einer Stierkämpferdynastie und sein Vater will, dass er Stierkämpfer wird. Er ist aber der musische Typ, der lieber Gitarre spielt und dazu singt. Trotzdem steht er in der Arena zum Kampf bereit. Maria ist unter den Zuschauern. Er reizt den Stier und weicht ihm meisterhaft aus. Aber töten will er ihn nicht. Das trägt ihm viel Respekt ein, auch von Maria. Bis sich entscheidet, wer Maria heiraten wird, überfüllt Gutierrez die Leinwand mit Effekten und Action bis zu Titanenkämpfen mit jeder Menge Phantasiefiguren, inspiriert von den Totenwelten, die in Mexiko an Allerheiligen fröhlich Urständ feiern, dazu die mexikanische Kunst, die Mariacchis, die Lebensfreude und Lebensbejahung selbst im Tod, aber auch Opernarien haut Gutierrez darunter.

Faschingsoperettenfiguren, Halloween-Ungetüm-Figuren, Firlefanz-Effekte, Animationsgigantismus, Geisterbahngigantismus, overeffected, Kampfgetöse, bunte überfüllte Welt, Bildfülle ist das Thema.
Killing the bull is wrong. Holzkopfoma im Rollstuhl.
A very crowded movie. Land of the Remembered. Allgegenwart der Vergangenheit.
Viele akzentuierte Kickaways. Der Hollywood-Zeichentrickfundus mexikanisch aufgepeppt.
Moral: You didn’t live the life that was written for you.

Und als Heldenrequisit eine zu findende Medaille. I handle this.
Militaristische Komponente: Go, find the medal. The greatest Sanchez ever. Militaristisch: no retreat, no surrender. Dont stop fighting, it is right to fight. Der edle Joaquin und die lebensrettende Medaille. Sacrifice. A true hero has to be selfless. Heldenideologie. The book of life.
Ewige Happy-End-Musik-und Tanznummer.

Sehnsucht nach Paris – La Ritournelle

In diesem Film von Marc Fitoussi, der mit Sylvie Dauvillier auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt die ewig hübsche und attraktive Isabelle Huppert, dass sie auch als Bäuerin, die auf der Brust mit Ekzem / Psoriasis behaftet ist, in Paris lustige Seitensprünge machen kann. Sie erfährt dort, dass gegen ihr Leiden ein Bad im Toten Meer hilfreich sei. Wodurch noch eine Werbung für Israel-Reisen Platz findet und das Abschlussbild möglich wird, wie die Huppert als Bäuerin Brigitte Lecanu mit ihrem zwischenzeitlich gehörnten Gatten Xavier, Jean-Pierre Darroussin, friedlich auf der Oberfläche des Salzwassers tief unter dem Meerespiegel den Körper baumeln lassen kann.

Zwischen diesem Bild und dem Anfangsbild in der Provinz in Frankreich malt der Film mit typisch französischer Leichtigkeit in Liebesdingen und dramaturgisch sorglos Szenen des Anbandelns, des Sichzierens, des Sichverführenlassens, sei es von einem Verkäufer bei, auch hier: Vorsicht Werbung: American Apparel, oder von einem skandinavischen Kieferchirurgen (der im Bett seine spezielle Methode zur Psoriasis-Behandlung entwickelt) namens Jesper.

Gleich zu Beginn zeigt der Film, dass ihn nicht Realismus interessiert, dass ihn das Schwadronieren über die Liebe und die Sinnhaftigkeit von Seitensprüngen beschäftigt. Denn wie Huppert und Darroussin die Kühe kratzen, das sieht so aus, als hätte man sie kurz vor dem Dreh vor die Kuh gestellt, ihnen eine Bürste in die Hand gedrückt und nun versuchen sie zaghaft, der Kuh nicht weh zu tun. Vielleicht hat es in der Provinz zusätzlich Filmförderung gegeben, so dass die Autoren auf die Idee mit den Bauern gekommen sind.

Immerhin sind es studierte Bauern, kommen von einer landwirtschaftlichen Hochschule und haben sich dort kennengelernt. Er ist Rinderzüchter. Nach der Stallszene werden wir Zeuge einer Bullenprämierung. Der Züchter nimmt die Ehrung entgegen und Huppert schleudert aus den Rängen ein schnell ins Gesicht gezaubertes Smile. Eigentlich sollte Brigitte längst nach Paris, um eine heilende Behandlung ihres Ekzems zu erhalten. Aber Lust darauf hat sie nicht.

Sie spielt sich ihr Glück vor. Es gibt auch Kinder. Und einen Mitarbeiter. Der Sohn ist auf einer Akrobaten-Schule, Vater spottet, er werde bald Diplom-Akrobat sein und ist nicht erfreut.

Wie im Nachbarhaus eine Party von jüngeren Leuten stattfindet, kommt es zum Flirt zwischen Brigitte und dem jungen Apparel-Verkäufer, der auf ältere Frauen steht. Er ist gebildet, er liest Italo Calvino und wird zum Katalysator dafür, dass Brigitte plötzlich nach Paris aufbricht und der Film sich an ekzembehafteter Seitensprünglichkeit ergötzen kann.
Hier gilt: on badine avec l’amour. Man tändle mit der Liebe – und dem Ekzem dazu!

Die Parade – Parada (arte, Mittwoch, 11. Februar 2015, 22.05 Uhr)

„Ein pan-jugoslawischer, heftiger Agit-Prop-Streifen von Srdjan Dragojevic für die Rechte der Schwulen, kulminierend in Szenen der Pride-Parade in Belgrad von 2010, heftig angefeindet von Tausenden von Nationalisten und Radikalen, die von eben so vielen Tausenden von Polizisten in Schach gehalten wurden.

Jahre nach den Kriegen, die der Auflösung Jugoslawiens folgten, ist auch in diesem Film zu sehen und zu spüren, wie solche Kriege noch lange die Brutalität und generell das Vorurteilswesen am Leben erhalten, wie Waffen nach wie vor leicht zur Hand sind und Schlägertypen dazu.“

So fängt stefes Review anlässlich des Kinostartes an.

Jupiter Ascending

Fantasy-Verarsche der Geschwister Andy und Lana Wachowski. Über Klobürste und Klobrille und dann die 3D-Brille, und dann noch ein Fernrohr reingeschnitten, gelingt einer blassen Jungschönheit, die sich Jupiter nennt („Warum ausgerechnet ich?“) der Eintritt in des Spießers Traum von Weltall und Adlerfedernmann, von Royalty und Sehnsucht nach Rettung der Familie, Erfüllung des Putzfrauentraums, letztlich der Traum der Frau, die ihren Existenzsinn darin sieht, sich in die Hände eines starken Mannes zu geben, ein simpler Traum mit aufwändig-komplizierten Bildern dargeboten.

Klobürstentraum in der Rahmenhandlung. Die Protagonistin, Milan Kunis als Jupiter Jones, ist ein einfaches Mädchen und aus einfachem Milieu. Sie lebt mit ihrer Mutter zusammen. Um 04.45 Uhr klingelt der Wecker. Das Aufstehen ist mühsam. Zusammen arbeiten Mutter und Tochter als Putzfrauen (oder Reinigungskräfte oder Raumpflegerinnen).

Vielleicht wollen uns die Geschwister Wachowski nun zeigen, wie Jupiter sich ihr Leben an fremden Kloschüsseln mit Computeranimations-Bildmaterial aus ihrem Depot („Matrix“ etc.) erträglich macht und daraus eine simple Romanze bastelt, die Klofrau, die sich als Royalty in die Arme eines gut gebauten, starken Mannes, eines reinen Klischee-Helden mit Adlerschwingen hineinträumt und sich somit all ihre Sorgen beiseite schieben kann. Die Variation eines generellen Traumes der prototypischen Leserin des Goldenen Blattes?

Diesen Traum der einfachen Jupiter malen die Wachowski-Geschwister nun aus mit einem Riesenverhau an Effekten und Schießereien und merkwüdig schablonenhaft wirkenden Figuren, die alle ganz leise reden, als könnten sie sonst die mumifizierte Wachowski-Bildwelt zum Zerbröseln bringen.

Es geht um Mama und Versiegeln und Treue und Verrat. Reizvoll sind die Düsenschuhe, mit denen ein Mensch den Raum nach Gusto durchqueren kann, bewährtes Eskapismus-Vehikel. Und auch die Versiegelung, die gibt recht uptodate Bilder ab.

Von mächtigen Dynastien ist die Rede, die alles zerstören können und wieder aufbauen. Anders geht es nicht auf dem Klo zu. Was runtergespült wird, wird in der Kläranlage wieder recyclet.

Es dominieren gegen die Enge eines WC-Raumes imperiale Kult- und Kathedralenräume und ganz viel steife, pseudobedeutsame Schauspielerei, Stehpartys für Dialogaustausch und als Gegenstück fahren die Wachowskis ein romantisch-verlottertes Garten-Grundstück auf mit Blechhütte und Bienenschwärmen, die die Wahrheit erkennen in verträumt, weltvergessener Schrebergarten-Atmosphäre; von männlichen Ritualen ist die Rede.

Figuren kommen vor, die 40 Tausend und vier Jahre alt sind, die vermutlich das Rezept des ewigen Jungbrunnens gepachtet haben und aus deren Mund hören wir die Weisheit, dass Zeit (und nicht etwa Liebe) das Kostbarste sei, was es im All gibt und wofür es sich zu kämpfen lohne.

Der Bleichling Titus kommt vor und will die Klofrau, die er für eine Royalty hält, freien; er gibt damit an, dass er Schöpfer sei und Killer zugleich („I create people and I destroy“). Er erinnert an die Bleichlinge aus den Vampirfilmen. Und er hat noch eine Figur an seiner Seite, die mit mies-schleimigem Ton redet, ein ganz klar Böser. So einer gehört ins Klo runtergespült.

Es gibt originelle Administrationen mit Registraturen in einem Mix aus mechanischen Schreibmaschinen und modernstem Computer- und IT-Brimborium, neckisch animiert. Monsterfiguren werden auch bemüht, recht vertraut dazu. „To protect my family“ ist ein Topos. Vielleicht ist der Film auch nur ein Abbild des chaotischen Weltbildes eine Klofrau, ständig am Rande des Hades, ein furioses Klobürsten-Impromptu.

Die Klobürste als das Fernrohr in den Abgrund, den Abschlund der Welt, in die Tiefen der Träume, die so tief nicht sind, sondern eher vorm engem Horizont kleinkariert, die Sicherheit in der Familie und der Geborgenheit in eines Mannes Schwingen.

Guten Tag, Ramón

Vor lauter aufgeblasener, übersüßter, dauerdrübergelegter Klangwolke möchte man schier Diabetes kriegen.

Nach etwa 90 Minuten in diesem mit zwei Stunden viel zu langen, neokolonialistische Kitsch setzt die Klangwolke etwas aus, wird dünner. Da gibt es ein Gespräch zwischen den beiden Protagonisten, zwischen Ramon, der Titelfigur, einem hübsch aussehenden, mexikanischen Wuschelkopf, schauspielerisch leider vollkommen talentfrei, und der dauerlächelnden Ingeborg Schöner als Ruth. Da erzählen sich die beiden je in ihrer Sprache ohne dass sie die Sprache des Gegenübers verstünden, von ihrer Einsamkeit. Da gewinnt der Film, sehr, sehr spät, eine Qualität, die er bis dahin hat vermissen lassen, jetzt sehen wir zwei Menschen vor uns.

Bis dahin waren es nur haarsträubend erfundene, konflikt- und geschichtsfreie Figuren mit ebenso erfundenen und inszenierten Handlungen. Diese Handlungen zielen darauf ab, zu behaupten, wie Immigranten in der alternden, deutschen Gesellschaft sinnvoll integriert werden können, illegal natürlich, als Boys für alles und mehr Fantasien dazu, nicht nur zum Tragen der Einkaufstüten, zum Sperrmüll wegbringen, sondern auch als Tanzlehrer und Kommunikator in einem Mehrfamilienwohnblock mit lauter deutschen Senioren, die keinen Kontakt untereinander haben. So haben wir uns die Sklaven bei den Kolonialisten vorgestellt. Wiederauferstehung des Negerleins von der Kollektenkasse, so kann mit Wohltat schlechtes Gewissen kompensiert werden. Wohnen darf unser Negerlein im Keller. Da würde er super zu Ulrich Seidls Film Im Keller passen, wäre sogar eine richtige Rosine darin, da wäre er die Schandsensation par excellence. Aber so weit ist selbst der Seidl nicht gegangen oder darauf ist er nicht gekommen.

Der Film fängt im armen Mexiko an. Ein Schleuser lässt einen LKW voller Immigranten mitten in der Wüste stehen. Viele sterben. Ramon überlebt. Er sollte für seine Familie in den USA Geld verdienen. Doch jetzt wird er zurückgeschafft. Der nächste Plan der Familie will ihn als Tourist nach Deutschland fliegen lassen. Dort soll er sich zu einer Tante durchfragen, und dann Geld verdienen. Leider hat ihr deutscher Macker sie rausgeschmissen. Er weiß nicht, wo sie abgeblieben ist. So steht Ramon im fremden Land ohne Anknüpfungspunkt da, landet in dem Wiesbadener Sträßchen mit dem moderenen Tante-Emma-Laden, bettelt erst, bis er den Senioren auffällt und diese unterm Titel der Wohltat anfangen, sich um ihn zu kümmern.

Foxcatcher

Er sieht total lächerlich aus, eine mikrig-armselige, komplexbeladene Figur, John, wenn er in seiner roten Turnhose, den hellblauen Knieschonern und der Trainingsjacke mit der Aufschrift „Team Foxcatcher“ im Traininsraum steht und dann noch diese Kopfhaltung, leicht zurückgedrückt im Nacken, so dass er wie über die Horizontlinie schaut, sozusagen das Große mit dem nahen Kleinen zu vereinen sucht, und um ihn herum lauter muskelbepackte, knackige, sportliche, junge Ringer.

Johns Traum ist es, Coach für ein US-Team zu sein, das bei der Olympiade in Seoul 1988 antreten und Gold gewinnen soll. Dumm nur, dass diese lächerliche Figur einer der reichsten Männer der USA ist, Sproß der Chemie-Dynastie Du Pont. Und dumm nur, dass er voll muttergestört ist, welche leider auch noch auf seinem Landsitz im Rollstuhl lebt und Haare auf den Zähnen hat. Sie ist Pferdenärrin. Der Pokalraum im ausladenden Landsitz quillt über von Pferdepokalen, ein Andachtsraum der Sonderklasse.

Und dumm nur, dass Mutter des Sohnes Liebhaberei, das Ringen, für eine niedrige Angelegenheit hält. Aber er kann es sich leisten, auf dem Landsitz die halbe Ringer-Mannschaft der USA unterzubringen, komfortabel, ihnen ein Trainingszentrum de Luxe einzurichten und den Coach zu spielen, abgesehen von eigenen Ringerversuchen, ja in Phoenix nimmt er selbst an einem Turnier teil, wo man ihn augenscheinlich gewinnen lässt. Kurz erinnert er an König Ludwig in seinem Märchenschloss mit den Pferdeknechten.

Diese wahre Geschichte wird allerdings von Bennett Miller, Regie und den Autoren E. Max Frye und Dan Futterman andersrum aufgezäumt, das dürfte das Handycap des Filmes sein.

Sie fangen mit dem berühmten Boxer Mark Schultz an, gespielt von Channing Tatum. Immer leicht federnder Schritt, immer diese Konzentration, als müsste er den nächsten Griff tun, immer dieser Blick in die Seele des potentiellen Gegners.

Mark wiederum ist berühmt als Ringer; aber sein älterer Bruder Dave ist berühmter. Ihn spielt Mark Ruffalo als einen glücklichen, zufriedenen Menschen, der mit sich, der Welt, seiner Frau und den zwei Kindern zufrieden ist, ausgeglichen wie keine Figur sonst in diesem Film.

Mark stand immer im Schatten seiner Bruders. Den Vater haben sie früh verloren. Schicksalshaft sind die Brüder aneinander gebunden. Mark braucht den älteren Bruder, der ihn trainiert und kennt wie kein anderer.

Der Wunsch von John, den seine Freunde auch „Eagle“ oder gar „Golden Eagle“ nennen dürfen, Coach zu werden, lässt ihn berühmte Ringer um sich versammeln. Die Kontaktaufnahme zu Mark schildert der Film ausführlich. Wie die Verführung über das Thema Patriotismus zu funktionieren anfängt. Zu schweigen vom Geld und den Trainingsmöglichkeiten, die John bietet. Schnell zieht Mark auf den Landsitz. Er hat dort ein eigenes Haus. Aber er bekommt auch nächtlichen Besuch von John. Der Film schildert ausführlich wie die Abhängigkeit der beiden wächst, wie John launisch, herrisch ist anlässlich der Vorführung eines Panzers den er bestellt hat, und der ohne Kanone geliefert wird.

Förderung bei gleichzeitiger Vernichtung ist ein Thema, was sich anbahnt. John will Mark zum besten Ringer machen. Ziel ist die Olmypiade in Seoul 1988. Aber er verführt Mark auch zum Koksen. Was John jedoch am meisten ärgert, ist, dass er Marks Bruder nicht kaufen kann. Respektive, es dauert sehr lange, bis dieser samt Familie auch auf den Landsitz zieht. Denn ohne seinen Bruder ist Mark nicht Spitze. Das ist die bittere Erkenntnis, die sich in Johns Hirn hineinfrisst.

Recht realitätspräzise ist die Szene, wo Dave für einen Imagefilm für John als Coach des Foxcatcherteams lügen soll, was für ein hervorragender Coach John sei. Dave kann nicht lügen, er kriegt nicht einen glaubwürdigen Satz in diesem Sinne heraus.

Nach dem Tod der Mutter wird Johns verkrüppelte Seelenlage explosiver. Sein erster Befreiungsschlag ist das Freilassen der verhassten Edelpferde. Er wird noch unberechenbarer. Unheil liegt in der Luft. Auf dieses Unheil zielt die letzte halbe Stunde des Filmes mit unerbittlicher Konsequenz.

Faszinierend an diesem Film, der doch von einem „niedrigen“ Gewerbe berichtet, in welchem Bullen von Männern aktiv sind und wo es bei den Kämpfen sehr laut zu und her geht, wie leise und mit wie vielen Gedankenpausen der Fortgang der Handlung beschrieben und abgehandelt wird. Wie die Charaktere und ihre schicksalshaften Abhängigkeiten sicht- und spürbar gemacht werden. Wie sich so das anbahnende Unglück unaufhaltsam ankündigt.

Das blaue Zimmer

Die Vorteile einer Affäre eines verheirateten Mannes mit einer Frau, deren Mann ein schwer kranker Apotheker ist, liegen auf der Hand: Gift ist leicht zu beschaffen.

Da der Autor des Romans, der dem Drehbuch dieses Filmes von Mathieu Amalric zugrunde liegt, Georges Simenon heißt, dürfte die Affäre in der Kleinstadt St. Justin in der Nähe von Paris bald in einen Kriminalfall münden. Und da die Franzosen eine lange kulturhandwerkliche Tradition der Bearbeitung des Themas Liebe und Affären haben, so wird sich Mathieu Amalric gedacht haben, werde auch er seine kleine Fingerübung zu dem Thema beisteuern, wobei er seine Hauptfigur des fremdgängerischen Ehemannes Julien nicht wie einen über all diesen Dingen stehenden Franzosen spielt, der das als Kunst betreibt, sondern eher wie einen verlorenen Hund, wie ein Terrier, so wie er ihn einmal von seinem Betonhaus, das er für seine Familie gebaut hat, weglaufen lässt. Das dürfte sich allerdings nicht mit den Figurvorstellungen von Georges Simenon decken.

Amalric ist ein erfolgreicher Unternehmer in der Provinz, hat Frau, Léa Ducker als Delphine, und Töchterchen Susanne. Er hat einer heiße, 11 Monate dauernde Affäre mit der Apothekerin Esther, Steéphanie Cléau, die ihn noch dazu regelmäßig in den Mund beißt. Seine Lügen zu Hause warum es wieder so spät wurde und warum er einen aufgequollenen Mund habe, die sind plump.

Offenbar keimt jedoch in seiner Frau nicht der leiseste Verdacht. Das ist auch nicht das Interesse der Autoren des Filmes. Dieses geht eher um die Verwicklungen zwischen Liebe und Verbrechen, wozu so ein Seitensprung mit einer Apothekerin führen kann, denn bald schon gibt’s die erste Leiche und später noch eine zweite. Diese Vorgänge interessieren Amalric aber nicht besonders.

Ihn interessiert die Affäre mit ihren juristischen Folgen als skizzenhafte Spielerei ineinanderzuschneiden. Noch steht er splitternackt bei seiner Geliebten am Fenster und sieht deren Ehemann kommen und gleichzeitig wird er bereits über den Tod von diesem Ehemann amtlich befragt.

Den Machern dieses Filmes scheint es weniger darum zu gehen, das Publikum mit einer großen Liebes- und Seitensprunggeschichte als Melodram oder RomCom oder gar Liebestragödie zu fesseln, sondern mehr um die Spielerei mit dem Gedanken, was für krasse Folgen so eine Affäre auf das bürgerliche Familien- und Berufsleben haben kann, und die Faszination durch diesen Tatbestand. Wie in so eine fleischliche Sache wie Liebesakte plötzlich Staatsanwalt und Polizei und der ganze Apparat eingreifen und dazu noch alle Details wissen wollen, bei gleichzeitig konsequentem Verzicht auf Pikanterie.

Was lernt der Zuschauer dabei? Dass bei Lieferungen von Pflaumenconfitüre aus Apotheken Vorsicht geboten ist. Ein bisschen ist es vermutlich humoristisch gemeint: jedenfalls bleibt die Kamera kurz vor Schluss deutlich lange an zwei gezeichneten Fliegen auf einer gemusterten Tapete an der dem Gericht gegegnüberliegenden Innenwand des Saales hängen. Die zwei Fliegen überlegen sich vielleicht gerade, was die Vor- und Nachteile von Liebesaffären mit Apothekerinnen sein könnten.

Schnell skizzierte Versuchsanordnung eines Liebes-Justiz-Mixes nach den Vorgaben des Romans von Georges Simenon, vielleicht, um schnell und unkompliziert Produktionsgelder von Sendern und Filmförderern abzurufen.

Blackhat

Michael Mann ist zweifellos ein Meisterregisseur. Allein wie er das Intro in diesen Film inszeniert, eine Internetattacke auf ein Kernkraftwerk, wie er die Bits und Bites von den anonymen Hackern rund um die Welt bis in den Pumpenraum des Kernraftwerks jagt und dann die Geschichte hochgehen lässt, rasant-brisante Bebilderung eines an sich doch recht abstrakten Vorganges.

Oder wie er auch in kleinen Szenen eine Erwartungshaltung aufbaut. Wie die asiatisch-amerikanische Gruppe aus Geheimdienstleuten und Internetspezialisten auf den Protagonisten wartet. Das ist Chris Hemsworth, ein Hollywoodmuskelstar wie es sich gehört, der extra aus dem Knast geholt wird. Er ist ein Hacker-Ass. Man sieht ihm das nicht an. Aber deswegen sitzt er im Knast. Und genau deswegen wird er jetzt gebraucht in diesem schwierigen Fall. Denn mit seinem früheren Kumpel aus Asien, der jetzt mit den Geheimdienstlern auf ihn wartet, hat er vor Jahren aus Spaß just das Hackerprogramm entwickelt, das als Baustein für die aktuelle Attacke verwendet worden ist. Die Abholer stehen mit sichtbar gemischten Gefühlen da.

Allein wie Mann die kleine Gruppe von Hackerspezialisten in einem Helikopterflug von einem Hochhausdach in Hongkong nach Macao fliegen lässt, das ist Leinwandbeherrschung, Bildfolgenbeherrschung à l’Américaine in Reinkultur. Mann weiß ganz genau, wann er ein Handy groß ins Bild rücken muss, weil es wichtig ist, wann das gespannte Hemd über des Helden Brust ins Zentrum rücken, wann zwei Szenen mit Cyberspielereien überbrücken, wann die Handkamera einsetzen, wann er sie fliegen oder den Darstellern nachrennen lassen soll.

Beherrschung des Metiers. Meisterschaft. Das Regie-Metier ist dazu da, um Geschichten zu erzählen. Was will uns nun das Drehbuch von Morgan Davis Foehl mitteilen? Da muss man erst mal leer schlucken. Was denn? Er will dass der Held mit Fußfessel aus dem Knast geholt wird, um um die halbe Welt nach Asien zu jetten, Privatflugzeug versteht sich, um sich illegal die schwarze Witwen-Software der NSA runterzuladen, weil er nur so die Spur des Hacker-Attentäters weiterverfolgen kann, er will dem Helden eine Freundin gönnen, damit auch die Liebe und damit noch eine asiatische Leinwandschönheit ins Spiel kommen kann und diese an einem bestimmten Punkt der Handlung wieder in Frage stellt, weil der Held abhauen will, weil die Amis ihn das Programm nicht weiter verfolgen lassen wollen, so dass er sozusagen der übliche Auf-eigene-Faust-Held wird, der den Bösen jagt, der mit einer unglaublichen Klischeefigur besetzt ist, auch sein Wachhund, und jetzt versteigt sich die Story, die doch mit einer aktuellen Bedrohung auf AKWs angefangen hat, in die Region großkotziger Kleinkriminalität, die um sieben Ecken denkt, die ein AKW in die Luft gehen lässt, nur, um etwas zu testen, was dann wiederum eingesetzt werden soll, um über weitere Attacken bestimmte Börsenspekulationen, oh man verschluckt sich schier, wenn man das alles weitererzählen möchte bis zum indonesischen Folklore-Count-Down, entschuldigen Sie den Abbruch bitte, aber es soll ja nicht zu viel gespoilert werden, falls doch jemand diesen unbedeutenden Thriller, der durch die zweitklassige deutsche Nachsynchronisation noch belangloser gemacht worden ist, anschauen will.

Wer aber Regiehandwerk studieren will, der ist hier richtig. Da könnte der Regisseur des deutschen Cyberkrimis Who Am I noch viel, viel lernen.
Hier wird mit meisterlichem Regiehandwerk über eine große Drehbuchleere hinweggetäuscht. Veräppelung eines Regiemeisters.