Archiv der Kategorie: Film

Dream Scenario

Reizpunkt in der zwischenmenschlichen Bewusstseinswelt

Kristoffer Borgli kitzelt nach Sick of Myself wieder heftig einen Reizpunkt intermenschlicher Wahrnehmungswelten mit einem eindrücklichen, bärtigen Nicolas Cage als Professor Paul Matthews.

Matthews doziert selber darüber, wie es ist, innerhalb einer Gruppe auffällig zu sein oder unauffällig und was jeweils die Vorteile davon sein können. Er hat wohl ein Standardwerk zum Thema verfasst; auch das Thema der Ant-Intelligenz, also der Antelligenz spielt bei ihm eine Rolle.

Grade doziert Matthews an der Osloer-Akademie über die Sinnhaftigkeit der Streifen beim Zebra. Er ist glücklich verheiratet mit Janet (Julianne Nicholson). Die beiden haben zwei fast schon erwachsene Töchter. Diese sind der Nexus zur Social Media Welt, die im Kontext des Filmes eine wichtige Rolle spielen wird.

In den geregelten bürgerlichen Alltag dieser Akademikerfamilie hinein passiert Ungewöhnliches. Es fängt mit dem einen Töchterchen an, das einen Traum hatte, wie ihr Vater unbeweglich im Garten steht, unbeteiligt und dann sogar in die Höhe fliegt. Das mag noch angehen.

Bei einem Theaterbesuch mit seiner Frau spricht ihn eine Ex an; sie hatte auch so einen Traum von ihm. Diese Art von Rückmeldungen häufen sich; sie gehen an ihn direkt, an seine Frau seine Töchter.

Es wird von einer Traumepidemie die Rede sein. Durch diese Träume rückt der Dozent, der doch seine Ruhe haben möchte, immer mehr ins öffentliche Bewusstsein. Unerwünschte Starwerdung dank Traumepidemie.

Bei der nächsten Vorlesung wird er von den Studenten mit Applaus begrüßt. Aber wie das so ist mit dem Ruhm. Er kann kippen. Jemand wird hochgejubelt und im nächsten Moment wird er fallengelassen. Dann setzen die Social Media den Shitstorm ein. Überall wird Paul plötzlich gemobbt.

Es ist dieses Spiel mit den Unwägbarkeiten der öffentlichen Meinung, der Mehrheitsmeinung, der Schwarmintelligenz, ihre Unberechenbarkeit, deren Launen, die Kristoffer Borgli interessieren. Es sind die Saiten der öffentlichen Erregbarkeit wie des öffentlichen Wohlwollens, auf denen dieser Film, manchmal etwas zu versonnen, spielt und wie solche Prozesse sich dynamisch verselbständigen, wenig manipulierbar von außen. Dabei darf ein Begriff wie „Cancel Culture“ nicht fehlen. Es ist ein Szenario, ein Sandkasten, ein Spielplatz für den verspielten Filmemacher.

Die Unschuld

Sind die Unschuldigen die Monster?

Hier findet Kore-eda Hirokazu (Shoplifters, Broker – Familie gesucht, Unsere kleine Schwester, Like Father – Like Son) zu filmerzählerischer Höchstform mit einem Triptichon, das ähnliche, gesellschaftlich-familiär-schulische Prozesse dreimal von verschiedenen Standpunkten aus erzählt.

Ausgangslage ist ein Hochhausbrand, der die Leute als Zuschauer zusammen- und zu Gedankenaustausch bringt. So auch die Witwe Saori (Sakura Ando), nach dem Tod ihres Mannes eine Helikopter-Mutter vom Halbwaisen Minato (Soya Kurokawa).

Dass Lehrer Hori (Eita Nagayama) Minato ein Monster mit Schweinehirn genannt und sogar tätlich angegangen habe, sorgt für nicht wenig Aufregung bei dessen Mutter, die der Schulleitung penetrant auf die Bude steigt, wobei die sprichwörtliche japanische Höflichkeit die Frechheit nicht leichter macht.

Allerdings ist Schulleiterin Fushimi (Yuko Tanaka) schlecht disponiert, weil eben ihr Enkel zu Tode gefahren worden ist, angeblich von ihrem Mann. Nebenbei kommt das Verhältnis zu Schulfreund Yori (Hinata Hiiragi) ins Spiel. Dieses wird erst im dritten Durchlauf der Geschichte stärker unter die Lupe genommen, samt dem gemeinsamen Lieblingsort.

Symbolstark spielt ein aufgelassener Eisenbahntunnel eine Rolle, der oft bei Regen, Wind, Sturm gezeigt wird, wohin sich Minato zurückzieht und schreit, er sei ein Monster. Mutter findet ihn dort.

Durch die verschiedenen Erzählperspektiven erhält der Zuschauer jedesmal neuen Einsichten zum anfangs doch recht einseitig geschilderten Sachverhalt. Es werden die Schicksale von Hori und der Schulleiterin stärker beleuchtet und stellen sich so auch wieder anders dar.

Es wird Momente geben, die an den Film Das Lehrerzimmer erinnern, und später solche, die an Close denken lassen; auch der Titel des Theaterstückes „Krankheit der Jugend“ drängt sich momentweise in den Assoziationsbereich, obwohl es dort um eine ältere Jugend geht.

Beeindruckend sind die Wohnverhältnisse von Minato und seiner Mutter: eine enge, vollgestopfte Wohnung, wie manche Schulräume mit Unterrrichtsutensilien.

Wunderbar ist die Erzählweise von Kore-eda Hirokazu, er stellt die Szenen nie aus, er mischt sich fast wie mit geheimer Kamera mitten hinein, was sich für den Zuschauer soghaft auswirkt und ihm große Aufmerksamkeit, die sich lohnt, abfordert; ist aber auch nicht so direkt subjektiv wie die Dardenne-Brüder, nicht so offensichtlich auf dokumentarisch gemacht.

Die Missetäter

Charmante Räubergeschichte

Was ist das für ein Leben, noch 25 Jahre jeden Tag zur Bank in Buenos Aires gehen, sagt sich Morán (Daniel Eliás). Und jeden Tag an der Bankkasse stehen, Geld auszahlen, dann wieder mit einer Blechkiste in den Tresoraum gehen, wo die Scheine bündelweise gestapelt sind.

Nein, das ist keine erfreuliche Lebensaussicht. Morán hat einen Plan. Er rechnet aus, wie viel Geld er im Moment braucht, so viel wie er gerade verdient, und wie viel das macht für die restlichen 25 Jahre, die er noch arbeiten muss. Er kommt auf einen Betrag von etwas über 300′ 000 Dollar (in argentinischen Pesos wäre wohl schlecht rechnen bei der grassierenden Inflation, aber damit gibt sich der Film nicht ab). Weiter rechnet Morán, wie lange er für dem Tresorraub im Gefängnis verbringen muss, die vorzeitige Bewährung bei gutem Verhalten kalkuliert er mit ein.

Der Diebstahl gelingt erstaunlich glatt. Weil sein Kollege Román (Esteban Bigliardi) sich von der Bank entfernt, um eine Halskrause loszuwerden, muss sein Tresorbegleiter an die Kasse und er kann sich das Geld auf die Seite schaffen. Später trifft er Román. Für den hat er denselben Betrag entnommen, wie für sich, weiht ihn ungewollt in sein Geheimnis ein und vertraut ihm die Beute zum Verstecken an.

Román hat keine Wahl, er ist schon mitgegangen und also mitgehangen damit. Er wiederum ist verheiratet und hat zwei entzückende Kinder. Da kommt viel Heimlichtuerei auf ihn zu.

Rodrigo Moreno erzählt seine Geschichte wunderschön gradlinig, einen Schritt nach dem nächsten. So entsteht schon mal die Grundspannung, wer wohl den ersten Fehler macht. Aber auch die weiteren Schritte verlaufen planmäßig. Morán sitzt im Knast. Román muss die Befragungen durch die Wirstschaftsprüferin der Versicherung überstehen. Auch das gelingt erstaunlich gut.

In der gemächlichen Art der lateinamerikanische Telenovelas schildert der Film die Umgebungsarbeiten des Diebes und dessen unfreiwilligen Komplizen, schildert Dinge, mit denen der Täter nicht gerechnet hat, die eventuell absehbar gewesen wären, aber auch solche, die weniger absehbar waren.

Denn es muss ja auch das Feld für die Zukunft nach dem Knast, der kaum mehr als drei Jahre dauern dürfte, abgesteckt sein. Das führt in eine wunderschöne hügelige Naturlandschaft, das bringt einen Naturfilmer ins Spiel und zwei entzückende Schwestern Norma (Margarita Molfino) und Morna (Cecilia Rainero).

So ist auch das Kino eingeführt und das Mann-Frau-Thema dazu. In einem Kino gibt es einen Ausschnitt aus „L‘ Argent“ von Robert Bresson zu sehen. Der Filmemacher Rodrigo Moreno gibt damit Niveau vor und macht klar, dass er nicht irgend eine Story erzählen will; sondern dass ihn der Umgang des Menschen mit dem Geld und dem Glück und überhaupt mit dem Leben interessiert; das was der Mensch für planbar hält und das, was er nicht planen kann. Auch wenn hier nicht unbedingt die Tolstoische Abgründigkeit beabsichtigt ist, wie sie der Vorlage von Bresson eignet.

Näher liegt dem Filmemacher vielleicht der Musiker Pappo, dessen Schallplatte Pappo’s Blues als Requisit mitspielt; aber auch höfische Musik von Johann Sebastian Bach findet sich auf der Tonspur.

Love is the Devil: Study for a Portrait fo Francis Bacon

Ein Biopic kongenialer Empathie, das sich ganz in die Bilderwelt des Malers Francis Bacon hineinversetzt, die mutmaßlich in dessen Kopf wirbelt und stürmt und wohl mitentscheidend für die künstlerische Monomanie ist, die so jemanden antreiben und dessen Werk zu so breiter Geltung verhelfen.

Der Film von John Maybury 1998 gedreht erlebt jetzt zu Recht eine Wiederaufführung im Kino, Bacon wird großartig gespielt von Derek Jacobi. Aktuell kann der Film verglichen werden mit Munch, der im Künstler generell nach den Abgründen und auch deren Austauschbarkeit gesucht hat oder mit Die Herrlichkeit des Lebens, einer höchst bieder deutsch subventionierten Befassung mit dem letzten Jahr im Leben Kafkas.

Maybury Biopic beginnt mit dem Eintritt von George Dyer, ein faszinierender Daniel Craig, in das Leben des Malers; der bereits berühmt und erfolgreich ist.

George fällt Bacon im Atelier faktisch vor die Füße, wie er dort einbrechen will. Bacon kümmert das Vorhaben des Eindringlings wenig. Er sieht nur den gut gebauten Mann. Er bietet ihm an, sich mit ihm ins Bett zu legen und er könne alles haben. Der Anfang einer amour Fou.

Wobei Amour fou vielleicht gar nicht der treffende Ausdruck ist; denn Bacon verliert nie die Kontrolle. George wird Bacons Muse. Es wird eine zerstörerische Beziehung, dann George will auch seine Anerkennung. Aber Drogen, Stricher, Geld und Parties können das nicht leisten.

Während Bacon nicht eine Sekunde von seiner Malerei ablässt, besessen von dem Wunsch nach DEM Bild, das diese Faszination von Lust und gleichzeitig Grauen verbindlich ausdrückt. Er beutet Dyers Männlichkeit schamlos für seine Bilder aus.

Aber je mehr George als Drogensüchtiger und Suizidgefährdeter Aufmerksamkeit verlangt, desto mehr geht er dem egomanischen Maler auf den Senkel.

Der exzessiv künstlerische wie queere Film ist gewidmet dem Andenken von Daniel Farson, der als spezieller Berater der Produktion erwähnt wird und als Autor von „The gilded Gutter life of Francis Bacon“.

Die Musik stammt von Ryuichi Sakamoto. Dessen letztes Konzert wird als Kinofilm am 28. März bei uns starten.

Die Amitié

Netzwerker –
Immigranten-Fantasy-Satire

Ute Holl und Peter Ott, die Macher dieses Filmes, haben die Nase voll von der politisch-korrekten, moralintriefenden Behandlung des Immigranten-Themas im deutschen Subventionskino. Sie suchen einen anderen Zugang.

Selbstverständlich, dass ihre Protagonisten ein makelloses Deutsch sprechen, Agnieska (Sylwia Gola) aus Polen und Diedonné (Yann Mbiene) aus Afrika über Italien. Beide sind hier gesucht als billige, halb- bis illegale Arbeitskräfte und werden entsprechend ausgenutzt. Beiden gelangt die Reise nach Deutschland über geheimnisvolle Netzwerke, die im Zuschauerhirn, was dafür angelegt ist, schnell zur Entwicklung von Verschwörungstheorien führen könnten.

Polen, das geht noch. Die polnische Pflegekraft soll in Deutschland für ihre Kirche missionieren, soll die Pflegefälle zum Beten bringen. Sie soll sich womöglich Tag und Nacht um Siegfried kümmern, der inzwischen faktisch allein mit Hund in einem großzügigen Einfamilienhaus in der Nähe von Hamburg oder Lübeck wohnt.

Dieser Demenzkranke, der mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart lebt, wird gespielt vom goldigen Walter Hess, den die Münchner Kammerspiele neulich zwei Abende lang ausgiebig gefeiert haben. Sein Filmsohn Carsten (Christoph Bach) ist so ein typischer Karriermensch, veranstaltet Seminare in Stuttgart und kann sich kaum um seinen Vater kümmern.

Diedonné kommt als Erntehelfer in einer Hambuger Bio-Tomaten-Plantage unter. Sein Verbindungsmann Ousmane (Aziz Capkurt) rät ihm, die Verhältnisse, die schlechter sind als versprochen, zu akzeptieren. Das Netzwerk im Hintergrund ist die titelgebende Amitié, geheimnisvoll wie irgendwas, manipuliert ihre Mitglieder über virtuelle Brillen, die in virtuelle Chaoswelten führen, fordert die Mitglieder zur Sammlung von Informationen auf. Die Gemeinschaft organisiert Geldtransfers und Jobvermittlungen.

Das Ganze stellt sich als perfider Angriff auf die deutsche Gesellschaft dar, im satirischen Sinne und die geballte deutsche Staatsmacht wird symbolisiert und vertreten von einem einzigen Polizisten (Hauke Heumann), der den Braten riecht, aber damit eindeutig überfordert wirkt.

Christspiracy

Ein missionarischer Film

Mittels QR-Code am Ende des Filmes kann man sich einreihen in die Bewegung, die dieser Film von Kip Andersen und Kameron Waters in Gang setzen will. Es handelt sich um Cristspiracy, was eine compassionate Revolution, eine Revolution des Mitgefühls, auslösen und damit die Welt zu einer besseren machen möchte.

Der Titel Christspiracy für den Film mag insofern zutreffend sein, vom Wortlaut her macht er eher Magenbeschwerden. Vielleicht kam er zustande, weil der eine der beiden Filmemacher, Kip Andersen, schon zwei „-spiracy“-Filme gemacht hat: Cowspiracy und Treespiracy, worin es wohl um die Aufdeckung von Missständen in Vieh- und Baumwirtschaft ging.

So würde man erwarten, Christspiracy deckt Misstände im Christentum auf – da sind aktuell die Assoziationen eher im Missbrauchsbereich. So allgemein bleibt der Film aber nicht. Und auch nicht auf das Christentum beschränkt. Er sondiert genauso bei den Hinduisten, dem Islam und beim Judentum.

Der Film konzentriert sich auf die Kernfrage von Fleischverzehr und der damit verbundenen Tötung von Tieren und fokussiert das Thema auf die Frage, wie würde Christus Tiere töten. Dass er Tiere verzehrt hat, davon wird ausgegangen, seien doch die Tempel zu seiner Zeit riesige Schlachthöfe für Opfertiere gewesen, die dort auch zubereitet und verzehrt wurden.

Die beiden Filmemacher stellen ihre Fragen allerlei Fachleuten, Theologen, Gurus, Wissenschaftlern, Pastoren, Autoren, Tierrettern, Anwälten, einem Whistleblower, Schmanen, Predigern – immer schön als Talking Heads in Szene gesetzt.

Der Film ist ein Konglomeratsfilm, ein Bildersturm, ein Magazinfilm, in dem jede Menge Footage aus Geschichte, Kunstgeschichte, Filmgeschichte, Talking Heads und Grafiken, alles gerne auch bearbeitet zur Verschönerung oder auch mal zur Unkenntlichmachung von Personen, mit Hochdruck und Tempo aneinandergeschnitten werden, wobei manches Footage gerne auch mehrfach genutzt wird.

Es ist eine Rund-um-die Welt-Doku mit Undercover-Recherchematerial über nicht artegerechte Tierhaltung selbst im streng religiösen Bereich, was so unter Halal und Koscher zu verstehen sei, da kann es einem den Appetit verschlagen.

Es gibt einen Ausflug an den Hindukusch nach Kathmandu zum größten Tierschlachtfest der Welt, dem Gadhimai-Festival.

Oder die beiden Filmemacher hängen sich an die Fersen von illegalen Kuhschmugglern in Indien, gucken denen mit Drohnen in die Ladung, sehen sich in der Leder-City in Kolkata um.

Locker wird ein Zusammenhang zwischen Tierhaltung, Tierschlachtung, Kapitalismus und Krieg in den Raum gestellt.

Jesus und die Frage, ob es eine christliche Art gebe, Tiere zu töten und zu essen, sind der Leitfaden für diese Abenteuerreise in die religiösen Sphären der Ernährungsethik. Es ist ein Agit-Prop-Film für Vegetarismus, der behautet gänzlich ungeschnitten und unzensiert daher zu kommen. Und es gibt einen Bekehrten im Film, den Jungjäger vom Christian Youth Haunting Club, der sein erstes Reh erlegt und später im Film so ein Tier nur noch durch die Kamera ins Visier nimmt. Und schon ist die Welt ein klitzekleines Stück besser geworden.

The Quiet Girl (DVD)

Zuhause hat sie nur gestört und war nicht zu gebrauchen, deshalb wird sie für eine gewisse Zeit bei entfernten Verwandten untergebracht – und lernt eine ganz neue Zuneigung kennen.

Siehe die Review von stefe.

Kommentar zu den Reviews vom 14. März 2024

Die heute besprochenen, neu startenden Kinofilme haben viel mit Jugend zu tun. Mit Jugend aus der DDR-Zeit, die sich einen Sound gegen das Herrschaftssystem kreiert hat. Mit der Jugend und deren unerfüllte Liebe als Dreh- und Angelpunkt eines nordischen Biopics. Mit dem Wunsch eines Paares nach Reproduktion und also Erhalt und Erneuerung von Jugend. Mit der Rückkehr als Jugendliche an einen Ort der Kindheit auf einer Mittelmeerinsel. Mit Idolen der Jugendmusik aus den 60ern und den 70ern. Mit der Liebe eines berühmten Dichters, der zwar noch jung, aber schon krank ist. Mit der Spurensuche nach der eigenen Herkunft, zum Beispiel nach einem unbekannten Vater in Afrika. Mit der Kaputtheit einer kläglich erblühenden, verwöhnten Jugend irgendwo in den Vereinigten Staaten. Wie weit Pandas und Jugend zusammengehen, steht auf einem anderen Blatt. Und Jugend, Kindheit und Alpträume nochmal auf einem anderen. Auf DVD werden neue Kleinodien angeboten. Gerät Kerstin mit dem Kajak wegen Geldgeschichten in eine Familienaufarbeitung hinein? Auf einem Anwesen im Elsass führt der Krieg drei Menschen zusammen. In Wien menschelt es in einer engen Dreierfreundschaft. Aus Holland kommt eine exklusive Gruppierung von Meistergemälden. Und auf VoD wird ein fettes Paket feministischer Möglichkeiten aufgeschnürt.

Kino
SCHLEIMKEIM – OTZE UND DIE DDR VON UNTEN
Wie die wache und sensible DDR-Jugend den Punk geradezu erfinden musste.

ALLE HASSEN JOHAN
Mit der Sprengermeisterfamilie Grande muss gerechnet werden.

DER WUNSCH
Der Kinderwunsch ist offenbar nicht erzwingbar.

RÜCKKEHR NACH KORSIKA
Wenn die Jugend an der Vergangenheit doch mehr die Gegenwart interessiert.

SQUARING THE CIRCLE
Hipgnosis als never ending Anekdotenlieferanten für Fans des Rocks der 60er/70er Jahre.

DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS
So ein Klatschspaltenleben dürfte sich Franz Kafka nicht mal erträumt haben.

INDEPENDENCE
Wie kann ich unabhängig sein, auch wenn ich immer wieder Diskriminierung erlebe?

MILLER’S GIRL
Porträt einer gelangweilten, verwöhnten jungen Reichen.

KUNG FU PANDA 4
Vor lauter Freude am Comic-Firlefanz und den Comic-Unartigkeiten scheinen die Macher Moral und Story vergessen zu haben.

IMAGINARY
Die lieben, lieben Geister der Kindheit

DVD
ALASKA
Paddelboot und Geldschulden

LUISE
Sie wird konfrontiert mit einer Frau und einem Soldaten auf der Flucht.

NEUE GESCHICHTEN VOM FRANZ
Diesmal hat er Befriedungsprobleme

VERMEER – REISE INS LICHT
Vorteil im Heimkino: man kann den Film stoppen und einzelne Details länger studieren.

VoD
FEMINISM WTF

Alle hassen Johan

oder:
ein nordisches Schicksal: ein Mann namens Johann

Der deutsche Titel dieses Filmes von Hallvar Witzo nach dem Drehbuch von Erlend Loe scheint zwar die wörtliche Übersetzung des norwegischen Originaltitels: „Alle hater Johan“ zu sein. Trotzdem erscheint er mir zu popelig, da er assoziiert, es handle sich um einen Kinderfilm, in dem es um einen diskriminierten Jungen geht. Das stimmt zwar auch.

Aber der Film ist doch einiges mehr. Er müsste eher in Anlehnung an Ein Mann namens Ove „Ein Mann namens Johan“ heißen, da er ein breitgefächertes, faszinierendes Porträt eines Nordländers abgibt, hier eines Typen wie einem Urvikinger, der entsprechend urig mit dem Handwerk des Sprengens umgeht – nicht das Dynamit ist gefährlich, Feiglinge seien es. Das lernt Johan, der 1943 auf der norwegischen Insel Titran zu Welt kommt, von kleinauf.

Johans Eltern sind erfolgreiche Guerillasprenger im Zweiten Weltkrieg. Sie sprengen jede Menge Brücken, nicht immer nur zum Nachteil der Nazis. Insofern sind sie schon Außenseiter und stehen in Konkurrenz zu anderen Undergroundgruppen, die zum Beispiel mit den Engländern zusammenarbeiten.

Sprengungen begleiten den Buben, Sprengungen begleiten den erwachsenen Mann, Sprengungen nehmen ihm die Eltern weg und beschädigen andere ihm Nahestehende.

Es gibt eine Phase, da arbeitet Johan, der Film arbeitet sich jahrzehnteweise voran von 1943 bis ins Heute, als professioneller Sprengmeister in der USA, Türme, Brücken. Er kehrt zurück. Denn nie lässt ihn seine Jugendliebe und ehemalige Buddelkastenfreundin Solvor los. Das wird eine Geschichte von Missverständissen und Unfällen.

Hallvar Witzo erzählt die Lebensgeschichte dieses Mannes, der je erwachsener er wird, desto mehr sich zum Urvikinger-Mannsbild mit einer Schnittmenge zu unserem Jesusbild verändert, mit einer narrischen Begeisterung dafür, was sich im Kino auf großer Leinwand mit bescheidenen Mitteln und den entsprechend malerischen Fjorden Aufregendes herstellen lässt. Hallvar Witzo nimmt die Erzählhaltung ein, als handle es sich bei seiner Geschichte um eine Art Western-Ballade, die gegen Ende hin droht, außer Rand und Band zu geraten.

Squaring the Circle

Normalerweise im Hintergrund

von Berühmtheiten bewegen sich Fotografen und Grafiker, die bei Musikern beispielsweise die Cover der Alben besorgen.

Und just einen solchen setzt Anton Corbijn nach dem Drehbuch von Trish D Chetty ins Zentrum seiner dichten, rockgeschichtlichen Dokumentation.

Es ist dies Aubrey „Po“ Powell, der mit Storm Thorgerson, auch er kommt vor, berühmte Plattencovers von Led Zeppelin, AC/DC, Genesis, Paul McCartney und Pink Floyd gestaltet hat.

Das ist vielleicht die Schwachseite des Filmes, dass so ein Hintergrundmensch unendlich viel quasselt. Dabei sind speziell für den Rockfreund jede Menge Anekdoten dabei und selbstverständlich gibt es jede Menge weiterer Talking Heads, alle in Schlaglichfotografie und in Schwarz/Weiß, Akteure aus der bewegten Rockgeschichte.

Powel und Storm bilden als Duo und Firma die Hipgnosis.

Der Film ist voller verrückter Geschichten zu einzelnen Covers, das mit dem fliegenden Schwein über den britischen Fabrikschloten, das mit der Kuh, das mit den Bällen in der Wüste, das mit dem schlafenden Schaf auf einer Psychiatercouch am Meeresrand von Hawaii oder jenes mit dem Handschlag mit einem brennenden Mann – oft auch mit psychodelischem Einschlag.

Die Ohren werden gut bedient mit Musikausschnitten der gecoverten Bands. Wer einen Draht zu diesem Teil der Musikkultur der 60er/70er hat, dem werden sicher viele Erinnerungen an Musikerlebnisse geweckt.