Archiv der Kategorie: Film

Elaha

Dieses Jungfernhäutchen

ist für den menschlichen, insonderheit für den weiblichen, Organismus ein Organ so überflüssig wie der Blinddarm, kann aber, wenn es innerhalb einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation nicht mehr intakt ist, verheerendere Folgen haben als ein geplatzter Blinddarm, das kann bis zum Ehrenmord führen im kurdischen Milieu, in dem Milena Aboyan ihren Film ansiedelt.

Die Protagonistin ist Elaha (Bayan Layla). Sie ist die einzige, die bei IMDb mit ihrer Rolle identifizierbar ist – sonst sind die Angaben dort überheblich uninformativ.

Elaha ist eine junge Frau, die noch bei ihren Eltern in einer Stadt in Deutschland in einer einfachen Siedlung und zusammen mit zwei jüngeren Geschwistern auf engem Raum zusammenlebt. Sie arbeitet in einer Kleiderreinigungsfirma und nimmt einen Kurs für junge, erwachsene Immigranten, die lernen sollen, sich zu bewerben. Geleitet wird der Kurs von einer Hochschwangeren, die anfangs des Filmes schon so einen dicken Bauch hat, dass sie kurz vor der Entbindung stehen müsste, die passiert aber nicht, eher im Gegenteil scheint der Bauch im Laufe der Szenen wieder etwas weniger schwanger zu werden. Solche Unachtsamkeiten beim Filmemachen sind ärgerlich. Das gab es gerade kürzlich bei dem unsäglichen Trauzeugen-Film schon mal.

Hier ist er noch ärgerlicher, weil Milena Aboyan richtigerweise viel Energie in die Entwicklung des Drehbuchs und der Konfliktlinie gesteckt hat und auch Dialoge, Sätze wie, dass noch Milch im Kühlschrank sei, braucht sie nicht.

Durch diese Fokussierung auf die Storyline und einer sinnigen Beschränkung auf ein Quadratformat der Leinwand und Knappheit der Szenen auf das Wesentliche erzeugt die Filmemacherin einen Kinosog, wie er bei deutschen Themenfilm selten zu finden ist.

Allerdings muss diese Review unter einen Vorbehalt gestellt werden: aus technischen Gründen konnte stefe nur etwa 90 Minuten von 110 des Filmes sehen.

Bei allen Schablonen, die das Thema gezwungenermaßen auffährt, war zu dem Zeitpunkt nicht klar, wie der Film ausgehen würde. Elaha hat nämlich schon Sex gehabt, mit einem deutschen Ex-Knasti. Jetzt soll sie aber mit einem Kurden verheiratet werden. Und die Familie des Bräutigams, es scheint vor allem die Mutter, verlangt eine ärztliche Untersuchung der Braut auf ihre Jungfräulichkeit hin.

Elahas Probleme werden die sein, das nicht mehr intakte Teil wiederherstellen zu lassen, oder sich eine Fakemethode anzueignen (gibt es in der Apotheke zu kaufen und ist viel günstiger als die Rekonstruktion). Oder falls das nicht gelingt, muss sie akzeptieren, dass sie eine Ehrlose sei und der Familie gerade noch so viel wert wie eine Tote. Da besteht intensiver Klärungsbedarf bei diesem Cultur Clash in unserer freien Gesellschaft.

Grad kürzlich hat in Hof ein Kurzfilm den archaischen Brauch der Beschneidung kritisch bleuchtet: Verrücktes Blut.

Kommentar zu den Reviews vom 16. November 2023

Das Kino heute hat Ausschläge von sehr geheimnisvoll überall auf der Welt, von militant unterdrückter Kreativität in Nordirland bis ohne jede Diskretion brutal in Italien, im Vatikan, von ganz, ganz leise in Irland bis blutig-rachehaft an der amerikanischen Ostküste, von brutal-knallig-kämpferisch bis hin zu misstrauisch-unheimlich in Amerika oder eher naiv-optimistisch in Österreich. Das Fernsehen blickte in die Innereien eines uneitlen Stars und eines scheusslichen politischen Putsches im München vor 100 Jahren.

Kino
KRÄHEN – NATURE IS WATCHING US
Die Krähe – das unbekannte Wesen.

PETER DOHERTY – STRANGER IN MY OWN SKIN
Das Gefängnis der Sucht und die Ausbruchsversuche

DIE BOLOGNA-ENTÜHRUNG – GERAUBT IM NAMEN DES PAPSTES
Gift der Religion und Brainwashing

THE QUIET GIRL – DAS STILLE MÄDCHEN
Wenn die stillen Wasser nur am richtigen Ort unterkommen.

THANKSGIVING
Wer den Truthahn nicht ehrt …

DIE TRIBUTE VON PANEM – THE BALLAD OF SONGBIRDS AND SNAKES
Lektion in gelebter Diktatur, Hierarchie, Überlebenskampf

CAT PERSON
Urängste der Geschlechter voreinander

VIENNA CALLING
Wien als Stadt optimistischer junge Künster

TV
LEBENSLINIEN – EVA MATTES – WIE ES MIR GEFÄLLT
Mit großer Selbstverständlichkeit ins Startum hineingewachsen

HITLERPUTSCH 1923 – DAS TAGEBUCH DER PAULA SCHLIER
Ein bemerkenswertes, zeitgenössische Schlaglicht auf den Putsch

Thanksgiving

Wer den Truthahn nicht ehrt,

ist seinen Kopf nicht wert und verdient es, mit schauderlichem Horror gegen den Konsumterror bestraft zu werden.

Thanksgiving ist in den USA ein hohes Familienfest, ein ernstes Erntedankfest und wer das entheiligt, der muss mit heftigen filmischen Reaktionen von Eli Roth, der mit Jeff Rendell auch das Drehbuch geschrieben hat, rechnen; wobei das Sakrileg Teil des Drehbuches ist.

Plymouth in Massachusetts ist eine Kleinstadt von etwa 60′ 000 Einwohnern. Hier im Film scheint die Stadt so klein, dass sie praktisch mit einem Polizisten auskommen muss, jedenfalls ist Sheriff Newlon (Patrick Dempsey) so prominent inszeniert.

Hier im Film fallen Thanksgiving und Black Friday zusammen und der Supermarkt „Right Mart“ in Plymouth öffnet. Es herrscht Riesengedränge vor dem Markt. Einige privilegierte Menschen, die auch mit dem Polizisten befreundet sind, erhalten das Privileg, schon zehn Minuten vorher den Laden zu stürmen und sich die besten Schnäppchen zu angeln. Sie tun das der drängenden Meute vor dem Eingang durch die Glasfenster mit unverhohlener Schadenfreude kund. Das peitscht die Menge auf, sie durchbricht die Absperrung, dringt in den Laden ein, Menschen werden zu Tode getrampelt.

Ein Jahr später gibt es keine Verurteilungen, weil Beweismaterial aus den Überwachungskameras verschwunden ist. Das ruft nach Selbstjustiz eines unbekannten Täters. Er trägt einen schwarzen Krempenhut und eine der in Plymouth häufigen Masken, die im Capotains Dinner ausgegeben werden. Es braucht einige Zeit, bis klar ist, wer der Opferkreis ist.

Andererseits will sich die Ortschaft auf die Parade vorbereiten und will sie trotz der bereits blutigen Mordserie nicht absagen. Da kann sich der Horroraficionado schon denken, dass die Parade noch zu ein paar ganz besondern Hinrichtungen gut sein wird.

Der Täter hat sich ja was gedacht, der sieht den Zusammenhang zu Thanksgiving und nimmt diesen als Vorbild. Scheußlich, scheußlich.

Zur Zeit dürfte es allerdings für Horrorfilme, auch wenn sie gut gemacht sind, nicht ganz leicht sein angesichts des umfassenden PR-Erfolges der Hamas mit ihren Gräueltaten in Israel oder angesichts der grauenhaften Zustände in den Kliniken in Gaza; so leicht sind die aktuell nicht zu toppen; vor allem, weil diese keine Fiktion sind, selbst wenn im Horrorfilm speziell die junge Generation, die gut vertreten ist, sympathisch und immer perfekt geschminkt rüberkommt.

Es gibt einen historischen Hinweis auf 1621; laut Wikipedia, siehe oben, soll es da in Plymouth Rock ein dreitägiges Erntedankfest gegeben haben mit etwa 90 Wampanoag und 50 Kolonisten.

Peter Doherty – Stranger in My Own Skin

Kampf mit der Sucht

Die Sucht selbst scheint ihren Nährboden bei Peter Doherty im Spannungsfeld zwischen Kreativität, die in ihm schlummert, und der Kreativitätsfeindlichkeit seines Kindheitsumfelds gefunden zu haben.

Aufgewachsen in Militärkasernen, weil der Vater in Nordirland Soldat war, Militär und Stacheldraht, der Vater zudem streng und hart und will dem Kind seine Kreativität ausreden, sein künstlerisches Talent. Dieses besteht nicht nur im Musik machen, sondern auch in der bildenden Kunst im Zeichnen, Malen, Erstellen von Collagen; Kunstwerke, die bei einer Auktion imnmerhin das Geld für einen zehnmonatigen Entzug in Thailand zusammenbrachten.

Katia Vidas, die Dokumentarfilmerin, ist inzwischen verheiratet mit Peter Doherty. Sie hat ihn jahrelang begleitet mit der Kamera. So kommen intime, ungeschönte Bilder zustande, ein Blick auf die Hochs und Tiefs, die dunklen Seiten eines Menschen, der immer wieder zu Drogen greift und auch mal im Knast sitzt.

Mit Carl hat Peter Doherty als Gruppe Libertinage einen sehr frühen, sensationellen und allerdings nur kurzfristigen Erfolg.

Der Film geht grosso modo chronologisch vor und wechselt zwischen den ganz privaten Eindrücken, der Drogenthematik, den Bands, Ausschnitten aus Aufritten und dann wieder Einblicken in die „dark side“ oder auch Doku über eine OP, bei der ihm ein Antidrogenimplantant in die Bauchdecke einoperiert wird.

Über das Verhältnis von Katia de Vidas gibt es außer dem vertrauten Ton bei ihren Fragen und seinen Antworten eine Szene, in der sich ihre Finger berühren.

Krähen – Nature is Watching Us

Krähen und Menschen,

die Menschen sind im Titelzusatz gemeint als diejenigen, die von den Krähen beobachtet werden. Im Laufe des Filmes werden sie auch „schwarze Chronisten“ genannt.

Was wissen wir schon, was die Krähen über uns wissen. Sie sind scheu. Sie sind kaum domestiziertbar. Sie folgen den Menschen, seit diese auf Jagd gehen. Sie sind selber keine Jäger, sind also auf Wölfe oder Menschen angewiesen, die Wild erlegen. Oder sie finden leicht Nischen in den Städten, wo die Menschen Abfallkörbe füllen, Essbares auf den Boden fallen lassen, Gärten anlegen.

Die Krähen lieben die Nähe zu Autobahnen, da sind sie sicherer vor den Eulen wegen dem Licht. Sie sind schlau, die Krähen. In Konkurrenz und Kooperation finden sie das ideale Umfeld zum Gedeihen ihrer Intelligenz. Sie sind lernfähig. In Neukaledonien gibt es welche, die mit Werkzeug arbeiten, das sie selber herstellen, Äste mit Haken, mit denen sie aus Löchern Raupen oder Insekten herausstochern.

Der Film von Martin Schilt ist weniger naturwissenschaftliche Info; er lässt sich mehr leiten vom Gedanken des Zusammenspiels von Krähen und Menschen und wie der Mensch derjenige ist, der beobachtet wird. Der Film arbeitet mit Animationen, gibt einen historischen Rückblick auf eine Fabel von Äsop und einem daraus abgeleiteten Test über die Wasserverdrängung.

Der Film schaut sich um in verschiedenen Teilen der Welt bei den unterschiedlichsten Krähensorten, vom Norden Amerikas über Indien, Japan bis Neukaledonien, aber auch London, Wien oder Göttingen; hier sind Krähen eine Plage und werden bejagt.

Protagonisten aus aller Welt erzählen von ihren Erfahrungen mit Krähen, als Beobachter, als Forscher, als Wissenschaftler, als Menschen, die vor einem Krähenrätsel stehen. Die Texte, überwiegend krähenphilosophischer Art, werden angenehm gesprochen von Elke Heidenreich. Und sowieso sind Krähen in ihren schwarzseidenglänzenden Fräcken von faszinierender Elganz, wenn sie sich wie Professoren auf dem Boden oder auf Dächern bewegen.

Vienna Calling

Optimistisches Werbeboard für Wien

als einer Stadt in der der künstlerische Nachwuchs einen üppigen Boden vorfindet, Rapper, Liedsänger, Leadsänger, Drummer, Autoren, Partyveranstalter, womit Wien als eine aufregend, aufgeweckt, aufgeschlossen quirlige Stadt dargestellt wird, die bis in den Untergrund hinein bespielbar ist.

Zwischen die Porträts der Künstler gibt’s es gschmackvolle Wienaufnahmen, gerne auch mit Drohnen. Die Tonspur wird dominiert von vorwiegend jungen Künstlern, die dabei sind, sich ihren Namen zu machen, die von Zeiten erzählen können, als sie noch die wildesten Jobs gemacht haben, vom Schafscherer bis zum Friedhofsgärtner oder Rikschafahrer.

Jetzt sind sie Maler, Sänger, Dichter; sie stehen für Wien als einer Kulturstadt, wie sie Fernsehredakteuren wie Matthias Leybrand, BR, Katja Ferwagner, BR/ARte, Sonja Scheider, BR, ARTE, Klaus Lintschinger (ORF), Oliver Schwehm, Arte, vorschwebt und wie Philipp Jedicke als Autor und Regisseur sie unter dramaturgischer Beratung von Angela Christlieb sich erträumt.

Es ist also nicht das Wien der Wiener Symphoniker, das Wien des Kunsthistorischen Museums, das Wien der Staatsoper, das Wien von Schönbrunn, das Wien des Opernballs, das Wien des Stephansdoms, das Wien des Prater, der Fiaker und des Heurigen, das k. u. k. Wien, das Wien als Filmstadt, das Tatort-Wien, das Wien der UNO oder das Wien der internationale Spionage und auch der Politintrigen und schon gar nicht das Wien aus Thomas Willmanns neuem Hammerroman „Der eiserne Marquis“.

Es ist also ein ganz enger Ausschnitt der Donaumetropole, den der Film zeigt mit lauter Künstlern, die optimistisch in die Zukunft blicken, die voller Enthusiasmus und Energie ihren Lebensstil zelebrieren, die künstlerische Freiheit, so dass einer zurecht sagt, alles außer Wien sei ihm zu eng oder ein anderer denkt darüber nach, nach Italien zu gehen, da das Meer ihm zusage, aber dort würde ihn keiner verstehen. Es ist ein Wien, um zu bleiben.

The Quiet Girl

So ruhig

So ruhig und in sich gekehrt ist Cáit (Catherine Clinch), sowieso ist sie die meiste Zeit nicht auffindbar und muss ständig gerufen werden von Mam (Kate Nic Chonoaonaigh). Cáit führt in der Familie auf dem Lande ein Außenseiterleben; wird eine „Rumtreiberin“ genannt.

Mutter ist wieder einmal schwanger, die drei älteren Schwestern sind mit sich beschäftigt und der Vater (Michael Patric) verspielt vielleicht grad mal wieder eine Kuh.

Wie kann man nur so einen spröden und gleichzeitig so irisch faszinierenden Film machen! Colm Bairád hat es getan nach dem Roman und unter Drehbuchmitarbeit von Claire Keegan.

Stille Wasser gründen tief, heißt es, und Cáit ist so ein stilles Wasser. Colm Bairéad nimmt uns filmisch mit auf eine Tauchfahrt in dieses stille Gewässer; ohne Offenbarungsdruck, mit Respekt vor dem Geheimnis, mit Anteilnahme an der Ahnung, mit der Betrachtung von profund Humanem.

Cáit scheint die entbehrlichste in der überforderten Familie und wird, bis das neue Geschwister auf der Welt ist, versandt zu Eibhlin (Carrie Crowley) und Seán (Andrew Bennett), einem kinderlosen Ehepaar, das nebenbei eine kleine Landwirtschaft betreibt und ein paar Autostunden entfernt wohnt.

Die Autos, die gefahren werden, lassen auf eine Zeit in den 60ern, 70ern schließen, jedenfalls noch wohltuend vor der Handyzeit. Die Aufmerksamkeit, die Eibhlín Cáit angedeihen lässt, ist fast ein bisschen viel und leicht künstlich. Aber Cáit blüht auf; bleibt trotzdem naiv, ist leichtes Opfer der Ausfragerei durch die geschwätzige Tante Úna (Joan Sheehy). Nach der Geburt ihres Brüderchens soll Cáit allerdings wieder zurück zu ihrer leiblichen Familie. … Bei den Höfen gibt es prächtig romantische Alleen.