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Anhell 69

Mit diesem untrüglich raren Künstlerauge

für das Schöne, das Schön-Verruchte, das Morbide und das Todessehnsüchtige entwirft Theo Montoya ein melancholisches Porträt der Stadt Medellin, einem Mekka der Schwulen und Transen, einer Stadt der Diebe und Verbrecher, einer Stadt des Todes, des frühen Todes, des allgegenwärtigen Todes.

Das zeigt sich im Abspann mit über einem halbend Dutzen „in memoriam“ für junge Männer, die noch vor Ende der Dreharbeiten zu Tode gekommen sind durch Drogen, Suizid oder Kugeln in den Kopf, darunter Camilho, den der Filmemacher für die Hauptrolle in seinem Film „Anhell 69“ ausersehen hat, der aber kurz nach dem Casting schon gestorben ist.

In den Castingszenen in einem steril-gepflegten Raum werden ein paar Jungs vorgestellt, sie erzählen aus ihrem Leben, meist sind sie aus einer vaterlosen Generation, von Müttern erzogen, fühlen sich zu Männern hingezogen oder sehen sich als Transen.

Das Porträt von Medellin wird ergänzt von langsamen Drohnenflügen über der Stadt, die man aus genügend anderen Filmen kennt, eine Stadt, aus der schwer rauszukommen ist, eine Stadt, die dem Bewohner zum Schicksal wird, eine Stadt, die mit den Toten leben muss, da auf den Friedhöfen nicht Platz genug ist.

Der Regisseur selber sieht sich halb schon tot, spricht aus der Jenseitsperspektive, aus der Vergangenheitsperspektive, sieht sich in einem Sarg liegen, der durch die Stadt gefahren wird. Er ist begabt mit diesem hochkünstlerischen Auge, was einen Kinomenschen ausmacht, was die Dinge sieht, die Geschichten erzählen, hier eine Geschichte von Medellin, wo sich offenbar auch nach dem Friedensschluss mit der FARC nicht viel geändert hat.

Eine Geisterstadt mit dem Jugendkult der Spektrophilie, der Geisterliebe; die jungen Menschen mit schwarzen Ganzkörperanzügen bekleidet und die Augen, mit roten Leuchten versehen, feiern sie nächtens ihre Parties, hier werden sie nicht gejagt. Hier wird gegen die Trauer und den Tod gefeiert. Und manchen kümmert die Akne im Gesicht mehr als das Thema der Schwulität oder ansteckende Krankheiten.

Schlamassel

„Geheime Verschlusssache,
da kommt keiner ran“
,

so wird das Geheimnis charakterisiert, um das dieser atmosphärisch dichte Film von Sylke Enders unter redaktioneller Betreuung von Andrea Hanke (WDR) und Meike Gotz (MDR) kreist, und welches letztlich ein unausgesprochenes Geheimnis bleiben wird.

Es ist ein Foto, das Johanna Schreier (Mareike Beykirch) in die Hände fällt. Sie fotografiert für ein Lokalblatt irgendwo im Osten. Das Foto stammt aus Kriegszeiten und zeigt zwei Frauen. Es ist sehr braun geworden, das Bild. Eine der beiden Frauen ist Anneliese Deckert (Lore Stefanek).

Der Film spielt kurz vor der Jahrtausendwende, Frau Deckert ist schon sehr alt, momentweise vielleicht auch dement.

Johanna macht sich auf Spurensuche, möchte mehr über das Bild und dessen Hintergrund erfahren (es dürfte KZ sein, die Frau auf dem Bild eine Aufseherin). Da sind wir mitten im Verdrängungsschlamassel, das sich über Generationen weiterzieht. Und wie die Menschen gegen das Schlamassel anstrampeln, ganz robust, das zeigt der Film.

Schlamassel ist so zu verstehen, die einen wollen gar nichts wissen von der Angelegenheit, sie empfinden solche Rechercheversuche als Eindringen in die Privatspähre und gehen entsprechend hart dagegen vor. Aber auch die Nachforscherin kommt nicht ungeschoren davon. Vielleicht äußert sich der Zwiespalt um die Geheimnisse in Schuppenflechte und Panikattacken.

Viel Lärm herrscht in den Ostmilieus, die hier präzise und wie aus erster Hand geschildert werden. Wie soll Johanna in solcher Umgebung sich der Trauer für die Oma hingeben. Auch hier gab es Geheimnisumwobenes, nicht mehr zustande gekommene Gespräche. Menschliche Defizite, anthropologischer Zugang zu einer Welt, in der die AfD inzwischen teilweise mehr Stimmen habe als die Parteien der in Berlin herrschenden Ampel.

Erklären kann der Film nichts. Er macht vielleicht nachdenklich. Herbe Menschlichkeit, ein Zitat: geknudddelt worden seien sie zweimal, einmal bei der Geburt und das zweite Mal bei der Jugendweihe. Vergangenheitslasten, die die Gegenwart so schwierig machen.

Kommentar zu den Reviews vom 21. September 2023

In wilde künstlerische Extreme eingebettet bringt das Kino heute auch leichter verdauliche Kost. Frühe, schier grenzenlose Bilderfantasien eines deutschen Tüftler, Weltjazzmusik um einen dänischen Jazzer, in Frankreich empfiehlt es sich nicht, sich mit Dämonen einzulassen, brisante Aufnahmen mitten aus einem umkämpften deutschen Forst, ungezügelte Liebe mit Altersunterschied wie die Wellen des Meeres, Flucht aufs Land, die keine Flucht sein soll, in Frankreich und brav-biederes deutsches Fernsehen, das sich schamlos erkühnt, im Kino gezeigt werden zu wollen. Geistige Flaute herrscht bei einem vierten amerikanischen Sequel. Auf DVD gibt es eine düstere Sozialprognose für einen jungen Deutschen und eine Art Mutterkaleidoskop als Solistennummer. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen krampft weiter rum zwischen Grundauftrag und Sparbemühung (auch geistig zu verstehen).

Kino
OSKAR FISCHINGER – MUSIK FÜR DIE AUGEN
Kinobildfantasiewelten, die KI noch weit hinter sich lassen.

MUSIC FOR BLACK PIEGONS
Ein spannendes Jazz-Potpourri um die Figur eines dänischen Musikers.

THE NUN II
Wie schwer die Bekämpfung von Dämonen doch ist.

VERGISS MEYN NICHT
Der Hambacher Forst mit der 360°-Kamera

WILD WIE DAS MEER
Wilde Liebe zum Pferdestehlen mit Altersunterschied

DIE EINFACHEN DINGE
So einfach, wie der Film anfänglich tut, liegen sie gar nicht.

WEISST DU NOCH
da legen sich zwei Schauspieler mächtig ins Zeug, um ihre Qualitäten zu beweisen.

THE EXPENDABLES 4
Vielleicht wollte hier irgendwer irgendwie alle Maßstäbe sprengen – ist aber nicht gelungen.

DVD
KALLE KOSMONAUT
Hat keine Zukunft

MUTTER
Versuch des Herauskristallisierens der Mutteressenz aufgrund von Realgesprächen

TV
POLIZEIRUF 110 – LITTLE BOXES
Protagonistisch aufgefrischt – thematisch bemüht

FLUNKYBALL
Nicht unbedingt dezidiert geht es hier um die Blindheit des Kleinbürgertums als Boden des Faschismus.

The Nun II

Gediegener Horror-Standard,

der eindrücklich zeigt, wie schwer doch die Bekämpfung von Dämonen ist. Man möchte das direkt auf die Politik projizieren, was die sich einbrockt, wenn sie zum Beispiel ein Partei dämonisiert. Es ist der Horror.

Wohldosiert. Das Jahr 1956 in Tarascon, Frankreich. Viel altes Gemäuer. Ein Priester tot. Schwester Irene (Taissa Farmiga) soll klären. Sie begibt sich in das Gespinst der Dämonenbekämpfung. Sie erhält fachkundige Unterstützung. Später wird sie nach Avigon in den Papstpalast fahren. Da gibt es Urkunden, Informationen. Dann ist da noch das klösterliche Mädcheninternat in Aix-en-Provence. Hier unterrichtet Maurice aus Rumänien (Jonas Bloquet). Er kennt Irene noch von früher. Bei ihm wird eine Verbindung zum Dämon festzustellen sein. Sophie (Kately Rose Downey), reines Kind mit Kinderaugen, gerät ins Visier des Dämonen. Schwester Debra (Storm Read) begleitet Schwester Irene.

Michael Chaves hat diesen zweiten Nun-Film (der erste, The Nun, hat stefe nicht allzu sehr begeistert) nach allen Regeln der Kino-Spukkunst nach dem Drehbuch von Ian Goldberg, Richard Naing und Akela Cooper inszeniert, in einem wunderbaren Mix der Standard-Elemente.

Und nicht nur der todernste, unerklärliche Spuk passiert, zwischendrin gibt es auch Jux der Gören im Internat, die Madame Laurent (Suzanne Bertish), die Leiterin, mit Kakerlaken zu Tode erschrecken.

Oft ist bei Spuk die Frage, wie weit er nur Einbildung der Betroffenen ist, wie weit real.

Der Film besticht durch einen exzellenten Cast, durch prima Schauspielerführung, durch erstklassigen Schnitt, passend eingesetzten Sound und dann wieder mit furioser Zuspitzung der Horrorsituationen.

Eine brillante Szene ist die von Irene, wie sie nächtens in einer düsteren Gasse, ja, das ist die Künstlichkeit, die guter Horror braucht, vor einer Wand aus Zeitungen steht, und die Zeitungen und Zeitschriften anfangen, sich umzublättern, grandios ist das und was da an Bildern entsteht.

Oder die nächtliche Fahrt der beiden Dämonen-Recherche-Nonnen von Avignon nach Aix-en-Provence; was so ein durch die Nacht rasendes Auto von anno 1956 allein durch die leicht von der Realität abweichende Tempogebung erzählen kann!

Auf hohem Niveau gekonnt beginnt der Film seine Erzählung in der Kirche von Tarascon mit dem Pfarrer, der Opfer werden wird, und dem Messdiener Jacques (Maxime Elias-Menet); wie er eine Treppe steigen muss, um den Messwein in einer übergroßen, bauchigen Flasche zu holen. Wie er dafür einen beweglichen Treppenabsatz hochsteigen muss. Der Fußball, der nach der Messe auf diesem Treppchen liegt und der nicht so ein richtiger Fußball zu sein scheint (auch hier eine gewisse Differenz zur Realität), den er wegkickt und wie er wieder runtersteigen will, da kommt der Ball aus dem Dunkeln zurückgerollt. Mehr soll gar nicht verraten werden; das ist erst ein Anfang. Klar ist damit auf jeden Fall, dass auch Jacques in das Spiel der Dämonen involviert sein wird. Dass es einen juckt, Szenen aus einem Film nachzuerzählen, ist ein weiterer Hinweis auf dessen hohe Qualität.

The Expendables 4

Sprengt alle Maßstäbe,

das ist ein Begriff, den die Akteure innerhalb des Filmes für ihre Aktionen anwenden, der aber keinesfalls für dieses 4. Sequel der Reihe gelten kann. Dieses sprengt keinerlei Maßstäbe, es fährt in den uninspiriertesten Gewässern der Kinowelt.

Müsste man die Kreativitätsenergie der Autoren Kurt Wimmer, Tad Daggerhart und von Max Adams auf einer Skala von eins bis zehn bewerten, würde nur eine Null drinliegen und genau so bei der Regie von Scott Waugh. Hier wird Routine runtergenudelt.

War im Vorgängerfilm immerhin das Thema von einer gewissen Brisanz, nämlich der internationale Gerichtshof in Den Haag, auch insofern, als die USA zwar durchaus ein Interesse daran haben, den Kriegsverbrecher Putin hinter Schloss und Riegel zu bringen, selbst aber aus der berechtigten Angst heraus, selber für dies und das gerade stehen zu müssen, nicht beteiligt sind an der sinnvollen internationalen Institution, geht dieser neue Expendables-Film in eine Fabrik Gaddafis in der Wüste zurück und damit ist irgendwie von Anfang an Hopfen und Malz schon verloren, auch wenn moderne Drohnen, die mit dem Joystick fernbedient werden, darin vorkommen.

Es ist vor allem der Film des Jason Statham, der praktisch im Alleingang einen Seelenverkäufer, der im südchinesischen Meer mit gefährlicher Fracht und vielen Kämpferkomparsen, die zur Elimination durch Christmas, wie Statham hier heißt, bestimmt sind, unterwegs ist und die er weg’improvisiert‘.

Nicht einmal der Teamgedanke unter den alten CIA-Geheimkämpfern kommt noch zum Tragen, stattdessen tauchen Frauen auf, die schwer an ihren Lippen tragen. Um der Einfallslosigkeit das I-Tüpfelchen aufzusetzen, erfinden die Autoren eine Szene, in der Jason Statham als versagender Personenschützer eines Influencers auftreten darf. Darauf hat die Welt gewartet.

Wild wie das Meer

Junger Gigolo

Das Meer ist wild und die Menschen, die mit dem Meer arbeiten, können davon angesteckt werden; davon können Seemänner ein Lied singen, und man sieht es ihren Gesichtern an.

Cécile de France als Chiara ist zwar kein Seemann, aber eine Fischerin, die mit ihrem Mann Antoine (Grégoir Monsaigeon) auf der französischen Seite des Kanals mit einem kleinen Boot auf Krabbenfang geht. Sie mit ihrem gegerbten Gesicht, sie, diese konkrete Schauspielerin. Sie ist hübsch dazu. Sie scheint zufrieden in ihrem Leben, mit ihrem Beruf, mit ihrem Mann. Dieser ist auch Bügermeister der kleinen Ortschaft und ist involviert in die Verhandlungen zwischen der EU und Britannien über die Regelungen für die Fischerei im Zusammenhang mit dem Brexit.

Anfgans des Filmes holt Chiara aus feiner Villa auf dem Lande den jungen Maxence (Félix Lefebvre) für ein Praktikum auf dem Schiff. Er wird belächelt, er, der auch hübsch ist, fast zart, der sicher noch nie harte Arbeit geleistet hat und dafür ein klassisches Blasinstrument spielt.

Chiara beobachtet den jungen Mann, der etwa 20 Jahre jünger sein dürfte als sie, eher belustigt, während er urplötzlich im Anblick ihres Ausschnittes zu versinken scheint.

Das ist die Augsangslage für die Affäre, die Héloise Pelloquet, die mit Rémi Brachet auch das Drehbuch geschrieben hat, in ihrem Film luftigleicht, süffig und mit agiler Wachkamera schildert.

Eine dreimonatige Abwesenheit von Antoine wegen der Verhandlungen beschleunigt und befeuert das Liebesgeplänkel. Es ist eine Liebe zum Pferdestehlen, die selbst wiederum getestet wird, wie die Tochter von Wirt Tony (Jean-Pierre Couton), Beatrice (Ghislaine Girard), auch sie eine wunderhübsch feminine Schauspielerin, auftaucht.

Héloise Pelloquet erzählt diese Affärengeschichte wunderleicht, umschifft das Psychodram genau so wie die Eifersucht oder den Ménage-à-Trois-Konflikt; sie lässt sie eher wie einen Gegenstand auf der Meeresdünung vielleicht etwas unentschlossen oder willenlos, aber genüsslich auf- und abschaukeln.

Der wahre Lustkiller an dieser herrlichen Bewegung mit dem soghaften Drive ist allerdings die deutsche Synchro.

Weißst Du noch?

Fernsehstaub

Und meterdicker, einschläfernder Fernsehstaub legte sich über die vielleicht ursprünglich mal gute, ja vielleicht sogar mutige Idee, einem uralten, in Routine erstarrten Ehepaar an seinem Hochzeitstag von Ex-Junkie Konstantin Wecker zwei blaue Tabletten verabreichen zu lassen, die einerseits gegen den Gedächtnisschwund sind, andererseits aber, und das spielen sie wunderbar, das Aufwachen aus der Trance, die sie die Erlebnisse der vergangenen Nacht total vergessen lässt, da erinnern nur noch kleine Zettel, eine leere Champagnerflasche und am Boden liegende Blumentopferde sowie ein Zitronenkuchen im Schrank daran.

Sie, das ist die unverwüstliche Senta Berger, die eine pensionierte Lehrerin spielt, und er, das ist der nicht minder unverwüstliche Günther Maria Halmer, der einen Arzt im Ruhestand spielt.

Sie wohnen in einem ausladenden Holzhaus im Grünen, könnte am Ammersee oder in Grünwald bei München sein. Einmal gibt es einen Auftritt von einem Handwerker, der einen Dialekt spricht, der auf eine andere Region Deutschlands hindeutet.

Spätestens seit „Wer hat Angst vor Virinia Wolf“ oder seit dem Gott des Gemetzels von Yasmina Reza oder kürzlich Nachbarn von oben ist das ein salonfähiges literarisch-künstlerisches Genre: Paare, die sich auseinandernehmen, Paare, die sich zerfleischen, Paare, die sich alles sagen, was sie sich nie zu sagen trauten. Es gibt also Vorbilder und Vergleichsfilme genug.

Der Film von Rainer Kaufmann nach dem Drehbuch von Martin Rauhaus unter redaktioneller Betreuung von Stefan Kruppa tut gar nicht erst so, als gebe es meisterliche Vorbilder. Er scheint sich viel mehr darnach zu richten, was ein weisungsgebundener Fernsehredakteur seinem als nur halbwegs mündig angenommenen Publikum zutrauen zu dürfen glaubt: nämlich alles in unaufgeregter Biederkeit.

Nur keine kinoaufregenden Bilder, nur brave Schauspieler, die brav ihre Texte lernen und abliefern, so wie sie den Zitronenkuchen nach Rezept backen.

Bitte keine auch nur irgendwie exaltierte Ausstattung oder Kostümierung, gefragt ist biederster Fernsehrealismus, der dem Sendeplatz noch ein oder zwei Minuten für die Werbung übrig lässt.

Und da der Autor oder der Regisseur ihren Schauspielern offenbar doch nicht ganz über den Weg trauen, werden ab und an Super-8-Clips aus den jungen, verliebten Jahren des Paares eingeblendet. Wie auch in den oft gesteltzen Diealogen das Erklären nicht zu kurz kommt, was wiederum nicht im Sinne der Glaubwürdigkeit und Faszination von Kino ist.

Schwer wird dem Zuschauer das Zitat aus den Bremer Stadtmusikanten (hängt in der Küche sogar eine Stadtansicht von Bremen?) aufs Auge, genauer: auf die Ohren gedrückt, dass sich alleweil etwas Besseres als der Tod finde; transkribiert: etwas Besseres als diesen dehydrierten Subventionsschmorbraten finden wir allemal.

Vergiss Meyn nicht

Was würden Waka, Elf, Mike und Mogli und der titelgebende Steffen MEYN dazu sagen?

Steffen Meyn hat 2017 an der Kunsthochschule für Medien Köln ein 360° Projekt über die Baumbesetzer im Hambacher Forst angefangen. Er ist mit einer 360°-Kamera auf seinem Helm wie ein Frontreporter zu den Baumbesetzern gegangen, hat sich selber am Seil hochgezogen. Er war 2018 dabei, wie der Forst mit einem massiven Polizeiaufgebot geräumt werden sollte.

Steffen Meyn selbst ist anlässlich der Räumung 2018 von einer Seilbrücke zwischen den Baumhäusern auf den Waldboden gefallen und gestorben. Die Begründung für den Polizeieinsatz schien an den Haaren herbeigezogen, dass die Sicherheit der Besetzer nicht gewährleistet sei. Armin Laschet war damals Ministerpräsident. Ob dieser Einsatz rechtens war oder nicht, ist jetzt ein Fall für die Gerichte.

Fabiana Fragale, Kilian Uhlendahl und Jens Mühlhoff haben das Material von Steffen Meyn für eine kinematographische Aufarbeitung der Geschichte verwendet. Sie haben sein zauberhaftes und eindrückliches Material, die 360°-Kamera sorgt für einen ganz besonderen Look, der durchaus verwirrende Momente enthält, aber so seinen eigenen Charme entfaltet, ergänzt mit einer geistigen Nachbearbeitung durch Gespräche mit Besetzern von damals.

Da gibt es durchaus auch selbstkritische Gedanken, die Baumhauswelt ist keine ideale Welt, es gab da Probleme, speziell beim Thema Gewalt, sowohl sexueller als auch in der Auseinandersetzung mit dem Staat; schließlich würde RWE mit seinen Baggern der Natur auch unendlich Gewalt antun; nicht nur bei groben Handgreiflichkeiten, auch die Installierung von Kontaktcops, die wohl nur dazu dienen solle, die Besetzer zu spalten; sind ja auch nur Menschen. Aber auch das Polizeiverhalten wird teils kritisch gesehen; besonders wenn die Medien weiträumig vom Räumungsgebiet weggesperrt werden.

Die jungen Aktivisten möchten die Erfahrung nicht missen, aber sie fragen sich auch, ob sie überhaupt etwas erreicht haben; allerdings meint eine von ihnen, das müsste man Waka, Elf, Mike, Mogli und Steffen fragen.