Archiv der Kategorie: Film

Code der Angst

Woher diese Intoleranz?

Ausgangspunkt für diese Dokumentation von Appolain Siewe ist die bestialische Ermordung eines jungen Mannes in Kamerun, weil er Männer geliebt hat. Dabei hat Homosexualität in Kamerun durchaus Tradition. Das wird der Filmemacher, der in Berlin lebt und sich in seiner Heimat auf die Suche nach den Gründen für die Homophobie macht, im Laufe seiner Recherche erfahren. Er selbst ist nicht schwul, aber allein, dass er sich mit diesem Thema beschäftigt, wird ihm, am allermeisten von seiner eigenen Familie in Kamerun, übel genommen.

Wie kann es kommen, dass ein Thema so tabuisiert wird, erst recht in Anbetracht der Tradition, die es im Lande gegeben hat? Einen Einfluss scheinen die Kolonialisten gehabt zu haben, die ersten waren die Deutschen mit homophober Gesetzgebung, dann offenbar auch die Engländer und die Franzosen. Zudem kommt die katholische Kirche in Frage, die Homosexualität als widernatürlich verbietet, weil sie um den Fortbestand ihrer Schäfchen fürchtet.

Der Filmemacher erlebt gleich bei der ersten Begegnung in seinem Herkunftsort, diejenige mit seinem Onkel, schroffste Ablehnung, dort sei der Weg zum Gehen, sagte er, keine Auskünfte, kein Gespräch und der Vater wolle ihn überhaupt nicht sehen.

Das erinnert an den Vater aus „Lola und das Meer“, ein Film, der in einer Woche im BR gezeigt wird. Null Diskussion möglich.

Appolain Siewe trifft Aktivisten, Professoren, einen Pfarrer, die sich tolerant zum Thema äußern, die riskanterweise versuchen, Verständnis für das Thema zu schaffen, die sich gegen die schwulenfeindliche Gesetzgebung in Kamerun wehren, die im Widerspruch zu internationalen Verträgen steht, die das Land abgeschlossen hat.

Zwischendrin gibt es milde stimmende Bilder vom Land, von Bars und von Tanzauftritten mit geschmeidigen Körpern.

Je mehr sich auch bei uns die Stimmung im Fahrwasser der aufkommenden Intoleranz in Amerika wendet, Firmen, die ihre Diversity-Programme aus vorauseilendem Gehorsam einem Wirrkopf gegenüber streichen, umso wichtiger wird jeder Beitrag, der diese Sicht auf andere Lebensweisen, die zudem keinem Menschen ein Haar krümmen, behandelt.

Und, was wir hierzulande im Kino doch selten zu Gesicht bekommen: Impressionen aus Kamerun. Es ist eine noble Haltung, warum Appolain Siewe diesen Film gemacht hat, nicht als direkt Betroffener, sondern als einer, der in Berlin als Schwarzer Diskriminierung mehr als kennegelernt hat. Er will nicht auf die Egosituation aufmerksam machen, sondern auf diejenigen von Menschen, die – aus anderen Gründen – ebenfalls vorurteilsbehaftete Ausgrenzung erleben.

The Bitter Taste

Mordsspaß aus Niedersachsen

und auf Englisch, das allein ist eine schöne Differenz zum Realismus. Und Tote können nicht ermordet werden, da sie eh schon das Zeitliche gesegnet hat. So kann denn das Orchester stoisch über heiße Stellen hinwegspielen, voller Sound, das geht uns doch nichts an; das ist so ein Pfiff, wie Kino sich mit Schauderlichem beschäftigen kann, sich mit der Verletzlichkeit und Sterblichkeit des Menschen beschäftigen, ihm diese vorführen. Denn es ist schwer, sie wahrhaben zu wollen. Insofern eine todernste Angelegenheit, die am besten und direkt am leichtesten das Horrorgenre, diesmal made in Germany, unterhaltsam, ohne zu beleidigen, aufbereiten kann.

Marcia (Julia Dordel; sie hat mit Regisseur Guido Tölke auch das Horror-comme-il-faut-Buch geschrieben) gerät im deutschen Wald in was hinein. Josh (Nicolo Pasetti) scheint im Wald, im Irrgarten, im merkwürdigen Schloss, am Schießstand, im Teich, in den unterirdischen Gängen noch der verlässlichste Partner; aber er sagt, er fremdle mit der Village-Community.

Gewehre spielen auch eine Rolle. Vor allem aber ein Briefumschlag, den Mattius King (John Keogh) hinterlässt. Er fungiert als Repräsentant irdischer Herrschaft. Und dann ist da noch Polizistin George (Anne Alexander-Sieder). Aber eine Polizistin, allein, wie freischaffend im Horrorwald, kann die für Ordnung, für Verlässlichkeit sorgen?

Da Marcia einst Fünfkämpferin war, gibt es passende Arrangements, es lässt sich sogar ein Kampfmodell ablesen für echte Kämpfer; gefochten werden muss auch. Und ob die Visiergitter hieb- und stichfest sind, das wird sich noch zeigen.

Der Film bietet Assoziationen genug zu Kampf und Sport und Jagd, setzt sie für seine Zwecke zielbewusst und genregerecht ein. Es geht heftig zu in diesem nicht eine Sekunde nach Subvention riechenden, frischfreien Genrefilm aus deutschen Landen. Und ein Lovemoment fehlt auch nicht. Der findet nicht zu weit von einem Folterkeller entfernt statt … wenn Geister schon Jahrhunderte im Gefängnis verbringen, müssen sie auch was zum Spielen haben … und wenn wir schon dabei sind, auf die Kettensäge wollen wir auch nicht verzichten, die ist nicht nur für Spezialeffekt gut, sie kann auch recht nützlich werden im Überlebenskampf.

The Ugly Stepsister

Lustvolles Suhlen in Schauderfabuliererei

Das Prinzip von Emilie Blichfeldt in ihrer Aschenputtelinterpretation scheint zu sein, den Schauder, das Hässliche, den Danebenbenimm, das Blutige an Grimms Märchen schrankenlos auszuleben. Da es sich zuvörderst um ein Prinzip zu handeln scheint, ermüdet es allderings. Außerdem macht es die Filmemacherin einem nicht leicht mit der Sympathieverteilung; damit sendet sie zweideutige Signale an den Gerechtigkeitssinn; kehrt dem Moralischen eines Märchens den Rücken zu.

Elvira (Lea Myren) ist mitleiderregend hässlich; insofern gehören ihr zuerst die Sympathien. Ihre Mutter Rebekka (Ane Dahl Torp) heiratet den Vater von Agnes (Thea Sofie Loch Naess). Dieser stirbt bald. Agnes wirkt auf den ersten Moment glatt, perfekt und entsprechend unsympathisch, Blondine pur. Dazwischen ist Alma (Flo Fagerli), zu der man ein eher neutrales Verhältnis entwickelt. Agnes kennt keine sexuelle Scheu, wenn es um Vergnügungen mit Stallknecht Isak (Malte Gardinger) geht.

Mit Dr. Esthétique (Adam Lundgren) kommt das Element der Schönheitschirurgie ins Spiel. Hierbei tobt sich der Film an den unappetitlichen Nebenerscheinungen der florierenden Branche aus.

Prinz Julian (Isac Calmroth), der Traumprinz, ist der Antipath. Er wird vorgestellt mit seinen Kumpels im Wald, wie er beim Pinkeln obszön redet. Es folgt der Ball beim Prinzen. Der wird brav und ordentlich erzählt, bis auf die Magenprobleme von Elvira, die zum Schlankwerden einen Bandwurm verschluckt; man kann sich ausmalen, wie das Ekelprinzip verlangt, dass er entsorgt werde.

Der verlorene Schuh kommt vor wie das Zitat mit dem Kürbis. Und auch das ist absehbar, wie blutig die enttäuschte Elvira versuchen wird, den Fuß dem Schuh anzupassen. Insofern: keine neuen Erkenntnisse zu einer bewährten Geschichte und vielleicht die Einsicht, dass es seinen Grund hat, warum diese Geschichten sich so bewähren und an ihrem Fundament nicht gerüttelt werden sollte. Denn es geht zuerst um die Moral und nicht um das Unappetitliche. Antiperistaltik ist nicht direkt Märchenstoff.

The Wedding Banquet

Das Kalkül des Menschen mit dem Glück

geht schief, muss schief gehen, wenn eine Komödie zu dem Thema gut ausgehen soll. So tut sie es auch bei Andrew Ahn, der mit James Schamus das Drehbuch zu dieser in Seattle angesiedelten Beziehungs- und Hochzeitskomödie geschrieben hat.

Der smarte Koreaner Min (Han Gi-Chan) macht seinem etwas rundlicheren amerikanischen Freund Chris (Bowen Yang) einen Heiratsantrag. Der lehnt ab. Liebeskalkül gefloppt. Die beiden, der eine Künstler, der andere Insektenforscher, wohnen in der Garage des Liebespaars Lee (Lily Gladstone) und Angela (Kelly Marie Tran). Die beiden Frauen, die eine ein mütterlicher Typ, die andere nicht unbedingt eine Schönheit, so wie man sich vielleicht eine Wurmforscherin vorstellt, wollen auf dem Wege der künstlichen Befruchtung ein Kind. Funktioniert nicht. Familienkalkül gefloppt.

Die Oma (Ja-Young) von Min lebt in Korea und führt den Familienkonzern. Sie finanziert dem Enkel sein vermeintliches Studium und will, dass er ins Geschäft einsteigt. Dieser hat keine Lust. Omas Familien- und Geschäftskalkül gefloppt. Oma findet, wenn er heirate, könne man drüber reden. Er verabredet mit Angela eine Scheinehe, um weiter Geld zu erhalten und nicht nach Korea zurückkehren zu müssen.

Oma misstraut der Sache, taucht unverhofft in Seattle auf. Damit gewinnt die Handlung an Dynamik, die Handlung des Kalkulierens, des Vertuschens, des Floppens und der daraus sich ergebenden neuen Kalküle. Das bäumt sich auf zur turbulenten Komödie, die Andrew Ahn mit sichtlichem Spaß am Umgang des Menschen mit seinen Glücksberechnungen inszeniert, vielleicht nicht ganz so kinoelegent, wie Ang Lee es in seinem Vorbildfilm vor über drei Jahrzehnten vorgemacht hat. Die Bilder sind romantisch, das Story-Board ist wohl durchdacht und die Tonspur nicht um einen pfiffigen Begleit-Kommentar, der auf die Farce von Hochzeitsfilmen verweist, verlegen.

Im Prinzip Familie

Mühsal der Menschenerziehung

„Im Haus muss beginnen, was blühen soll im Vaterland“, Zitat (nicht aus dem Film) von Jeremias Gotthelf über die Wichtigkeit von Familie. Sie bildet damit ein Fundament der Gesellschaft. Auch wenn immer mehr Funktionen der Familie an andere Teile der Gesellschaft ausgelagert werden, gerne an die Schule, die reparieren soll, was in der Familie schiefläuft.

Die Familie ist ein intimer Raum, ein geschützter Raum. Hier können enorme Verletzungen passieren. Wenn Familien dysfunktional sind, springen Kinderheime ein. Es gibt auch intimere Einrichtungen. Über eine solche berichtet der Dokumentarfilm von Daniel Abma. Eine Einrichtung, die wie eine Familie funktioniert, für Kinder, hier sind es lauter Knaben um die 10 Jahre, die von Betreuern umsorgt werden.

Es wirkt ein wenig befremdlich, gerade im Zusammenhang mit dem Begriff Familie, dass die Kinder ihre Betreuer siezen und mit dem Familiennamen ansprechen. Es sind Kids, deren Eltern getrennt, überfordert sind; Missbrauch wird erwähnt.

Die Doku hebt zwei Buben besonders hervor, den hellwachen und beschlagenen Niklas und den Systemsprenger Kelvin. Der erste möchte zur Mutter, hat aber das Recht, beim Vater zu wohnen. Der zweite wird schon allein wegen seiner Hautfarbe diskriminiert. Der verliert gerne die Kontrolle, selbst in der Klinik wollen sie ihn nicht behalten.

Der Dokumentarist fädelt seinen Film als Adabei-Doku auf, als unsichtbarer Dritter und vielleicht Vierter und Fünfter, Regisseur, Kameramann, Tonmann, die sich in den engen Räumlichkeiten unsichtbar machen. Sie werden nie direkt angesprochen. Das ist in so einem geschützten Raum problematisch, da die Protagonisten generell das Dokuteam nicht ausblenden werden und es ist kaum abzuschätzen, inwiefern sich das verhaltensverändernd auswirkt. So ist zu vermuten, dass der Dokumentarfilm seine eigene Realität erzählt.

From the World of John Wick: Ballerina

Killertänzerin

Inzwischen kommt es vor, dass man vorm Besuch der Pressevorführung nicht nur eine Embargo-Erklärung, sondern einen weiteren, eine oder gar mehrere Seiten langen, englischen Text unterschreiben muss, den genau durchzulesen in dem Gedränge am Counter gar keine Zeit ist. Wenn jeder das genau studieren würde, müsste die Pressevorführung vermutlich um ein oder zwei Stunden nach hinten geschoben werden. Keine Ahnung also, was wir da unterschrieben haben. Man kann das getrost als Farce bezeichnen, an deren Formulierung vielleicht ein paar Anwälte einige Dollar verdient haben. Man vermutet, es geht darum, nicht zu viel ausuzuplaudern.

So viel darf bestimmt verraten werden, Keanu Reeves als John Wick spielt mit, wenn er auch nur kurze Auftritte hat.

Einen aparten Zusammenhang bietet der Film von Len Wiseman nach dem Drehbuch von Shay Hatten und Derek Kolstadt außerdem: den zwischen klassischem Ballett und dem Killermetier.

Es geht hier um eine Killerin Eve (Ana de Adams), die in einem russischen Internat zur Tanz- und Kampfmaschine ausgebildet wird. Das hat eine familiäre Bewandtnis, denn den Killer- und Kämpferinnenberuf, den sucht man sich nicht aus, der findet einen, wie ein eingestreuter Aphorismus feststellt.

Die Schule heißt Ruska Roma und wird geführt von einer Directrice (Anjelica Huston). Die sieht so aus, wie sie offenbar in Filmen mit Geheimhaltungserklärung aussehen müssen, wie eine Puffmutter, die gnadenlose Variante. Sie ist definitiv mehr als eine Internatsleiterin und auf dieser Mehr-Ebene ist sie im Clinch mit anderen Organisationen. Es braucht in einem Actionfilm Gegenspieler, das ist bestimmt nicht zu viel verraten.

Die Motivation der Killerin, die zur Tänzerin ausgebildet worden ist, dürfte eine Rache-Geschichte sein, ein unerledigtes Vaterthema. Und wer das genau wissen will, der muss den Film anschauen.

Es ist ein Film, in dem Eve, die erwachsene Variante, wo immer sie hinkommt, vom ersten Moment an die Ballerei und die Kämpferei losgeht, dankenswerter Weise nicht mit dominant erkennbarer Postproduktionshilfe, trotzdem zieht es sich, Kampfszene um Kampfszene.

Der Film ist relativ staatstheaterlich und mit viel Glyzerin als Tränenersatz (als stellvertretendes Beispiel für die Machtart) hergestellt.

Man könnte vielleicht von einer gewissen plakativen Schematisierung von Handlung und Inszenierung sprechen. Mit der Erwähnung von Tschaikowsky im Zusammenhang mit einer Spieluhr mit Tänzerin oder mit Tarkowskis Rubljow gibt sich der Film einen kulturellen Anstrich.

Die Ortschaft Hallstatt im Salzkammergut kommt vor und es gibt Momente, in denen deutsche Brocken von anonymen Bösewichtern zu hören sind.

Chaos und Stille

Auf die Dächer!

Zufall oder Welle, nobody knows, Schauspieler auf Dächern sind in.

Bei Bird steht Franz Rogowsky auf britischen Provinzdächern, verkörpert die Übersichtsperspektive für die Einsicht, bei den Oslo-Stories-Sehnsucht sind es Kaminkehrer, die Oslo von oben und durch die Schornsteine betrachten, allfällige Risse zu entdecken (in der Gesellschaft).

Bei Anatol Schuster (Luft, Frau Stern) ist es Sabine Timoteo als Klara, die sich Darmstadt von oben anschaut, aber nicht deswegen steigt sie auf‘ s Dach, sie hat genug vom Lärm des heutigen Lebens, sie will Ruhe. Regisseur und Autor Antatol Schuster schickt sie dort hinauf, um über sie ironisch am Lack dieser Gesellschaft zu kratzen, wie wenig es doch braucht, um sie aus ihrem Konzept zu bringen, sie zu irritieren.

Damit ist nicht primär die Feuerwehr gemeint, die von aufmerksamen Nachbarn alarmiert wird. Es ist die Auffälligkeit der Unauffälligkeit, die Stille, die Kreise zieht, die die Menschen aus ihrem Alltagstrott aufschrecken lässt.

Es gibt Reaktionen, die das Erschrecken in Verehrung umdeuten, Gruppierungen, die sie als eine Heilige sehen, eine schweigende Gruppierung, die sich den Mund verklebt oder mit den Händen ein Schweigezeichen macht; sie verharren ruhig im Treppenhaus vor dem Dach.

Sein Hauptaugenmerk legt Anatol Schuster auf die akademisch-kulturell gebildete Klasse. Sein Protagonist ist Jean (Anton von Lucke), alles andere als ein Macho-Man. Ein feinsinniger Komponist, der mit seiner Frau Helene (Maria Spanring), einer Konzertpianistin, in einer Wohnung von Klara zur Miete lebt.

Finanziell hat die Künstler-Familie Probleme, Jean lässt anschreiben und Klara zeigt sich großzügig, wenn er die Miete nicht zahlen kann, ja sie erlässt sie ihm sogar.

Klara wird in einem urchristlichen oder urkommunistischen Akt auf all ihr Hab und Gut verzichten, sie hebt ihr Geld von der Bank ab. Sie stellt ihre leere Wohnung Künstlern zur Verfügung und sie will nur noch auf dem Dach sein. Den Flügel verschenkt sich dem Musiker.

Wieder hat der Regisseur wie schon in den Vorgängerfilmen eine ausgezeichente Schauspielerauswahl getroffen (Casting: Susanne Ritter). Grade der Dr. Wunderlich von Michael Wittenborn entspricht so gar nicht dem Klischee des Film- oder Fernseharztes.

Die Frage ist, ob Anatol Schuster sich jetzt mehr dem Mainstream angepasst hat; es gibt einen Redakteur, Chrstian Bauer, im Abspann. Auf jeden Fall ist der Film more sophisticated, subtiler legt er Bruchstellen in der Gesellschaft offen. Dass er die Geburt der Tochter von Jean und Helena – dazu noch als eine besondere Gebärvariante – erzählt, das könnte eine Konzession ans TV sein. Geburt hat wenig mit dem Titelthema „Chaos und Stille“ zu tun; das wäre doch besser unter „Werden und Vergehen“ untergebracht. Da es, wie mir scheint, darum geht, was die Menschen an Radau und Chaos als bewusst handelnde verurusachen und nicht aus naturgemäßen Zusammenhängen heraus. Auch der Junge Djamal, der sich schminkt, könnte als Konzession an das Immigranten- als auch an das Diversitythema im öffentlich-rechtlichen Rundfunkkontext gelesen werden; auch dieser Vorgang hat wenig mit Chaos oder mit Stille zu tun. Zum Titelthema dagegen passt der Musikunterricht für Taubstumme in einer Turnhalle wieder besser.

Kommentar zu den Reviews vom 29. Mai 2025

Sicher, Kino macht so einiges mit einem, kann so einiges mit einem anstellen; vermutlich lifert sich der Zuschauer im Kino deutlich wehrloser dem Film aus als sich ein Leser einem Buch. Beim Lesen, scheint es, ist es leichter die Deutungshoheit der Wörter im Kopf zu bewahren. Sich den Bildern ausliefern, ist eine andere Sache; da kommt der Kopf nicht unbedingt an dagegen; es ist so ein Hülle an Informationen, an Input, der von der Leinwand auf einen einprasselt, da kommt man nicht so leicht aus. Ein in Babelsberg gedrehter Amiknaller nimmt sich das internationale Wirtschaftsganoventum vor. Ein Film aus den USA packt uns in süße Watte, lässt Liebeswelten aus einer kalten Zeit aufleben. Ein Franzose berichtet fiktional aus einem Künstlerleben, wie dieses dokumentarisch kaum je möglich gewesen wäre. Aus Marokko gibt es eine Annäherung an eine Sängerin, wie sie so im realen Leben kaum möglich wäre. Die Amis setzen, voraussichtlich erfolgreich, auf ein schon mal erfolgreiches, kämpferisches Coming-of-Age. Ein weiterer Ami wiederum ist vernarrt in eine Horror-Clownerie, wie sie einen schwitzen machen kann. Die Deutschen wiederum gehen ein Geschichtsthema, was nicht so schnell auserzählt ist, kopfig an, was wiederum seinen ganz eigenen Reiz entwickelt. Ein anderer Deutscher versucht, uns in sein unerledigtes Vaterproblem reinzuziehen, auch hier springen überraschende Reize raus. Ein Argentinier nähert sich auf bildlich höchst ausgetüftelte Art einem Postflieger, der eigentlich ein Autor war, an. Einen Italiener hat der pikante Zusammenhang zwischen möglicherweise vergiftetem Essen, jungen, attraktiven Frauen und strammen Nazis angetörnt. Auf DVD nährt sich ein französischer Film vom garantiertem Rühreffekt der Überwindung des enormen Gefälles von klassischer zu Popmusik. Am Fernsehen wickelte uns eine kaum von der Realität übertroffen werden könnende Geschichte aus der Südsee um den Finger. Die zwei Kumpels, die sich auf einem fränkischen Provinzflughafen rumtreiben, lassen Fantasien aller Art sprießen.

Kino

DER PHOENIZISCHE MEISTERSTREICH
Auch ein filmischer Meisterstreich

ON SWIFT HORSES
Oslo-Stories einige Jahre früher, im Westen der USA und im Schatten des Koreakrieges

DIE BONNARDS: MALEN UND LIEBEN
Der Film hält, was der Titel verspricht.

ALLE LIEBEN TOUDA
Eine eigenwillige, marokkanische Sängerin

KARATE KIDS: LEGENDS
Ein süffig erzähltes, heftiges Coming of Age

CLOWN IN A CORNFIELD
Horrorspektakel

BLINDGÄNGER
Geschichte, die jederzeit explodieren kann.

FRITZ LEHMANN, MEIN VATER UND ICH
Möglicherweise kaum lösbares Vaterproblem

SAINT-EXUPÉRY – DIE GESCHICHTE VOM KLEINEN PRINZEN
In der Ästhetik greift dieser wunderbare Film auf Inspiration durch Hokusai und Soulanges zurück.

DIE VORKOSTERINNEN
Und wehe, jemand hätte den Führer vergiften wollen, dann wäre es um die hübschen Frauen geschehen gewesen.

DVD
DIE LEISEN UND DIE GROSSEN TÖNE
Pop-Musik, Klassik, Brüder und schwere Krankheit

TV
PACIFICTION
Besser sind Glück und Melancholie der Südsee kaum zu schildern.

BEZZEL & SCHWARZ DIE GRENZGÄNGER AM FLUGHAFEN NÜRNBERG
Eindeutig: es ist nicht der erste Flughafen, den sie sehen und betreten.