In Riesentempo baut die Drehbuchspinne ihr dichtes Netz auf und nimmt den Zuschauer in diesem Politthriller gefangen. Wenn der deutsche Tatort oder Polizeiruf sonntagabends wie das Sandmännchen die vor dem Fernseher versammelte Bevölkerung vor dem Hintergrund eines Sozialgemäldes mit dem Statement beruhigt, dass die deutsche Polizei noch funktioniere und man also beruhigt sich zu Bett begeben können, so wird hier mit großer Härte und voller Risikobereitschaft die Frage nach dem Funktionieren des demokratischen Systems in Zeiten der Megakonzerne, der Macht der Banken und Lobbies und deren geldgieriger Rücksichtslosigkeit gestellt.
Die rasante Exposition dieses britischen TV-Vierteilers, von Robert Jones und Chris Mullin geschrieben und von Ed Fraiman inszeniert, fängt mit einem Hammer an. Der britische Vizepremierminister, Gabriel Byrne als Tom Dawkins, die Hauptfigur, besichtigt, begleitet von einem Pulk von Männern in schwarzen Mänteln, die Folgen einer Explosion in einer Ölraffinerie in der Grundschule im angrenzenden Scarrow-Park. Tote Kinder, Trümmer in schwarz-weiß und leicht koloriert gezeigt bewirken einen schaurigen Effekt.
Der Vizepremier besichtigt den Ort des Grauens, weil der Premierminister gerade im Ausland weilt. Dieser ist zu Besuch ausgerechnet bei jenem amerikanischen Konzern Petrofex, dem die Anlage, die jetzt die Katastrophe ausgelöst hat, gehört. Es soll schon einmal in einer Anlage in Amerika zu einer ähnlichen Explosion gekommen sein.
Kaum hat der Zuschauer diesen ersten Teil der Exposition zur Serie verinnerlicht, folgt die zweite Katastrophe. Das Flugzeug des Premierministers, merkwürdigerweise eine Maschine von Petrofex, verschwindet auf dem Rückflug über den Atlantik vom Himmel. Mitten in einem Gespräch mit Dawkins bricht der Kontakt ab. Es wird sich herausstellen, dass das Flugzeug über dem Meer abgestürzt ist. Die Suche nach der Blackbox wird eine Frage sein, die immer wieder auftaucht. Interessant: die Firma Petrofex gehört der Royal Caledonian Bank, die wiederum, man fasst es kaum, der britischen Regierung gehören soll.
Zwei große nationale Tragödien also am Anfang dieser Serie, deren Aufarbeitung resp. Versuche zur Vertuschung, die Serienmechanik auf Hochtouren bringen werden.
Aber nicht genug der Konflikte. In Kürze steht die Wahl einer neuen Regierung an. Es gibt mehrere Figuren, die nach dem Posten des Premierministers streben. Alle wollen sie den beim Volk beliebten Dawson als Vize behalten und der möchte auch gar nicht Premier werden. Nicht unbedingt aus Bescheidenheit, auch wenn er beim Volk so ankommt, sondern weil auch er eine (belastende) Vergangenheit hat, wie die meisten prägnant gezeichneten Figuren in diesem Netz oder bei diesem riskanten Ritt über den Bodensee, wo jederzeit das Eis einzubrechen droht. Der Held hat eine schwache Stelle.
Weitere Mitspieler von Dawkins der kommenden Verwicklungen dieses Tanzes auf dem Vulkan sind verschiedene Geheimdienste, sein alter Freund Anthony Fossett, Alkoholiker, aber ganz fit in Geheimdienstsachen, Abhörstationen der Geheimdienste, das Gewusel an Personen um den Premierminister herum, Militärs, die Medien, besonders die Journalistin Ellis Kane, die gewillt ist, tief in der Vergangenheit von Dawson, der inzwischen Premier geworden ist, zu bohren.
Ein Polit- und Machtthriller der brillanten Art verblüffend nah am Puls der Zeit. „Was ist das für ein verkacktes Spiel?“. Wenn man ihn gesehen hat, schaut man TV-Auftritte von Politikern vielleicht mit etwas verändertem Bewusstsein an. Ferner wirken die in Deutschland so umstrittenen Drohnen, auch das Töten damit, und ein geheimnisvoller, nicht ungiftiger Treibstoff für sie, PFX44, als Spannungsantreiber mit.
Es gibt nichts, was den Fortgang der Handlung bremst, die Szenenfolge ist rasch, aber wirkt nicht aus Prinzip TV-mässig kurzatmig, sondern der Spannung geschuldet. Die aber eher noch gefördert wird mit einem Satz in der Pathologie „Es ist eigenartig friedlich hier“. Dabei hat der Pathologe ein ziemlich aufregende Entdeckung gemacht.
Zwischendrin eine kurze humorige Szene in einem Club, wie der alte Freund Fossett den Premier trifft, ihn fragt, wer von den umstehenden Figuren, die so tun als ob sie Billard spielten, vom Geheimdienst sei; daraufhin macht Fossett eine Angriffsbewegung auf Dawkins und die Geheimdienstler entlarven sich.
In der zweiten Folge fällt vor allem auf, wie Dawkins als Premier Ausbrüche aus dem strengen Gespinst, was seine Entourage um ihn legen will, versucht und Dinge direkt an die Öffentlichkeit bringt, riskantes Spiele, indem er zeigen will, dass er nicht korrumpierbar sei, nicht manipulierbar. Wobei auch er trotzdem wirkt, als sei er nicht nur die integre Figur und die Infos dazu mehren sich ja auch. Im Wahlkampf hatte er versprochen, gegen die Exzesse der großen Konzerne zu sein. Und steckt doch mitten in der Zwickmühle einer solchen Auseinandersetzung, denn er soll die „Freunde“ der Regierung nicht vergessen, wird ihm zugeflüstert; er will aber auch nicht vergessen, wer ihn und seine Regierung gewählt hat.
Zusätzlicher Spannungsanheizer am Ende der zweiten Folge, die die ganze Geschichte ins weltpolitische Spannungsfeld rückt: die Information, dass der Angriff der Drohne auf die afghanischen Taliban auf iranischem und nicht auf afghanischem Boden erfolgt sei.
„Sie kommen an der Spitze an und dann müssen Sie erkennen, dass Sie gerade in der Mitte sind“, so Dawkins. Oder wie die Demokratie sich von der Demokratie entfernt.
Dawkins fängt als Halbschuh an. Und wie er sich hält an der Spitze, das ist spannend zuzusehen wie Artisten im Zirkus auf dem Hochseil oder wie einer Figur, die versucht auf dem Kulminationspunkt eines Geysirs sich zu halten, auf einem sich stets kraftvoll erneuernden Energiestoß aus persönlichen Ehrgeizen einzelner Figuren, Konzernen, Geheimdiensten, Kriegsdrohungen, Interessen an Kriegsbegründungen, von sich übergangen Fühlenden, merkwürdigen Thesen vom übergeordneten Wohl und deren Interpretation, Wirtschaftskrieg, Drohung von Sanktionen oder von Produktionsverlagerung ins Ausland, Währungsspekulation, Fraktionszwängen, Vertuschung und Fehlinterpretationen von Informationen, Forschen in der Vergangenheit (er war in Bosnien) und der Aussicht auf einen Ölpreisanstieg weltweit.
Wie Dawkins die Strecke oben überstanden hat, Ende Teil vier, da schwingt er sich zu einer famosen, brillanten Rede vor dem britischen Parlament auf, das kurz davorsteht, einen Krieg gegen Iran zu beschließen und welches davon das Überleben des Premiers abhängig macht, einer Rede, die die Maßstäbe der Demokratie, natürlich wirkt das hoffnungslos idealistisch, wieder ins Zentrum des Handelns verlegt. Ein bisschen wie Schröder und sein Nein gegen den Eintritt in den Irakkrieg. Das dürfte hier durchaus reflektiert sein. Da hat Dawkins den Rat des Seniors im Parlament wörtlich genommen (so dass es diesem dann zu viel wird): Fossett würde wollen, dass Sie ihren Mann stehen und hohe Wellen schlagen.
Für das dreckige Geschäft, das in dieser Serie beschrieben wird, ist die industrielle deutsche Nachsynchronisation passend.
Dawkins Rhethorik-Coup: Bin ich mir sicher, dass …? Nein, bin ich nicht (hier lachen die gegen ihn gestimmten Parlamentarier noch; hier gibt er ihnen recht in einem Punkt, von dem sie auch nicht überzeugt sind); dann stellt er die Frage zu weiteren Punkten, nach demselben rhethorischen Muster „Bin ich mir sicher, dass…? wobei jetzt das Nein der Antwort ihre Mienen gefrieren lässt.
In Riesentempo baut die Drehbuchspinne ihr dichtes Netz auf und nimmt den Zuschauer in diesem Politthriller gefangen. Wenn der deutsche Tatort oder Polizeiruf sonntagabends wie das Sandmännchen die vor dem...