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Giulia geht abends nie aus

Das ist Kino, Kino, Kino. Es umfängt einen, es umgarnt einen, es nebelt einen ein, es macht einen leicht, wie das Wasser im Schwimmbad (einer der Spielorte in diesem Film). Es betört einen, es raubt einem die Sinne. Kino pur. Am liebsten möchte man das Geheimnis der Zubereitung dieses Kinos von Giuseppe Piccioni erfahren. Die IMDb gibt nur bekannt, dass seit seinem letzten Film 5 Jahre vergangen sind und in derselben Internet Movie Data base taucht auch nicht eine Fernsehproduktion von ihm auf. Um es mal von außen zu betrachten.

Aber was erzählt uns dieses Kino? Doch gar nichts so Ungewöhnliches. Eine Dichter-, besser eine Autorenstory. Die Figuren, die dem Autor im Kopf rumtanzen, die seinen Realitätssinn leicht verwischen, so wie dieses Kino den Zuschauer bezaubert, und die sich selbständig machen.

Der Autor Giulio Montani, gespielt von Valerio Mastandrea, ist auf dem Wege des Erfolges. Die Gerüchte verdichten sich, dass er nah dran sei, einen wichtigen Literaturpreis zu gewinnen, den Premio Letterario MALASPINA. Das ist der ganz lockere äußere Handlungsfaden, um den sich die verschiedenen Deskriptionen seiner Befindlicheiten und Fantasien ranken.

Ein Dichter kann ganz schön viel Fantasie entwickeln. So viel, dass er manchmal zwischen Realität und Fantasie nicht mehr unterscheiden kann, soviel, dass seine erfunden Figuren – man kann vielleicht Ähnlichkeit mit der einen oder anderen Figur aus seinem Umkreis feststellen – sich selbständig machen und in einer Szene sogar sich zum Gruppenbild um sein Manuskript aufstellen und verwundert oder grinsend oder wie auch immer kommentierend darin lesen.

Da dürfte dem Dichter der Zugriff dann vollends abhanden gekommen sein. Um diesen ganz dünnen und nie penetranten Handlungsfaden, der so unscheinbar wie ein Untertext mitgeliefert wird, weil so einer zum gekonnten Geschichtenerzählen nun mal gehört, arrangiert Piccioni das Portrait, eines Mannes, der Schreiben durchaus als Handwerk versteht, der vielleicht auch gar nicht zu originell ist, der andauernd die Erfahrung macht, dass Leute, die sein Buch loben, es gar nicht zu Ende gelesen haben. Bis vielleicht auf den altklugen Filippo, den Sohn von Giulia, der Schwimmlehrerin, der Titelfigur, die er im Schwimmbad kennenlernt, der Schwimmlehrerin seiner Tochter, die nur dem Vater zuliebe den Schwimmunterricht nimmt.

Bei einem Gespräch mit seiner Tochter Constanza wird klar, dass sie keine Lust aufs Schwimmen hat. Allein wie dieses Schwimmbecken, die Bahnen, das Wasser, die Lehrerin und ihre Besprechung vom Beckenrand aus mit der Tochter vom beobachtenden Vater aus gesehen und inszeniert ist, ist geheimnisvoll schön und ungewöhnlich. Jedenfalls findet der Vater, wenn die Stunden schon bezahlt sind, so könne er ja den Schwimmunterricht nehmen, den seine Tochter nicht mag. Schon eine verrückte Vater- oder Dichterfigur. Denn er kann nicht mal schwimmen. Und ich glaube nicht dass ihm gleich bewusst ist, dass ihn die Schwimmlehrerin, das ist Giulia, die abends nie ausgeht, fasziniert. Oder er tapst einfach so, vollkommen ohne dazwischengeschaltete Reflexe der Begründung in die Beziehung rein. Wie Autoren möglicherweise sind, gar sein müssen.

Die dichterischen Fantasien des Autors Montani sind eher bescheidener Natur, aber auch wie dieses Bescheidene hier geschildert wird, ist umwerfend. Eine wirklich saudoofe Geschichte einer Gogo-Tänzerin und Nutte, die dem Pater beichtet, dass sie es für Geld mache. Und die ihn verlockt. Er solle doch auch mal kommen. Dieses Holzgesicht von Pater macht sich dann tatsächlich auf ins Rotlichtmilieu.

Etwas 80 – 90 Prozent des Filmes hält Piccioni den Zuschauer in dieser faszinierenden Schwebe zwischen Kino, Realität, Literatur, Erfindung, packt den Zuschauer in eine traumhafte Watte und nur damit dieser nicht abhebt, muss die Geschichte zum Ende hin ziemlich nüchtern geerdet werden. Dagegen aber fährt Piccioni dick Pralinen auf, die der Autor im Film mit seiner schwimmunlustigen Tochter ziemlich gierig verschlingt. Da muss ich noch mehr drüber lachen, wenn ich mir das jetzt vergegenwärtige.

Fast eher belustigt, wie Piccioni die Machenschaften und spießigen Geschäftigkeiten und Geschäftspraktiken um einen eminent wichtigen Literaturpreis herum schildert. Zum Beispiel die Privatlesung in einer Villa voller alter, selbstredend reicher, weißhaariger Erbinnen, Damen, Witwen, die alle vor der Lesung noch beim Coiffeur waren. Der Regisseur und das Publikum im Kino können amused sein. Auch die Begründung für die Lesung, die die Literaturagentin gibt, die Lesung bei dem Damenkränzchen, die sei halt wichtig, entbehrt jeglicher Rationalität. Liebenswert bösartig, wie Piccioni diese Dame von Literatur-Agentin schildert, die schamlos mit den Hoffnungen ihrer Klienten spielt und schachert.

Ein älteres Ehepaar verkörpert die Literaturfans. Meist sind sie im Lift anzutreffen und ihre Funktion ist einzig die, die Hoffnung unsseres Autors auf den Preis anzuheizen. Grandios und kostbar, weil so einfach und treffend. Man könnte sagen: das richtige Maß zwischen Kunst und Realität, zwischen Ernst und Satire getroffen. Wie bei einem Bassin, das genau so randvoll ist, dass immer wieder ein bisschen was drüberschwappt, aber nie wird der Zuschauer nass dabei, steht aber kurz vor dem köstlichen Schock, es könnte ihn gleich selbst erwischen.

Vielleicht ein Film für Menschen, die Literatur und Kunst zugetan sind, die diesen aber nicht bedingungslos verfallen sind, die sie als das nehmen, was sie im besten Fall sein können, eine Bereicherung, eine Würze für das Leben. Nicht mehr und nicht weniger.

Die drei Musketiere

Achtbare Familienunterhaltung, die man allein schon dafür mögen muss, da es sich um ein rein europäisches Produkt handelt. Dem man aber leider in jeder einzelnen Szene die Mühe ansieht, alles richtig und perfekt und toll und aufwändig erscheinen zu lassen und niemandem weh zu tun, noch jemanden zu schocken mit einer Enthauptung der bösen M’Lady de Winter beispielsweise. Das hat allerdings den Nachteil, dass eher der Eindruck von Szenenfolgen aus einem sprechenden Wachsfigurenkabinett denn der eines mitreißenden Spielfilmes entsteht. Denn in dem Riesenaufwand an Kostüm, Ausstattung und noch im Visier von zwei 3D-Kameras, bleibt den Akteuren wenig Spielraum. So stellt die Regie sie denn am liebsten dekorativ hin (wenn sie nicht gerade kämpfen müssen) und lässt sie in skizzenhaften Dialogen die wichtigsten Informationen zur Geschichte sprechen, ohne den Figuren grosses Eigenleben oder Kontur zu verleihen, ohne fesselnde Beziehungen entstehen zu lassen, die den Zuschauer bannen und fordern könnten.

Aufwand und Logistik zur Produktion dieses Filmes waren enorm. Lassen wir die Produktion sprechen: 2500 Komparsen, 710’000 Flugmeilen (24 mal um die Erde; von den zwei Flug-Schiffen, die irgendwie mit Jules Vernes konkurrieren zu scheinen wollen zu schweigen und die einen überdimensionalen Teil des Filmes einnehmen), 260’000 Liter Wasser zur Flutung eines künstlichen Kanals, 1’800 Marmorkacheln, 180 wasserspeiende Masken, 2’000 Schriftrollen, 800 Waffen, 3’000 Meter grüner Stoff, 55 Drehtage, 350 Personen im festen Filmteam und Abermillionen von Förderung aus allerlei staatlichen Fördertöpfen (und mit noch vielen imponierenden Zahlen mehr brüstet sich das Pressematerial und liefert damit wohl unabsichtlich effiziente Munition gegen den Film selbst); aber davon, dass auch nur ein Eimerchen Geist auf die Produktion verwendet worden wäre, die Geschichte heutespannend und aktuell zu gestalten, das Museale in heutige Seh- und Darstellungsgewohnheiten umzuwandeln, im Heutemenschen Seelensaiten zum Vibrieren zu bringen, davon ist leider kein Wort zu finden.

Der Plot ist einfach: die drei berühmten Musketiere wollen mit Hilfe des Provinzbengels d’Artagnan den franzöischen Knabenkönig vor den Intrigen des Kardinals Richelieu und damit Frankreich vor einem Krieg mit England bewahren.

Dass es sich bei vielen Darstellern um Stars handelt, fällt vor erdrückendem Aufwand und Statik der Szenen kaum auf. Mit No-Name-Darstellern hätte man vermutlich ohne grosse Qualitätsverluste ein ähnliches Resultat einfahren und dabei sehr viel Kosten sparen können und vielleicht wäre sogar ein Hauch Spontaneität und Urwüchsigkeit in die Produktion eingeflossen.

Ohngeachtet dessen: was war die Idee hinter dieser Unternehmung? Wollte man einfach einen grossen Film machen, einen Aufwandfilm, einen Logistikfilm? Wozu? Wollte man in Punkto schiere Grösse den Amerikanern endlich Paroli bieten?

Mir scheint vor lauter Zahlen und Litern und Metern und Komparsen und Luftschiffen und Kacheln und Stars das Wichtigste am Kino unter die Räder gekommen zu sein: eine spannende Geschichte zu erzählen. Vielleicht hat der grosse Geldberg, der hinter der Produktion stand, die Macher ängstlich und übervorsichtig gemacht und sie haben sich auf den verheerenden, vermeintlich risikolosesten gemeinsamen Nenner geeinigt: ein schmuckes Wachsfigurenkabinett, das ordentlich seine Texte und Kämpfe bietet, in ansprechendem Ambiente zu präsentieren. Geld scheint hier dem Kino-Geist den Schneid abgekauft zu haben.  Milchzahnkino.

Mein bester Feind

Vielleicht einer der angenehmsten Nazizeitfilme überhaupt. Weil er sich weder in Schuldgefühlen oder schlechtem Gewissen suhlt noch versucht den Faschomechanismus analytisch freizulegen. Weil für ihn die Nazizeit lediglich ein Beispiel oder eine Möglichkeit abgibt, den Satz zu illustrieren: Was Du nicht willst, dass man Dir nicht tu, das füg auch keinem andern zu.

Dafür hat Wolfgang Murnberger, der Regisseur und Autor, mit diesem Stoff eine wunderbare Vorlage und erzählt das launig in einem gut verfolgbaren Nacheinanderkino mit Besetzungen, die überzeugen und mit Figurzeichnungen, die auf tiefere Menschenkenntnis schließen lässt, die davon ausgeht, dass jeder Mensch an seiner Postion aus seinen Gründen, natürlich können die sehr böse, sehr opportunistisch sein, handelt, Gründe, die für den Einzelnen zwingend oder angebracht scheinen, und dass kaum ein Mensch da ist, um nur böse und zerstörerisch zu sein.

Die Geschichte, die als Vorwand für dieses Spiel mit den Vorurteilen und der moralischen Konsequenz des eigenen Handels dient, ist folgende: Die jüdische Familie Kaufmann betreibt seit langem in Wien eine Kunsthandlung. Die Filiale in Nürnberg ist bereits Opfer der Nazirandale geworden. Die Familie besteht aus Vater, Udo Samel, Mutter, Marthe Keller, und Sohn Viktor, Moritz Bleibtreu, eine durchwegs grossartige Besetzung ebenso Rudi Smekal, gespielt von Georg Friedrich, mit dem Viktor dick befreundet ist, dem Sohn „einer Hausbesorgerin“, wie es mehrfach abschätzig heißt.

Die beiden Freunde kennen sich lange und sind unzertrennlich. Zu den beiden gehört noch Lena. Sie ist mit Viktor verlobt. Die Geschichte wird sich darum drehen, wie Lena sich verhalten wird, nachdem Smekal fanatischer Nazi geworden ist, die Kaufmanns ins KZ gebracht hat und Lena haben möchte.

Eine Geschichte mit einem so enormen Konfliktpotential braucht einen extremen Anlass, damit sie ins Rollen kommen kann. Hier ist der Katalysator eine bisher unbekannte Radierung von Michelangelo, die Moses darstellt. Eine kunsthistorische Sensation..

Die sei vor einiger Zeit in die Hände von Kunsthändler Jakob Kaufmann geraten. Die Radierung liessen die Kaufmanns von Rudi, der als Nichtjude unverdächtig war, in einem Koffer von Nürnberg nach Wien schmuggeln. In einer trauten Stunde hat Viktor seinem Freund Rudi gezeigt, wo und wie dieser Michelangelo in ihrer Wohnung versteckt gehalten wurde.

Die Nazis rücken näher an Wien ran. Die Kaufmanns überlegen sich schon, von Nürnberg zu lernen und den Umzug nach Zürich vorzubereiten. Aber es geht alles viel schneller. Schon sind die Nazis in Wien. Die Kaufmanns können zwar ihr Haus noch vor der Enteignung retten, indem sie es auf Lena überschreiben.

Rudi selbst, der inzwischen ein strammer Nazioffizier geworden ist, hat die Nazis auf den Michaelangelo aufmerksam gemacht und die wollen ihn als Geschenk an Mussolini überreichen lassen. In Berlin gibt es Verhandlungen zwischen einer Delegation aus Italien und den Deutschen. Aber ein Kunstexperte stellt sofort fest, dass es sich um eine Fälschung handelt. Denn der alte Fuchs Kaufmann hat, wie ihm klar wurde, dass die Nazis hinter dem Blatt her sind, schnell bei einem Freund zwei Fälschungen bestellt. Das Original hat er an die Rückwand eines Portraits von sich selbst festgemacht und mit Packpapier geschützt. (Das kann hier ruhig verraten werden, weil es auch im Film nicht wirklich eine Überraschung ist).

Nun muss Rudi das mit der Fälschung logischerweise klären und in Ordnung bringen. Er soll das Original finden. Das Problem dabei ist, dass die Kaufmanns inzwischen auf Betreiben von Rudi im KZ gelandet sind. Aber nur sie können ihm aus der Patsche helfen, denn nur sie wissen, wo das Original ist.

Doch Vater Kaufmann ist im KZ schon gestorben. Vielleicht kann Viktor helfen. Er wird rausgeholt und Rudi soll ihn als Bewacher aus dem KZ in Polen nach Berlin fliegen. Das Flugzeug wird von Partisanen abgeschossen. (mit dieser Sequenz fängt der Film übrigens an). Viktor rettet Rudi das Leben. Aber er vertauscht die Klamotten und gibt sich selbst als SS-Führer aus.

Diesen Rollentausch nutzt Murnberger nun für die brilliante Lektion zur Konsequenz des Satzes: „was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu“.

Murnberger schafft, was die Degeto immer möchte und selten kann: grosses Kino mit einer berührende Geschichte, klar und gut nachvollziehbar erzählt. Wie bei einem Brettspiel folgt bei ihm Zug um Zug und das Spiel bleibt ohne überforderndes Erzältempo spannend. Murnberger hat eine kundige Art zu erzählen. Er macht keine billigen Gags, wie in den unsäglichen „Wunderkinder“ von Degeto, mit blöden Sprüchen wie „auf ein Bier nach dem Krieg“. Er zitiert in einer vergleichbaren Situation lediglich den Schwejk „um sechs nach dem Krieg“.

Roller Girl

Richtig schön, gradlinig erzählte Geschichte einer 16jährigen aus der tiefsten amerikanischen Provinz in der Nähe von Austin; chronologisch wie nach dem Tagebuch und wach beobachtet; so dürfte der Roman geschrieben sein, den die Drehbuchautorin, Shauna Cross, verfasst hat und nach welchem sie das Drehbuch schrieb. Sie führte auch die Regie.

In der Provinz kann man sich Zeit lassen. Die Provinz hat strenge Rituale, Schönheitswettbewerbe zum Beispiel, das ermöglicht ausgiebige Blicke in die Garderobe, wie die jungen Mädchen sich vorbereiten, wie sie ihre Frisuren hochstecken, ihre weißen Kleider anziehen, bodenlang selbstverständlich und die strenge Jury im Publikum. Jede Konkurrentin darf sich kurz vorstellen und sagen, mit wem sie gerne zu Abend essen würde.

Unsere Protagonistin heißt Bliss Cavendar, gespielt von Ellen Page. Sie fühlt sich in der Enge der Provinz nicht wohl. Sie spielt die Rebellin, indem sie vor dem Wettbewerb ihre Haare blau färbt und die Frisur sitzt dann auch nicht richtig. Nun ja, ihre kleine, brave Schwester gewinnt den Pokal, ein scheußliches dreibeiniges Ding, grösser als sie selbst. Die Rebellin, die geht leer aus. Das Verhältnis zur Mutter wird dadurch nicht besser.

Bliss jobbt mit ihrer Freundin in einem Schnellimbiss.

Shauna Cross schildert das liebevoll und einfühlsam. Sie verzichtet auf komplizierte Dialoge, aber immer bringen sie die Geschichte ein ganz klein wenig vorwärts.

Bliss hat also zuhause keine guten Karten mehr, da erfährt sie von einem Roller-Wettbewerb. Dialog mit Freundin: This is a Roller …, this is in Austin…. Frage: will there be cute boys then?

Die beiden Freundinnen fahren alleine los. In Austin kommen sie mit dem harten Sport der Rollerinnen in Kontakt. Der Funke und die Begeisterung springen auf Bliss über. Zuhause jedoch muss sie lügen, wenn sie ab da zum Training will, denn das würde keineswegs toleriert werden. Und wenn sie kein besonderes Talent fürs Rollern hätte, dann bräuchte die Geschichte auch nicht erzählt werden. Sie schützt zuhause Überstunden vor.

Eine nett illustrierende Erzählweise, die die Konflikte immerhin der Reihe nach einführt und auch wieder löst. Respektive, der grosse Teil des Filmes ist die Konfliktexposition, denn die Eltern wissen ja erst nichts davon, der Konflikt kann also bis zum entscheidenden Rennen verheimlicht und dadurch verhindert werden. Konflikt qua Konfliktvertuschung.

Und wie er dann da ist, wie der Termin des entscheidenden Rennens genau mit einem Termin mit der Mutter bei der Mutter-Tochter-Vereinigung (in weißer Kleidung, versteht sich), kollidiert, da ist der Vater plötzlich auf Tochters Seite, denn sie hatte ihn mal beim heimlichen Fernsehen im Wohn-Trailer erwischt. Die Tochter ist schon fertig geschminkt und anlassgemäß provinziell angezogen, da platzt der Vater, der sich inzwischen im Internet – noch eine sehr frühe Variante den Computern nach zu schließen – schlau gemacht und erkannt hat, was für ein Roller-Talent seine Tochter ist.

Es gibt eine ausgiebige Szene, wie sich Bliss mit der Freundin unterhält, weil sie beim Eintritt in die Sportgruppe gefragt wurde, wie alt sie sei, ob sie 21 sei, und da hat sie keck gelogen: 22. Die Freundin machte darnach moralische Einwände geltend, die wischte Bliss beiseite, sie sagte ganz cool: die Grenze ist kritisch, aber ein Jahr mehr, da fragt keiner mehr nach. Das sind doch sympathische Details.

Später vor dem Rennen gibt es eine Auseinandersetzung mit einer 37 Jährigen aus der Gruppe und die kommt dahinter, dass das Mädel erst 17 ist und die spielt ihr erst einen Streich, also eine boshafte Intrige, Mobbingversuch mit anderen Worten. Oder: Geschichten, die das Leben schreibt.

Bevor sie zum Roller-Sport geht,  spottet die Freundin noch „you dont have the balls“.

Schöne Szene, wie sie mit einem Altenbus nach Austin fährt, zweimal kommt das vor, sie sitzt neben einer alten Dame, graues Haar blau gefärbt, die sagt ganz wichtig, sie habe es selber gefärbt; beim nächsten Mal hält Bliss ihr den Wollknäuel, damit sie stricken kann. Auch so ein Glaubwürdigkeit verleihendes Detail.

Im Sport wird Bliss RUTHLESS genannt, weil sie die Lektion gelernt hat, die Gegnerinnen ruthless gleich skrupellos, erbarmungslos auszuspielen.

Bliss verliebt sich in einen ganz netten Typen von einer Band. Die ersten Liebesszenen zwischen den beiden, die sind ganz zart, romantisch, verspielt, unschuldig, sie sitzen auf dem Kühler des Ami-Schlittens, er schmeißt dann die Auto-Schlüssel ins Kornfeld und sie müssen sie suchen. Und dann nochmal. Und dann gibt’s einen Schnitt.

Die ganzen Provinzmenschen, wie sie liebevoll gezeichnet und gekleidet sind, nie richtig dumm, nie zu wach, nie zu grob, aber immer besorgt und leicht ängstlich.
Insofern passt auch die Besetzung, keine dieser im Gesicht korrigierten aufstrebenden jungen Hollywood-Jung-Mumien.

Eine weitere dufte, süsse Liebesszene im Pool, traumhaft die beiden schwimmenden Körper, die sich dann unterwasser züchtig ausziehen, aber natürlich nicht so ganz; sie trägt schöne provinzielle BHs.

Zuhause kommt es zu einem Anschiss; Mutter trägt einen rosa Morgenrock mit breitem Kragen und weißen Stickereien auf diesem.
Ein Film von einem Mädchen für die Mädchen vom Lande und vielleicht noch ihre Mütter oder eher für die Grossmütter.
Denn der Erzählfaden ist, wie erwähnt, gut.

Dazu gehört selbstverständlich aufkeimendes Misstrauen dem Freund gegenüber, ein Missverständnis wie sich rausstellen wird, aber da weiß Mutter ganz schnell: Bliss ist ganz traurig, sitzt in der Küche, weint schier und sagt: please dont judge me right now. Und Mutter meint: he doesnt deserve you. Die lieben Mütter ohne allen Arg.

Es ist ganz naiv der Entwurf eines Provinzmenschenbildes nach Beobachtung oder „nach der Natur“ und ohne tiefere Druchdringung, ohne grosses Kratzen am Lack, ganz lieblich dargestellt. Die Eltern wollen das Beste für die Kinder. Das war immer so. Das wird immer so bleiben. Und oft werfen sie dadurch den Kindern Steine in den Weg. Und erst durch den Erfolg der Kinder lernen die Eltern, was dem Kind gut tut. Bis dahin ist auch der Freund wieder da. Ende gut, alles gut.

Kino wie das persönliche Tagebuch einer in der amerikanischen Provinz Heranwachsenden.

Cairo Time

Das Portrait einer einsamen westlichen Frau vor der wehmütigen Kulisse Kairos, von Juliette Grant, deren Mann als UN-Mitarbeiter in Gaza tätig ist. Das erste Lied im Taxi nach ihrer Ankunft in Kairo ist von Umm Kulthum, der vielleicht berühmtesten ägyptischen Sängerin.

Die Story: Juliette Grant will ihren Mann in Ägypten besuchen, um mit ihm einige freie Tage zu geniessen und die Pyramiden zu besichtigen. Aber Mark arbeitet für die UN in Gaza. Da kann gerne was dazwischen kommen. So hängt denn Juliette in Kairo rum. Wird sehr schnell von Männern ziemlich krass angemacht (want to fuck you) und eine ganze Truppe marschiert schon hinter ihr her, bis sie in ein Geschäft flüchten kann. Aber vorher hat sie schon Tareq kennengelernt, einen ehemaligen Mitarbeiter ihres Mannes, der jetzt ein Kaffee betreibt. Der hat sie vom Flughafen abgeholt und ihr auch sein Kärtchen gegeben, falls was sei.

Patricia Clarkson, die die Juliette spielt, hat das gewisse verschlossene, sphinxhaft Geheimnisvolle in ihrem Gesicht, diese zarte Schicksalsergebenheit, die im Kontext zu Kairo eben die Einsamkeit einer solchen Gattin und ihres Lebens noch schöner zur Geltung bringt.

Da im Hotel das Internet nicht funktioniert, geht sie in einen Internetshop und wird gleich von ihrem Nachbarn angebaggert. Später flüchtet sie in das Kaffee von Tareq. Nur Männer drin. Das ist nicht für Frauen. Tareq ist am Spielen.

Es wird nah am Realistischen erzählt ohne grossen Farbabgleich, ohne grossen technischen Aufwand, das macht den Film so sympathisch, dass Ruba Nadda, die Regisseurin aus Kanada, dran bleibt an dem, was sie interessiert, die Bebilderung der Einsamkeit von Juliette vor der Kulisse und der Gesellschaft des Nahen Ostens.

Wie Tareq Juliette am Flughafen abholt, begegnet er Jasmin, einer früheren Liebe von ihm. Beide stammen aus Damaskus (dort regnet es im Winter und auch Schnee ist nicht unbekannt). Eine Heirat kam für die beiden nicht in Frage, denn sie ist armenische Christin, er Muslim. Jasmin lädt also Tareq und Juliette spontan zur Hochzeit ihrer Schwester auf dem Lande in der Nähe von Kairo ein. Ganz einsam soll Juliette nun doch nicht bleiben in der Megacity.

Diese Hochzeitseinladung gibt Gelegenheit sich schick zu machen und mit dem Zug durch Ägypten zu fahren in die Dattelplantage und diese Hochzeit zu zeigen, aber nicht zu exzessiv, etwas Musik und Tanz und begeisterte Gesichter.

Tareq wollte Juliette auch die Pyramiden zeigen, aber das hat sie ihrem Mann versprochen. Der ist im Moment nicht zu erreichen. Sie erhält nur Nachrichten, dass er immer noch verhindert sei, dass es ihm aber gut gehe.

So nimmt sie denn auf eigene Faust einen Bus nach Gaza, um ihn zu besuchen. Aber der Bus fährt an der Grenze nicht weiter. Die Frau neben ihr drückt ihr, bevor die Grenzkontrolle kommt, einen Brief in die Hand, den sie bitte abgeben möge. Die Frau ist schwanger. Jedenfalls kommt Juliette nicht nach Gaza. Der Soldat, der die Pässe kontrolliert, rät ihr, jemanden anzurufen, der sie abholt.

Vorher hatte Tareq sie schon zu einer Bootsfahrt auf dem Nil eingeladen. Und einmal geht sie mit ihm Wasserpfeife rauchen. Im Zimmer wird sie mehrfach durch das Zimmermädchen erschreckt, das plötzlich da ist. Der Brief, den sie abliefern soll, bringt Juliette in die Teppichknüpferei, wo lauter Mädchen mit Kopftüchern, die maximal 13 sind, an den Knüpfstühlen sitzen. Das gibt Gelegenheit für einen kleinen Gedankenaustausch über Kinderarbeit. Vorher aber hatte Tareq den Brief geöffnet um ihn zu lesen, denn man weiss nie, neulich seien zwei Amerikaner vor ihrem Hotel erschosssen worden, aber er sieht dann, dass es um die Info der Schwangerschaft geht.

Das Fühlige am Film ist, dass Juliette Zuneigung zu Tareq entwickelt, der ihr eine Kartusche mit seinem Namen drauf schenkt, die sie um den Hals hängen kann. Also lässt sie sich von ihm auch zum Pyramidenausflug verführen. Unaufdringlich schöne Bilder am frühen Morgen. Sie im türkisblauen Kleid. In der Wüste. Dann die Stufen der Pyramide hoch. Nähe. Gefühle. Ein Kuss liegt in der Luft.

Bis zur Rückkehr ins Hotel ist Mark dort eingetroffen. Nur kleine Irritation. Sie holen jetzt endlich den Ausflug zu den Pyramiden nach. Das Ehepaar sitzt schweigend im Fond einer Taxe. Mark fragt nach der Kartusche. Juliette hängt dem Erlebnis mit Tareq nach. Dann wendet sie sich Mark zu.

Eine schöne Info über ihr Standing gibt Juliette schon in der Taxifahrt am Anfang mit dem Satz, ihre Tochter studiere creative writing, something she loves. Der Film ist so ruhig gedreht mit unaufwendigen Aktionen, alltäglichen Selbstverständlichkeiten, die sich wie von selbst ergeben. Vermutlich könnte man die Tonspur sogar als Hörspiel mit eigenem Erlebniswert genießen.

Eine merkwürdige Aktion nach Bezug des Hotelzimmers: Juliette hievt wie ein kleines Insekt einen grossen Hotelzimmersessel direkt vor die Terrassentür, damit sie sich reinsetzen und die Aussicht, den Nil, ein paar Palmen und Hochhäuser auf der anderen Seite geniessen kann, vor allem dringt das laute, unaufhörliche Gehupe Kairos ins Zimmer.
Weiterer Text von ihr beim Telefonieren mit ihrem Mann, sie habe keine Lust beim Embassy Event mit all den Erdölfrauen zusammenzusitzen. Das Event kommt. Sie sitzt mit den Erdölfrauen zusammen. Sie ergibt sich in ihr Schicksal, erträgt es ohne mit der Wimper zu zucken, aber auch ohne jeden Anflug von Begeisterung.

Wie sie allerdings in der Stadt von den Männern belästigt wird, da spürt sie, dass sie verrückt werden könnte.

Der Film könnte die direkte Transskription eines Tagebuches von Juliette sein, ihren Seelenstimmungen, ihrer Sehnsucht, ja, ihrer Einsamkeit; die wird zum Beispiel in dem Moment noch drastischer dargstellt, wenn Tareq ihr ausrichtet, ihrem Mann gehe es gut.

Manchmal kommen einem die Texte der Schauspieler einfach gut gelernt vor; aber das reicht, das ergibt hier sogar eine Zutat zu dem Flair von Verlorenheit.
Die Regisseurin scheint eine sehr pragmatische Erzählerin zu sein; mit schnellen Entschlüssen, was wichtig sei und was nicht. Kein Kamerafirelfanz bitte, keine Lichtorgien, wenn sie denn überhaupt Zusatzlicht zu den natürlichen und eh vorhandenen Quellen gesetzt hat.

Der Film wird ab und an von einer dezenten Piano-Hintergrundmusik begleitet. Auch so typische Sätze, wie „my English is bad“, fehlen nicht und die Antwort der original Englishsprechenden darauf: no, no. – No, you dont feel bad in Cairo. Vielleicht ist es ja eine Ahnung vom Leben.

Westwind

Kino als Porzellanmalerei, vielleicht aus Meißen, mit zwei selig lächelnden Protagonistinnen aus der DDR, hübsch wie Engel auf Porzellan gemalt für den Salongebrauch. Die DDR der Putten.

Nach einer wahren Geschichte ist dieser Film gedreht worden. Die Produzentin selbst will sie mit ihrer Zwillingsschwester erlebt haben. Das war vor über zwanzig Jahren. Erinnerung verändert die Geschichte, verfärbt sie.

Der Film spielt zur Zeit der DDR, ein Jahr vor dem Fall der Mauer. Doreen und Isa heissen die beiden DDR.-Sportlerinnen, Ruderinnen um genau zu sein. Sie sind zweieiige Zwillingsschwestern. Sie dürfen für ein Pionierlager zum ersten Mal ins sozialistische Ausland fahren. Nach Ungarn. Dort lernen sie westdeutsche Jungs kennen. Doreen verliebt sich in Arne aus Hamburg. Sie lässt sich von ihm im VW-Käfer über die ungarische Grenze in den Westen schmuggeln.

Über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer scheint die DDR im diesem Erinnerungs-Film ihren Schrecken verloren zu haben. Die Entscheidung für die Besetzung mit den beiden Hauptfiguren gibt gar nicht erst vor, DDR-Realismus auf die Leinwand bringen zu wollen. Die beiden Schwestern fahren im Zugabteil Richtung Ungarn. Sie fahren allein. Nicht in der Gruppe. Sie sitzen im Zug und lächeln, lächerln, lächeln versonnen, wie im Traumland, wie im Film, wie im Old-Hollywood. Aller Sorgen los und glücklich. Keine graue DDR die als dunkler Akkord dahinter liegt. Filmwelt, Traumwelt.

In Ungarn verpassen sie den Bus zu ihrem Camp. Sie gehen mit ihren Rucksäcken zu Fuss eine fast leere Strasse entlang. Der orange VW-Käfer aus Hamburg kommt da wie bestellt, das heißt, er kommt ziemlich absichtsvoll die Strasse entlang, um dann zu stoppen und die beiden Frauen zu fragen, wo sie hinwollen, ob man sie ein Stück weit mitnehmen könne. Deutliche Inszenierung.

Die Liebe dürfte auf den ersten Blick gefallen sein, die zwischen Arne und Doreen, auch wenn das den beiden vielleicht nicht gleich bewusst ist, auch der Film macht kein Aufhebens davon. Also die DDR muss recht süss gewesen sein. Der einzige, der im Pionierlager immer rumbrüllt, das ist der Trainer und Leiter Balisch. Im Ton immer zu hoch und zu undifferenziert.

Einerseits müssen die Mädchen trainieren. Gerne rudern sie zu zweit. Mal ist auch Balisch im Boot. Schon am nächsten Tag tauchen die 4 Westdeutschen auf, was auf Seiten der DDR-Leitung zu Misstrauen führt. Ab da finden die Treffen am Draht-Zaun statt, der sich ums Camp zieht oder die Mädchen schleichen sich nachts durch den Zaun zu den Westdeutschen, erst zur Party, dann auch in ihre Zimmer.

Bald wird die Frage der Flucht akut. Doreen lässt in der Leistung nach, sie ist voll verliebt und nicht bei der Sache. Die Liebe wird allerdings auch minimal nur angedeutet. Vielleicht ist das ein Film für Kenner, die diesen Minimalismus erkennen können und sich darin gut fühlen, ihn erkennen zu können.

Es ist eine Erzählung aus Signalen. Doreen probiert das Parfüm von Arne. Ihre Schwester findet nach ihrer Rückkehr, sie rieche nach Arne. Du riechst nach Arne. Hat der Balisch was bemerkt? Du liegst seit 2 Stunden mit Bauchschmerzen im Bett. Die Schwester deckt die Ausflüge ihrer Zwillingsschwester.

Kino ist immer die Folge eine Unmenge bewusster oder intuitiver Entscheidungen der herstellenden Macher. Hier war sicher eine der ersten Entscheidungen, den Film mit sehr wenig Budget zu machen. Es sind keine namhaften, sprich teuren Stars dabei, stattdessen zwei wunderbare Nachwuchsschauspielerinnen (Friedericke Becht als Doreen und Luise Heyer als Isa); die meiner Ansicht nach aber nicht die Idee eines DDR-Realismus transportieren; das war wohl auch nicht die Absicht. Von mir aus gesehen grinsen sie echt zu viel, was mir der Glaubwürdigkeit der Story nicht allzu dienlich erscheint; auch der durchgehende Verzicht auf Dialektfarben der Schauspieler hebt den Film eher ins Wolkige, ins Wolkig-Schöne zwar; beinah ins Verklärend-Verklärte, aber nicht unbedingt in einen Bereich, um Publikum zu gewinnen, das an eigene Erfahrungen andocken möchte.

Es ist eine schöne Liebesgeschichte. Mit pointiert ausgewählten Szenen erzählt, immer deutlich, dass ganz bewusst entschieden worden ist, was erzählt wird und was weggelassen wird. Mit der Pinzette sozusagen ausgewählt aus einem Wust von Erinnerungen der Produzentin und ihrer Schwester. Leider begnügt sich der Filmemacher Robert Tahlheim damit, gewiss hübsch und schön gearbeitete Bilder nachzustellen; die Arbeit, diese in einen dramaturgisch spannenden Bogen zu bringen, wurde allerdings gar nicht erst angegangen. Wer auf solche Arbeit verzichtete, der bekommt das sehr deutlich an der Kinokasse zu spüren.

Vielleicht soll so ein Film zum Vornherein ein nicht allzu grosses Publikum erreichen; sonst hätten wohl einige Parameter anders entschieden werden müssen. Aber ganz versteh ich es nicht, wenn ein Film zum Vornherein nur für ein ganz kleines Publikum gemacht wird. Und wenn dem so ist, für welches Publikum? Für die erwähnten Kenner, die sich daran ergötzen, dass sie einen beuwssten Entscheid für Unpopuläres oder zur Auslassung von „normalerweise“ Erzählnotwendigem als solchen erkennen und gouttieren können?

Irgendwann möchte man doch auch Erfolg an der Kasse sehen. Und diese Liebesgeschichte hier ist weissgott universell genug; immer noch gibt es genügend undurchlässige Grenzen auf der Erde, politische Hemmnisse für Lieben. Eine Geschichte also, die beim heutigen Besucher Saiten zum Klingen bringen könnte. Das tut der vorliegende Film meines Erachtens kaum. Er lässt zwar gerne Saiten klimpern zur Vertonung und bedeutunsschwangere Streicher Saiten streichen. Was wirklich gar nicht nötig wäre bei der behutsamen und geschmackvollen Inszenierung. Aber die Bearbeitung des Textes und auch von Teilen der erfundenen Dialoge scheint mir nicht dazu angetan, eine Kinospannung zu erzeugen, die auch Leute zu faszinieren vermöchte, die zur DDR keine Assoziation mehr haben.

Mir scheint der Untertext der ganzen, wenn auch elaborierten Inszenierung der zu sein: ich mache Kunst, ich wähle aus. Und Menschenkenntnis spielen bei mir keine Rolle, Psychologie? Ohne mich. Ohne dann ganz auf stereotpe TV-Dialog-Fragen verzichten zu können wie „was machen ma jetzt?“.

Beispiele für diese deutlich sich als Kunst und Künstlichkeit verstehende Erzählweise, die quasi mit Glacéhandschuhen ihren Gegenstand behandelt: die Geschichte mit dem Floss.
Oder die Schilderung der Unterkunft der Deutschen, die erst am Schluss erkennbar wird (aha, so haben die also gewohnt. Oder die Schilderung des Schmuggelversteckes unter der Hutablage im VW-Käfer und dessen Handling. Die Schilderung der Zollkontrolle, die genau da aufhört, wo sie „normalerweise“ spannend wird, nämlich bei der Kontrolle. Kein Zweifel besteht allerdings daran, dass der Regisseur ganz genau begründen könnte, warum er gerade diese Auswahl des Gezeigten getroffen hat. Warum er aber bereit ist, auf Kosten dieses Etepete auf Spannung, menschliche Widerborstigkeit, Erzählrhythmus und Tempo zu verzichten, das zu begründen dürfte ihm sicher schwerer fallen.

Ein begrenzter Kinobegriff, den wir hier vorgeführt bekommen, der genau auf das einzigartige Element des Kinos verzichtet, wodurch es so einmalig ist: durch geschickte Aneinanderreihung von Szenen, die in einem vorgegebenen Zeitraum ablaufen, ein konstruktive Aktivität im Gehirn des Zuschauers zu erzeugen, die ich dann Kino-Spannung nennen würde und die ein einmaliges Erlebnis ist. Hier wird Kino verstanden als kultiviertes Blättern in einem äusserst gepflegten Hochglanz-Bilderbuch.

Salonkino zum Fünf-Uhr-Tee.

Lollipop Monster

Ein Augenschmaus ist dieser Film. Ungewöhnlich schon die oft tiefe Kameraperspektive, egal wie man das interpretieren mag. Styling und Setting versuchen Kult, Verruchtheit, Künstlertum, Erotik, Sinnlichkeit (rote Lippen und Erdebeere im Schmollmund und richtig blondes oder richtig schwarzes Haar). Das Styling gibt sich vampirromantisch, farbenfroh, verspielt, leicht dekadent und geniesst dies auch. Ziska Riemann, die Filmemacherin, schwelgt im Möchtegern-Kult-Milieu.

Der Film fängt an mit Bildern aus einem Monster-Vampirfilm: das bleichgesichtige Monster, Zylinder, tanzende Mädchen drum herum. Das soll die Stimmung des ganzen Filmes bestimmen. Wobei das Thema Vampirismus nicht unbedingt das Kernthema ist, aber das Tier, das Tier im Mann aber auch in der Frau, das fasziniert die Filmemacherin.

Man fährt orignelle Autos mit der Nummer K XXX 777. Die Kamera versucht sich als Malerin.

Zwei Familien im Mittelpunkt: eine Künstlerfamilie und die andere Familie heisst Bach und wohnt in einer Art verspieltem Hexenhäuschen am Waldrand.

Die Künstlerfamilie besteht aus der Mutter Nicolette Krebitz, Kristina, eine schön reif gewordene Frau und richtig super auf der Leinwand gerade in diesem Milieu. Sie hat die Tochter Oona, ein jüngeres Ebenbild ihrer selbst. Der Vater hat als Maler seinen Zenit überschritten. Auf einer Vernissage sieht man, dass sein Bild ganz abseits hängt. Und wie seine Frau ihm gesteht, dass sie mit seinem Bruder Lukas geschlafen hat, da erhängt er sich.

Lukas ist ein richtig charakterloser Weiberer. Er macht die Freundin von der Tochter Oona an und entjungfert sie, grapscht nach Lust und Laune am erwartungsvollen Mädchen im Auto rum. Bruder Lukas ist nun mit der verwitweten Krebitz zusammen.

Die Geschichte selber ist leider eher deutsche Telenovela. Die Witwe Krebitz, die mit dem Bruder ihres Mannes, der sich erhängt hatte, fickt. Dieser verführt auch die Freundin der Tochter. Wie das alles an den Tag kommt, sinnen die beiden jungen Frauen auf Rache und locken den Schweinehund Lukas in eine Falle ins Hexenhäuschen und bringen ihn um. Sehr blutig. Blutig schön lag er da. Aber das Bild wurde cineastisch nicht mal richtig ausgeschlachtet.
Ein Film, der einen auf Jugendkultur machen möchte.
Nun ja, inhaltlich ist er doch sehr bescheiden geblieben, die Sätze kommen nicht über TV-Standard hinaus. “Das Leben muss doch irgendwie weiter gehen“
„Ariana, es ist das Beste, wenn wir uns eine Weile nicht mehr sehen“ (Der Saubär am Handy zur entjungferten Blondine).
Noch so ein Satz: Seit er tot ist, verkaufen sich die Bilder wie blöd.

Eine Szene in der Schule. Die beiden Freundinnen, Ariane und Oona begegnen drei Schülern und fragen die gleich, ob die ficken wollen und gehen mit ihnen auf die Toilette. Dort traut sich keiner. Schliesslich nimmt sie einen mit in die Kabine und wie er die Hose runtergelassen hat, da zwickt sie ihn, er rennt panisch aus der Kabine und die anderen nehmen auch Reißaus.

Immer wieder der Vesuch, psychodelische Atmosphäre mittels der Musik herzustellen.
Irgendwie kommt einem die Arbeit doch bemüht und teilweise linkisch retro vor.

Oder wie die Familie Bach in ihrem Hexenhäuschen den Toten entdeckt, den ermordeten Lukas, da fängt Frau Bach wie irre und wortlos an, den Boden zu fegen. Bescheuert könnte man sagen.

Die bunten Farben im Haus der Familie Bach.

Krebitz: Wenn Lukas nicht wäre, dann hätte er (Dein Vater) nicht mal einen Grabstein.
Tochter Oona: Wenn Lukas nicht wäre, dann bräuchte Vater keinen.

Als Thema wird angesprochen: die Suche nach der grenzenlosen Freiheit. Der Film selbst soll wohl so ein Versuch sein, diese grenzenlose Freiheit im Film auszuleben; wobei das Problem der Grenzenlosigkeit deutlich wird: denn ohne Grenzen keine Form, ohne Erzählfaden und ohne Grundkonflikt keine Geschichte. Was bleibt ist Patchwork, bunte Impressionen, die uns in eine aufgerührte, jugendrebellische Welt hineinziehen wollen.

What a Man

Matthias Schweighöfer, Autor, Regisseur und Protagonist dieses Filmes, versucht sich vom Bild des Traumes aller Schwiegermütter zu befreien und engt dieses Bild nur noch mehr ein gemäß dem Slogan und der Moral dieses Filmes, man müsse sich nur so annehmen wie man sei, dann sei man ein echter Mann. Ein echter Traum aller Schwiegermütter.

Die Handlung: zwischen Schweighöfer als Alex und seiner Freundin Carolin, gespielt von Mavie Hörbiger, knirschts und kriselts. Sie schmeißt ihn raus. Er kommt bei Nele, Sibel Kekilli, unter. Die beiden sind für einander geschaffen. Aber wenn sie das sofort begreifen täten, wäre der Film schon nach 20 Minuten aus. Bis die beiden also im Flieger nach Peking sitzen zur Rettung der Pandas müssen noch einige Verwirrungen passieren. Okke gespielt von Elyas M’Barek muss ihm einige Ratschläge geben, wie man ein Mann wird und der Lockvogel Laura, den Sibel auf ihn ansetzt, muss die Verwirrung der Gefühle noch steigern.

So weit so theoretisch so gut. Ich würde nicht sagen, dass die intendierten Gefühlsbewegungen sehr genau analysiert und inszeniert sind; die werden mehr naturalistisch, schauspielerisch-intuitiv-naiv weggespielt und da Matthias Schweighöfer selbst die Regie führt, geschieht dies auch recht nonchalant, aber auch recht überraschungsfrei, eher mit Kichergarantie für seine potentiellen Schwiegermütter.

Wie eng die geistige Welt unseres Filmstars Schweighöfer ist (als solcher setzt er sich ganz schön ins Licht und in Szene), zeigt die Spannbreite der kühnsten männlichen Taten, die im Film vorkommen: das ist das Fällen eines Baumes mit der Axt, das sind erotische Spiele mit Schlagsahne auf dem Bauch der dicken Laura, und dann kommt noch igitt igitt als Nonplusultra verwegener Mannwerdung: das Schmatzen. Das muss gleich zweimal im Film vorkommen. Das erste Mal beschwichtigt Schweighöfer seine Freundin Carolin noch. Wie sie später, das ist eine der Komplikationen, die das Filmende nach hinten verschieben, plötzlich wieder reuig vor der Wohnung auf der Treppe hockt und ein Versöhnungsgespräch will, da gehen sie zum Japaner essen und eine ältere Dame einer japanischen Reisegruppe schmatzt laut. Da rastet Carolin total aus. Das ist ihre Nicht-Entwicklung in diesem Film. Schweighöfer beschwichtigt jetzt nicht mehr, er schlürft und schmatzt nun ebenfalls, was das Zeugs hält, das ist seine Entwicklung im Film, seine Mannwerdung. Er tut es. Er schmatzt.

Das ist nicht seine einzige „Entwicklung“. Er hat noch ein größeres Problem, was nun aber genau nicht ein typisch männliches Problem ist, er hat Flugangst. Da gibt’s ganz am Anfang des Filmes eine Alptraumsequenz, wie das Flugzeug, in dem er sitzt, anfängt zu ruckeln dass es nicht mehr schön ist und er schier zugrunde geht. Und aus Liebe – wie gesagt, theoretisch postulierter, im Spiel jedoch nicht erkennbarer – Liebe, fliegt er dann der Pandaschützerin Kekilli hinterher nach Peking und zu allem Zufall hat sie den Flieger verpasst und sitzt dann in der gleichen Reihe. Ein Lebenshilfefilm zur Überwindung der Flugangst.

Andere spießige Elemente in diesem Film: der zu laute Nachbar über der gemeinsamen Wohnung von Alex und Carolin, die Frage in der Schule an das jugendliche Alter Ego von Alex, den blonden Bengel Frank: was ist in der Wurst.
Na ja, das ist auch sehr Klischee, der Freund von Kekilli, der Franzose Etienne, der allein nach Peking fahren will. Witzchen, Witzchen, Bonne Chance.
Oder wie Schweighöfer Nele sucht und weiß, dass sie im Panda-Kostüm rumläuft und dann sind da plötzlich Dutzende von Aktions-Pandas und einer weiß, dass Nele schon auf dem Weg zum Flughafen ist, das ist so wenig originell, nichts gegen verbrauchte Ideen, aber müssen sie dann auch noch so uninspiriert vorgetragen werden?

Text gegen Flugangst: „Fliegen ist super, man kommt so schnell von A nach B.“

Nachdem er Kekilli das erste Mal kurz geküsst hat, steht sie da und sagt „Kuck, nix passiert“.

Die Handschrift von Schweighöfer scheint mir schon was Persönliches zu haben, aber es ist die Handschrift des Traumschwiegersohnes: nett und niemandem weh tun und immer schön lächeln und in jedem Moment schön fotogen bleiben und keinen Makel haben. Der Hang zur unmenschlichen Perfektheit von Form und Oberfläche. Ideal für Rasierwasserwerbung. Oder Hautcreme.

Es gibt ein paar schöne Aufnahmen von Frankfurt, dem Main, den Brücken, den Hochhäusern, by night und von einem schönen alten Botanischen Garten.

Ein etwas aufwändigeres Selbstdarstellungsfilmchens eines wohl im deutschen subventionierten Film bereits vertrockneten Talentes.

Vielleicht haben die Förderer dieses Filmes noch nie ein anderes Drehbuch gelesen. Oder sie gehören selbst zur Gruppe der angepeilten Schwiegermütter-Klientel.

Fliegende Fische müssen ins Meer

Aus dem Bilder-, Dialog- und Szenenkompilat lässt sich in etwa folgende Storyline ablesen: eine Mutter, Meret Becker als Roberta, die Reiseleiterin im Grenzgebiet zwischen Deutschland und der Schweiz ist, bumst lieber wild mit ihren Touristen rum als sich um ihre drei halbwüchsigen Kids, davon zwei Mädels, zu kümmern. Die wachsen verwahrlost auf. Diese kaputte Familie heißt Meiringer. Die Hauptfigur ist ihre älteste Tochter, Nana, gespielt von der hochbegabten Elisa Schott, die hier 15 ist und ihr Leben erbärmlich findet. Sie hat den Traum, als Kapitänin zur See zu fahren. Sie und ihre Schwester werden außerdem im Laufe des Filmes versuchen, ihrer Mutter einen anständigen Mann zu verschaffen, um damit ein geregeltes Familienleben zu bekommen. Eine widersprüchliche Ausgangslage: der Traum von der Flucht aus der Familie bei gleichzeitigem Versuch der Reparatur der Familie. Diese Widersprüchlichkeit scheint von der Autorin, die auch die Regie besorgte, Güzin Kar, keineswegs reflektiert worden zu sein. Hätte aber durchaus als Konflikt gesehen ein dramaturgisches Drehmoment erzeugen können.

Verkomplizierung der Widersprüchlichkeit: der Traum von der Familie wird im Film ziemlich negativ vorgestellt am Beispiel der Familie Gilbert. Die sind alle immer in Gelb gekleidet und oh Symbolik, wer gelb ist, ist in diesem Film spießig und wer rot ist, hat wohl das Leben gepachtet und die Sauerei und darf auch ziemlich kaputt sein. Meret Becker trägt als Reiseführerin ein enges rotes Kleid und macht in einer witzig-zweideutig intendierten Anmerkung, die sie bei einer Rheinfahrt im Touristen-Weidling macht, darauf aufmerksam, dass die Grenzlinie zwischen Deutschland und der Schweiz in diesem Moment genau längelang durch die Mitte des Bootes gehe, der Grenzstrich eben; die Herren links sind in der Schweiz und die Herren rechts in Deutschland. Und die Dame in der Mitte auf dem Strich. Interessanterweise sind bei diesen Geschäftsausflügen immer nur Herren beteiligt.

Meret Becker darf also die Schlampe raushängen lassen und sie tut es schamlos. Sie macht, obwohl sie brav werden will, im Grunde genommen im Film keine Entwicklung. Es gibt zwar das Beratungs-Gespräch mit der Sozialarbeiterin, die wie in einem Bilderbuch für Dreijährige steif stilisiert und steril dargestellt wird; Roberta erzählt der Sozialarbeiterin, sie gehe jetzt zu den Chorproben und kochen könne sie auch schon fast. Auf dem Wege, ihr Leben in Griff zu kriegen und ein ordentlicher Mensch zu werden.

Details aus dieser kunterbunten Anhäufung verschiedener Szenen um die Familie Meiringer, die immer zwischen Kinderfilm und Erwachsenenfilm hin und her schwappt: Nana glaubt, sie habe die Arschkarte unter den Müttern gezogen.
Die Provinz wird als düster bezeichnet. Der einzige Spaß seien die Selbstmorde, die sich im Frühjahr häuften; dann springen die Lebensenttäuschten vom Stau-Wehr. Und den grössten Spaß, nämlich ihre Abschiedsparty, verpassen sie. Was ist mit den Selbstmorden in den Städten?
Es werden Tiere erwähnt, die hören mit den Beinen und schmecken mit den Füssen.
Einmal geht Meret Becker baden, sie verliert ihr rotes Top im Wasser. Dann rennt sie nackt mit den Armen vor ihrer Brust verschränkt durch die Stadt. Anderntags verspotten die Jungs ihre Tochter. Die geilen Möpse. Grade noch Kinderfilm?

Ein Gespräch auf dem Sozialamt soll filmische Spannung erzeugen, das passiert nach viel zu langem Vorgeplänkel. Roberta wird eine Deadline von drei Monaten gesetzt, um ihre Familie ordentlich zu organisieren, sonst werden ihr die Kinder weggenommen.
Sie will sich aber von dieser verkrusteten Tante mit der hässlichen Frisur nic ht vorschreiben lassen, wie sie ihr Leben zu gestalten habe. Emanzipation oder bloss Störrigkeit? Erwachsenenfilm.

Ein Versuch ein ordentliches Leben zu führen wird illustriert mit einem Bild, wie Roberta und ihre drei Kinder schön brav in einer Reihe auf dem Sofa sitzen, alle die Beine parallel und auf den Oberschenkeln haben sie je einen Teller mit zwei Klößen und essen. Naive Malerei.

In der Nähe der Ortschaft gibt es eine Marienfigur. Mit der unterhält Roberta sich. Die muss Karl, ein Angestellter der Stadt, von der Taubenkacke säubern. Karl ist aber nicht nur im örtlichen Reinigungsdienst, er ist auch der Chorleiter. Tagsüber kämpft er mit der Taubenkacke, abends mit dem Dirigentenstab. Das ist direkt eine lustig-dadaistische Kinderfantasiefigur aus Absurdistan, eine groteske Figur, wenn man das recht bedenkt, deren Potential hier vollkommen verschenkt wird. Karl ist sozusagen das Wettermännchen, das anzeigt, was angesagt ist (diese Wetterfigürchen, die sich je nach Wetter blau oder rot verfärben). Er trägt nämlich, wie es „in“ ist, plötzlich rot.

Die Farbspiele scheinen überhaupt der widersprüchliche moralische Zeigefinger in diesem Film zu sein. Rot ist gut und lebendig, wenn auch verwahrlost und bumsfreudig, gelb ist hässlich, geizig, spiessig, engherzig. Farbenmoral. Rot ist erstrebenswert. Beim Abschlusskonzert, dem lange vorbereiteten dramaturgischen Höhepunkt in diesem eher träge wie der Rhein gegen das Meer hinfliessenden Film, tragen plötzlich alle Rot, selbst die gelbhässlichen Gilberts sind jetzt farbbekehrt. So besehen ein Kinderfilm, der sich aber nicht richtig traut, einer zu sein.

Zum Kirchenkonzert erscheint Roberta zu spät, weil sie noch den jungen Arzt nach Afrika verabschieden musste. Eduardo heisst er im Film. In Eduardo ist auch die Tochter von Roberta verliebt. Das passt Roberta gar nicht. Sie droht dem Arzt an, ihm die Eier abzureißen, wenn er sich in ihre Tochter verliebe. Immerhin Klartext. Und, ja, kein Kinderfilm.

Dieser Arzt, der vermutlich zum Schutze seiner Eier, nach Afrika auswandern will, der wird am Wehr, wo Angeln verboten ist, als Angler eingeführt. Nana ist Lehrtochter beim Wehr und als solche macht sie ihn auf das Verbot aufmerksam. Dann treffen sie sich im Laden, er hat sich gleich belehren lassen und kauft also Fisch statt ihn zu angeln.

Der erste Versuch der beiden Töchter, für ihr Mutter Roberta Männer zu suchen, besteht in der Beobachtung eines Badestrandes per Feldstecher: lauter hässliche Männerkörper in teils zu engen Badehosen, Kommentar: Männer sind wie Schweine. Kein Kinderfilm.

Die Kinder wollen also ihrer Mutter Roberta einen Mann verschaffen.
Männercasting zu Hause auf dem Sofa, da sitzen sie witzlos verklemmt und alles keine Helden; Datingshow im Kinderfilm, der kein Kinderfilm sein kann.

Einsichten.
Einen Mann zu finden ist schwieriger als einen Marsmenschen.
Wir Frauen haben alle Freiheiten und suchen einen Mann als Erlöser. Kein Kinderfilm.
Roberta zur Sozialarbeiterin: Heiraten Sie einen afrikanischen Buschkönig und schreiben Sie ein Buch darüber.
Männer, die nett sind, sind pervers. Kein Kinderfilm.
Frauen beim Arzt. Wir wären alle nicht hier, wenn Johnny Depp zuhause auf uns warten würde.
Mütter denken viel weiter als Du glaubst.
Tochter über die Mutter: Weil Dich immer alle verarscht haben, muss es bei mir nicht auch so sein.

Nana beim Arzt:
Sind Sie Arzt?
Nein, Schlachter.
Wo ist Dr. Merkel?
Er ist in der Tiefkühltruhe, ich habe ihn vorhin zerstückelt.
Sind Sie verheiratet?

Dann noch ein Exkurs über den Namen Nana, sumerische Göttin der Liebe aber auch des Krieges. Drehbuchschreiben heisst Googeln und Kompilieren. Da kann Nana Mouskuri nicht ausbleiben.

Güzin Kar traut sich nicht, eine Idee konsequent weiterzuführen, sie kann sich nicht klar für eine Erzähsicht- und Schiene entscheiden, offenbar hat sie Angst vor Festlegungen und den radikalen Konsequenzen ihrer Einfälle, Misstrauen vor den eigenen Ideen und gefährdet so ihr eigene Arbeit.

Ein unfertiges, unentschiedenes Genre-Mix-Produkt mit lustigen chaotisch-anarchischen Ansätzen.

OFF 2011

Mit einem wohlig-warmen Gefühl blicke ich zurück auf letztes Jahr, als ich zum OFF-Kurzfilmfestival ins dänische Odense gereist bin. Eine Stadt, die ich schnell ins Herz geschlossen habe. Menschen, mit denen ich noch heute in Kontakt stehe. Eine geradezu elektrisierende Atmosphäre, und tolle, tolle Kurzfilme aus aller Welt.

Dieses Jahr bin ich nicht dabei, es ist sich nicht ausgegangen. Schade, denn Odense war großartig. Und ich bin überzeugt, dass dieses Jahr ebenso fantastisch wird!

Ab heute ist es wieder soweit: Das OFF 2011, also das Odense Internationale Filmfestival 2011, wird die 167.000-Einwohner-Stadt auf der Insel Fünen mit einem fünftägigen Filmmarathon und kostenlosem Eintritt auf den Beinen halten. Vom 22. August bis 27. August laufen jede Menge kurzer Meisterwerke, Filme, die man sonst nicht so ohne weiteres zu sehen bekommen. Doch genau diese Filme öffnen den großen Regisseuren von morgen heute die Türen. Die knisternde Atmosphäre in der Brandts Klædefabrik gibt’s nicht überall, soviel ist klar.

Wer meine Erlebnisse (nebst Videos) vom letzten Jahr nachlesen will, oben bei den Tags einfach auf das Filmfestival klicken, schon habt Ihr alle Blogposts dazu. Und den Dänen möchte ich mit Googles Hilfe noch zurufen:

Kære arrangører og de ansatte i Odense Internationale Film Festival, jeg ønsker dig alt det bedste til dette års filmfestival! Held og lykke, god film, men først og fremmest masser af sjov! Toi toi toi!