Ein Thema, was die Europäer gar nicht mögen, das sind die Flüchtlinge aus Afrika, die an den südlichen Gestaden des Kontinents des Wohlstandes auf Pump anlanden. Die Politik will sie jetzt sogar brutal ins Gefängnis stecken – und niemand mag sich darüber aufregen.
Emanuele Crialese, dem Regisseur, der mit Vittorio Moroni zusammen auch das Buch geschrieben hat, gibt das zu denken. Terraferma heißt „das unerschütterliche Land“ (das Land, das sich durch kein Flüchtlings- und Armutsschicksal erweichen lässt). Crialese will mit diesem Film auf das Problem aufmerksam machen, denn auf Sizilien scheint es ein Gesetzt zu geben, was die Aufnahme von Illegalen sogar unter Strafe stellt. Hilfeleistung verboten. Umkehrung der humanitären Grundwerte Europas. Ein rechter Skandal, den Crialese aber nicht trashig skandalisiert, sondern zum Anlass für den eher skizzenhaften Versuch eines Gesamtgemäldes der Situation vor Ort, nicht dem Skandal den Vortritt gebend, sondern genauem Hinschauen und genauer Beobachtung.
Crialese geht davon aus, dass Menschen prinzipiell konfliktbelastet sind und hat so um den Fischer Ernesto herum einen spannenden, sehr nachdenklich machenden Film gebaut.
Ernesto ist der Großvater der Familie Pucillo. Er fischt noch nach bewährter Art, aber der Fang wird immer weniger. Statt dessen wird der Propeller des Schiffes durch ein gekentertes Holzboot beschädigt. Das Meer hat ihm auch seinen Sohn genommen. Seiner wird in einer kleinen Prozession zum Hafen gedacht. Ernestos Tochter Giuiletta lebt mit ihrem Sohn Filippo im selben Haus. Aber die Zeiten sind schlecht. Den kleinen Fischern bleibt immer weniger übrig von den großen industriellen Fangflotten, die das Mittelmeer leer fischen.
Dafür boomt der Tourismus. Die Wohnung wird vermietet und Mutter und Sohn ziehen in die Garage. Der Sohn ist ein konfliktbeladener Mensch, er ist mit dem Althergebrachten unzufrieden, kriegt von seinem Onkel ein Motorrad geschenkt, das ihm eine Gang schon bei seiner ersten stolzen Ausfahrt kaputt macht. Er versucht im Hafen ankommende Touristen anzulocken. Zwecks Zimmervermietung oder Touren zu Land und zu Wasser. Filippo wirkt als ein unglücklicher, zerrissener Mensch.
Filippo hat die moralischen Grundsätze seine Opas nicht mehr verinnerlicht. Für diesen ist es selbstverständlich, Flüchtlinge, die auf einem Floss schwimmen, aufzunehmen und sie auch illegal zu beherbergen. Aber auch in der kleinen Flüchtlings-Familie ist Konfliktstoff da. Denn die Mutter gebiert nach der Rettung ein Mädchen (Folge einer Vergewaltigung in einem libyschen Gefängnis); aber der Bub, der mit der schwangeren Mutter geflohen ist, möchte diesen neuen Mitesser am liebsten aus der Welt schaffen. Die Mutter will ihrem Neugeborenen und dem Buben nach Turin, denn dort arbeitet der Vater.
Wie Filippo eine nächtliches Liebesfährtchen mit der Touristin (auf einem fremden Boot) unternimmt und Flüchtlinge angeschwommen kommen, so knebelt er diese ins Meer zurück, denn erstens ist es verboten, sie aufzunehmen und zweitens verderben sie den Tourismus. Kein Tourist möchte mit dem Anblick von Elend konfrontiert werden. Ein Thema, was sicher noch zu vertiefen wäre.
Am Schluss geht es den Pucillos nur noch darum, die Flüchtlinge loszuwerden, sie an Land zu schaffen (damit sie nach Turin weiter zum Vater fahren können), aber an der Fähre finden strenge Kontrollen statt, da es Gerüchte über Illegale gibt, die ans Festland möchten. So kann denn bei Filippo plötzlich der Eigennutz, die Flüchtlinge loszuwerden, durchaus mit deren Interesse, ans Festland zu kommen, eine für alle nützliche Symbiose eingehen.
Crialese hat die Geschichte konsequent darnach gebaut, ein möglichst glaubwürdiges Bild der Situation vor und auf Sizilien zu zeichnen, nicht die Charaktere in den Vordergrund zu stellen, sondern sie als Teile eines Gesamtbildes knapp und kurz angedeutet einzusetzen.
Damit das Thema schön klar wird, hat Crialese ein eher einsame Ecke der Insel als Haupthandlungsort ausgewählt, wo ein Kreuzfahrtschiff wie ein riesiger Fremdkörper vor einer grandiosen Bucht ankert und Flüchtlinge auf einem überfüllten Holzfloß auf dem Meer treiben.