Archiv der Kategorie: Allgemein

Lore

So! – Was wurde an Nazithemen noch nicht in deutsches Film-Fördergeld umgewandelt? Das werden sich die schlauen Produzenten oder die Autoren gefragt haben, wie kommen wir in Deutschland an die Fördertöpfe?

Eine hochartifizielle Bastelei über eine ziemlich gestörte Coming-of-Age-Geschichte – hochgefördert und in Locarno mit dem Publikumspreis geehrt, wer weiß wieso, verziert, umrändert von Elementen des Zweiten Weltkrieges, der Nazizeit, der aufkommenden Besatzungszeit in Deutschland und mit einer richtigen Heldin, Lore, die sich nach Kriegsende mit ihren vier Geschwistern heldisch, mit blauen Augen und blondem Haar und immer perfekt geschminkt, wie süß, im größten Dreck und immer neuen Klamotten, obwohl das Gepäck immer weniger wird, und auch die Hemden ihrer Brüder immer wie frisch gebügelt, vom Schwarzwald vom Süden Deutschlands quer durch das zerstörte Deutschland bis zu einer Nordsee-Insel durchschlägt.

Es sind alles pure Kinoelement, die der Film zur Schilderung dieses Coming-of-Age einsetzt, verwendet, in ganz groß die Aufnahmen von Schnecken und Aalen und Gräsern und zerbrochenen Eierschalen und viel Zwielicht und Dämmerung und heraufziehende Nebelschwaden und bildschöne Bunkerruinen oder die Flüchtlinge schlafend auf Moos im Wald oder wie sie an einem Toten vorbeikommen, der malerisch drapiert daliegt und geschminkt ist wie eine Darsteller-Leiche aus einem Zombiefilm.

Die Eltern sind merkwürdige Nazis, die sich offenbar nach Kriegsende freiwillig in ein Lager begeben. Wir lernen die Familie kennen, wie sie sich selbst entnazifiziert. Der Schäferhund wird erschossen und der den Vater spielt, der Schauspieler, der ein idealer Stand-In für Armin Rohde wäre im deutschen Kino, wenn Rohde zu alt, zu dick oder unabkömmlich ist (oder vielleicht wegen schwachen Drehbuches die Rolle absagt); der Name jedenfalls groß im Vorspann, der Auftritt klein mit gut eingeübtem Ausbruch und nicht weiter erwähnenswert.

Die älteste Tochter, Lore, also die richtige Protagonistin, in den 50er Jahren hätte man vielleicht Loni von Friedl damit besetzt, immer mit Gretchenfrisur und auch nach Tagen der Flucht noch mit kompliziertest geflochtenen Zöpfen.

A propos Hygiene, es gibt idyllische Waschszenen im Fluss oder eine Unterwäsche-Chanson-Szene, bei der die beiden Buben ein Kameradschaftslied singen.

Aber wir wollen auf die Coming of Age Geschichte kommen. Irgendwann schließt sich den fliehenden Kindern ein junger Mann an mit KZ-Nummer am Unterarm und Judenstern in den Papieren, der hilft den Geschwistern durch Personen-Kontrollen und über Grenzen hinweg, ist aber auch scharf auf Lore, was man im Krieg scharf nennen darf. Sie sträubt sich dagegen, man sieht wie der Krieg das Coming-of-Age versemmelt, es stört, es verdruckst.

So einen sorglos unbetroffenen Umgang mit der Nazizeit mit viel Geweine und vielen Tränen kann sich wahrscheinlich nur eine australische Regisseurin leisten. Sie heißt Cate Shortland, das Buch haben Robin Muckherjee und Cate Shortland nach einer Geschichte von Rachel Seiffert geschrieben.

Überhaupt emotionalisiert die Kamera, was immer auch geht, mit jeder Menge Close-ups, Nähe, wie sie nur das Kino bieten kann. Hier immer an oder über der Grenze des Kitsches. Rührender Abschied von der Mutter.

Details: Ameisen auf totem Bein. Fast wie Theater-Performance, der Tote mit Pistole in der Hand, der Selbstmörder in der Ruine. Eine Begegnung von Lore mit Thomas in der Ruine, genau so artifizielle Performance. Und immer diese kurze knappe Sprache, die nie was Persönliches rauslassen soll.

Beim Juden weiß man nicht, ob er wirklich einer ist, später wenn Lore seine Papiere durchsucht, wird klar, dass er selbst die Papiere gestohlen hat. Zum Finale eine herrlich idyllische Pferdewagen-Fahrt zu einer Halligen mit einer knalligen, blinden Oma. Die alten Leute werden hier alle krass auf alt noch geschminkt. Und sind schon sehr ausgesucht nach verhungert gecastet.

Zu guter Letzt muss getanzt werden auf der Halligen, das wird jetzt aber Kunstgewerbe hoch vier! Beim letzten Mahl in diesem Film bei der Oma mit der süßen Inneneinrichtung, äußert sich das Kriegstrauma der makellos schönen Lore, sie lässt die Ermahnung des Bruders nicht auf sich sitzen, sie greift sich ein Brot, stopft es in sich hinein, trinkt vom Tisch und geht wütend raus. Verdorbenes Conming-of-Age in schönsten Filmbildern dargestellt.

Oder die Tötung des Fischers und die Überfahrt mit dem Kahn, sehr symbolisch, auch das wie eine Kunst-Performance dargestellt, kunstgewerblich. Oder wie Lore später das Bild ihres Vaters in Schmutz taucht. Oder die Bilder vom Krieg in einer Hilfsstelle wo das Klebrige vom Foto, igitt, Fingerzeigperformance.

Schauderlich-schön-verquere Pubertät.

Der Nolde-Himmel über den Halligen siehts – und schweigt.

Oh Boy

Dieser Film kann gesehen werden als ein weiterer Versuch einer Antwort auf die Frage, ist Film lehr- und lernbar? Die Antwort lautet bei all den vielen Qualitäten dieses Filmes definitiv: nein. Die ganze Review, die zum Filmfest München erschienen, ist hier.

Omamamia

Mamma mia, was ist hier nur passiert? Die Frage stellt sich, weil dieses Kino-“Werk“ aus sich selbst heraus nicht schlüssig erklären kann, wieso es unbedingt gemacht werden musste. Braucht es wirklich das ganze Gestell eines so dünn und dilettantisch hergestellten Filmzusammenhanges (Autoren, die vom Wissen um die Statik einer Komödie vollkommen unbeleckt scheinen), nur um Marianne Sägebrecht im Brautkleid auf einer Vespa durch Rom brausen zu lassen? Würde so etwas nicht jeder Pennäler lustiger und verrückter bewerkstelligen können und zwar ohne Inanspruchnahme öffentlicher Gelder, für einen sowieso eher privaten Joke? Da sich weder das Werk noch die Einzelleistungen als zwingend oder genügend darstellen, so kann mit Verlaub spekuliert werden, wer dank welcher Beziehungen hier im Pfründen-Pfuhl wieso mal wieder was zu tun bekommen durfte, etwas vom Förderkuchen ohne Leistung eines entsprechenden Gegenwertes abschneiden durfte.

Hier fragt man sich, woher die Macher dieses Filmes (Jane Ainscough, Gabriele Sperl und Claudia Casagrande stehen für das Buch, Tomy Wigand für die Regie) die Chuzpe und die Legitimation nehmen, uns ein so einfältiges und unfertiges Werklein, das vorgeblich eine Komödie sein soll und sicher anständig was an öffentlichen Geldern gekostet hat, vorzusetzen.

Auch für eine Komödie gilt: wenn kein Konflikt etabliert wird, kann sie nicht funktionieren. Dann wird es eine krampfhafte Bemühung um Lustigkeit, dann wackeln und lavieren die Akteure uns auf diesem schwankenden Boden viel zu laut was vor. Marianne Sägebrecht als die drei-achtel titelgebende Oma strapaziert ihre Stimme bis zum Ansatz der Heiserkeit. Als wolle sie die Schwächen von Drehbuch und Regie übertönen.

Und weil das alles so krampfig ist, soll eine von der ersten Minute an nervtötende Musik penetrant das Heitergefühl uns aufzwingen.

Wenn wir nur wüssten, von Anfang an wüssten, warum diese Oma, die vor 40 Jahren mit ihrem Loisl aus Bayern nach Kanada ausgewandert ist, warum sie nur, da Loisl tot ist, unbedingt nach Rom fahren will. Welcher ungelöste Konflikt treibt sie zu dieser Handlung. Was wäre die Konsequenz, wenn die Romreise nicht gelänge? Leider verschweigen uns die Autoren den Grund und auch die Folge. Oder geben nur den banalen an, dass sie sich segnen lassen wolle, von den Sünden freisprechen lassen wolle. Aber was die Wichtigkeit für sie sei, das erfahren wir nicht. Und dabei ist uns die Oma noch nicht einmal als emphatischer Sympathieanker präsentiert worden.

Ihre Sünde scheint das zentrale Motiv des Filmes zu sein, zentral für die Moral des Filmes: nämlich ehrlich zu sein, und vor allem nicht scheinheilig, anderen den Seitensprung vorzuwerfen, den eigenen aber zu verheimlichen. Das heißt jetzt allerdings das einzige, was im Film eventuell Spannung erzeugen könnte, was der Film anfänglich aber seinem Zuschauer partout vorenthält, zu spoilern. Merkwürdig, wenn man in einem Film das leitende Motiv für die Handlung des Filmes spoilern muss, damit man ihn überhaupt referieren kann.

Denn worum es in diesem Film gehen soll, das erfahren wir erst gegen Ende, wenn es schon niemanden mehr interessiert. Und weil darum so geheimnisst wird, versucht Marianne Sägebrecht ständig einen auf „lustige Alte“ zu spielen, eine Bayerin, der man die vier Jahrzehnte Kanada auch gar nicht ansieht. Eine Bayerin, die 40 Jahre in Kanada gelebt hat und dort noch einsam in den Bergen, ist doch sowieso ein Exotikum. Dagegen sind die römischen Eskapaden, die sich das Drehbuch einfallen hat lassen, grad gar nichts Besonderes. Keine Fallhöhe.

Die Zusammenstellung des Castes muss irgendwo bei einer hektischen Einkaufstour „ab Stange“ oder „ab Katalog“ und „last Minute“ erfolgt sein. Oder nach dem Prinzip, wer darf mal wieder. Nichts verbindet diese Familie der Oma menschlich, außer dass alle immer zu laut reden, zu hysterisch agieren. Denn die Oma hat eine Tochter, die ist mit einem Kanadier verheiratet und die haben zwei Buben. Diese Tochter wollte die Mama in die Altersresidenz „Sunshine Home“ verbringen. Die Hütte der Oma in den Bergen, in der sie einsam wohnte, hatte die Tochter einfach verkauft. Die Oma lässt das widerstandslos mit sich geschehen.

Kaum ist die Oma aber bei der Tochter eingezogen, haut sie am nächsten Morgen ab. Da wir bis jetzt noch nichts von Konflikten, Zielen, Needs dieser Oma erfahren haben, ist das ungefähr so spannend, wie eine Nachricht über eine entlaufene Katze in Hinterdinkel. Die beiden Enkel haben der Oma den Flug nach Rom per Kreditkarte der Mutter gebucht und bezahlt. Sind ganz pfiffige Jungs und haben sich nichts gedacht dabei. Dieser ganze Vorgang, der doch eine filmentscheidende Aktion ist, der wurde narrativ nur hingeplatscht, nicht gut erzählt.

Der 14 Stunden-Flug findet im Film nicht statt. Da gibt’s keinen Zeitunterschied. In dieser Minute in Kanada. In der nächsten in Rom. Die Reaktion der Tochter auf dieses Abhauen findet dadurch in einem nicht plausiblen zeitlichen Zusammenhang statt. Den müssten die Macher dem Zuschauer aber geben, damit er nicht von einem Nebenproblem abgelenkt wird (halt, wie war das jetzt, kann das sein dass…).

In Rom ist nun die Enkelin, die vorgeblich au pair bei einer feinen Familie arbeitet, auch da eine kleine Lüge, auf die der Film ganz dick hinweist, mit einem Musiker als Macker in einer Wohnung voll halbpornographischer Bilder zugange. Da die Dramaturgie uns bis jetzt nichts über das Verhältnis der Oma zur Kirche noch zur Enkelin noch zur Pornographie verraten hat, sondern lediglich von einer bayerischen Klischee-Oma ausgeht, die zufälligerweise und ohne dass sich bei ihr dadurch irgend etwas verändert hätte, 40 Jahre in Kanada verlebt hat, ist es dem Zuschauer auch ziemlich egal, dass die Oma pseudoentsetzt, billigentsetzt reagiert, denn mangels Vorinformation ist ihre Haltung in keinem relevanten Spannungszusammenhang; illustriert eher einen Klischeevorgang, wie ihn sich die Macher des Filmes ausdenken. Gibt Einblick in den Klischeefundus in den Köpfen der Filmemacher. Ich kann nicht garantierten, dass mich diese offenkundig geistig-verstaubten Welten interessieren.

Die Oma klebt nun Papstbilder über die Wandgraffiti. Dann will sie unbedingt zum Papst, unglaublich wie zielsicher sie sich in Rom bewegt, die doch als ein unklar, dusseliger Charakter rübergekommen ist (hätte man wenigstens dieses Element von Buch und Inszenierung her konsequent eingesetzt!).

Es folgt die dick aufgetragene Story mit dem Blinden (die Autoren Jane Ainscough, Gabriel Sperl und Claudia Casagrande scheinen ausschließlich an ein sehr einfaches, rückständiges Publikum zu denken), der nur den Blinden mimt, wenn es darum geht in einer Warteschlange nach vorn zu kommen, groß aufgebauschte Geschichte, liebe Zuschauer, in Rom gibt es Leute, die stellen sich blind, um in die Nähe des Papstes zu kommen. (Das ist doch unerhört). Liebe Zuschauer, spätestens jetzt sollt Ihr bemerkt haben, dass wir hier ganz fett Komödie drehen. Dann kommt die Geschichte mit der Pizzeria und dem Kochen von Kaiserschmarren und der Blinde im Vatikan ist ausgerechnet der Vater des Kneipiers. Nun ja, solches Geschichtengebastel würde wohl in einer professionellen Drehbuchwerkstatt kaum durchgelassen werden.

Liebes Publikum, wir hoffen einfach, dass Sie sich dafür interessieren: da ist eine alte Bayerin, die versucht eine lustige Oma zu spielen. Sie wird von ihrer Tochter und Familie zu sich geholt. Sie hatte ganz einsam in den Bergen Kanadas gewohnt. Die Tochter will sie in eine Altersresidenz verbringen. Von dieser Oma wissen wir gar nichts, außer dass ihr Mann tot ist. Wir wissen nicht seit wann. Wir wissen nicht wie das Verhältnis zum Toten war, wie sie diesen Tod verarbeitet hat. Sie tut etwas Asche in ein Medaillon. Und wie die Tochter sie zu sich geholt hat, ist sie eines morgens weg und hinterlässt einen Zettel, sie sei auf dem Weg nach Rom. Kein Konflikt, nirgends.

Wir haben keine spezifischen Charaktereigenschaften von der Oma kennen gelernt. Ein bisschen dattrig ist sie vielleicht, aber das ist ja keine Charaktereigenschaft. Ganz spät im Film heißt es mal, auch das ist jetzt eine Spoilerei von vielleicht dem totalen Geheimnis in diesem Film, dass die Oma Konflikten aus dem Weg gehe. Vermuteter Zirkelfehlschluss der Autoren, sie dürften der Figur keine Konflikte ins Drehbuch schreiben, schon gar keinen Grundkonflikt, da es sich um eine konfliktscheue Figur handelt. Eine exotische, konfliktscheue Bayerin.

Wo kein Konflikt, da keine Spannung, wo keine Spannung, da hängen Witzchen und Pointen an schlaffen Seilen in der Luft. Da wird aus Film eine lose Aneinanderreihung von mehr oder weniger gelungenen „lustigen“ Situationen, und da ist der Vatikan für ein gläubiges katholisches Publikum immer noch ein dankbares Objekt.

Vor der bayerischen Wirtschaft „Liselotte“ in Rom, wenn die Sägebrecht reingeht, schreit sie „Liselotte, ich komme!“. Am Rande zum schlechten Kindertheater oder schlechten Boulevard.

Dann das merkwürdige Pfefferspray-Attentat auf den Papst. Leider nimmt die Komödie hier gar nichts mehr ernst. Es soll einfach lustig sein. Und ist wirklich nur einfältig. So agieren Menschen nicht, so agieren nur Schauspieler in schlechten Komödien. Vielleicht hat hier ein katholischer Jungfrauen-Verein versucht, ein Drehbuch zu schreiben.

Es hat nichts eine Vorgeschichte, es gibt keine Hindernisse. Plötzlich kann die Bayerin, die 40 Jahre nicht mehr in Bayern war und die doch so dattrig ist, kochen wie ein Weltmeister. Auch wie sie in die Pseudohochzeit mit dem falschen Blinden einwilligt, nur um eine Papstaudienz zu bekommen, entbehrt jeglicher Plausibilität. Dabei wissen wir zu diesem Zeitpunkt nimmer noch nicht, warum ihr der Papstbesuch so wichtig ist, was das für ihr Leben für eine Folge haben wird, was der Grund dafür ist.

Eben so lustig sein sollend, wie sie an ihrer Brust das Tattoo „Oma rockt“ entdeckt, auch dazu hat sie keine klare Haltung. Und wie lustig, wenn sie im Brautkleid auf der Vespa durch Rom fährt. Tja, wenn da ein zwingender Zusammenhang wäre, da könnte man vom Stuhl fallen vor Lachen. Es hat lustig zu sein, weil die Macher des Filmes in Rom sich wohl bepinkelt haben vor Lachen, weil sie einen lustigen Film mit Nonnenkomparsinnen und lustiger bayerischer Oma drehen durften.

Moral: „sogar die Oma“ (rockt sich Fördergelder zusammen).

Niko 2 – Kleines Rentier, großer Held

Das einzige, was mir an diesem Film nicht gefällt, ist der Zusatz „großer Held“ im Titel. Das wäre wirklich nicht nötig. Unser Held, im Sinne des Protagonisten, das kleine Rentier Niko, tut, was er für nötig hält, aber von großer Heldenzelebration ist hier nichts zu sehen. Im Grund will er auch nur eine glückliche Familie und nach all den Abenteuern, ist das nicht seine Ursprungsfamilie, in der er als Einzelkind von der alleinerziehenden Mutter vielleicht etwas zu viel der Aufmerksamkeit gekriegt hat, da sind es jetzt seine Mutter, der neue Stief-Vater Lenni, der lieber vom Wetter redet als ein Problem anspricht und dessen Sohn Jonni mit dem er sich auf dem Wege der gemeinsamen Abenteuer angefreundet hat.

Hier wird eine Geschichte wunderschön erzählt, vielleicht in idealer Ausgewogenheit zwischen bildlich-animierter Erzählung und prima eingesprochenen Dialogen der Figuren, so dass die Gehirntätigkeit des kleinen Zuschauer hervorragend angeregt wird und sich ganz dem Verfolgen des Geschehens widmen kann, dass er mit einer Wirklichkeit konfrontiert wird, die lange nicht nur schön ist, aber dass sie als Geschichte angenehm verdaulich verpackt wird, ohne je süßlich oder kitschig zu werden.

Diese Geschichte hat natürlich eine Vorgeschichte und ohne das Böse auf der Welt bräuchte sie auch gar nicht erzählt werden. Denn die weiße Wölfin hat noch eine Rache offen. Dafür will sie Niko entführen. Die Adler, ihre etwas dümmlichen Gehilfen, erwischen aber den neuen Stiefbruder von Niko. Und so sehr Niko das recht ist, so setzt er doch alles in Gang, um Jonni zu retten und in die Familie zurückzubringen.

Auf dem Weg zum Adlerhorst trifft er auf den alten Eigenbrödler mit halbabgebrochenem Geweih Tobias, eine mürrische Figur, unzugänglich wie es scheint, der Gespräche auf ein Minimum reduzieren will; was nicht ausschließt dass gerade bei ihm ganz klug über Einsamkeit und Geselligkeit geredet wird. Und natürlich hat auch Tobias seine Geschichte.

Das wird jetzt eine abenteuerliche Angelegenheit, in der das Böse dieser Welt, in Form des weißen Wolfes und seiner Adlertruppe nicht ausgespart wird, in der Niko oft auf sich allein gestellt ist, dann aber wieder Hilfe von Jonni oder seinen kleinen Freunden Julius und Wilma und auch von alten Tobias erhält. Später dann noch von den Schlittenziehern. Das Böse sieht zwar furchterregend aus, aber es wird nicht angstmacherisch für die Kinder eingesetzt, es wird so eingesetzt, dass sich die Kinder, die ja auch Maßstäbe für Gut und Böse entwickeln müssen, sich distanziert und gleichzeitig involviert damit beschäftigen können. Und Erleichterung wird es sicher bei allen Kindern auslösen, wenn der böse weiße Wolf, der auch ganz hässlich aussieht, in der Kinderspielzeugfabrik mit den herrlichen Holzloren an den Förderbändern in die Verpackungsmaschine gerät und wie ein überladenes Weihnachtsgeschenk, das nichts anderes als eine Ganzkörperfesselung ist, wieder ausgeworfen wird.

Dass Rentiere fliegen können versteht sich von selbst, das ist nicht nur ein Sinnbild für die Kraft des Märchens und der Fantasie, das ist auch eine Notwendigkeit. Denn ihre wesentliche Aufgabe besteht darin, die Kinder mit Weihnachtsgeschenken zu beglücken, indem sie den Wagen des Weihnachtsmannes über den Himmel ziehen. Das war übrigens das traurige Schicksal von Tobias, dass sein Augenlicht nachgelassen hat und er zwei Häuser und seine Kinder übersehen hat, so dass die keine Weihnachtsgeschenke erhalten haben.

Schlittenzieher beim Weihnachtsmann zu sein, das ist wohl der Traum eines jeden Elchjungen – sicher nicht nur wegen dem „Geschirr“, feinen Lederhosenträgern. Und nachdem Niko im ersten Film endlich seinen Vater gefunden und kennengelernt hat, erleben wir ihn hier am Anfang des Filmes, wie er mit seinem Vater das Schlittenfahren übt, ganz halsbrecherische Kapriolen von höchster Artistik sind das am nordischen Himmel und das größte Ziel dabei, wozu man schon fast erwachsen sein muss, ist es, die Weihnachtsgeschwindigkeit zu erreichen.

Dieser Film umfängt einen wie mit weichen Fellhandschuhen und nimmt einen gut behütet mit auf eine folgerichtige, temporeiche Reise (bis zur Weihnachtsgeschwindigkeit), bei der immer auch Momente für wichtige Gedanken sind, die Verhaltensrealität „erwachsener“ Menschen betreffend; ein schöner Satz dazu vom weißen Wolf: „die Guten sind immer so berechenbar“.

Was mir auch ganz prima gefällt, das sind die animierten Figuren; da wird nicht viel mehr gemacht, als ein bisschen die Augen auf und zu und bewegen, sozusagen die Eigenaktivität wie bei Puppen auf ein Minimum reduziert; was zu umso heftigerer Aktivität im angeregt mitfiebernden Hirn des kleinen Zuschauers führen dürfte.

Vielleicht könnte man auch von einer behutsamen Annäherung an die nicht immer nur goldige Realität des Erwachsenenlebens sprechen. Wer solche „Schulung“ durchmacht, dürfte es im Leben leichter haben.

Gewiss erstklassige Unterhaltung für Kinder noch vorm ersten Lesealter, aber sicher auch drüber hinaus, wo sie halt den Zusammenhang einer Geschichte selber realisieren können. Dieses zum Erleben, Schauen und Denken heranführende Weihnachtsvergnügen verdanken wir dem Finnen Hannu Thuomainen, der mit Marteinn Thorisson das Buch geschrieben und mit Kari Juusoonen die Regie geführt hat.

Alles wird gut

Der Regisseur Niko von Glasow ist hier alles in einem, Autor (zusammen mit Kirstin von Glasow) sowohl der hier dokumentierten Erarbeitung des Theaterstückes mit demselben Titel, als auch des Dokumentarfilmes darüber, in dem er auch noch einen der Protagonisten spielt, nämlich als Regisseur, oder wer weiß als Dompteur oder als Theaterpädagoge oder vielleicht gar, was umso plausibler ist, als er es heftig abstreitet, auch als Psychologe.

Niko von Glasow liefert uns mit vorliegendem Film auf alle Fälle eine spannende Lektion in Theaterpädagogik, die alle Voraussetzungen für einen gut laufenden Sonntagsmatineefilm erfüllt: es geht um Kultur, nämlich ums Theater, um die Suche nach Wahrheit und Liebe, um das zu sich und seinen Defekten und Defiziten stehen, um Überwindung; das alles verpackt in eine prächtige, filmfreundliche Freakshow, meist im theatralem Spotlight präsentiert, das verwirrenden Hintergrund ausblendet.

Niko von Glasow ist nicht mehr oder nicht weniger ein Guru, wie es jeder ist, der anderen das Theaterspielen und Wahrhaftigkeit der Gefühle entlocken will, der Dompteur im Kreise seiner zu Dressierenden, aber auch ein guter Durchschauer der Menschen und einfühlsamer Spielleiter.

Mit Jana, Nico, Mirco, Manon, Jan, Marvin, Christina, Oliver, Christiane, Milena, Leslie und Sofia hat er ein Theaterstück erarbeitet. Es geht um eine Castingshow und seine Mitspieler wollen dort auftreten. Sie werden aber von der Dame, die die Teilnehmer registriert in einer Abstellkammer verwiesen. Dort kommt es zu den verschiedensten Begegnungen und Auseinandersetzungen.

Am Schluss stellt sich heraus, dass sie – wohl nicht ganz zufällig – schlicht vergessen worden sind. Da kriegt Manon dann doch noch ihre Chance zu einem prächtigen Finale.

Bei den Proben, das ist sicher das Spannende und die große Qualität dieses Filme, ist vor allem faszinierend, wie Niko sozusagen auf einen Blick die Schmerzpunkte seiner Schauspieler entdeckt, feinsinnig aufspürt, und gerade diese einsetzt, als Punkte, die sie überwinden müssen. Das läuft nicht immer ohne Tränen oder Ausbrüche ab. Er fragt direkt, wen sein Gegenüber küssen wolle. Er fragt direkt, wo sein Akteur die Akteurin neben sich berühren wolle. Er weist die Angesprochene, die ein Faible für die Ablehnung  männlicher Kontaktsuche zu haben scheint, darauf hin, dass das allerbilligste Masche sei.

Christian erhält die mythische Aufgabe der Wahrsagerin. Der größte Schicksalsschlag im Leben von Manon ist ihre Mutter. Ihr ordnet er für das Spiel eine Mutter zu. Leslie darf nicht singen. Oliver muss einen extrem erfolglosen Schauspieler mimen, als den er sich vermutlich im Tiefstinneren auch sieht, er wäre auch lieber am Schauspielhaus Düsseldorf als in diesem kleinen Theater in Köln. Christina hat Jura studiert, ihr Handicap ist, dass sie alles zerdenkt. Sie soll eine russische Ballerina von Adel spielen, die sehr erfolgreich ist. Das Downsyndrom muss den Detektiv spielen, der alles auf Kamera aufnimmt.

Die Schauspieler müssen die Mauer, die sie um sich aufgebaut haben, durchbrechen. Ein anderer Schauspieler mit Zweifeln muss den Putzmann spielen und bekommt zwei Lehrmeister zur Seite gestellt, auch keine einfache Aufgabe für einen ausgewachsenen Mann im fast schon besten Alter. Sophia soll singen, soll eine durchgeknallte Opern- besser Operettensängerin darstellen, so wie Miss Piggy.

Ferner haben wir den Wahrnehmungsgestörten, den man nicht alleine auf die Straße gehen lassen kann, weil er sie einfach nicht wahrnimmt, nicht als Gefahr wahrnimmt. Jan, 42, ist der Meinung, er hätte keinen besonderen Schicksalsschlag. Marvin soll mehr Ich sein. Eine Darstellerin soll den Text, den sie sagen möchte, singen.

Ein Brevier über Schauspielerübungen, das Niko von Glasow hier in unterhaltsamer Art vor uns ausbreitet. Oliver muss mehr Mann sein. Und Jan soll mehr Spastiker sein. Kein Wunder dass bei dieser Methode der Exploitation der privaten Defekte und Schwächen für die Darsteller oftmals das Private und die Rolle durcheinander geraten, dass es zu tiefer Verwirrung der Gefühle kommt.

Die Darsteller müssen gehen ohne zu spielen oder in die Hände klatschen ohne zu spielen. Gibt es etwas Leichteres als einfach so über die Bühne zu gehen? Der Regisseur besteht auf der Wahrhaftigkeit der Gefühle. Denn diese Menschen sind auch auf der Suche nach Befreiung. Wer schafft die schon definitiv?

Das Ganze mit einem filmergiebigen Cast auf die Leinwand gebracht.

A simple Life (Asia Filmfest München)

Eine unprätentiös, schlanke, starhafte Illustration zum Bibelwort „wer gibt, dem wird gegeben“.

Die Haushälterin Ah Tao hat 60 Jahre lang derselben Familie in Hongkong gedient. Möglicherweise ist sie oder die Familie koreanischer Abstammung. Das muss ich mit doppelter Vorsicht anführen. Erstens sind uns Europäern die Unterschiede zwischen Chinesen und Koreanern nicht so augenfällig bewusst und zum zweiten war ich oft zu langsam darin, die Untertitel zu lesen, so dass sich da Rezeptionsfehler einschleichen können.

Wobei in der ersten Phase des Filmes vor allem gegessen wird, was ja in asiatischen Filmen so gerne und so häufig der Fall ist; dabei wird schnell und viel geredet. Vielleicht nicht alles von filmentscheidendem Belang.

Roger, gespielt von Andi Lau, im Filmbusiness tätig als Produzent, ist der letzte Spross seiner Familie, der noch in Hongkong residiert. Die anderen noch lebenden Mitglieder sind in die USA gezogen. Roger hat viel auf dem chinesischen Festland zu tun. Fliegt mal schnell nach Peking für Produktionsgespräche. Derweil kauft Ah Tao auf dem Markt ein. Sie ist dort eine bekannte und beliebte Figur. Sie zieht sich einen Mantel und eine Brille an, um in der Kühlkammer des Marktes feine Sachen auszuwählen. Sie serviert ihrem Herrn, ganz Dienerin, das Essen nach seiner Rückkehr vom Geschäftstermin. Er sitzt am Tisch vor den reichhaltigen Platten. Die Dienerin steht hinten an der Wand mit einer bescheidenen Schüssel Reis und isst im Stehen.

Nach einem Herzinfarkt bittet sie Roger um Entlassung (nach 60 Jahren in der Familie, das muss man sich mal vorstellen, aber das kommt wie die Frage nach einem Glas Wasser); sie möchte in den Ruhestand gehen. Genau so selbstverständlich wie sie fragt, hilft Roger ihr dabei, ein anständiges Heim zu finden; Geld spiele doch keine Rolle.

Im Heim darf allerdings nicht auffliegen, dass sie eine Hausangestellte war, sie wird als Tantchen vorgestellt. Das Heim wird auch ganz spröde und recht glaubwürdig geschildert, apathischere und weniger apathische Figuren. Uncle Kin, der noch Kräfte in sich spürt, der immer mal ein Tänzchen macht und später von Roger einige hundert Hongkong Dollars schnorren wird, um sich mit einer netten jungen Dame zu verlustieren.

Wie Kin Roger ein zweites Mal anbettelt und Tao das mitkriegt und Roger zögert, weil er inzwischen weiß, wofür Kin die Kohle braucht, ermuntert Tao ihn, das Geld rauszurücken, Kin solle sich doch noch vergnügen, so lange das noch gehe. Das bringt Roger dann doch etwas zum Staunen über die Großzügigkeit von Tao.

Zum Mitt-Herbstfest gibt es Darbietungen im Altenheim. Die Regisseurin Ann Hui, die hier ein Drehbuch von Susan Chan und Yan Iam Lee verfilmt, zeigt auch diese Unterhaltungsabfertigung, zuerst mit einer jungen Sängerin und Geschenken und wie die Alten erleichtert sind, wie diese fertig ist, und die Sängerin ebenso, sagt die Leiterin, halt halt, es gebe noch eine Produktion, worauf eine laute Schulklasse in die Runde der versammelten Alten stürmt.

Die Mutter von Roger kommt zu Besuch und freut sich, Tao zu sehen; die Freude ist gegenseitig. Zwischendrin gibt es immer wieder Begegnungen von Roger mit ehemaligen Mitstudenten, da wird gezecht und Karten gespielt und getafelt. Oder einmal verwechselt im Bürohaus eine Mitarbeiterin Roger mit einem Techniker, den sie zu einer Stelle mit einem Schaden dirigieren will, da zückt Roger seine Visitenkarte, die die Dame blass aussehen lässt. Hochmut, ganz unchristlich?

Die Katze Kaka spielt ebenfalls eine Rolle. Dann hat Tao wieder einen Schlaganfall. Es wird überlegt, sie in eine Wohnung, die der Familie gehört, ziehen zu lassen. Um die von einem lästigen Mieter zu befreien, schickt Roger zwei seiner Buddies als Grobiane, die dem Mieter Beine machen sollen. Recht brutale Entmietmethode.

Das Verhältnis von Roger zu seiner Mutter erhält ein paar skizzenhafte Hinweise, wie sie zu Besuch ist in seiner Wohnung. Sie sitzt im Bett und liest und selbst das Umblättern der Zeitung von Roger im Raum nebenan kommt ihr sehr laut vor. Sie ermahnt ihn. Darauf sitzt er wie erstarrt, ganz ohne Mumm, verzagt, niedergebügelt.

Die im Film vorherrschende spröde Ethik findet ihren Ausdruck auch in einem Gespräch zwischen Roger und dem Arzt, wie Tao nach dem zweiten Schlaganfall in der Klinik liegt und Rogers cooler Anweisung, sie nicht künstlich am Leben zu erhalten, sondern die Apparate, an die sie angeschlossen ist, runterzufahren, er müsse geschäftlich jetzt auf Festland fliegen, sei in einer Woche wieder zurück.

Spröd-ethisches Kino aus dem christlichen Fernen Osten, was im christlich geprägten Abendländer noch lange über das Kino hinaus einen merkwürdigen Nachhall erzeugt. Wie soll ich sagen, mir scheint, in diesem Film läuft das Christentum planmässig und korrekt ab. Das ist vielleicht das Überraschende daran, dass es ohne große Konflikte auskommt, dass es pragmatisch als praktische Handlungsanleitung gelebt oder genutzt wird. Oder eben auch nicht, aber genau so unprätentiös nicht. Keiner macht eine Story aus seinen Handlungen.

Robot & Frank

Kino ganz unprätentiös benutzt, um in aller Ruhe ein nicht ganz abwegige Geschichte unserer Tage zu erzählen, aber eben nicht, wie es hierzulande gemacht würde, als eine Geschichte, die thematisch ums Thema Altern und Demenz kreist (und dann ziemlich unerträglich werden kann), sondern als die Geschichte von Frank, den Frank Langella mit dokumentarischer Glaubwürdigkeit (und immer den Schalk im Auge) spielt, und seinem Pflegeroboter.

Frank war ein Meisterdieb. Dafür hat er auch jahrelang im Gefängnis gesessen. Sein Sohn Hunter ist ihm später sehr dankbar ist dafür, weil er dadurch vor dessen Erziehung verschont wurde.

Trotzdem kümmerte sich Hunter um den einsam alternden Vater, dessen wachsende Demenz ihm alleiniges Haushalten immer mehr erschwert. Hunter nimmt jedes Wochenende die zehn Stunden Fahrt in Kauf, um nach seinem Vater zu sehen, der inzwischen seine Diebesaktivitäten auf kleinere Drogerieartikel oder mal ein Buch aus der Bibliothek reduziert hat, in seinem Metier etwas kürzer tretend.

Für Hunter sind die Besuche anstrengend und fruchtlos, da Frank seine Demenz nicht wahrhaben will. So besorgt er ihm einen entzückenden kleinen, hervorragend auf Hausarbeiten programmierten Roboter in der Größe eines menschlichen Kleinwuchses, vielleicht 1 Meter 50, und ganz in weiß. Der entwickelt sich schnell zu mehr als nur einem Maschinenersatz für einen Diener, mit dem kann Frank sich wunderbar unterhalten.

Und bald schon kann er die doch relativ moralfreie Maschine überzeugen, bei Diebstählen mitzumachen. Der Einbruch in die kleine Bibliothek, in der er praktisch noch der einzige Ausleiher ist und wo er sowieso schon alle Bücher dreimal ausgeliehen hat.

Mit der Bibliothekarin möchte Frank anbandeln, denn er selbst ist schon seit dreissig Jahren geschieden. Die Frau fasziniert ihn. Beim Bruch in die Bibliothek hat er den Don Quixote „ausgeliehen“. Dass es gerade dieses Buch sein muss, scheint mehr im Bedürfnis der Filmemacher, Christopher D. Ford als Autor und Jake Schreier als Regisseur, nach atmosphärische Farbe im Film als der zwingenden Charakterisierung ihres Protagonisten geschuldet zu sein.

Das hatte allerdings zur Folge, dass ein Cop, der vermutlich wegen seiner geringen Körpergröße leicht zu fanatisieren ist, Frank sofort verdächtigt.

Frank wird auf die Bewohnerin eines Bungalows aufmerksam, die Juwelen und Edelsteine im Übermaß besitzt und diese bei einem Event für die Sponsoren der Bibliothek auch gut sichtbar trägt, mithin eines der interessantesten Diebesgüter, das auf kleinstem Volumen größten Wert vereinigt.

Schnell kann also Frank den Roboter dazu verleiten, bei einer systematischen Beobachtung des Bungalows und der Lebens-Gewohnheiten seiner Bewohner mitzutun und den großen Coup tatsächlich zu landen. Der wird allerdings nicht ohne Folgen für Frank und auch sein Verhältnis zum Roboter bleiben, wird Frank doch ein Stück Erkenntnis über die vehement, fast trotzig abgestrittene Demenz bringen und lässt ihn einer möglicherweise attraktiven (?) Alternative zum Knast in Balance mit sich selber enden lassen.

Der Roboter selbst wird als mit einer hochkomplexen Programmierung versehen dargestellt. Er betont auch immer wieder, er sei ein Roboter, er könne nicht selber denken, immer dann, wenn Frank der Versuchung der Humanisierung der erliegt.

Mit der Bibliothekarin Jennifer, gespielt von Susan Sarandon, hat es eine eigene Bewandtnis, nicht umsonst fühlt sich Frank angezogen.

Ich überlege gerade, welches die beste Gelegenheit wäre, diesen Film zu schauen, denn er schafft durch das ausgezeichnete Buch von Christopher D. Ford und die zurückhaltende Regie von Jake Schreier, die dem Mimen den Vortritt lässt, eine Distanziertheit, als ob man eine Anreise durch einen langen Weg durch Wald und Wiesen hinter sich habe in die Abgeschiedenheit einer kleinen, weltabgeschiedenen Ortschaft, um dann hocherträglich mitten auf ein Problem, wenn nicht gleich mehrere, unserer Zeit gestoßen zu werden. Man sollte also nicht aus der Hektik des Alltages ins Kino stürmen, sondern vielleicht die letzten Hundert Meter vorm Kino versuchen, diesen Alltag bereits abfallen zu lassen, seinen Gang in ein müssigeres Tempo herunterschrauben, um diesen Film voll zur Geltung kommen zu lassen.

Die Kinder vom Napf

Unverbildetes, herzerfrischend waches Kino aus der Schweiz mit dem Untertitel: eine Kindheit im Herzen der Schweiz.

Ein Jahr lang hat Alice Schmid die Bergbauernkinder vom Napf filmdokumentarisch begleitet. Herausgekommen ist vielleicht einer der schrägsten, frischesten Heimatfilme. Der Napf ist eine abgelegene Voralpengegend in der zentralen Schweiz.

In dunkler Winternacht fängt der Film an. Drei dick vermummte Kinder mit Stirnleuchte versehen und dem Schulranzen auf dem Rücken marschieren in irrem Tempo einen Waldweg abwärts. Es muss ein langer Weg sein. Den Eindruck erweckt Alice Schmid durch die Länge der Einstellung. Dann schlüpfen sie durch eine Tür bei einer Art Schopf. Ein älterer Mann setzt jetzt eine Seilbahn in Gang, mit der die drei Kinder ins Tal befördert werden. An der Straße unten kommt gleich der Schulbus. Ein nahrhafter Schulweg vom 1400 Meter hohen Napf bis hinunter in die Talschaft nach Romoos.

Im Winter fängt der Film an und beim einsetzenden nächsten Winter hört der Film wieder auf. Bis dahin sind 90 unterhaltsame Minuten, richtig spannend sogar, vergangen, obwohl die Autorin gar keine Geschichte erzählt, sondern wie es scheint sehr spontan sich von ihrem fotografischen Auge verführen lässt und immer im besonderen Moment filmt, also im für den Städter wohl besonderen Moment.

Das kann die Kuh sein, die gekalbt hat oder wilde Blitze, der kreisende Habicht, der Truthahn der geschlachtet werden muss, die Bergbauernheuernte oder ein Traktor, der mit Planierraupen, die mit Stacheln versehen sind, noch die steilsten Hänge rauf fahren und Heu einsammeln kann.

Auch in der Schule schießt sie nicht die üblichen Klassenzimmerbilder, die in praktisch jedem Film, der mit Schule zu tun hat, vorkommen, sie lässt die Kinder im Kreis sitzen, ihr Diplom erhalten oder singen oder das ABC aufsagen oder sie platziert sie in der Turnhalle vor eine Matte, setzt sie darauf vor die Wand und lässt sie erzählen oder die Welt erklären. Am der Wand hängt ein Papier mit der Inschrift Thinktank.
Viele Schulszenen handeln von Musik, Musikunterricht. Ein Mädchen erklärt Geschichte und Funktionieren der Klarinette.

Die Kinder im frühen Schulalter, vielleicht bis zehn elf Jahre, können auch ganz genau erklären, wie sie die Hühner vor dem Habicht schützen, wie der Wolf wählerisch die Schafe reißt, viel mehr als er zur Stillung des Hungers braucht, wie der Truthahn geschlachtet wird, oder wie der Donner entsteht (so eine Geschichte kann auch mal eine Fabuliererei sein!), wie die Kuh kalbt oder einer baut immer wieder an einem Holzpodest, ganz langsam kämpft er mit den Schrauben, das ist schon fast valentinesk, die Tücke des Objektes, dafür hat die Autorin ein Auge, bis schließlich klar wird, dass es ein Podest für das musikalische Bubentrio wird.

Die Geschichten, die die Kinder erzählen sind das Spannendste, zum Teil richtige Gespenster-Geschichten, aber auch solche der Natur abgeschaut. Oder erlebt: wie das eine Mädchen morgens keinen Strom hat. Der Vater hat sie aufgeklärt: er wollte die Melkmaschine anschließen, da gabs einen Kurzschluss und alle Kühe lagen am Boden und Stromausfall. Ein Bub erklärt den Köhlerhaufen. Ein Truthahn ist erfroren. Oder ein Bub erklärt die Reifung der Äpfel. Man sieht die Mostproduktion, oder erfährt etwas über die Wetterfühligkeit der Tiere. Wie sie Blitzeinschlag erahnen und sich woanders unterstellen bei Gewitter. Ein Bub referiert über die Schönheit der Kühe.

Oder der Vater erzählt ein merkwürdige Geschichte von einer Kuh, die kurz vorm Kalben war und dabei in der Nähe eines Abgrundes stand. Er hatte dann anderes zu tun. Und wie er zurückkehrt, so ist die Kuh dünn geworden, aber nirgendwo ein Kälblein zu sehen. Hoffentlich ist es nicht den steilen Abhang runtergerutscht. Da wäre es sicher tot. Aber siehe da, unten am Steilhang steht munter auf noch unsicheren Füßen ein Kälblein. Das ist die Geschichte von Lenzi, die jetzt Zwillinge gekalbt hat. Oder die Geschichte vom Lift, wo einer im Nebel die Tür geöffnet hat und hatte keine Taschenlampe dabei und steigt aus und das andere Kind hört nur noch das Knacken von Geäst.

So vergehen die Jahreszeiten mit Schule, Herumtollen, Wanderungen, zuhause helfen, Blödsinn treiben, mit dem Vater arbeiten und die Welt erklären wie im Fluge. Erinnert an eine Art bunten Wandbehang, impulsiv frisch aneinandergereiht lauter fröhliche, lustige Erlebnisse, nein, auch der Tod spielt eine Rolle, der Ernst des Lebens in der Natur, der unerbittliche, aber die Haltung zu den Dingen, die ist so ernst wie aufgeräumt und fröhlich – die ist wach wahrnehmend.

Dieser Dokumentarfilm ist jedoch nicht nur ein Film voller Geschichten, er ist auch ein kleiner Beitrag zur Filmgeschichte, denn Bernhard Wicki ist in Romoos geboren und zum 60 Geburtstag habe er dort seine Mutter besucht.
Kein Wunder also, dass die Schüler auf die Frage, was man tun könne, damit Romoos nicht aussterbe, antworten: so was wie Hollywood.

Der Verdingbub

über Der Verdingbub

Ein TV-degetohaft-verkürztes Verständnis von Kino tischt uns Schweizer Zombies mit deftigen Schweizer Brutalitäten auf, bringt ein dunkles Kapitel der Schweizer Gesellschaft ans Licht, was dort zu großer Beachtung des Filmes geführt hat, weil das Thema so gar nicht zum Selbstverständnis der Schweiz als tolerant, neutral, freiheitlich, demokratisch und weltoffen passt. Gremiengeschädigtes Kino was mit ungewaschenem Finger versucht möglichst schmerzerzeugend in einer unbekannten Schweizer Wunde zu stochern.

Die Review dazu anlässlich des Filmfestes München hier.

Schneller als das Auge – Im Reich der Superzeitlupe (DVD)

Bald 120 Jahre nach der sensationellen Erfindung der bewegten Bilder, gibt es immer noch bewegte Bilder, die für den Menschen nie zuvor gesehene Sensationen sind, nämlich die Bilder supermoderner Hochgeschwindigkeitskameras, die im Extremfall bis zu 300’000 Bilder pro Sekunde liefern können und damit für den Menschen Dinge sichtbar machen, die er von blossem Auge gar nicht sehen kann, am eindrücklichsten vielleicht die Machwelle nach einer Explosion als eine gläserne Kuppel, die ein Gartenhäuschen wie ein Mikado-Spiel auseinanderfallen lässt.

Das ZDF hat jetzt zwei 45-Minüter, „Schneller als das Auge“ und „Im Reich der Superzeitlupe“ als DVD herausgebracht.

Für einen kunterbunten Mix aus leicht verdaulichen, populärwissenschaftlichen Infos, Sensationsbildern, Tieren, Artisten, Sportlern und beliebter Musik hat Autorin und Regisseurin Luise Wagner gesorgt. Martin Umbach hat dazu mit angenehm zurückhaltender Stimme den Text gesprochen.

Mit der Schlußfolgerung allerdings kann ich nicht ganz einig gehen, dass wir nach diesen verlangsamenden Blicken in die Hochgeschwindigkeit begriffen hätten, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dieser Satz ist überflüssig-pathetisch, selbstbeweihräuchender Zuckerguss, den der Film gar nicht nötig hat. Zum Schluss wird da eine faustische Dimension in Anspruch genommen, die der Film nicht einlösen kann.

Das war auch nicht die Fragestellung. Die Frage war viel eher: welche Objekte können interessant sein für solche aufwändigen Spezialkameras und extremen Experimente.

Luise Wagner fand unter anderen den Falkner Paul Klima, der im Gleitschirm mit dem König der Lüfte fliegt. Der Sprengstoffexperte Alfred Kapplt will einer Explosion mitten ins Herz schauen. Dafür hat er das bereits erwähnte Gartenhäuschen aufgebaut. Dass für einen Sprengstoffexperten die Sprengung eines Steaks das Non-Plus-Ultra ist, verstehe sich von selbst.

Schon 1872 wurde versucht, die Bewegung eines Pferdes in Zeitlupe zu fotografieren. Heute interessiert sich der Bewegungsforscher Martin Fischer für die Fortbewegung des Hundes und kommt dank Hochgeschwindigkeitskameras zu überraschenden Ergebnissen.

Folgen für den Hauhalt kann die Entschlüsselung der Physik des perfekten Schüttelns des nassen Felles durch den Hund zeitigen: für den Schleudermechanismus der Waschmaschine. Wir sehen ein abgefeuertes Projektil in extremer Verlangsamung. Oder die Autorennfahrerin Christina Suhrer. Sie erzählt von einem Flugunfall, von der endlosen Sekunde zwischen Aufwachen aus der Ohnmacht und der Wahrnehmung der Gefahrensituation, dem Bewusstsein des Überlebenskampfes und der klaren Gedanken, die diesen in Sekundenbruchteilen steuern.

Der Sportpsychologe Dieter Hackfort spricht über den Geschwindigkeitssinn als einem 7. Sinn. Die Augen sind das schnellste Organ. In Rotterdam trainiert Irene Piterbarg Feuerwehrleute aus ganz Europa für die Flash-Over-Situation, den Umgang mit einem Feuerball. Zwischendrin dreht ein kleines Mädchen mit einem süßen Lebkuchenherz mit der Aufschrift „I love Speed“ Runden auf einem Kettenkarussell.

Zu Rüpeleien von Bienen auf einer Blüte spielt uns Luise Wagner Schostakowitsch ein. Die Biene schafft 270 Flügelschläge pro Sekunde. Das fotografiere mal einer! Auf einem Hochhausdach in Frankfurt darf ein Mädchen Bienenwaben rausnehmen und wir erfahren etwas über den Schwänzeltanz der Bienen (in „More than Honey“ von Markus Imhoof gibt’s demnächst Ausführlicheres).

Im Hamburger Hafen erfahren wir, dass wir 4 mal pro Sekunde neue Reize wahrnehmen. Und in Hamburg sehen wir Cengiz, den besten Powermover der Welt. Wir hören, dass Geschwindigkeit uns berausche und dass Zeit ein Konstrukt unserer Sinne sei, im Kopf gebündelte Zeitpakete.

Ornithologe Martin Wikelski befestigt eine Kamera auf einem Wanderfalken; rasende Fahrt im Sturzflug mehr als 300 km/h schnell. Die titelgebende Heldin, Susi Kentikian ist 3fache Weltmeisterin im Fliegengewichtsboxen, 24 Jahre alt, permanent in Bewegung und ihre Schläge sind „schneller als das Auge“, ihre Gegner können diese erst wahrnehmen, wenn sie schon getroffen sind und überhaupt nicht reagieren. Sie ist ein Drittel schneller als die Klitschkos und sie gibt sich auch für Experimente her mit dem Bewegungsforscher Martin Fischer, der die Boxerin voll verkabelt, um ein 3-dimensionales Bewegungsprofil zu erhalten.

Unsere Geschwindigkeitsparade macht weiter Station bei den berühmten Mönchen des Shaolin, die mit einer Stecknadel, die sie gezielt durch eine Glasscheibe werfen, den Ballon dahinter zum Platzen bringen können (vor der Geisteskraft der Shaolin scheitern allerdings alle naturwissenschaftlichen Erklärungsversuche).

Es folgt der Kölner Zoo mit der Gottesanbeterin, dem blauen Pfeilgiftfrosch und dem Rotfeuerfisch, alle auf ihre Weise Geschwindigkeitskünstler.

Ins Finale unserer Geschwindigkeitsveranstaltung biegen wir in eine Kurve mit Artisten und Künstlern ein. Auf den Jongleur Daniel Hochsteiner, der König der Jongleure, folgen Katzenpfoten (wobei die Wissenschaft sich vom Studium des Bewegungsablaufes der Katzenpfote Aufschlüsse zur Reifenkonstruktion gegen Aquaplaning erhofft) und Delphine, beide auch wahre Künstler und schließlich noch Seifenblasenkünstler und Feuerschlucker.

Wissenschaft, so leicht zu verstehen und so unterhaltsam wie das Oktoberfest, wenn da nicht der immer wiederholte Wermutstropfen-Satz wäre, dass immer wenn es um menschliche Geschwindigkeit geht, das nichts anderes heißt als jahrelanges, hartnäckiges Training. Üben, üben, üben.