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Celeste & Jesse

Heiraten oder gute Freunde bleiben; sich trennen von Wohnung und Bett, und trotzdem gute Freunde bleiben, darum geht es hier, ein sicher nicht zu weit hergeholtes Thema, das uns Lee Toland Krieger nach einem Drehbuch von Rashida Jones und Will McCormack schmackhaft zubereitet.

Celeste und Jesse sind ein verheiratetes Paar. Und getrennt. Er wohnt jetzt in der Garage, ist wenig erfolgreicher Künstler. Sie ist im Haus wohnen geblieben und ist erfolgreich mit ihrer Agentur. Seit sie sich getrennt haben und sich zu nichts mehr verpflichtet fühlen, haben sie Spaß miteinander wie kleine Kinder. Besonders ein Spiel amüsiert sie königlich: sie hält einen kleinen Gegenstand, zum Beispiel einen Mini-Maiskolben in der Hand und er reibt daran und so spielen sie mit kindlicher Freude und wie unschuldig Sex bis zum Erreichen des akustischen Orgasmus. Aber es darf sich auch um eine Tube mit Lippencreme handeln, bis das Weiß herausquillt.

Ein mit unserem Protagonisten-Paar dick befreundetes Paar, das dabei ist heiraten zu wollen, kann sich nun mit dieser demonstrativ vorgespielten Lebenspraxis von Celeste und Jesse gar nicht anfreunden. Sie drängen auf richtige Trennung und Neuorientierung der beiden.

Das verläuft bei Jesse schneller und erfolgreicher. Bald schon hat er eine Belgierin geschwängert. Er steht zu seiner Vaterschaft. Die Belgierin hat aber keine Green Card. Also müssen sie heiraten. Davor muss er sich jedoch von Celeste scheiden lassen. Der fällt es allerdings immer schwerer, mitzukriegen, wie sich Jesse emanzipiert. Allerdings wird sie es am Schluss verstehen. Sie wird Gelassenheit gelernt oder auch: das Loslassen gelernt haben.

Das wird an einer Reihe von Szenen klar, in denen es um das Schlangenstehen geht, vor einer Kasse, einem Schalter oder beim Einchecken zum Flugzeug. Diese Reihe von Szenen verdeutlicht auch, was diesen Film so sympathisch macht: dass die Autoren Rashida Jones und Will McCormach, die beide auch mitspielen, Rashida die Hauptrolle der Celeste, von ihrer eigenen Lebenswelt aus gehen, von Dingen um sich herum, die sie beobachten und dann zu symptomatischen Szenen verdichten.

In der ersten Schlangenstehszene herrscht Celeste einen arroganten Vordrängler noch an bis zum Kreuzverhör. In der letzten dieser Szenen zeigt sie große Gelassenheit, lässt einem Gecken cool den Vortritt. Wer nach dem Kino bei der nächsten Schlangstehgelegenheit cool bleibt, der dürfte vom Film was mitgenommen haben.

Jesse und Celestes Lebenswelt, das zeigen auch Inhalte und Vokabular im Film. Es sind junge Menschen in einer In-Welt, keine Außenseiter, keine besonders komplizierten, problembehafteten Menschen. Es sind Wonnepfropfen von jungen Menschen, optimistisch nicht schwerenöterisch, sie nehmen das Leben leicht und am Ende auch gelassen. Vielleicht auch etwas oberflächlich.

Celeste hat ein Buch verfasst mit dem Titel Shitegeist. Auch so eine Szene, wie sie es im Buchladen auf das Gestell der vom Personal vorgeschlagenen Bücher umplatziert und gleich nachfragt, ob genügend Exemplare vorrätig seien.

Ein Film im Life-Style junger Menschen, die sicher Modemagazine mögen und Life-Style-Magazine; denen moderne In-Nahrung wie veganes Essen nicht fremd ist, die Yoga-Kurse nehmen. Die wenn sie eine IKEA-Kommode, so wie Jesse, nicht richtig zusammenbauen können, gleich von Koos und Serra und solchen „Brands“ sprechen. Leute, die auch einen Kostümball mögen und sich da womöglich als originelle Serienkiller verkleiden, mit lauter DVD-Hüllen. Leute, denen auch eine Asia-Massage – bei der sich gleichzeitig mit dem ebenfalls massierten Partner zu unterhalten sehr schwierig werden kann – nicht fremd ist.

Gegen die Vorstellung von ihrem eigenen Geschmack nimmt Celeste eine Sängerin von leicht problematischem Niveau in ihre Agentur auf. Für die Brötchen. Alles dem Leben abgeschaut. Und Spaß haben sie an den Namen der Kanzlei, die die Scheidung vornimmt: „Stein, Weinberg, Steinberg und Jimenez“ (oder ähnlich). Aber auch am Disney-Gebäude aus modernster Architektur in L.A können sie sich genau so ergötzen, wie sie den berühmten Hollywood-Schriftzug offenbar in ihrem Film haben wollen. Selbst Justin Bieber spielt in der Welt ihrer Wahrnehmungen, aus der sie quasi authentisch berichten, ein kleine Nebenrolle.

Bericht aus einer sorglosen, randintellektuellen aber nicht ganz verschlafenen amerikanischen Mittelschicht mit einem guten Feeling fürs Kino und die darin gegebene Möglichkeit zur Selbstdarstellung.

Madison County (DVD)

Eric England, der Autor und Regisseurs dieses Slasher-Movies, meint es nicht unbedingt gut mit seinen Protagonisten. Dabei sind James, Will, Brook, Jenna und Kyle nette junge Menschen aus einer ruhigen, gepflegten Siedlung in einem amerikanischen Kleinstädtchen. Will hat seinem Freund James einen Wochenendausflug vorgeschlagen, zu dem sie die Mädels Brook und Jenna mitnehmen wollten. Denn Will ist in Kontakt mit einem Schriftsteller, der einen blutigen Horror-Roman geschrieben hat. Dieser Autor hat insofern etwas Geheimnisvolles, als er weder über Mail noch über Telefon erreichbar ist. So müssen in langen Intervallen Briefe geschrieben werden. Und auf diesem Wege wurde auch das jetzt beabsichtigte Interview verabredet. Will kann das für seine Abschlussarbeit an der Uni brauchen.

James ist passionierter Fotograf und der hatte die Idee mit dem kleinen Trip, weil er dann auch Fotos von dem Schriftsteller schießen könne. Die beiden Mädels wurden eingeladen, weil die Herren es krachen lassen wollen.

Einziger Wermutstropfen gleich zu Beginn der Reise: der ältere Bruder von Brook, Kyle, kommt ungefragt mit, er hockt sich einfach ins Auto. Dass ausgerechnet der jetzt noch mitfahren will, als Anstandswauwau womöglich, das trübt die Aussicht auf ein ausgelassenes Wochenende etwas. Denn Kyle ist ein finster drein schauender Kerl.

Aber junge Leute können sich arrangieren, die lassen sich so einen Spaß nicht so leicht verderben. Sie wollen nach Madison County. Die Fahrt wird einige Stunden dauern und gegen Ende hin werde es bergig und recht kurvig, kündet der Fahrer an. Und tatsächlich, schon nach wenigen Kurven muss der, der hier als der stärkste, der männlichste charakterisiert ist, Kyle, sich erbrechen.

Man hält also auf einem kleinen, waldigen Parkplatz. Und das zeichnet Eric England durchaus als einen aus, der Ahnung hat von Horror, dass er sich für so einem Moment oder auch für Pinkelpausen, genügend Zeit lässt, genügend Ruhe. So können sich im Zuschauerhirn schon die Gespenster entwickeln, darf das Horrorgefühl angezurrt werden. Es gibt Andeutungen, dass da hinter den Bäumen noch wer ist. Ganz verschwommen.

Einmal sieht der Fotograf auf einem geschossenen Bild etwas Unklares. Um diese Stimmung der aktiven Neugier und Erwartung des Zuschauers noch zu steigern, hat England mit Igor Nemikovsky einen Komponisten engagiert, der sich mit diskreten, dunklen Streichertönen oder mit einigen einsamen Gitarrenzupfern begnügt, eher untertextmässig andeutend, oh, oh, da ist doch was im Schwange, Vorsicht wäre die Mutter der Porzellanschüssel. Statt den Horror noch akustisch zu unterstreichen und zu kommentieren oder gar vorwegzunehmen. Die Musik, die versucht im Zuschauer die eigenen Horrorsaiten zum Erklingen zu bringen. Auf Resonanz spekulierend.

Andererseits nimmt England ganz übliche Situationen her, altbekannte Muster, anders geht es ja auch nicht. Den OARK General Store zum Beispiel. Das Zentrum in der menschenleeren Gegend, schiere Wildnis. Der Laden ist gefüllt mit skeptisch und feindlich dreinschauenden Provinzlern. Obwohl bis jetzt doch alles so normal war. Aber Gäste sind nicht willkommen hier. Das wird deutlich. Und was unsere fünf Reisenden noch nicht wissen können, mit wem sie es nämlich wirklich zu tun kriegen werden, das dürfte demjenigen, der die DVD-Hülle in der Hand gehabt hat, bekannt sein und lässt noch einiges an Blut, das fließen wird, erwarten.

Eric England versucht nicht, das Horrorgenre neu zu erfinden; aber er spielt sein Standard-Repertoire entspannt und subtil animierend wie ein Barpianist auf seiner Klaviatur, die er ausgezeichnet beherrscht. Eine gelungene Etüde in Horror.

Balkanmelodie

Stefan Schwietert, der uns mit „Heimatklänge“ schon einen wundervollen Kinofilm über moderne Varianten des Jodelns anhand von drei Künstlern beschert hat, versucht sich jetzt mit einem komplexeren Thema. Einerseits geht es, wie der Titel sagt, um Balkanmelodien.

Der Sachverhalt wird insofern komplexer und dadurch leider unübersichtlicher, als der Film gleichzeitig eine Dokumentation über das Schweizer Ehepaar Marcel und Catherine Celliers ist, die diese Balkanmelodien schon zur Zeit des Eisernen Vorhanges dem Westen vermittelt haben. Also ein Film über Vergangenheit und Gegenwart, über Vermittler und Vermitteltes. Zur Zeit der Dreharbeiten sind die Celliers schon 55 Jahre verheiratet. Sie wohnen in einem kleinen Anwesen hoch über dem Genfersee mitten in den Rebbergen mit Blick auf den See. Es dürfte sich um eine ähnlich feine Wohnlage handeln wie die von Godard, in dessen autobiographischen Film so ein Blick auf den Genfer See auch zu sehen war.

Es sind wie schon bei den Heimatklängen ein kleine Anzahl von Gruppen und Musikern auf die Schwietert sich konzentriert. Aber das Thema ist ausufernder. Und immer ist wieder Cellier gefragt. Sein Beruf war im Management einer Erz- und Metallfirma. Für diese reiste er oft in die vom Kommunismus beherrschten Balkanländer.

Es geht vor allem um Rumänien und Bulgarien. Hier wurde Cellier aufmerksam auf die indigene, die autochthone Musik, die zu Zeiten des Kommunismus staatlich spitzenmäßig gefördert worden ist (Putin, war neulich zu lesen, wolle jetzt die Don Kosaken staatlich fördern). In großen Betrieben gab es eigens angestellte Orchester.

Cellier fing an mit einem 25 Kilogramm schweren Telefunken-Gerät, später mit einer Nagra, diese Musik aufzunehmen und sie dann auf Schallplatten und in Radiosendungen im Westen bekannt zu machen. Das führte bis zum Gewinn eines Grammys.

Das erste Kapitel ist dem weltberühmten Panflötenspieler Gheorghe Zamfir gewidmet, dem Cellier mit Aufnahmen aus Panflöte und Orgel zum Durchbruch verhalf mit weit über einer Million verkaufter Schallplatten. Mit wachsendem Erfolg, von dem Cellier für sich nur 40 % in Anspruch nahm und damit noch sämtliche Unkosten schulterte. Aber mit dem Erfolg sei auch Zamfirs Gier und damit sein Misstrauen erwacht, was schließlich zur Trennung führte. Heute experimentiert Zamfir noch und unterrichtet.

Das zweite Kapitel fängt mit einem Friedhofsbesuch in Rumänien an. Gräber mit liebevoll angemalten Holzschnitzereien mit Musikern als Sujets. Die Überlebenden erzählen von damals und musizieren noch heute. Auch böse Songs von damals haben sie noch präsent: das Kollektiv hat uns alles gestohlen, gefickt sei die Mutter des Kollektivs.

Das dritte Kapitel widmet sich den Mysterien der bulgarischen Stimmen, „le mystère des voix bulgares“, das sind vier Alben, die Cellier damals mit Gesängen eines Frauen-Elite-Chores herausgegeben hat. Sie singen immer noch. Der Dokumentarist macht mit einigen von diesen Frauen eine Busfahrt mit und besucht eine Probe.

Es gibt ein weiteres Kapitel, das ist dem Gipsy-Pop aus dem Balkan gewidmet. Dazu erzählt Cellier die schöne Anekdote, dass damals, nachdem die Aufnahmen beendet gewesen seien und das Aufnahmegerät im Auto verstaut war, die Musiker ihn nochmals reingeholt hätten und ihm gesagt, jetzt würden sie für seine Seele spielen.

Trotzdem kann man sich von diesem kunterbunten Film mit viel aufregender Musik leicht berieseln lassen, sich auch wundern über die scheusslichen Stadt-, Straßenbahn- und Industriegebietsaufnahmen, die Schwietert über die nervenberuhigendste Musik noch legt.

Das Montagematerial für den Film setzt sich zusammen aus neu erstelltem Dokumaterial und Stadtimpressionen, eigens gedrehten Interviews mit den betagten Celliers in ihrem Haus hoch über dem Genfer See und mit einigen der Musiker, die Cellier damals entdeckt und gefördert hatte, aus Archivmaterial aus Radiosendungen und Fernsehshows und -nachrichten (beispielsweise wie Breschnjew und Ceaucescau Volkstanz tanzen), aus privaten Super-8-Filmen der Celliers, aus Schallplatten und Tonbändern und einer Diashow.

Ein bemerkenswert vielschichtiger Einblick in die politisch geförderte Balkan-Volksmusikwelt zur Zeit des Kalten Krieges.

Cirque du Soleil: Traumwelten

Eine junge Frau, große Augen, schlank, Bubikopf, geht auf einen Zirkus zu. Ein verwitterter, alter Mann drückt ihr ein Flugblatt in die Hand. Es wirbt für einen Aerialisten. Dieses Flugblatt wird Wegweiser und Suchmotto für die junge Frau.

Im Zirkus befindet sich eine altmodische Arena mit Künstlern aller Art. Ein Trapezkünstler schwingt sich durch die Luft (ist es der Aerialist?), stürzt ab. Da, wo er hinfällt, mitten in der Arena, gibt der Boden plötzlich nach, es entsteht ein Sog nach unten, der alles mitreißt, den abgestürzten Künstler genau so wie unsere junge Frau und wie Alice landet sie in einem Wunderland, in einem zirzensischen.

Dieses Wunderland ist nichts anderes als ein riesiges Filmstudio – als solches nehme ich das wahr – das für die wahnwitzigsten Artistendarbietungen hergerichtet ist. Von Synchronschwimmern über alle Arten von Luftkünstlern. Eine mächtige Darbietung versucht die vorherige zu überbieten. Es scheint sich um einen Wettbewerb der Zirkus-Rekorde zu handeln, um einen artistischen Leistungswettbewerb, um eine artistische Leistungsshow.

Es scheint, als ob uns Andrew Adamson, der Autor und Regisseur dieses Filmes vollends zudröhnen will mit Artistik, eine Nummer gewagter als die andere und das meiste in der Luft oder auf sich immer steiler anhebenden Wänden. Von Zirkuspoesie nicht die Spur. Durch den 3D-Faktor wirkt das Ganze eher als eine düstere Angelegenheit.

Den dünnen Faden einer Geschichte beschert uns jetzt ein Clown, der unsere bisher einzige Zuschauerin durch diesen Höllenschlund von Spektakel führt. Es gibt keine Pause zum Verschnaufen. Kein Platz für ein kleines Verdauungsbäuerchen. Eine Sensation reiht sich an die andere. Eine gewagter als die andere. Es gibt nicht einmal Ansagen, die den Kitzel erhöhen würde, es gibt keine „gekonnten“ Fehltritte.

Einzig Close-Ups von Händen, die mitten im Flug nach Unterschenkeln greifen, lassen erahnen, wie kühn diese Darbietungen sind. Bombastische Bombardierung mit Extremartistentum. Gelegentlich begleitet von Beatles-Songs. Wobei die Zartheit von „Black Bird singing in the dead of night“ vom Zirkus-Bombast schier zerquetscht wird.

Gewaltige Maschinerien, die sich bewegen mit großen Rädern, in und um die herum Menschen wie Katzen und Vögel zugleich sich hangeln und werfen und laufen und klammern. Ein Metropolis des Zirkus. Am Schluss wird unser Mädchen vom muskulösen Flugmenschen mit der weißen Pluderhose, der so gar nichts Erotisches hat, genauso wenig wie das Mädchen selber, in die Luft zu einem langen Tänzchen, einem Pas de Deux aerial, entführt. Das soll das Happy End der dünnen Story vor dem Applaus signalisieren. Insofern schade für den Wahnsinns-Aufwand. Hoffentlich haben die Artisten wenigstens eine anständige Gage bekommen.

Inuk

Ein starkes Votum für die Abenteuerpädagogik, was uns hier Mike Magidson, der mit Ole Jörgen Hameken auch das Drehbuch geschrieben hat, in grönlandheller Eislandschaft die von prächtigen, kräftigen Husky-Schlittengespannen durchquert wird, abgibt.

Die matriarchalische Chefpädagogin ist Aviaaja. Sie agiert wie die Leiterin eine großen Konzerns. Sie hat die Übersicht. Rebekka Jörgensen, die Darstellerin der Aviaaja, ist auch im richtigen Leben die Chefin eines Jugendzentrums in Uumannaq. Sie bringt einen bemerkenswerten Real-Life-Impetus in diesen Film. Von diesem Jugendzentrum kommt auch der Hauptdarsteller, der junge Inuit Gabe Petersen, der die Titelrolle Inuk spielt.

Die Geschichte im Film ist die: Inuks Vater war ein berühmter, ja der berühmteste Robbenfänger. Wie Inuk als kleines Kind erkrankte, fuhren die Eltern mit ihm im Schlittengespann einen riskanten Weg übers Eis. Das hören wir im Film mehrfach, dass das Eis immer schlechter wird. Der Hinweis auf den Klimawandel. An einer gefährlichen Stelle wollte der Vater dem Schlitten vorausgehen, um das Eis zu testen. Er ertrank. Die Mutter schaffte es, mit dem Kind zu überleben. Sie zog nach Nuuk, der grönländischen Hauptstadt. War aber allein überfordert mit der Erziehung und Fürsorge für den Jungen. Alkohol, Freundinnen, Rauchen bestimmten ihr Leben und nicht das Kind.

Das Jugendamt übernimmt die Verantwortung. Es verschickt den Jungen in das Jugendzentrum in Uumannaq hoch im Norden (dazu muss man erst mit einem Flieger und dann noch mit dem Helikopter reisen). Dort fädelt die ihre Umgebung immer wach und scharf beobachtende Aviaaja die Abenteuerfahrt mit den Robbenjägern und den Schlitten ein.

Auch ein Mädchen befindet sich im Jugendzentrum, das Inuk gefällt. Aber auf der Abenteuerreise in den Schnee und zu den Robben begreift er die Lektion, erst das Jagen zu lernen und dann sich um die Mädchen zu kümmern. Des weiteren erfährt er von seinem „Mentor“, einem erfahrenen Jäger, mit dem zusammen er ein Schlittengespann fährt, dass sein Vater einst ein berühmter Jäger war. Nebst vielem anderem Jägerstroh, was dieser ihm und den Kindern nächtens auftischt.

Ein schön elegischer Film über eine Vatersuche. Die Suche nach dem Vater in sich, nachdem Inuk den physischen Vater schon in früher Jugend verloren hat. Dadurch dass er sich auf den Weg seines Wirkens macht. Ein Stück Peitsche hat er geerbt von ihm. Hier wird ein kleiner Bezug zum Vater haptisch greifbar. Dieses Peitschenstück wird eingesetzt als eine Art Missing Link auf der Suche nach dem Vater und damit nach sich selbst. Eine Suche, die nicht ohne Härte, Schmerzen und Einsamkeit, ja sogar Verzweiflung abläuft. Aber die Suche ist wunderbar aufgehoben in den großartigen, fantastischen Bildern der Eiswüstenei Grönlands.

Parker

Jason Statham, der Parker spielt, hat seinen ersten Auftritt als Pfarrer verkleidet auf einem Rummelplatz. Er arbeitet in dieser Rolle als Mitglied einer Gang, die gerade eine Wettbürokasse auszurauben plant. Zwei sind als bunte Clowns geschminkt, andere machen diskreter mit.

Der Film fängt vital, schnell, mitten im tobenden Leben an. Auch wenn nicht alles nach Plan läuft, die Gang schnappt sich die Kohle. Wie allerdings Parker seinen Anteil von der Million einfordert, wird ihm das verweigert, denn die Gang will dieses Geld in den ganz großen Coup investieren. Das lässt sich Parker nicht bieten, er verlässt das Auto und bleibt angeschossen an einem Seeufer neben der Straße halbtot liegen.

Er wird sich im folgenden als wahrer Überlebenskünstler erweisen, der noch die heftigsten Blessuren in Windeseile kuriert oder selbst an Infusionen gefesselt aus dem Krankenhaus mitten durch eine Polizeiphalanx hindurch entkommen kann.

Das sind alles Bilder und Vorgänge, die einem Anspruch an gängiges Actionkino durchaus zu genügen vermögen. Statham ist durch und durch Action-Protagonist, hängt sich voll rein und wirkt mit jedweder Verletzungsmaske glaubwürdig.

Allerdings ist dies nicht nur ein Jason-Statham-Film sondern auch ein Jennifer-Lopez-Film. Das bringt ab ihrem ersten Auftreten in einem Nobel-Ressort die Dramaturgie des Filmes gehörig durcheinander. So ein hübsches Näschen ist nicht für Action gemacht. Sie spielt eine Immobilienmaklerin, die relativ erfolglos ist und abhängig von einer harschen Mutter.

Parker wiederum erfährt, dass seine ihn betrogen habenden Gangleute ebendaselbst den großen Coup planen. Und weil Lopez mitspielt, muss er jetzt an sie geraten. Das führt zu Szenen, wo ihr eine Chance gegeben werden soll, was jedoch nicht mit dem Bedürfnis nach Action kongruent ist. Das reißt ein bisschen raus aus dem Interesse, wie denn nun Parker, der immer mehr zur körperlichen Ruine wird, noch an sein Ziel kommen könne. Merkwürdigerweise wirken ab dem Moment auch die Action-Szenen nicht mehr so vital, sondern vielmehr routiniert.

Die Auktion um die Juwelen und dann der Count-Down in der Villa der Gang. Denen ist durch den breiten Raum, den der Film plötzlich Leslie, so heißt Jennifer Lopez im Film, widmet, die Grundlage entzogen und sie wirken wie aus einem anderen, längst bekannten Film.

Hinzu kommt, dass Statham schauspielerisch gesehen doch ein anderes Kaliber ist als Lopez. Sie bringt hier eher die Aura eines Horrorfilmes mit, während Statham für Action-Pur steht. Mit Auftritt Lopez gerät die Action-Schiene gewaltig ins Trudeln. Eine Beziehung zwischen den beiden konkurrierenden Stars ist wohl weder vom Drehbuch her vorgesehen noch von der Regie her in irgend einer Weise gefordert worden. Die beiden interagieren mehr wie ein routiniertes Streifenpolizisten-Team – von den Haltungen her.

Renoir

Dieser Film zieht einen voll rein in das Leben der Künstlerfamilie Renoir. Obwohl er narrativ sich mit dem Aneinanderfügen von Alltagsszenen auf dem Landgut des hochbetagten, gichtgequälten Malers Auguste Renoir begnügt.

Der Film spielt zur Zeit des ersten Weltkrieges. Zwei von Renoirs Söhnen sind im Krieg, der dritte, ein schwer ansprechbarer, in sich gekehrter halbwüchsiger, Claude, ist noch zu Hause in diesem mit Frauen allen Alters wohlbestallten Haushalt. Die Mutter ist noch nicht allzu lange verstorben. Der Vater malt und malt. Und wenn keine Akt-Modelle zur Verfügung stehen oder das Licht nicht stimmt, dann nimmt er sich Zitronen oder Äpfel vor. Denn er möchte noch so dies und das lernen.

Dieser alte Meister wird von einem ebenso alten wie hochbetagten Meister der Schauspielkunst dargestellt, von Michel Bouquet, dessen Sätzen auch hier keiner zu widersprechen sich traut. Mit den Söhnen scheint er allerdings wenig Gesprächsstoff zu haben.

Ein neues Modell stellt sich vor, eine hübsche junge Frau, Andrée Heuschling (Christa Theret), die zur Geliebten des Sohnes Jean werden und dessen Stummfilm-Karriere beflügeln wird. Das lesen wir dann aber erst im Abspann.

Wie der Sohn Jean verletzt aus dem Krieg zurückkehrt, meint sein Vater, die sollen doch lieber die krüppeligen Alten in den Krieg schicken. Aber Renoir erzählt auch, dass er lieber eine schöne Welt malt, eine zauberhafte Welt, die den Betrachter glücklich macht. Den Krieg haben wir eh. Dieser kommt hier vor in Form der verletzten Söhne. Und einmal taucht der Krieg am Wegrand auf, verletzte Soldaten machen eine Fahrpause und ruhen sich neben ihrem Transport-LKW aus. Oder in Form eines zwielichtigen Kriegsprofiteurs und -händlers, der allerlei Gegenstände feil bietet, deren Herkunft man besser nicht zu erforschen sucht, ja der sogar anbietet, Särge mit Inhalt zu organisieren. Das sind alles scheussliche Sachen. Also nicht zu lange verweilen dabei.

Renoir lässt sich lieber von Lichtspielen und schönen Frauenformen inspirieren. Und ebenso tut es unser Filmemacher Gilles Burdos, der mit Michel Spinosa auch das Drehbuch geschrieben hat.

Wie Andrée zu zeichnen versucht und meint, sie male wie ein Kind, sagt der alte Renoir, genau das sei es, was er anstrebe, zu malen wie ein Kind. Immer wieder bewegt sich diese „Ménage“ Renoir in malerischen Aufzügen durch die blühenden Wiesen, unter lichtdurchfluteten Bäumen hinaus in die Natur oder ans Wasser oder nur auf die Terrasse. Auf dem Weg zum Pointillismus. Der alte Meister wird von vier dienenden Frauen in ausladenden, farbenfrohen Röcken getragen und seine Utensilien dazu. Das Modell geht nebenher oder voran.

Immer wieder streut Renoir Weisheiten und Erkenntnisse aus seinem Leben ein. Dass er doch nur ein einfacher Porzellanmaler sei. Malen als Metier gleichsam. Und dass er damit aufgehört habe, weil die Fabrik dichtgemacht hat (wenn ich das richtig verstanden habe). Aber auch Küchengespräche des Personals vor malerischem, mit Obst und Gemüse gefülltem Küchentisch werden uns nicht vorenthalten, die möglichen Karrieren vom Modell zur Küchenhilfe oder auch umgekehrt.

Jean allerdings ersteht während seines Genesungsurlaubs von dem dubiosen Marktfahrer einige Rollen Stummfilm, den die versammelte Familie mittels eines wiederhergerichteten Projektors bestaunen darf. Bei einem Gespräch der drei Brüder am Strand lässt der älteste den Kommentar los, Film sei nichts für Frankreich, dieses sei Meister in den alten Künsten. Sein Bruder Jean wird später zu einem jener wichtigen französischen Filmemacher gehören, die mit die Kultur und Tradition des französischen Kinos begründet haben, dank welchem es auch heute noch ein in hundert Facetten blühendes Filmland ist, wie auch dieses impressionistisch angehauchte Kleinod von Film aufs schönste belegt.

Play

Einer der Filme, für die man Muße und Neugierde mitbringen sollte.

Einfach mal zuzuschauen bei diesem Spiel, was doch ganz vertrackt inszeniert scheint, sicher mit der Dogma-Idee im Hinterkopf – oder vielleicht haben es die Skandinavier inzwischen im Blut – man muss da schon aufpassen. Das haptische Thema heißt Handydiebstahl und die These im übertragenen Sinne dürfte die sein, mit Vorurteilen liegst Du meist falsch.

Die Vorurteile wären zum Beispiel, schwarze Jungs, die in Göteborg im Einkaufszentrum rumlungern, sind für gewöhnlich Diebe, und sie sind es, die jüngeren schwedischen Buben Handys klauen und sie bedrohen. Das wird in einer minutenlangen Szene im Atrium einer modernen Shopping-Mall erst mal suggeriert. Die Kamera dürfte im ersten Stock sehr diskret platziert gewesen sein gegenüber den Rolltreppen, ähnlich einer Überwachungskamera, und als erstes kommen zwei Buben die Rolltreppe runter, bleiben in der großzügigen Halle stehen und beraten, was sie weiter tun wollen, in welchen Geschäften sie noch vorbeischauen wollen. Zwei junge bürgerliche Schweden aus wohlbehüteten Häusern, so der Eindruck, um die zehn Jahre alt.

Es scheint in einer ruhigen Stunde aber bei laufendem Betrieb gedreht worden zu sein, denn die Passanten, die vorbeikommen sind so natürlich, wie Komparsen es kaum je sind. Sie dürften mit Mikroports ausgerüstet gewesen sein, die Jungs, man hört ihre Stimmen ganz leise und doch verständlich.

Nach langer Zeit schwenkt die Kamera ganz langsam rüber nach links. Da sind einige etwas ältere, schwarze Jungs, die rumhängen, vielleicht so 13, 14jährige. Sie entdecken die beiden weißen Jungs, die im Moment noch unentschlossen rumstehen und nach längerer Zeit geht einer von den Schwarzen zu den Kleineren rüber und fragt, ob er mal sein Handy sehen darf. Klar, die Schwarzen sind die Bösen, der wird das Handy dem Jungen gleich entreißen. Aber nichts davon. Die Kamera schwenkt noch einige Male hinüber und herüber. Die Gruppen tun sich wieder zusammen beraten sich, für sich und mit den anderen. Der weiße Junge, zeigt schließlich sein Handy und die behaupten, das sei vom Bruder des einen Schwarzen. Aber noch passiert nichts Kriminelles.

Die Jungs trollen sich von dannen. Zur Erholung von der langen Beobachtung, denn noch weiß der Zuschauer noch nicht genau, worauf er acht geben soll, gibt’s jetzt ein kleines Intermezzo am Fuß eines mächtigen Denkmals. Hier hat sich eine Musik-Gruppe bunt kostümierter und mit Federschmuck versehener Indios aufgestellt und spielt. Passanten bleiben stehen und gaffen. So glaubwürdig, also inszeniert kann das nicht sein.

Wo ist das Leben, wo ist die Inszenierung. An der Glastür eines chicen Büros, „adact“ steht auf dem Schild, sind zwei Hostessen mit dem Säubern des Glases beschäftigt, eine putzt, die andere kontrolliert und findet unsaubere Stellen. Vorher ist eine schick gekleidete Gesellschaft, alle mit kleinen Geschenktütchen am Arm in den Raum neben diesem Eingang gegangen. Vermutlich noch ein Intermezzo, bis Kamera und Regie die Jungs wieder gefunden haben?

Die sind jetzt in einem Musikgeschäft und probieren Gitarren aus. Die Buben sind inzwischen zu dritt, Sebastian, John, der Chinese, und noch einer. In der Zwischenzeit wird ein weitere Szene, die zu einer Serie im Film werden wird, eingeführt.

In einem Vorortszug findet der Schaffner eine herrenlose Holzwiege. Um die wird er sich und eine Kollegin noch oft zu bemühen haben, dann stellen sie sie in den Gang zwischen erster und zweiter Klasse, aber auch dort stört sie. Sie wird später überraschend wieder an völlig anderem Ort auftauchen.

Andererseits kreisen die schwarze und die weiße Bubengruppe immer enger umeinander. Als nächstes sind sie in einem Schuhladen mit Turnschuhen. Dann hängen sich die Schwarzen an die Weißen. Bis diese Zuflucht in einem Café suchen. Die Schwarzen geben zu erkennen, dass sie friedlich sind.

Aber die Frauen in dem Café haben sie darauf aufmerksam gemacht, dass das erst geht, wenn etwas passiert ist. Vorher sind die Schwarzen schon in die Tram der Weißen gestiegen und haben die auf Distanz angemacht. So dass die Weißen beschlossen haben, beim nächsten Halt kurz bevor die Tür wieder schließt, rauszurennen. Aber die Schwarzen schaffen es auch. Wie so ein kleines weißes Leben doch bedroht sein kann. Genau, die Schwarzen sind immer noch hinter dem Handy her und behaupten aber, sie müssen zum Beweis den Bruder des einen mobilisieren. Wo der sei. Dann antwortet der eine, am Odinsplatz, aber da waren wir doch gerade antwortet Sebastian. Bei der Lüge ertappt. Also müssen sie zum Gamelstadt Square.

Da sind sie plötzlich im Niemandsland. Man wundert sich auch, wie gefügig die Kleinen mitgehen. Da musste John, der Chinese plötzlich kacken. Und der Filmemacher, Ruben Östlund, ließ das aufnehmen. Aus einer gewissen diskreten Distanz zwar, wie er im Stehen die Hose runter lässt und dann platscht es förmlich raus, das sieht man sehr gut, das kann nicht gefaket sein, auch hier die Frage: Absicht oder Chance genutzt? Weil es ja menschlich ist.

Jedenfalls war der Hintern nicht leicht sauber zu machen und die Hose voll verdreckt. In der Einöde haben sie dann plötzlich die Idee, alle Wertgegenstände, die sie auf sich tragen auf einen Haufen zu tun, Geld, Handys und die Klarinette von John, ein richtig wertvolles Stück und dann soll einer aus der weißen und einer aus der schwarzen Gruppe um die Wette laufen, und der Sieger erhält alles, er und seine Gruppe. Der Schwarze kürzt den Weg ab. Und die Weißen lassen sich widerstandslos alles abnehmen. Kurze Gedanken an den Wert von Besitz.

Aber zufrieden sind die Schwarzen nicht, der eine möchte die Jeans, eine Diesel, von John, der geniert sich aber vor dem anderen diese auszuziehen aus verständlichen Gründen.

Man ist also bisher Zeuge von verschiedenen Abstufungen von Grausamkeit und Bedrohung geworden, die in so einem jungen Leben schon passieren können. Die Jungs fahren dann mit der Straßenbahn wieder zurück, wollen zurück, dann kommen aber echte schwedische Schläger, noch größer als die und mischen die Gruppe auf und schlagen sie, so dass sie die Flucht antreten. Irgendwo treffen sie sich dann wieder. Auf der Heimfahrt werden die Weißen noch vom Kontrolleur erwischt. Die Kontrolleure kommen nicht gut weg, wie sie ohne Rücksicht den Jungs resp. ihren Eltern saftige Bussen aufbrummen und das gleich per Handy. So ganz nebenbei.

Ruben Östlund zeigt ein Leben ohne großen Zusammenhang, ohne große Ideen, das Leben ist chaotisch, ungeregelt, voller Gefahren, Willkür, wenig beherrschbar.

Später entdeckt der Vater von Sebastian einen der Schwarzen, von dem er meint, er habe dem Sohn das Handy abgenommen. Er bedroht ihn und versucht ihn zu schlagen. Der wehrt sich aber und eine Schwedin geht dazwischen, sie werde die Polizei holen, wenn er den schwarzen Jungen, der hatte jetzt plötzlich die Wiege dabei, nicht in Ruhe lasse.

Ganz am Schluss hocken die Indianer, die anfangs am Denkmalsockel gespielt haben, bei McDonalds.

Die kleinen Unordnungen im Leben.
Es gibt dann noch eine Szene, wo die Schwarzen Jungs auch an einem Tisch sitzen und die Mutter von Sebastian ruft an. Die verarschen dann brutal die Mutter.
Ganz am Schluss kommt ein Clown zu einem Kindergeburtstag.
Vielleicht der Versuch, ein Versuch, dem Leben etwas näher zu kommen, Leben auf der Leinwand entstehen zu lassen mit möglichst wenig Regie. Fast mehr eine pädagogische Arbeit, die hier zu besichtigen ist, pädagogische Jugendarbeit.
Ein Kinoarbeit eher in der Nähe des Experimentes, der radikalen Kunstaktion denn des Unterhaltungsfilmes.
Vermutlich ziemlich weit vorn an der Front eines heute aussagekräftigen Kinos.

Zero Dark Thirty

Kino unter der Käseglocke oder im Dom für Antiterrorkriegsgläubige. Die von Bush Junior in Gang gesetzte Menschenjagd, dead or alive, nach dem Oberterroristen Osama Bin Laden nacherzählt in smarter zeitgemäßer Kinosprache als ein spannendes Räuber- und Gendarmspiel aus der Sicht einer breitlippigen CIA-Menschenjägerin. Die Regie führte Kathryn Bigelow. Das Drehbuch schrieb Mark Boal.

Den Oberbösewicht, der für den Anschlag von 9/11 verantwortlich ist, den erlebt man erst nach seiner Tötung. Da ist er längst ein alter, kranker Mann mit kaum mehr Einfluss auf die Terrorszene. Denn der Terror, der in Afghanistan mit einem Krieg bekämpft werden sollte, hatte sich bis dahin, 2011, längst in andere Winkel der Erde verzogen. Tötung ohne jede Wirkung auf die Sicherheit auf der Welt. Tötung einzig als Triumph für einen wahlkämpfenden amerikanischen Präsidenten, der auch Friedensnobelpreisträger ist. Hinrichtung eines kranken Greises a posteriori ohne jeden Gerichtsprozess. Insofern ein Film in den Wind hinaus.

Der Präsident wird auch zitiert, dass er ganz genau die Situation betrachte und analysiere. He is a thouroughful and analytical guy. Insofern ist dieser Film, der die Geschichte mit barer Münze und treuherzigen Blickes wiedergibt, ein verspätetes Wahlkampfgeschenk an den Menschenjäger und Friedensnobelpreisträger Obama.

Jessica Chastain spielt mit einem Blick, der Gewissenhaftigkeit und Betroffenheit ausdrückt, die CIA-Agentin, die sich hartnäckig auf die Spur des Terroristen-Hirnes setzt. Und die sehr spät erst, als die Stürmung seines Sitzes in Pakistan stattfindet, Erfolg hat, zu spät, denn für den Terrorismus war Bin Laden zum dem Zeitpunkt nicht mehr von Belang. Insofern scheint mir auch der Film von großer Belanglosigkeit zu sein, von schönster, aufregend unterhaltender Belanglosigkeit. Mit Locations in aller Welt, Langley, Bagram Air-Base in Afghanistan, Camp Champman in Khost, White House in Washington, Jalalabad, Mexiko, Kuwait (hier Disco und Lamborghini-Geschenk für einen heißen Tipp), London, Polen und wo auch immer der CIA seine Black Sites zur Folterung Verdächtiger angelegt hat.

Mit schön vorgeführten Foltermethoden. Aber die beiden Agenten, der Partner von Chastain, Dan und sie selbst, sie tun immer so, als haben sie ein schlechtes Gewissen dabei. Bei Verhören in Pakistan trägt sie brav ein Kopftuch. Ganz nette Folterer sind das. War ja auch alles gut gemeint. Im Sinne der guten Sache. Des guten Antiterrorkrieges.

Und schön brav, wie jene Inseratenkampagne in großen deutschen Zeitungen, die dem mangelnden Support der Deutschen für den bescheuerten Antiterrorkrieg, in dem Deutschland stupid mitlaufen sollte, begegnen wollte, die immer brav all die Anschläge mit x Toten rekapitulierten, so rekapituliert auch der Filme prominente Anschläge, London, Marriott-Hotel in Islamabad, Mexiko und in einem Militärlager in Afghanistan. Damit versuchend, die Wichtigkeit seiner selbst zu begründen. Denn für den, der nicht an die Sinnigkeit eines Antiterrorkrieges glaubt, das dürfte die Mehrheit der Deutschen sein, wirkt es doch etwas strange, so ganz ohne Distanz diese Geschichte nachzuerzählen, die Menschenjägerin zur Heldin zu stilisieren.

Was am Schluss ins Melodram ausartet, wie sie pathetisch am „Body-Bag“ steht, in dem die berühmte Leiche transportiert wird, wie sie da steht, als gedenke sie des Holocausts, als habe sie eine ganz große Mission erfüllt. Und hat doch nur einen kranken Greis zur Strecke gebracht. Diesen Leichensack mit dem toten, ermordeten Greis haben wir die letzte halbe Stunde schon ständig mit dickem Fingerzeig im Bild gesehen, da ist sie drin die Leiche vom Verbrecher!

Da hat der Film auch längst schon angefangen sich zu ziehen, sich selber in der Menschenjagd zu zelebrieren. Zäh wie das Zähneziehen, fast in Originalzeit wie es scheint, wird der Sturm mit den zwei Tarnkappenhelikoptern auf die kleine Festung, in der sich Osama zurückgezogen hat, gezeigt. Jetzt wohnen wir einer historischen Aktion bei. Sorry, wirklich lächerlich, wenn man sich bewusst macht, dass der Terror längst woanders Fuss gefasst hat zu diesem Zeitpunkt, dass er längst ohne Osama weiter wirkt. Eine halbe Stunde scheint mir dieser Sturm zu dauern, bei dem in lustiger Action ein Helikopter noch abstürzt an der Mauer zum Compound.

Dann muss mühsam eine Türe nach der anderen gesprengt werden. Verschüchterte Kinder und Frauen müssen im Zaum gehalten werden. Die Distanzlosigkeit und der biedere Versuch der Objektivität können meines Erachtens nicht verschleiern, dass so ein Projekt ohne massive Hilfe des Militärs oder des Geheimdienstes, ohne Einsicht in die Akten und damit gegenseitige Einsicht ins Drehbuch und vermutlich mit viel Geld aus dem Antiterrorpot gemacht werden kann. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Sätze von der Folter: he has to learn, how helpless he is. Your are a discgrace to humanity. When you lie to me, I hurt you. You can help yourself by being truthful. Your are not my friend. I can not give help to you, I break you (Vorbereitung zum Waterboarding). Und Obama beteuert am Fernsehen, dass es keine Folter gebe. Der Gefolterte zum Folterer: you are a midlevel guy.

Mich wundert, dass die Verleiher den Film in Deutschland ins Kino bringen wollen. Meines Erachtens fehlt hier der ideologische Boden für so einen Film. Und das Kino am Kino ist hier zwar meisterlich beherrscht, aber doch nicht so, dass dies schon Grund genug für Interesse sein könnte.

In einem Meeting beim CIA pathetisches Schuldbekenntnis unter dem Zwischentitel „Human Error“. In theatralischer Rede bekundet ein Beamter: we are failling… billions of dollars and no closer to the target.

Und noch eine kleine Werbung für die Drohnen: wie schön man doch mit denen das Anwesen, in dem Osama vermutet wird, aus der Luft beobachten kann. Nur weiß man nicht, ob er drin ist. Allerdings ist bei der entscheidenden Besprechung unsere süße, schuldbewusste, gewissenhafte Menschenjägerin 100% sicher. Ihre männlichen Kollegen sind es zu mindestens 60 Prozent. Das wird die Grundlage für den Befehl des Präsidenten, Friedensnobelpreisträgers und Menschenjägers zum Sturm auf das Anwesen. Dead or alive. Einer schickt ihm noch einen Todesschuss hinterher wie er schon am Boden liegt.

Lustiger Begriff aus einer Besprechung: Clust-Fuck. Vielleicht gilt etwas davon auch für diesen Film. Und am Schluss, wenn sie ihr Wild erlegt hat, lässt sich unsere Menschenjägerin ganz filmstarlike ablichten mit offenem Haar und Sonnenbrille.

Das wahre Drama von dieser Menschenjägerin ist doch, dass sie einen Mann zur Strecke gebracht hat, der längst keine Gefahr mehr weder für die USA noch für den Rest der Welt war. Da hätte ein echtes Drama draus werden können, statt nur ein nettes, auf Betroffenheit schielendes Menschenjägertum.

Willkommen in der Bretagne

Willkommen in der Bretagne“, soll wohl erinnern an „Willkommen bei den Sch’tis“ – ist aber eine garantiert vollkommen andere Baustelle.

Carhaix ist ein Provinznest in der Bretagne. Groß genug für eine Klinik und eine alte Steinkirche mit einem Turm, der für ganz andere Filme einsetzbar wäre. Aber auch in diesem Film macht er sich gut. Denn die Klinik arbeitet nicht richtig kostendeckend. Darum kommt aus Paris die Dame Catherine, die mit einem raunzigen Kunsthändler verheiratet ist. Die Dame soll Einsparpotential bei dieser Klinik erforschen.

In der Klinik stößt sie schnell auf einige Mitarbeiterinnen von der Entbindungsstation, Hebamme, Babypflegerin, die gerne Bowling spielen, denn eine Bowling-Halle gibt es in Carhaix auch. Schnell spielt Catherine im Bowling mit. Sie ist immer fein angezogen. Wenn sie auf einem Hof aus dem Auto steigt und da ist eine Pfütze, dann macht sie einen Siebenmeilenschritt drüber hinweg. Das kommt sehr lustig wie so vieles, was Marie-Castille Mention-Schaar, die Regisseurin, die mit Jean-Marie Duprez auch das Drehbuch geschrieben hat, direkt aus dem Provinzleben berichtet.

Gegen das lustig menschelnd-menschliche Bild von der Provinz wird als Negativ-Folie ein Bild von Paris gesetzt. Wie ein frisch-froher Werbespot, wie menschlich man in der Provinz doch lebe, wie man sich um einander kümmere, wie man gar nicht so viel dümmer sei als der Stadtmensch. Der Stadtmensch in unserem Film ist Catherine. Sie fängt schnell Feuer für den Provinzmodus. Sie ergänzt die drei Frauen in der Bowling-Mannschaft. Sie will Auto fahren lernen.

Vor uns breitet nun Marie-Castille Mention-Schaar einen Provinz-Mikrokosmos aus bestehend aus diesen drei Frauen. Mathilde, sie gilt als die zielstrebige, harte; sie ist mit dem Fahrlehrer verheiratet, der eher wie ein Musiker aussieht; und ihr Bub möchte, obwohl nicht getauft, plötzlich die Firmung mitmachen, weil der Chor in der Kirche so schön ist. Firmine hat einen kranken Mann zuhause und keine Kinder. Sie stammt aus den Antillen. Und Luise hat ein Verhältnis mit dem Bürgermeister, von dem sie schwanger wird.

Zu diesen praktischen, greifbaren, konkreten Frauen stößt nun Catherine. Sie ist begabt im Bowling. Die vier Frauen wollen an einer Bowling-Meisterschaft teilnehmen. Durch die Arbeit von Catherine kristallisiert sich nun heraus, dass ausgerechnet die Entbindungsstation geschlossen werden soll. Dagegen formiert sich ein von Frauenpower angeführter Widerstand. Parallel dazu wollen die drei Damen die Bowling-Meisterschaft für sich entscheiden.

Bisher war der Film ein frisches Statement, wie von Herzen, fröhlich, die Menschen wahrnehmend, ein Loblied auf die Provinz und den Frauenpower. Wie jedoch die Ziele definiert sind, verändert sich die Erzählhaltung, Sie wird jetzt merkwürdigerweise richtig provinziell, als wolle sie das bisherige Lob auf die Provinz in ihr Gegenteil verkehren. Pseudokönnerisch strebt sie auf die deklarierten Ziele zu. Mit dem Verwaltungsentscheid über die Schließung der Klinik und mit dem Turnier, da haut es den bisherigen Erzählstil aus der Kurve, da wird versucht, mit viel Dudelsack und Blasmusik die Stimmung in die Höhe zu treiben, und zwischendrin rollen immer mal schöne Bowlingkugeln. Die Art, wie uns über diesen Provinzsieg erzählt wird, die ist leider rundum provinziell. Wäre der Film bei seiner augenzwinkernden Provinzialität, die er anfangs praktiziert hat, mit kleinen Abschweifungen zu einer Fahrstunde, zu der einen und der anderen der Protagonisten zuhause geblieben, hätte er genauso unterhaltsam zu Ende gebracht werden können. Schade um einen ansprechenden Anfang, der immerhin sehr erfrischend ist.