Archiv der Kategorie: Allgemein

Elysium

Die Insel der Seligen, das ist Elysium schon in der Antike gewesen. Das Paradies, ein Schlaraffenland, wo man sorgenfrei in den Tag hineinleben kann, und das Ganze unsterblich, von den Göttern gesegnet.

Im vorliegenden Film ist Elysium der Name für eine riesige Raumstation, die die Erde umkreist und auf die sich die Superreichen und ihre Günstlinge zurückgezogen haben, damit sie nicht auf der abgewirtschafteten Erde hausen und darben müssen. Im Grunde also genau die umgekehrte Situation wie in District 9, der ja ebenfalls von Neill Blomkamp inszeniert wurde.

Nun, die Welt ist am Arsch, die Leute leben in Slums, es herrscht Armut, Krankheit, Hoffnungslosigkeit. Wer noch einen Job bekommen hat, lässt sich erniedrigen und knechten, so weit es eben irgend möglich ist. Also eine konsequente Fortsetzung dessen, was die Wirtschaft lieber heute als morgen hätte: Willenlose, rechtlose, billige Arbeitskräfte, die man nach Belieben austauschen kann.

Kriminalität ist ein quasi-legitimer Lebensentwurf, und es ist schwer, sich komplett frei zu halten von der Berührung mit der Kriminalität. Es gibt auf der Straße auch keine Polizisten mehr, stattdessen kontrollieren Polizeiroboter die Menschen, die sich dafür in Reih und Glied aufstellen müssen. Also in etwa so, wie bei uns Tiere in einem Schlachthof begutachtet werden.

Kurz: Die Gesellschaft ist zweigeteilt in die Bewohner von Elysium und dem Abschaum, der auf der Erde wohnen muss. Dort gibt es neben der breiten Masse noch einige Reiche, bei denen es nicht für Elysium gereicht hat, die es sich aber so gut wie möglich eingerichtet haben auf unserem schönen, einst blauen Planeten.

Ab und zu versuchen Rebellengruppen, man könnte sie auch „die Opposition“ nennen, mit gekaperten Shuttles nach Elysium zu gelangen, wo sie sich mit Hilfe von gefälschten ID-Hautprägungen Zugang zum einzigen verschaffen wollen, was auf Elysium wirklich toll ist: Gesundheit. Denn in nahezu jedem Anwesen der Raumstation steht eine medizinische Kapsel, die jede Krankheit, jedes Gebrechen und jede Wunde in Sekunden heilen kann, solange man nur hineingelegt wird und noch einen Funken Leben in einem steckt. Diese Art 3D-Drucker für lebendes Gewebe ist in etwa so bahnbrechend wie das Beamen auf der guten alten Enterprise.

Die Sicherheitschefin von Elysium, Ministerin Delacourt, magengeschwür-erzeugend herzlos gespielt von Jodie Foster, will natürlich niemanden hereinlassen, damit etwaige Erfolge keine Nachahmer animieren. Sie lässt gnadenlos jedes gekaperte Shuttle abschießen, das sich im Anflug auf die Station befindet, das ist ihr Krieg.

Doch dann bekommt sie es mit Max DeCosta zu tun (Matt Damon). Der wollte eigentlich der Kriminalität den Rücken kehren, arbeitet brav wie symbolträchtig in der Fabrik für Polizeiroboter, wird aber bei einem Arbeitsunfall radioaktiv verstrahlt. Nun hat Max nur noch wenige Tage zu leben, und daher ein gesundes Eigeninteresse, selbst nach Elysium zu gelangen, um sich für ein paar Sekunden in so eine Röhre zu legen. Dies ruft einen der Rebellenführer auf den Plan, denn in Max hat er jemanden gefunden, der tatsächlich die körperlichen wie geistigen Fähigkeiten besitzt, um bis nach Elysium zu gelangen und dort seine eigenen Pläne zu verwirklichen. Man tut sich zusammen, pumpt Max mit Painkillern voll und schraubt ihm ein Exoskelett auf das gewachsene, so dass er trotz Krebs im Endstadium einsatzfähig bleibt, bis der Sensenmann nicht mehr auszutricksen ist.

Es beginnt ein Wettrennen gegen die Zeit, gegen Ministerin Delacourt und ihre gewissenlosen Handlanger. Und es geht um mehr als nur Max‘ Gesundheit, es geht um das Schließen der Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten.

Elysium ist eine schöne, wunderschöne Parabel auf den feuchten Traum des Kapitalismus. In unserer realen, heutigen Wirtschaft geht es ja nur denen gut, die etwas dafür tun, so die Mär. Dass man etwas nur anhäufen kann, indem man es woanders wegschaufelt, ist dahingegen die Realität. In einem System mit endlicher Menge Geld kann es keinen gerechtfertigten Reichtum geben, denn der Reichtum des einen ist stets die Armut des anderen. Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Güter. Dieses Gedankenspiel wurde hier ein paar Dekaden vorangetrieben, in Blomkamps Gedankenspiel hat die Menschheit sozusagen eine Insel der Seligen hervordestilliert, und sich selbst dabei ins Elend gewuchtet. Natürlich hindert nun niemand mehr die Menschen daran, sich von diesem Akt zu erholen und die Erde wieder herzurichten, doch der Mensch ist bekanntermaßen nicht perfekt. Es braucht erfahrungsgemäß immer ein paar Generationen, um seelische Wunden gesamtgesellschaftlich nachhaltig auszumerzen, und wer als Einzelner nicht genug zu Essen hat, der hat einfach andere Sorgen als die Weltverbesserung und das Gemeinwohl. Bei solchen Menschen ist selbst der kleinste Akt der Nächstenliebe Beweis für große, große Disziplin.

Politisch und gesellschaftlich ist Elysium daher hochbrisant. Andere Publikationen nennen den Film „linksliberal“ oder „stramm links“ (siehe die Zitate auf Wikipedia), doch dieser Einordnung sollte man nichts abgewinnen. Politisch links und rechts sind doch einfach nur Synonyme für „miteinander“ oder „gegeneinander“, und wer an seine Kindertage zurückdenkt, wird automatisch seine Sympathien für „miteinander“ wiederentdecken. Und egal, wieviel man verdient oder wie gut es einem geht durch „gegeneinander“, ganz tief drinnen wird sich jeder eingestehen müssen, dass „miteinander“ fair ist und „gegeneinander“ unfair, denn verlieren will man nun wirklich niemandem zumuten. („Verdient verlieren“ schon, aber das gilt nur für Mörder und dergleichen, nicht für die Konkurrenz mit dem marginal ungünstigeren Bid.)

Optisch ist der Film gewohnt dreckig. Es ist staubig, es windet, Müll und Schmutz gibt es ebenso wie Slums und widerliche Lebensumstände. Umso brutaler der Kontrast der piekfeinen Parkanlagen und makellosen Villen auf der Raumstation. Es sollte erwähnt werden, dass es sich bei der Raumstation um einen sogenannten Stanford Torus handelt, also einen ringförmigen, bewohnbaren Hohlraum, der sich um eine Mittelachse dreht, mit der er durch lange Speichen verbunden ist. Man stelle sich einen freischwebenden, „rollenden“ Fahrradreifen im All vor, bei dem das Innere des Schlauches bewohnbar ist. Durch die Drehbewegung entsteht Zentrifugalkraft, die die Gravitation simuliert. (Nicht zu verwechseln mit dem O’Neill-Zylinder, der aus einem rotierenden hohlen Zylinder besteht und daher ungleich mehr Platz bietet!)

Was die im Film verwendete Technik angeht, gibt es große Probleme mit der Glaubwürdigkeit. Lebendes Gewebe aus Nichts innerhalb von Sekunden erzeugen, das grenzt an Magie, und wird leider nicht erklärt. (Ich hätte eine prima Erklärung, aber die hebe ich für meine eigenen literarischen Ergüsse auf.) Auch ist der Wohnbereich von Elysium nach oben offen, so dass die Shuttles einfach irgendwo in die Atmosphäre tauchen können wie in ein Schwimmbecken. Das ist kritisch unklug, denn es bräuchte eine gewaltige Gravitation, um eine atembare Atmosphäre auf nur 30 Metern Höhe so zu halten, dass sie nicht ins All entfleucht. Da würde nichts mehr leben können. Es gibt auch andere Dinge, die nicht besonders gut erläutert sind, auch politisch, aber die kann ich nicht nennen, ohne zuviel vorwegzunehmen.

Fazit: Ein bewegender, beeindruckender Science-Fiction-Film, dessen gesellschaftskritischer Aspekt wesentlich wichtiger und prominenter ist als die tatsächlichen SciFi-Elemente. Unbedingt anschauen.

Percy Jackson: Im Banne des Zyklopen

Hier mischen Marc Guggenheim und Rick Riordan als Autoren Figuren aus den antiken Sagen zu einem gelungen Pop-Corn-Coup für die heranwachsende Generation mit ihren Gefühlsaufwallungen, Gefühlsumwälzungen und ihrem Fantasy- und Abenteuerbedarf, mit Angelpunkten im eigenen Leben, ob Bankautomat oder Wellensurfen.

Für die Regie, die diese nahrhafte aber überhaupt nicht schwer verdauliche Melange noch richtig sahnig schlägt, zeichnet Thor Freudenthal, der schon „Gregs Tagebuch – Von Idioten Umgzingelt!“ erfrischend auf die Leinwand gebracht hat.

Ein Film, bei dem gegen 3D nicht zu mäkeln ist. Und selbstverständlich braucht es für so eine überbordende, nie aber den Zuschauer erdrückende Fantasiewelt einen ruhigen, eher unauffälligen Typen als Hauptperson, Logan Lerman als Percy Jackson; denn das macht die Spannung aus: den unauffälligen Normalbürger eintauchen lassen in den brodelnden Vulkan einer Fantasiewelt, die sich aus antiken Sagen nährt.

Wobei Normalbürger zwar visuell zutreffen mag, vermutlich die Besetzung geradezu darnach ausgesucht worden ist; aber Unterschiede müssen auch sein; Percy ist der Sohn des Meeresgottes Poseidon und kann unter Umständen entsprechende Kräfte und Talente mobilisieren.

Percy befindet sich mit seinen Freunden Grover und Annabeth im Tainingslager; hier gibt es verzwackte Kletterwände mit Eigenleben zu überwinden. Bei einem Angriff wird Grover allerdings entführt. Wenn Percy das Goldene Vlies aus dem Besitz des Zyklopen ergattern kann, wird er auch seinen Freund wieder befreien können. Eckdaten für eine Abenteuergeschichte, die sich im Lot befindet.

Halbgöttertum als Bebilderung des Zustandes, in dem der Mensch sich in der Entwicklung vom Kind zum handlungsfähigen Erwachsenen befindet, das dürfte bestens funktionieren.

Wilde Bildwelten, die dem Aufruhr des Heranwachsens gewiss angemessen sind: Skylla und Charybdis als ein Höllenschlund. Was Wellen, von im Kreis schwimmenden Haien alles anrichten können. Das Gefühl der Ohnmacht im Heranwachsenden und gleichzeitig das Gefühl gottgleicher Stärke, beispielsweise Gewalt über das Wasser zu haben. Oder das schöne Beispiel des Zyklopen, des Einäugigen. Die Spannung zwischen Mensch und Monster, zwischen Mensch, Gott und Halbgott, alles in wilder Gefühlsvermengungen. Aber auch der Zusammenhalt einer Gruppe. Am schönsten im Bild, wenn sie nach überstandenen Abenteuern vereint in einem Boot rudern.

Es scheint den Machern darum zu gehen, sich frischfröhlich beim antiken Sagenschatz zu bedienen, diesen als Inspiration für tolle Animationen herzunehmen, sei es der Minotaurus oder der riesenhafte Zyklop oder der junge Einäugige, diese in eine spannende Abenteuergeschichte zu packen, die für die Menschen in dieser extremen Entwicklungsphase eines Menschenlebens voll der krassesten Widersprüche Bebilderung liefert.
Das tut dieser Film gewiss.
Und vielleicht fühlt sich der eine oder andere nach dem Kinobesuch inspiriert, bei den Quellen, den antiken Sagen selbst nachzulesen.

Gloria

Das ist der Film der Hauptfigur, der Film von Paulina Garcia, die als Gloria mit traumwandlerischer Sicherheit den Parcours meistert, den ihr Sebastian Lelio, der mit Gonzalo Maza auch das Buch geschrieben hat, ausgelegt hat.

Eine 58-jährige Frau hat sehr wohl ein Recht auf ein Leben, das nicht nur aus Büroalltag und Gymnastikstunden besteht, sie hat sehr wohl ein Recht, Männer kennenzulernen, Abenteuer zu erleben.

Gloria ist seit 12 Jahren von ihrem Mann geschieden. Die Kinder sind längst aus dem Haus. So frequentiert Gloria in ihrer Freizeit Single-Partys, tanzt und flirtet, ist zu haben zum Pferdestehlen.

Mit Rodolfo scheint es allerdings mehr zu werden als nur einer der üblichen One-Night-Stands. Eine Beziehung bahnt sich an. Schnell schon nimmt sie Rodolfo, Betreiber des Vergnügungsparkes „Vertigo“, mit zu einem Familienfest. Mit Rodolfo verlustiert sie sich ausgiebig, genießt abenteuerliche Spiele, wie Pumpgun-Schießen oder Bungeespringen. Lebenslust und Vergnügen.

In der beliebt lateinamerikanischen Erzählweise, die gerne von den Telenovelas geprägt ist, nah bei den Figuren bleibt und sich viel Zeit lässt, da muss auch mal Platz für ein Gespräch über Perurinal-Anästhesie sein, eine gepflegtes Abendessen zu viert, wo es um Chile geht oder um Facebook und virtuelle Massen und Revolution; aber auch die Geschichte vom unglücklichen Nachbarn, der über Gloria wohnt, bekommt ihr Plätzchen – und sie dafür das Kätzchen ohne Fell; auch die Augentropfen wollen nicht vergessen werden.

Mit den Jahrzehnten auf dem Buckel ist das Beziehungs-Building allerdings nicht mehr so leicht. Der Mensch ist nicht unbedingt freier als in seiner Jugend. Rodolfo lebt erst ein Jahr in Trennung und hat das Gefühl, er sei noch verantwortlich für seine Familie, lässt sich immer wider telefonisch aus Tête-á-têtes mit Gloria herausreißen. Um dies Problem zu lösen, machen sie es nicht anders als junge Paare, sie fahren für ein paar Tage ans Meer, sie fahren nach Vina. Und wie sie das Kuscheln anfangen wollen, klingelt Rodolfos Telefon. Gloria will schon wieder abreisen. Kurz vor der Tür stellt sie ihr Gepäck ab, dreht sich um, legt einen dezenten Striptease hin und die Sex-Action kann heftig beginnen. Später Swimming-Pool, Bar. Plötzlich verschwindet Rodolfo. Gloria verbringt eine von jener Sorte Nächte, wo man morgens irgendwo aufwacht und nicht mehr weiß, was geschehen ist. Aber solche Erlebnisse können auch Entwicklungsschübe bedeuten. So dass der Schluss des Filmes ein einziges, Optimismus verbreitendes Fest mit Tanz und Gesang für die befreite Gloria wird – ansteckend.

Trance

Danny Boyles hochkünstlerisch-künstlicher um ein Thema in 3 Bildern rotierender Bilder- und Musikrausch über die Ängste eines Nachwuchsauktionators in Bezug auf ein millionenteuren Rembrandt mit einer skurrilen Psychofalle für die Gangster; weiterlesen hier.

Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel

Hier melden sich junge, drängende Talente mit großem Kinowollen; leider fehlt ihnen eine Väter-Generation, an der sie sich reiben können (Tom Tykwer kommt dafür nun wirklich nicht in Frage). So muss denn der gute alte Heinrich von Kleist als Sparringpartner herhalten, was nicht das Übelste sein muss, um Kinoreflexionsanspruch anzumelden. Review siehe Filmfest München 2012.

Conjuring – Die Heimsuchung

Ohne Katholizismus wäre dieser perfekt komponierte Geisterbahnfilm womöglich nie entstanden, denn ohne Katholizismus kein Exorzismus und ohne Exorzismus kein schöner Exorzismusfilm – und dies, obwohl die Perrons gar nicht katholisch sind, sie sind überhaupt nicht religiös. Zum Glück gibts aber auch noch die Warrens. Die sind Dämonenforscher in den 60ern/70ern in Amerika, wo auch der Film von James Wan spielt, zu welchem Chad und Carey Hayes das Drehbuch geschrieben haben.

Die Warrens erforschen parapsychologische Phänomene, Geisterphänomene – und im Extremfall, und um einen solchen handelt es sich hier, praktizieren sie auch den horrorfilmergiebigen Exorzismus. Sie halten Vorlesungen vor vollen Auditoriumsrängen. Das erinnert an die Vorlesungen des Prof. Bender zur selben Zeit in Freiburg i. Br.; wissenschaftlicher Jahrmarkt, vergnüglicher wissenschaftlicher Eskapsimus gewissermaßen, denn beweisen kann diese Wissenschaft gar nichts, sie kann nur die Phänomene beobachten und diese Beobachtungen und allfällige, mitspielende Requisiten, wie eine initiierende Spieluhr mit eigenwilligem Spiegel auf der Innenseite des Deckels mit Sammlereifer zusammentragen. Davon zeugt eine Art Horror-Asservaten-Kammer im Keller des Hauses des Wissenschaftler-Ehepaares Warren. Gruselig. Aber hier seien die Geister ruhig und sicher aufbewahrt, meinen sie. Und wer’s nicht glaubt, der ist im falschen Film. Das ändert nichts daran, dass alles auf wahren Begebenheiten beruhe, die Aussagen der Wissenschaftler und die Geschichte dieses Filmes. Eine Hauptattraktion in diesem Keller ist eine genial geformte und geschminkte Horror-Puppe. Sie befindet sich sitzend in einem Glaskasten. Erinnert an einbalsamierte katholische Heilige in ihren Glassärgen in Kirchen. Aber die Puppe sitzt in ihrem Glasgehäuse. Sie ist vielleicht die zentrale Figur im Film. Sie erscheint schon im Anspann.

Die Warren ziehen mit ihren 5 Töchterchen in ein neues Haus. Ein wahres Horrorhaus, wie uns die Filmemacher step by step und Steigerung um Steigerung fast zwei Stunden lang offenbaren werden.

Das Haus ist in herrlich bedeckten Horrorfilm-Farben gehalten und ausgeleuchtet, braun-grau-beige. Die Räume werden so inszeniert, dass ständig überall etwas passieren könnte. Und natürlich hat das Haus eine Geschichte. Die hängt damit zusammen, dass vor x Jahren um 03.07 Uhr etwas Furchtbares passiert sein muss. Denn um diese Zeit sind die Uhren des Hauses stehen geblieben. Und um diese Zeit „erwachen“ sie auch gerne wieder kurzzeitig für einen Minutensprung.

Zudem hat die Dekor-Abbteilung der Filmproduktion für die dunklen Kellerräumlichkeiten viel Spinnweb beigetragen. Zur Action gibt es, ohne allzu viel zu verraten, vielleicht noch anzumerken, dass nach den ersten Spukgeschichten sich Familie Warren an die Perrons wendet, die widerwillig zwar, einwilligen, die Phänomene zu untersuchen, was uns einen interessanten Einblick in die technische Erforschung solch physikalisch nicht erklärbarer physischer Phänomene in den 70ern gibt.

Auch die Darsteller werden mit großer physischer Präsenz in den Räumen inszeniert, Licht, was sie als angreifbar erscheinen lässt vor der sich wie wegschleichenden Hintergrundfarbgebung. Das macht sie so wenig relativierbar. Und das macht die Räume räumlicher als 3D es vermag. Weil die Vorstellung des Zuschauers sich ganz ohne Widerstand in diese Räume hineinarbeiten kann, zwecks Erhöhung des Gruseleffektes. Besonders physikalische, nach den Gesetzen der Schulphysik nicht erklärbare Phänomene, erhalten so ihre härtest-mögliche Wirkung.

Jedenfalls ziehen die Perrons bei den Warrens für einige Zeit ein, auch der Sheriff und ein Assistent für die Kamera- und Tontechnik werden beigezogen. Dieser Massenauflauf im Haus dürfte zu einer zusätzlichen Verstärkung der Reaktion der oder des Geistes, der Spukfigur führen. Sonst wärs ja keine schöne Geisterbahn, durch welche uns James Wan mit größtem Vergnügen jagt und führt.

Dass es sich um einen Tatsachenberichte handle, das gehört wie das Salz zur Suppe zum Reiz eines solch höchst gepflegten und erstklassig auf Spannung getrimmten Horrorspektakels.

Frances Ha

Ein sympathischer Generationenableger der Beat-Generation, taucht plötzlich auf, ohne dass eine entsprechende Bewegung da wäre, ähnlich wie „Oh Boy“ in Berlin, „Oh Girl“ aus New York gewissermaßen, wenn auch mit Unterschieden, schwarz-weiß allerdings auch; eine sich zurücknehmende Kamera, die die Szenen geschehen lässt, ruhig beobachtend. Verbindend der Nonkarrierismus der Protagonisten.

Aber das war’s an Gemeinsamkeiten. Denn Greta Gerwig, die mit dem Regisseur Noah Baumbach zusammen das Drehbuch geschrieben hat, hat als Frances ihre Träume: Tänzerin, Choreographin zu werden. Sie besucht Tanzkurse. Möchte mit auf die Wintertournee. Sie hat mit ihrer Freundin Sophie zusammengewohnt. Jetzt sind sie nicht mehr lesbisch. Sie hoppelt von einer Adresse zur nächsten, denn Sophie zieht ins feine Tribeca mit einer anderen Frau zusammen. Das kann sich Sophie nicht leisten. Auch ihre Eltern können sie nicht unendlich unterstützen. Hin und wieder fällt ein Job ab. Die Adressen wechseln, die neuen Adressen werden wie Zwischentitel eingeblendet, die Freunde auch.

Im Tanz ist sie offenbar nicht gut genug für die Tournee. Sie geht auf Parties. Hängt rum. Bandelt an. Täuscht vor, sie sei Tänzerin. Entschließt sich spontan für eine Parisreise. Das bricht ihr finanziell das Genick. Immer zu wenig Geld. Sie geht aufs Land an eine frühere Schule, arbeitet im Sommercamp als „ask me“- Personal. Hat nur noch ein Postfachadresse. Will mittanzen in einem Kurs. Darf aber nicht, da sie Personal ist. Die Tanzlehrerin in New York hatte ihr zuletzt noch einen Bürojob angeboten. Das war unter der Würde von Greta. Ist auch eine Beleidigung für eine Möchtegern-Künstlerin, an der Tanzschule im Büro arbeiten zu müssen, um Geld zu verdienen statt zu trainieren.

Denn Frances, das scheint mir typisch für diese Beat-Remake-Generation, ist nicht karrieresüchtig, karrierebesessen, hat nicht den nötigen Ehrgeiz, den etablierte Strukturen und Karrierewege fordern. Eine Beatgeneration mit reduziertem Freiheitsgefühl – in den 60ern, 70ern war ganz ein anderes Bewusstsein davon, auch künstlerisch. Hier kommt das viel braver rüber. Gediegener, angepasster.

Obwohl Frances mit ihren Blümchenröckchen, Kniehosen und Kniestrümpfen einen recht verspielten Eindruck, den des gerade den Klamotten entwachsenen Mädchens macht. Die Diskussionen unter ihren Altersgenossen drehen sich ums Ficken, das Geld, ausnahmsweise ums Heiraten, darum mit dem Freund nach Japan zu gehen, es wird auch Proust erwähnt, ohne näheres Eingehen auf den Inhalt. Dadurch entsteht der Eindruck einer Beat-Generation mit einer leisen Würze Depression oder Pessimismus, es ist kein vorbehaltloser Aufbruch in eine neue Zeit. Es scheint mir eher das Herantasten an die Beat-Generation der Eltern-Generation.

Es sind alles Künstler. Lev ist Bildhauer. Sophie will Verlegerin werden. Es gibt eine Szene, wo Frances mit Sophie noch zusammenwohnt und sie davon träumen, wie die eine ein Buch über die andere machen will. Aber das ist reine Träumerei, das macht die Angelegenheit so sympathisch. Da wird nicht verbissen kalkuliert, da werden nicht zielbewusst Connections aufgebaut.

So kommt mir auch der Film vor, eher wie eine Aneinanderreihung der verschiedenen Begegnungen und Situationen und nicht ehrgeizig auf Spannungsbogen oder auf maximale Ausbeute an Personenerforschung getrimmt. Ein Hauch Laissez-faire. Ein bisschen Kritik an reichen Snobs: die Sponsorin der Schule, die Frances im Sommercamp betreuen und der sie immer wieder Wein nachschenken soll; die macht plump einen Acryl-Maler an.

Frances mag Dinge, die wie Fehler aussehen. Vielleicht ein Indiz dafür, dass diese Beat-Generation deutlich prosaischer und irgendwie dingnaher ist als das Original: Frances wird eine Entwicklung durchmachen, fast lehrbuchhaft ordentlich und der Film wird positiv enden.

Halbschatten

Vielleicht waren es die drei dramaturgischen Berater, die im Abspann erwähnt sind, die den Brei verdorben haben.

Vielleicht wusste Nicolas Wackerbarth, was er uns erzählen wollte. So aber bleibt der wunderschön in Südfrankreich bei Nizza fotografierte Film (die Kamera interpretiert den Titel Halbschatten wohl als leises, pastellenes, zweiflerisches Halbhell) ein Rätsel. Der Zuschauer darf sich fragen, was uns Wackerbarth erzählen will; was ihn an seiner Hauptfigur, sie heißt Merle erfahren wir nach ungefähr einer Spielstunde, so interessiert, dass er das Gefühl hat, einen Film darüber machen zu müssen. Denn sie wirkt immer sehr angespannt, diese Figur.

Wir erfahren, dass Merle Autorin ist. Dass sie am Schreiben ist. Dass ihr die Geschichte nicht sehr wichtig erscheint. Das dürfte eine dezidierte Schnittmenge mit der Haltung des Machers zu seinem Film sein. Sie scheint eher zu interessieren, wie aus einem Gespräch mit der störend staubsaugenden Bonne zu schließen ist, wie Sprache entsteht.

Uns würde eher interessieren, wie die dröge und unnatürliche Sprachlosigkeit der Beteiligten in diesem Film entsteht. Wackerbarth interessiert vielleicht eine gestörte, einsame Frau, die eine Autorin zu sein vorgibt, und auch nur ein liebessehnsüchtiger Mensch ist, der noch dazu diese Liebessehnsucht in keiner Weise zeigen darf oder kann.

Vielleicht wusste Wackerbarth, was mit dieser Frau los ist. Merkwürdig ist schon der Anfang. Diese Frau kommt ein steiles, von Villen gesäumtes Bergsträßchen hoch. Klingelt an einer Tür. Spielt Ratlosigkeit. Spricht ins Handy. Stellt die Taschen vor der Einfahrt ab. Geht einen Abhang hoch. Zum Kacken. So kann nun ein Bewohner des Hauses mit seinem Auto zu fahren, ohne sie zu bemerken und anfangen, Dinge auszuladen. Er spricht französisch. Ins Telephon hat die Aktrice deutsch gesprochen.

Dazwischen haben wir verheissungsvolle Windbilder gesehen, die etwas ankündigen, was aber nie eintreffen wird. Wo ist Romouald, fragt sie. Der sei erst übermorgen wieder hier. Entrez. Der Alarm geht los und muss ausgeschaltet werden. Es ist von Anfang an nicht klar, welches Need diese Frau antreibt. Bedeutungsvolle Unklarheit. Sie geht den Berg hoch, als habe die Regieanweisung gelautet, gehen Sie den Berg hoch. Später sieht sie sich allein gelassen im Haus um. Den Pool dürfe sie die nächsten zwei Tage nicht benutzen, der sei giftig. Dann muss sie einen einteiligen Badeanzug angezogen haben, um eine Zigarette zu rauchen, um ratlos zu sein. Mit keinem Hinweis gibt sie zu verstehen, was sie in dieser im Moment verlassenen Villa will.

Wie sie auf einer Liege mit einem Hut bedeckt liegt, kommen ein Junge und ein kleineres Mädchen herbei, nehmen ihr den Hut weg und sagen, der gehöre ihrer Mutter. Es gibt keine Begrüßung. Offenbar kennen die Merle und umgekehrt auch. Es herrscht gegenstandhafte Neutralität zwischen denen. Keine Wiedersehensfreude, kein Hass, keine Emotion. Bedeutungsvolle Emotionslosigkeit. Bedeutungsvolle Kommunikationslosigkeit.

Die Maid, die Bonne stört Merle mit dem Staubsauger. Sie hört auf, zu saugen. Dann fängt Merle an. Dann kommt wieder die Maid dazu und saugt weiter. Bedeutungsvolle stumme Aktion.
Auf die Frage, was sie mache, antwortet Merle der Maid, dass die Geschichte simpel sei, das sei nicht das Problem.

Das Rätsel Frau ganz allgemein und ganz speziell in Südfrankreich oder das Rätsel Autorin oder das Rätsel einer guten Geschichte, das hier umschlichen wird?

Merle schläft. Sie erwacht. Es ist Nacht. Nichts ist zu hören. Sie geht um die Ecke. In der Villa ist eine Party. Die Kids feiern. Merle lächelt (sonst ist sie immer angespannt, ernst und hohlwangig). Sie ist ein Alien. Kein Realismus. Symbolismus?

Die Schauspielerin, die Merle darstellt, scheint alles für die Kamera zu machen. Ordentliche Ausführung von Regieanweisungen. Gerne raucht sie. Bedeutungsvolle Rauchproduktion: Nachdenken, Gedanken sortieren oder Existenzverlegenheit?

Eine Szene zeigt sie mit dem Mädchen Rebecca. Sie hilft ihr beim Bruchrechnen. Es geht um VW und um Prozente.

Schöne Nachtaufnahmen von Nizza von oben. Von zwei verschiedenen Villen aus, jedoch haargenau die gleichen Nachtbilder.

Der Film zeigt uns Merle ferner: mit zwei Einkaufstüten in der Stadt, am Boden liegend mit Echse daneben, beim Schwimmen im Pool, beim Kochen, bei einer verzweifelten Diskussion mit dem Konditor, weil sie den bestellten Geburtstagskuchen für Rebecca abzuholen vergessen hatte und jetzt nur eine Bankkarte hat, die nichts hergibt und zu wenig Geld, um bar zu bezahlen, dabei sei der Kuchen so wichtig, findet Rebeccas Bruder Felix, nachher bäckt Merle selber einen Kuchen, bringt den um Mitternacht zu Rebecca an den Pool. Kurz mal ins Daily Soap Fach geschaltet, alltagsrationaler Dialog und so.

Der Film zeigt uns Merle ferner: beim Abtrocknen nach dem Duschen, beim Hineinbeißen in einen Apfel, beim stehend Pizza essen, bei einer weiteren spontanen Kidsparty, beim Ficken mit dem noch nicht erwachsenen Felix, beim Einkauf eines Kleides mit einer Verkäuferin, die ihr Haar zu einem Pferdeschwanz umdekoriert.

Der Film zeigt uns Merle ferner: beim Schamhaarschneiden, bei einem Spiel mit Kugeln, bei einem Anrufversuch, der statt in einem Text in einem tiefen Schnaufer mit Auflegen endet, bei einem Anruf in Anwesenheit der Kinder, der veralbert wird, Merle beim Reinholen von Dingen von der Terrasse, weil es regnet; Gäste von Nachbarn, die nicht ins Haus können und klingeln, es sind Deutsche. Szenen über Szenen in bedeutungsvoller Halbschattenatmosphäre.

Wolverine: Weg des Kriegers

Im Vorlauf zum Titel wird Wolverine / Logan in einer drastischen Szene mit seinen wichtigsten Eigenschaften vorgestellt: er wird den Atomangriff von Nagasaki aus nächster Nähe überleben. Er versteckt einen japanischen Soldaten in einem engen, rundgemauerten Verließ oder Brunnen und drückt den Deckel von außen zu, so den Soldaten schützend, sich selbst den tödlichen Strahlungen aussetzend. Wie die Wolken sich verzogen haben, klettert er in die Enge hinunter zum verängstigten japanischen Soldaten. Wolverine selbst ist ganz schwarz verbrannt im Gesicht; wie er unten ist, regenerieren sich seine furchtbaren Verbrennungen, die er während der Explosion erlitten hat, wie von selbst, seine Unverwundbarkeit demonstrierend. Vorher schon haben wir eine weitere Eigenschaft von ihm kennen gelernt (für alle, die die dem Film zugrunde liegende Comic-Figur nicht kennen; aber das ist eben professionelles Filmemachen wie James Mangold es hier nach einem Buch von Mark Bomback, Scott Frank, Christopher McQuarrie souverän demonstriert); Wolverine kann die Szenerie vor dem Bombenabwurf aus einem Gefängnis heraus einzig aus dem Grund beobachten, weil ihm im Bedarfsfalle zwischen den Fingerwurzeln an jeder Hand je drei Klingen aus Eisen wachsen, die es ihm ermöglichen, sich in die Mauern einzuhaken und sich so daran hochzuziehen.
Der japanische Soldat befindet sich durch die Rettung in einer Situation der Dankbarkeit Logan gegenüber. Aber die Wege der beiden trennen sich.

Die jetzt folgenden Titel nutzt James Mangold für einen gewaltigen Zeit-, Orts- und Situationssprung: Jahre später, Wolverine ist inzwischen ein zotteliger Wilderer-Rächer hoch im Norden Amerikas mit langem Haar und noch finstererem, entschlossenerem Blick geworden.

Wolverine frönt einer Mission, er tötet brutal illegale Bärentöter. In dieses ungestört selbstjustizhafte Tun hinein platzt eine Einladung nach Japan. Der Mann, den er bei Nagasaki gerettet hatte, der ist inzwischen einer der reichsten Unternehmer Japans geworden. Der Konzern heißt wie er: Yashida. Er möchte sich bei Wolverine bedanken. Der kann den Ausflug mit dem Privatjet nicht ablehnen.

In Japan gerät er in die Erbfolgeintrigen um den sterbenden und bald auch toten Yashida. In diesem Kampf, in welchem er ritterlich die Tochter Yashidas, die zur Erbin ausersehen ist, schützen soll, steht noch die rothaarige Kämpferin, die ihn abgeholt hat, auf seiner Seite.

Gegen sich hat er ein ganzes Knäuel an Erbschleichern und -intriganten, die prominenteste Figur darunter ist ein blonder Vamp, eine Frau, die allein mit ihrem Hauch Menschen vergiften kann, aber auch einen giftigen Brei aus ihrem Mund ausstoßen. Für den Countdown wird er ferner von einem menschlicher Roboter, nicht ganz so ausgefeilt wie die Modelle in „Pacific Rim“, in einem endlosen, fast hohlen Hochaus zu einem Kampf herausgefordert, der das menschlich Vorstellbare bei Weitem übertrifft.

Die mit cooler Regiehand angerichtete Inszenierung von James Mangold erweckt den Eindruck der Bemühung um respektvolle Werktreue. Aber gerade das scheint mir die Hypothek des Filmes zu sein, nebst dem später noch zu verhandelnden 3D. Nämlich die Figur des Helden: Wolverine / Logan schaut meist vor allem grimmig, missmutig, griesgrämig, hochentschlossen wie ein Held, der meint, er habe die ganze Welt zu retten – und das mit seinen Muskeln und Eisenklingen. Das wirkt heutzutage etwas strange in unserer multipolaren Welt. Kein Wunder, der Comic erschien zum ersten Mal in den 70er Jahren. Da waren Gut und Böse auf dieser Welt noch klar verteilt und durch einen Eisernen Vorhang getrennt. Ob in unserer multipolaren Welt diese Art von unsterblichen Superhelden noch nützlich und sinnvoll eingesetzt werden kann, das wage ich allerdings zu bezweifeln. Logan erleidet zwar in Japan bei seinen Kämpfen eine Schwächephase, er wirkt angeschlagen, aber die wird bald wieder von der scheinbar ad libitum regenerierbaren Superheldenhaftigkeit eingeholt. Heutzutage ist Supersicherheit ein Schlüsselwort, Supersicherheit, die sich erlaubt alles auzuspionieren. Da stehen Superhelden wie außerhalb der Zeit daneben, da helfen ausfahrbare Fingerklingen und ewige Regenerierbarkeit von Haut und Knochen wenig.

Dieser Film wird wieder in einem die Nase belastenden, das Augenlicht mindernden, das Portemonnaie aussaugenden 3D gezeigt, was jedoch weder inhaltlich noch künstlerisch einen Mehrwert erzeugt.