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Komm und Sieh, eine neue Filmseite

Mit großer Freude darf ich verkünden, dass Kollege Thorsten Krüger sich daran gewagt hat, eine eigene Filmseite ins Leben zu rufen: Komm und Sieh – World Cinema, Film International & US-Movies. Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!

Essenz des Lebens; Gila von Weitershausen (TV, BR)

Hier versucht ein Talkmaster aus seiner Interviewpartnerin das herauszuholen, was er vorher angelesen und recherchiert hat.

Er fährt mit ihr auf dem Sozius einer roten Vespa – und beide anständig behelmt – einen vorbereiteten Parcours durch München an Orte ihres früheren Lebens auf der Suche nach der Essenz ihres Lebens.

Die Babywiege für die Zweijährige, die mit „Gila“ und „1946“ beschriftet ist, hatte eine Nachbarin aus ihrem Elternhaus gerettet. „Das ist Ihre Kinderwiege, Ihre Babywiege.“ „Das ist unglaublich, wieso kann ich mich nicht daran erinnern“. Der Interviewer konfrontiert sie mit einem Foto ihrer Mutter und von sich selbst aus ihrer Kindheit im Garten ihres Elternhauses. Die Interviewte ist etwas überrascht, weiß nicht recht was sagen dazu und legt die beiden Bilder wieder sorgfältig in den gelben Umschlag und diesen in die regungslose Wiege. Gemüsegarten der Mutter. „Hier hatten wir lauter Rosen. Dahinter war unsere Spielwiese“. Der Interviewer bietet der Dame einen Apfel von einem Baum aus der Kindheit an.

Der Interviewer fährt mit ihr in die „Gruft“, ihre ehemalige Schwabinger WG-Wohnung aus dem Aufbruch der Sechziger. Sie wundert sich über das kleine Zimmer, in dem sie mit ihrem damaligen Freund und späteren Ehemann Martin gelebt hat. Viel Blabla über die Hochzeit. Fragen an die Interviewte: „Haben Sie schon Vorhänge gehabt? Und Kühlschrank? Und die Klamotten waren wo? … Hier ist viel passiert, Sie sind hier auch mal schwanger geworden?“

Zwei Dinge ärgern die Interviewte am meisten: die administrativ nicht anerkannte Mutterschaft ihres leiblichen Sohnes, der jetzt als der Sohn eines weltberühmten Regisseurs gilt, der aber nicht sein leiblicher Vater ist. Eine verflixt komplexe Geschichte, in der die Nouvelle Vague, Mexiko (Anlass für eine kleine Name-Dropping-Arie), der Code Napoleon, ein von Nonnen betriebenes Krankenhaus in Mexiko und auch ihr Ex-Mann Martin eine Rolle spielen.

Viel Blabla über die Hochzeit des administrativ nie bestätigten Sohnes in New York.

Der Interviewer versucht zur Essenz, zum Kern vorzustossen. Er möchte einen roten Faden im Leben der Interviewpartnerin finden. „Es ist die Schauspielerei, der magische Raum, der zieht sich durch mein Leben und den such ich immer noch und wenn ich in dem mich aufhalte, dann bin ich glücklich, nicht nur, aber…“ Sie möchte aber ausdrücklich nicht auf das Leben zwischen den magischen Räumen reduziert werden.

Der Interviewer heißt Jörg Seewald und stylt sich mit strenger, schwarzer Intellektuellenbrille und entsprechendem Blick; seine Interviewpartnerin ist die Schauspielerin Gila von Weitershausen. Der Interviewer beweist mit seinen Fragen, dass er sich kundig gemacht hat.

Der Gesprächspartnerin reicht es irgendwann: ich brauch ne Rolle, Herr Seewald, tschüss!

Sie wolle endlich wieder spielen, sagt Gila von Weitershausen an einer Stelle. Die Internet Movie Data Base berichtet indes von ganz guter Beschäftigung. Die neuesten Rollen: Frieda Winter in „Vorzimmer zur Hölle II – Plötzlich Boss“, TV-Movie; Ulrike Fischer in „Nur mit euch!“, TV-Movie 2013; Julia Langer in „Alles außer Liebe“, TV-Movie 2012; Dolores ‚Lore‘ Schmidt in „Der Schwarzwaldhof“ 2010 – 2012; Alexa Frey in „Familiengeheimnisse – Liebe, Schuld und Tod“, TV-Movie 2011 – das sind nur die neuesten von 148 Einträgen.

Vielleicht hätte das einen spannenden Knackpunkt für das Interview bilden können, die Frage nach der künstlerischen Erfüllung angesichts der Diskrepanz aus einer teils berühmten Vergangenheit mit Louis Malle und der aktuellen Aktivität in wie es scheint weiter nicht berühmter, industrieller Fernsehware, ob die dem Wunsch „ich will endlich wieder spielen“ gerecht wird und dann noch die Frage nach der Relevanz dieser Fernsehprodukte hinsichtlich des Auftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Da geht noch was!

Diese melodramatische Familiencomedy von Holger Haase, der nach einem Buch von Jens-Frederik Ott und Florian Fitz inszenierte, könnte man auch einen Komparationsfilm nennen. Denn eröffnet wird mit einer Werbung für das Weißwaschmittel „Wendy“, traumhafte Voralpenlandschaft bei traumhaftem Wetter mit traumhaft weißer Wäsche an den Leinen flatternd, dazwischen ein traumhaft weiß gekleidetes Mädchen und eine traumhaft weiß gekleidete junge Frau, die schier schweben zwischen all der Traumhaftigkeit. Mit diesem Weiß muss jede Hausfrau sich vergleichen – und sowieso jedes Glück mit solchem Waschmittelglück, denn Florian Fitz, der hier als Conrad einer der Hauptdarsteller ist, schaut sich den Spot im Fernsehen an und meint, so eine traumhafte Familie hätte er auch gerne.

Conrad ist der Sohn von Henry Hübchen als Carl und von Leslie Malton als Helene. Die Eltern leben getrennt. Der Vater ist ein mürrisch einsam Verbitterter. Die Mutter hat eben erfahren, dass sie nur noch ein halbes Jahr zu leben hat, auch ein Tumorfilm also, in dem die tödliche Krankheit aber nur peripher eine Rolle spielt. Denn das Zentrum ist eindeutig die Beziehung von Conrad zu Carl.

Die dramaturgische Konstruktion ist so gearbeitet, dass Vater und Sohn contre Coeur einige Tage zusammen in Vaters Haus verbringen müssen, dazu noch der mädchenhaft hübsche Junge von Conrad, engelhafte 13 Jahre alt. Die Dramaturgie hat den Werbespot von Beginn des Filmes nicht vergessen und wird nun in diversen Szenen zeigen, wie sich Vater und Sohn näher kommen, dem Waschmittelglück annäheren. Dazu ist wichtig, dass Papa in den leeren Pool fällt, weil der Enkel den ihn zu deckenden Bretterverschlag geöffnet und nicht wieder verschlossen hat. Insofern spielt der Enkel eine entscheidende Rolle.

Vom Poolfall an lebt Hübchen mit Halskrause und Stock seine anfangs des Filmes noch voll intakte Misanthropie filmhübsch aus. Das Familienglück am Ende differiert allerdings erheblich vom Waschmittelglück am Anfang, in der Realität setzt es auf dem Weg zum Glück blaue Flecken und Schrammen.

Hübchen und Fitz, das ist die große Qualität in diesem Film, sind Schauspieler mit Leib und Seele, sie erspielen sich sogar, wie sie das herstellen ist mir rätselhaft, solch eine Ähnlichkeit, dass sie durchaus leibhaftig Vater und Sohn sein könnten. Hier befruchtet die alte Generation die Junge und stachelt sie an.

Aber Fitz hat, da ist er noch nicht ganz von seiner Jesus-Rolle seines vorherigen Filmes losgekommen, eine Botschaft: kaputte Familienverhältnisse sind reparierbar so wie schmutzige Wäsche mit dem entsprechenden Waschmittel gereinigt werden kann. Das scheint mir gleichzeitig das Problem: dass die ganzen Situationen (wobei es allerdings nicht an bekannt komischen mangelt, wenn das Hündchen, während die Herrin telefoniert, aus dem Fenster springt – und man hört einen Aufprall auf Autoblech; Schnitt) doch vor allem auf das Versöhnungsziel hinaus konstruiert sind, dass das sozusagen ein „ad hoc“ Film ist, der deshalb gemacht wurde – quasi zum transzendenten Beweis der Waschmittelbotschaft von zu Beginn des Filmes. Insofern fehlt eine schlüssige, spannungserzeugende Handlung.

Sicher, Fitz will mit Frau und Kind nach Goa in den Urlaub fliegen. Er verpasst den Flieger. Er will auch ein Haus bauen, aber da tut sich gar nichts außer ein paar landschaftsschönen Aufnahmen auf Betonsockel.

Die Psychologie der Annäherung der Figuren aneinander scheint einer Küchenpsychologie zu verdanken, aus der eigenen Lebenserfahrung genommen, ohne stringente, gar bohrende Analyse. Ein lockeres Geplaudere über Beziehungen von zwei Hausfrauen zwischen zwei Waschgängen.

Eine Lektion in Versöhnung, wobei sich Fitz gerne in perzeptiven Momenten ablichten lässt. Kino eher als Deckmalerei denn als Transparenzgemälde. Ein Kino, was nicht hinter die Fassade schauen will, sondern sich am schönen Schein von Waschmittelwerbung orientiert, aber immerhin sieht, dass die Realität komplizierter ist.

Liebevoll gezeichnete Einkaufsszene von Vater und Sohn im Supermarkt, Vater sitzt mit Halskrause auf einem Art Senioreneinkaufswagen mit Sitz vorne drauf, wirft mit einer verächtlichen Haltung Chips und was auch immer er greifen kann, hinter sich in den Korb und der Sohn, der das Gefährt schiebt, kickt die Dinge wider zurück; Zusammenspiel als Nullsummenspiel, als schöner Leerlauf. Das macht den Film sympathisch, diese kleine Sicht auf den Alltag.

Die Alpen – Unsere Berge von oben

Eine fliegend-pfiffige Annäherung, oft nur einen Kopf über den Köpfen, an das, was da kreucht und fleucht, sich einrichtet in und abarbeitet an den Alpen. Gesehen anlässlich des fünf seen film festivals.

Freedom Bus

Ashraf El Sharkawy ist geborener Ägypter, in Deutschland sozialisiert und in einer Karriereposition bei der Allianz-Versicherung. Die Unruhen in seiner Heimat bewegen ihn. Er fährt im Frühjahr 2011 nach Ägypten und startet die Aktion „Freedom Bus“. Das ist eine Aktion zur Aufklärung über die Demokratie: parteiunabhängig sollen einige Busse, die ein Zelt, Infomaterial und Aktivisten mitführen, durchs Land fahren und den Menschen die Idee der Demokratie näher bringen.

Fatima Geza Abdollahyan begleitet den ägyptischen Aktivisten aus Deutschland persönlich und nah. Vielleicht zu nah; jedenfalls scheint für sie vieles verständlich, was es für den Zuschauer nicht unbedingt ist. Zum Beispiel wie die Hauptfigur heißt. Was die Beweggründe für diese Aktion sind. Denn es gibt Momente, wo auch von den Ägyptern der Vorwurf erhoben wird, El Sharkawy arbeite im Interesse ausländischer Staaten. Später ist er glücklich, dass auch Deutschland 900’000 Euro für die nächsten zwei Jahre zur Verfügung stellen wird.

Der Film bringt viele Eindrücke aus Ägypten, die man sicher dankbar annimmt, und die über die bekannten Fernsehbilder hinausgehen. Der brillante Schnittmeister Hansjörg Weißbrich hat sich des individuellen Materials angenommen und es auf Fernsehsendungslänge verkürzt.

Der Ausgang des Projektes ist ungewiss. Die Zeitenläufte haben den Film überholt haben; inzwischen wurde Mursi, der legitim demokratisch gewählte Präsident von der Armee weggeputscht; die Armee hat die Islamisten blutig weggekickt. Ist der „Freedom Bus“ noch unterwegs, kann er noch unterwegs sein? Oder ist er bereits ein zeitgeschichtliches Dokument über einen rührenden Beitrag zum Versuch der Demokratiesierung in Ägypten?

Grenzgänger

Sein Theaterhandwerk wirkt sich unterschwellig höchst positiv aus auf Florian Flickers Verfilmung von „Der Weibsteufel“, einem Theaterstück von Karl Schönherr. Es dürfte den Reiz dieser Sorgfalt an Lakonie ausmachen, was den Grundkonflikt hier so glasklar auf die Leinwand arbeitet. Flicker hat die Handlung in die jüngste Gegenwart, 2001, ins österreichische Grenzgebiet zum Osten, zum Ex-Eisernen-Vorhang, der Sumpfgegend der March-Au verlegt.

Die handelnden Personen, die sich diesem Grenzgang der Gefühle ausliefern, sind der Fischer Ronnie und Betreiber des Gasthauses in der Au, der hier mit seiner hübschen, ganz unländlichen Frau Jana lebt, wirtet, fischt und zur Aufbesserung der Haushaltskasse Menschen über diese immer noch bewachte Grenze schmuggelt. Sein Gegenspieler ist der Grenzwächter Fuchs mit seiner bewaffneten Truppe, der sich über den Menschenschmuggel aufregt, dem er nachspürt, der nur auf eine Gelegenheit wartet, den Übeltäter zu überführen. Diese scheint ihm mit dem jungen Soldaten Hans gegeben, der frisch hierher versetzt worden ist. Der ist zwar nicht begeistert von diesem einsamen Außenposten, einer kleinen Hütte, einer Art besserer Jagdstand – wie denn überhaupt die „Ausstattung“ leicht stilisiert, ganz unnaturalistisch, fast theatral wie eine Wildwestkulisse wirkt, was den Reiz der Geschichte nur erhöht.

Der Fuchs hat die Idee, den jungen, 24-jährigen Mann auf die Wirtin anzusetzen, damit er Infos über den Schmuggel aus ihr herausbekommt und sie verpfeift. Wie es mit der Macht des Schicksals und der Gefühle so ist – es gibt einen literarischen Hinweis zu Goethes Wahlverwandtschaften – wird die Angelegenheit gewaltig aus dem Ruder laufen – und das ganz ohne Kunstblut.

Sicher gibt es Standardbilder, wie das Abhauen von Fischköpfen und ein Kaffee hat damals noch 14 Schilling gekostet. Es ist kein psychologisch ergründender Film, es ist mehr Repertoire-Kulturgut filmisch exzellent bearbeitet und neu aufgelegt, mit einigen (gewollten? – mehr Bühnenrumms denn Ciné-Elégance) Hacklern im Schnitt. Die schöne Landschaft, von der Kamera verführerisch aufgenommen, gibt dem Drama einen gediegenen Rahmen.

The Congress

Der Anfang dieses Mischfilms aus Animation und Real-Fiction von Ari Folman nach einer Geschichte von Stanislaw Lem ist betörend, leicht beklemmend und nicht ungefährlich. Die hier im Film schätzungsweise 50jährige Schauspielerin Robin Wright spielt Robin Wright, eine Schauspielerin, die nicht mehr leicht zu vermitteln ist, unter anderem deshalb, weil sie nicht jede bescheuerte Rolle annehmen will.

Robin lebt mit ihren zwei Kids am Rande eines Flughafens direkt hinter dem Gitterzaun in einer Wohnwagenbehausung und einem ausgebauten alten Hangar. Sohn Aaron ist Fan von Drachen, die er im Wind steigen lässt, so komplizierte, kubusförmige Doppeldecker. Auch ist er Fan der Gebrüder Wright, die also auch Wright heißen, und ihrer ersten Flugzeuge, respektive der Modelle davon.

Das Gefährlich an diesen leichten Fluggeräten ist hier lokal bedingt, wenn man sie steigen lässt, können sie leicht in die Anflugbahn der großen Flugzeuge geraten. Deshalb liegt Familie Wright öfter im Clinch mit der Flughafenwache.

Robins Agent, Harvey Keitel in einer überzeugenden Altersrolle ruft sie zu sich, will ihr ein letztes Angebot machen. Dieses riecht nach einem Pakt mit dem Teufel. Sie soll sich scannen lassen, ihr Gesicht, ihren Körper, ihre Bewegungen, ihre Regungen, ihr Lachen, ihre Traurigkeit. Dafür bekommt sie einen Riesenberg Geld. Damit verbunden ist allerdings die Auflage, die nächsten 20 Jahre jeglichen Schauspielerauftritt zu unterlassen.

Was wird sie in diesen 20 Jahren machen? Und wie sieht die Welt nachher aus? Und vor allem, was werden die Studios mit dem Recht an ihrem Bild, an ihrem gescannten Leben unternehmen? In welchen Filmen werden sie diese digitale Schauspielerin einsetzen? Da sollte sie sich besser keinen Illusionen hingeben.

Man sieht den Agenten, den Produzenten und die Schauspielerin in einer Szene vor einem Bildschirm sitzen und eine solche Szene mit gescannten Schauspielern anschauen. Da ist nichts Berauschendes dabei. Was wird Robin aber in der Zwischenzeit machen. Stanislaw Lem hat seine futuristischen SciFi-Geschichten in den 60ern geschrieben hat. Ari Folman scheint unter Werktreue zu verstehen, zwar nicht das penible Übersetzen, Satz für Satz, da modernisiert er durchaus, aber mir scheint, er versteht unter Werktreue, den Geist des Werkes genau zu erfassen. Was er auch liebevoll tut. Was allerdings auch zur Folge hat, dass nun, wie Robin als animierte Figur in die animierte Welt verschickt wird, die Geschichte mir plötzlich altmodisch, altbacken vorkommt, so schön sie auch gemacht ist.

Die restricted animated Zone Abraham City. Die wirkt nicht futuristisch. Der Vorgang, wie ein Beamte am Einlass dieser Zone das Nummernschild, was einem Strichcode entspricht, scannt und dann sofort alle Informationen über Robin hat, ist für uns prinzipiell alltäglich. Der Porsche, den sie fährt, der ist ja auch von 2013.

In diesem Abraham-City passieren nun Dinge, die die Erwartung, dass wir etwas über den Identitätsverlust, die Identitätsaufgabe von Robin durch den teuflischen Kontrakt, erfahren, leider enttäuscht. Es gibt eine Roboter Rebellion. Scan-Robin hat einen großen Auftritt, bei dem sie geehrt wird und hervorgehoben werden soll, es handle sich um den futurologischen Kongress, dem so gar nichts Futurologisches anhaftet, sie wird als die Straßenkämpferin apostrophiert; sie verpatzt den Auftritt, wird aus dem Kongresshotel hinauskomplimentiert.

Nach 20 Jahren kommt die Erkenntnis: Be your Dream. Sie sei Symbol der Miramont-Nagasaki-Revolution geworden. Es gibt einen Anschlag wie 9/11 auf das Kongresshotel. Es gibt animierte Figuren, die reanimiert werden müssen und ab dem Moment wie mit einer Seifenblase um den Kopf herumlaufen. Sie trifft Dylan, den Animator, der von ihr begeistert ist. Dann geht es darum, sie einzufrieren vielleicht für 70 Jahre, in der Hoffnung, die halluzigene Vergiftung, die sich sie zugezogen haben, können dann geheilt werden.

Es folgen viele halluzigene Szenen mit Hippiemustern aus den 60ern, 70ern. Das wirkt nicht modern sondern wie von anno dunnemals. Eine Art Jugendstil-Rankenwelt. Vom Usher-Syndrom ist die Rede. Und irgendwann setzt sie sich in einen Korb, wie von einem Heißluftballon, fährt mit diesem wie mit einer Seilbahn hoch zu einem Zeppelin. Sie ist inzwischen eine alte Frau. Kommt in einer Welt an, die vielleicht eine Art Jetzt-Wiedererfindung sein soll. Denn alle Realität wird im Kopf gebildet. Und der Traum ist sowieso „forever young“, ein Song, der eingespielt wird. Es wird von einem komplizierten Modell gesprochen, wie die Welt sie als Gescannte über chemische Reaktionen in den Menschen eine Zukunft gestalte, sorry, da komme ich nicht mehr mit, welche Art Bewusstseinszustand hier definiert werden soll. Es gebe die beiden Seiten der Wahrheit, erfahren wir von Dr. Barker. Dem Geist des Werkes zu Treue verpflichtet (?), wird mir nicht klar, was Ari Folman uns mit diesem Film erzählen will.

The World’s End

Eine wüste Sauftour. Britische Bierparty wie in echt, fängt trocken und stimmungslos an und geht in einen never ending, ausdauernden Zustand über, Imagination von Kämpfen der Betrunkenen gegen Robotermenschen in Endlos-Schlaufen.

Anlass für diese Party ist die Erinnerung an das Abi vor 20 Jahren. Oliver, Pete, Steve, Andy und Gary hatten anlässlich des Abiturs die „goldene Meile“ nicht zu Ende getrunken, sie hatten das Besäufnis von dem Dutzend abzugrasender Kneipen, wobei in jeder mindestens eine Halbe gekippt werden muss, nicht mehr geschafft. Diese letzte Kneipe, die ihnen noch fehlt, sie heißt „The World’s End“.

Weil sie dieses Werk unvollendet zurückgelassen haben; und weil Gary sowieso ein Sonderfall ist und verschuldet dazu, hat er 20 Jahre später die Idee, aus der Laune des Hallodris heraus, der er ist, die Sauftour mit seinen Kumpeln von damals von Anfang an und dann wirklich bis zum Ende durchzuziehen, die Scharte auszuwetzen.

Es artet aus wie erwartet und drüber hinaus. Ort des Geschehens ist Newton Heaven. Die ersten zwei Kneipen gleichen sich aufs Haar. Mit dem steigenden Alkoholpegel gedeihen Halluzinationen und Verschwörungstheorien – als Ausdruck reduzierter Wahrnehmung, in welcher unbeteiligte Figuren in Kneipen wie zu Wachsfiguren erstarren. Randale können dabei nicht ausbleiben. Die Angelegenheit artet auch filmisch aus in Erfahrungssimulationskino, der Zuschauer erlebt selbst eine Sauftour wie in echt, die Macher, Edgar Wright als Regisseur, der mit Simon Pegg auch das Buch geschrieben hat, verlieren sich im erfundenen Rausch, verlieren das Gefühl für die Zuschauer und für die Zeit und für Spannung. Sie hatten noch die brillante Idee, die Bürger von Newton Heaven als Robotermenschen zu inszenieren, denen bei Kämpfen Extremitäten abfallen können und dann fließt blaues Blut, Blaublütler, richtig, kleiner Joke am Rande.

Macht Bierdunst hellsichtig? Eher nicht.
Werbung für „ampera, driving electricity further“.
Zu Beginn ihrer Tour fahren Sauffreunde über Britains First Roundabout.
Film fängt an wie ein Sprung ins Kalte Wasser. Die Musik baut langsam eine Stimmung auf, zum Beispiel „Show me the way to the next whisky bar“. Gary taucht bei seinen Kumpels unvermutet auf in ihren nur minimal skizzierten, bürgerlichen Lebensumständen.

Es wird viel gerannt und gehechtet, über Hecken und Autos und Kneipentheken.
Die Roboter: Simulatoren zur Durchsetzung friedlicher Ziele.
Immerhin die Macher und die Mitmacher dieser Sauftour ziehen ihre Sauftour gnadenlos und energievoll und mit viel Hektik und Lautstärke und Bewegung durch. Hauptsache, es tut sich was.
SciFi und Bierkultur liefern sich hier eine zwangsgaudihafte Fingerhakelei mit einem Schuss Apokalypse.

Ummah – Unter Freunden

Mit einer interessierten Kamera, die sich brennend für ihren Gegenstand und nichts anderes interessiert, ohne jeden Soundtrack, lediglich Originalton aus der Räumlichkeit, in der der Film von Cüneyt Kaya anfängt, gewinnt er das Zuschauerinteresse sofort und Sympathie dazu.

Die Kamera sucht einen blutverschmierten Kachel-Boden in einer Kneipe ab und hat auch schon einen Körper vorm Objektiv, einen ruhigen Körper, blutdurchtränkte Kleider, eine Blutlache daneben. Ein Toter liegt in seinem Blut. Die Kamera sucht behutsam weiter, findet noch einen Körper, auch dieser blutverschmiert. Die Kamera bleibt auf dem Gesicht. Die Halsadern pulsieren. Die Augen öffnen sich. Einer der überlebt hat. Ein Mann. Ein junger Mann. Langsam kommt er zu sich. Versucht schmerzerfüllt sich zu bewegen, sich aufzurichten. Das alles ohne einen untermalenden, künstlichen Sound.

Der Darsteller gewinnt sofort unser Interesse. Weil er so gut spielt, weil er in dieser armen, fast kahlen Umgebung einfach nur spielt, überzeugend spielt, als ob er auf einer leergeräumten Bühne stünde. Es ist der Hauptdarsteller, das wird bald klar werden. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist die, wozu verwendet Cüneyt Kaya soviel Energie darauf, diesen Mann mit so viel Empathie rüberzubringen? Er wird gespielt vom gerne zweiflerisch drein schauenden Frederick Lau und heißt im Film Daniel Klemm.

Daniel arbeitet im rechten Untergrund für den Verfassungsschutz. Wegen der Schießerei, die er verschuldet und überlebt hat, der aber zwei Menschen zum Opfer gefallen sind, muss er aus der Schusslinie gezogen werden. Der Verfassungsschutz schickt den jungen Mann ausgerechnet nach Berlin-Neukölln ins Immigrantenmilieu.

Ab hier ändert der Film plötzlich sein Verständnis von Kunst und Kino. Ab hier gibt es Musik. Ab hier kann einem mulmig werden. Ab hier missbraucht der Film oder verarscht er die bis anhin fast zärtliche Zuneigung, die er zu seinem Objekt und Hauptdarsteller gezeigt hat, ab hier wird er in die Zwangsjacke einer merkwürdig versöhnlerischen Gefühlsdusselei gesteckt, die uns belehren will: der Islam ist gut (born to be Islam) und böse ist der Verfassungsschutz, der hier zu einer Mörderbande mutiert, als lebe er im Irak oder in Syrien.

Wobei zu unterscheiden ist zwischen Darstellung und Message. Was aber dem Hauptdarsteller nicht gut bekommt, denn intuitiv spürt er die merkwüridge Zerdehnung seiner Figur durch das Buch, spielt fortan den an einem Konflikt Leidenden, der so nicht nachvollziehbar ist, spielt den zum Opfer ausersehenen. Während das Drehbuch ihm seinen Urkonflikt vollkommen vorenthält, nämlich seine Vorgeschichte, die dazu geführt hat, dass er sich als Verfassungsschützer in die rechte Szene reinschmuggeln hat lassen.

Was dem Film durchaus gelingt, ist die Schilderung des Milieus in Neukölln, in das Daniel, weil er einen Fernsehapparat möchte, hineingerät: das Milieu der Immigranten aus der Türkei, aus arabischen Ländern, aus Afghanistan und die sich etabliert haben, sei es mit kleinen Geschäften oder auch mit Dealerei.

Eine Riege wunderbarer Darsteller spielen die Herzlichkeit, die Körperlichkeit, die Gastfreundschaft und Toleranz einer erträumten islamischen Gesellschaft in Deutschland. Wobei mir unglaubwürdig scheint, dass ein Deutscher, der nicht einen Zipfel sozialen Netzwerkes zu Deutschen hat, hier so unbedingte Aufnahme findet. Den auf ideologisches Toleranzgetue hereinfallenden Fördergremien wird faustdick das Thema Kopftuch aufs Auge gedrückt, resp. auf die Plakatwand: in einer nächtlichen Aktion sprühen Daniel und seine Freunde einer dünn bekleideten Werbefrau auf einem Plakat eine Burka auf. So scheint es mir mit der Message dieses Filmes ergangen zu sein.

Bottled Life – Das Geschäft mit dem Wasser

Urs Schnell, der mit Res Gehriger auch das Buch zu dieser Dokumentation über das Geschäft mit dem Wasser geschrieben hat, versucht anfänglich den Chef der Weltfirma Nestlé, Peter Brabeck, ins Visier zu nehmen, ihn zum Buhmann zu stilisieren. Aber dazu ist der Typ zu wenig greifbar, zu aalglatt und ein Interview lässt er sowieso nicht zu. Insofern muss Urs Schnell mit den Vorzimmern der Wirtschaftsmacht, mit Spurensuche an verschiedenen über die Welt verteilten Stellen Vorlieb nehmen, mit Mitschnitten von Pressekonferenzen, mit Feldforschung. Es gelingt Schnell dadurch allerdings auch, einen recht differenzierten Zugang zum Thema Wasser als eines Naturrechtes einerseits und als einer Handelsware andererseits zu eröffnen.

Wasser ist ein elementares Bedürfnis des Menschen. Wo kein Wasser, vor allem, wo kein sauberes Wasser verfügbar ist, da lauern früher Kindstod, Armut, Krankheit, Seuchen, ob in Lahore in Pakistan, in Äthiopien oder in Lagos in Nigeria. Allüberall wirkt dagegen eine sauber verpackte Wasserflasche aus Plastik wie eine Rettung, ja sogar wie ein modischer Luxus. Eine solche Wasserflasche ist nicht nur hygienisch, nützlich, sie kann auch schick sein. Denn dieser Punkt ist auch das Geschäft für Nestlé, eines mit der größten Zukunft und wie Brabeck meint, auch von der größten Nachhaltigkeit. Denn die Firma hat, so behauptet er, kein Interesse daran, ihre Brunnen total auszuschöpfen. Informationen aus Maine beispielsweise lassen allerdings anderes vermuten.

Der Film belegt durchaus den positiven Nutzen von zur käuflichen Ware abgepacktem Wasser. Die allerdings in den Slums von Nigeria im Vergleich zu den Einkommen der Bewohner horrende Summen kostet. So dass diese oft zu verseuchtem Wasser, von dem sie umgeben sind, zurückgreifen.

Was allerdings Nestlé den Boden für seine Produkte, die Neukreation „Pure Life“, ein künstlich mit Mineralien weltweit nach gleichem Rezept angereichertes, sauberes Wasser, am stärksten bereitet, was es zur lukrativen und leicht erfolgreich handelbaren Ware macht: das sind veraltete, rostige, leckende Leitungen, desaströse Infrastruktur, Korruption und Unfähigkeit der kommunalen Verwaltungen, die öffentliche Wasserversorgung auf hygienisch unbedenklichem Niveau aufrechtzuerhalten. Ein Phänomen, was weit herum zu beobachten ist.

Äthiopien. Ein Lager für 20’000 Flüchtlinge aus Somalia. Nestlé will den Zugang zu sauberem Wasser sichern. Die Flüchtlinge sind teils seit über 20 Jahren in diesem Lager. Kampf ums Wasser am Hahn. In Plastikkanistern. Wasser an sich sauber. Aber manchmal fallen die Pumpen aus. Dann sind die Flüchtlinge zwei drei Tage ohne Wasser. Eine unterirdische Leitung aus dem Tal versorgt das Lager von einer Pumpstation aus. Nestlé fördert dieses Projekt, sagt Peter Brabeck. Die Pumpen altern. Heute hilft Nestlé nicht mehr, hat die Unterstützung 2004 aufgegeben. Auf der Website von Nestlé wird die Unterstützung des Flüchtlingslagers als Imagepunkt weiterhin angegeben.

In Fryeburg, Maine, in den USA, hat Nestlé für seine Marke „Poland Spring“ eine Quellwassertankstation. Die Station generiert 25’000 Fahrten mit Tanklastwagen. Die Bürger protestieren, sind aber der Übermacht von Nestlé und seinen Anwälten nicht gewachsen. New York Marathon. Sponsoring by Poland Spring. New York ist der wichtigste Absatzmarkt. 800’000 Tonnen Plastik für die Wasserflaschen. Die New Yorker haben das sauberste Trinkwasser der Welt, aber sie trinken lieber Flaschenwasser – von Nestlé.
Im Naturschutzgebiet Shapleigh sieht die Lage anders aus als in Fryeburg. Hier musste Nestlé sämtliche Testbrunnen aus dem Park entfernen. Die Gemeinden haben das Wasser zu einem Grundrecht erklärt. Eine kommerzielle Nutzung, Abpumpen im großen Stil ist nicht erlaubt; dank dem laut Verfassung der USA verbrieften Recht zur kommunalen Selbstbestimmung.

In Lahoré, Pakistan produziert Nestlé ein fashionables Trinkwasser für die Jettsetters von Pakistan. Die Brunnen im Umfeld der Fabrik sind vertrocknet; Nestlé will nichts wissen von den Wirkungen auf die Qualität des Trinkwassers für die Bewohner von Sheikupura.

Lagos, die Hauptstadt von Nigeria, hat 15 Millionen Menschen. Problematische Wasserversorgung. Die Bewohner greifen zu unsauberem Beutelwasser. Seit 2005 ist Nestlé „Pure Life“, als sicheres Wasser im oberen Preissegment erhältlich. Pure Life ist teurer als Benzin. Korruption und Missmanagement haben die öffentliche Wasserversorgung weitgehend lahmgelegt. Tägliches Budget für Slumbewohner: 1000 Naira, die Hälfte davon geht für Wasser drauf. Immer wieder grassieren Cholera und Typhus.

Maude Barlow, Trägerin des alternativen Nobelpreises: mehr Kinder sterben weltweit an verunreinigtem Wasser als an allen anderen Krankheiten.