Archiv der Kategorie: Allgemein

Bundestagswahl 2013 – geht wählen!

Liebe Leser,

unabhängig davon, dass es hier hauptsächlich um Filme geht, so gibt es doch wichtigeres im Leben. Zum Beispiel die Gesellschaft, in der wir leben. Die es uns durch die oft blutig erkämpften Errungenschaften durch die Jahrhunderte überhaupt erst ermöglicht, sich mit Filmen zu beschäftigen. Zum Beispiel. Oder auch mit Kaninchenzucht. Oder Segelfliegen. Und so weiter, Ihr merkt ja schon, was ich meine.

Ich habe diese meine Seite bisweilen als Plattform für meine eigene politische Agenda genutzt, dass ich politisch zwischen Piraten, Grünen und Linken angesiedelt bin, ist kein Geheimnis. Mein persönliches Steckenpferd ist ja das bedingungslose Grundeinkommen. Ich verlinke jetzt nicht zu Beiträgen dazu, weil ich hier und heute keine Stimmung machen will.

Mein bescheidener Aufruf an alle Leser dieser Seiten: Geht morgen zum Wählen! Es ist einfach wichtig, dass Ihr teilnehmt. Und wer sich partout nicht mit einer Partei identifizieren kann, der kann entweder taktisch wählen, oder auch seinen Stimmzettel ungültig machen und so abgeben. Denn die ungültigen Stimmen werden auch gezählt, sie sind ein wichtiger Indikator für generelle Unzufriedenheit.

Wer noch nicht wirklich weiß, was er wählen soll, sollte sich noch vor dem Gang zur Urne mit dem Wahl-O-Mat beschäftigen. Dabei lohnt es sich, unbedingt einmal die Stellungnahmen der Partei zu lesen…

Und wer noch nicht überzeugt ist, überhaupt zur Wahl zu gehen, bitte schön:

Hier gibt es eine Auswahl skurriler Werbespots von kleineren Parteien.

Nur eines: Bitte wählt nicht braun. Das braucht’s echt nicht. Diese Zeiten und mit ihnen das entsprechend krude Weltbild sind endgültig vorbei.

Und noch etwas: Wer Briefwahl beantragt, aber die Unterlagen nicht abgeschickt hat (weil nicht mehr rechtzeitig, z.B.), der kann morgen entweder die ausgefüllten Wahlscheine abgeben oder mit dem Wahlschein im Wahllokal auftauchen und die Kreuzchen dort machen.

Das Pferd auf dem Balkon

Hier ist nichts Etepetete, hier wird von Hüseyn Tabak mit klarem Zugriff ganz ohne jeden Schmierennaturalismus eine Wiener Geschichte von Milan Dor, der seinen Roman zum Drehbuch umgeschrieben hat, erzählt.

Eine Geschichte aus dem Milieu von Gemeinde-Bau-Häusern, die in den frühen 30ern in Wien fürs Volk gebaut worden sind und in denen heute nicht unbedingt die feinsten Schichten wohnen. Wir tauchen ein in das Leben der alleinerziehenden Mutter Lara, Nora Tschirner, und ihrem zehnjährigen Sohn Mika, der die Hauptfigur im Film werden wird und der unter dem Asperger-Syndrom leidet. Sein Vater sei tot.

Nora Tschirner wirkt mit ihrem makel- und dialektfarblosen Hochdeutsch selbst wie ein Fremdkörper, wie eine Außenseiterin in dieser bunten Siedlung; was aber die Regie nicht bewusst einsetzt.

Neu eingezogen in diese Siedlung ist Sascha, ein sozial und wirtschaftlich abgestürzter Mathe-Lehrer, der bei einer Tombola das erstklassige Rennpferd Bucephalus gewonnen hat. Das Pferd stellt er nächtens auf den Balkon, der zum Innenhof geht. In der Wohnung selbst dominiert die Blümchentapete, die auf die Zeit der Errichtung des Baus zurückgehen dürfte.

Ferner wohnt hier das Mädchen Dana mit ihrer Familie. Dana behauptet, sie stamme von einem Maharadscha ab und in der Schule ist sie auch eine Außenseiterin, so wie Mika.

Ganz en passant stellt uns der Film einige hervorragende Merkmale dieses Syndroms vor: das Faible für Zahlen, die Fixiertheit auf Termine, die Angst vor Berührung, die Unfähigkeit, einem Gesprächspartner ins Gesicht schauen zu können, Platzangst, Pünktlichkeitstic, Überraschungen und Veränderungen nicht abhaben können, sich nicht wehren können gegen die anderen Kinder.

Das Außenseitertum von Mika und Dana, was die beiden zusammenschweißt, wird jetzt benutzt als Motor für eine Pferde-, Kriminal- und schließlich Entwicklungsgeschichte, letztere für Mika, dass nämlich Asperger durchaus kein unüberwindbares Schicksal sein muss.

Sascha hat Schulden und das Pferd. Mika freundet sich mit dem Pferd an; ähnlich wie im deutschen Erfolgsfilm „Ostwind“, deren Hauptfigur übrigens auch Mika heißt, aber ein Mädchen und etwas älter ist. Windige Schuldner sind hinter Sascha her. Auch hier droht die Fahrt mit dem Pferd zum Fleischhauer. Wie also zu Geld kommen, um das Pferd zu retten? Da hilft eine der Eigenschaften von Mika, dass er nämlich beim Roulette lange vor dem „rien ne va plus“ erkennen kann, zu welcher Zahl die Kugel rollt. Das wird Anlass geben zu einem abenteuerlichen Ausflug mit Oma Hedi in einer Stretchlimousine zu den Casinos Austria auf dem Wege zur Lösung aller Probleme und zum guten Ende.

Die schönen Tage

Feelgood- bis Schmachtmovie für ältere Junggebliebene zum Genießen wie reifer Wein. Marion Vernoux, die mit Fanny Chesnel das Drehbuch geschrieben hat, lässt die Starpower von Fanny Ardant als bürgerlich verheiratete Caroline durch die erste Affäre nach ihrer Pensionierung stöckeln.

Caroline war Zahnärztin, ist verheiratet mit Julien, eher Kartoffelsack und mürrisch und mit wenig Aufmerksamkeit für sie denn zarter Liebhaber; sie hat zwei erwachsene Töchter, die selbst schon wieder Kinder haben. Die Familie ist rührend besorgt, der Neupensionärin ein sinnvolles Leben zu organisieren.

Eine Tochter schenkt ihr ein Schnupperabo für den Altenclub „Les beaux Jours“, die schönen Tage; hier wird getöpfert, Yoga gemacht, es gibt Computerkurse und einen Theaterkurs. Und es gibt den jungen Lehrer, der gegen vierzig geht, Roger, der ein Hecht ist, sexuell eher überdreht denn gebremst und nicht leicht eine Frau auslassend, Alter egal. Mit Roger funkts gleich. Es dauert nicht lang, bis die beiden im Auto, bald schon in einem Raum im Club zur Sache kommen.

Auch der Gatte von Caroline ist besorgt wegen der möglichen Inhaltslosigkeit im Leben der Neurentnerin. Er lädt eine Dame von einer NGO ein, die pensionierte Ärzte für karitative Zwecke vermittelt. Aber da ist Caroline längst auf den Liebestrichter gekommen. Wie jung verliebt turtelt und vögelt sie. Auch wenn ständig Pannen passieren, denn Roger bedient noch andere Baustellen, der Verkehr geht nicht ganz reibungslos aneinander vorbei.

Aber Fanny Ardent, ganz Dame, lässt sich zu keiner Eifersuchtsszene hinreißen. Sie hat Größe. Sie ist ein Star, sie ist es in jeder Sekunde und wird von Marion Vernoux auch als solcher inszeniert, wie von einem anderen Stern aus einer anderen Zeit. Immer mit perfekter, komplizierter Frisur, bestehend aus großen Mengen verschieden um den Kopf gelegter Haare. Mit einer Haartracht, die in jeder Szene ein eigenes Figarokunstwerk darstellt. Besonders schön wirksam, wenn sie im Schaumbad in der Badewanne liegt, erinnert an Badeschaumwerbung von anno dunnemals. Jede Geste beherrscht, jede Bewegung gesetzt, als schreite sie durch ihre Rolle wie über einen roten Teppich. Ihr Gesicht ist unglaublich jung geblieben, sinnliche Lippen, fast faltenloser Teint. Dem Tod noch ein bisschen Leben abringen. Ihr Mann, ein hässlicher alter Dumpfbeutel. Starkino, was die ewige Jugendlichkeit des Alters preist.

Lost Place

Der Film fängt gewinnend an, comme il faut für einen Horrorfilm und jeglicher Hinweis darauf, dass es sich um einen geförderten, deutschen Film handelt fehlt; aha, kapieren die doch allmählich, was Genre ist?

Zwei Freunde, Daniel und Thomas, verabreden sich übers Internet mit den ihnen unbekannten Mädchen Elli und Jessi zu einer Geocache-Schatzsuche. Die Dialoge sind zielführend, weder gespreizt noch verkopft wie so oft im deutschen Film, denn die Handlung bedingt die Texte, welche Abzweigung nehmen, dass man sich den einen oder anderen anders vorgestellt habe. Oder was die GPS-Schnitzeljagd an Aufmerksamkeit und dialogischem Austausch verlangt.

Auch 3D scheint durchaus lustvoll eingesetzt. Die Fahrt führt immer tiefer hinein in den Pfälzer Wald, es gibt Warnschilder, ein mit einer Eisenkette verschlossenes Gittertor, erste Hinweise auf den Horror, gut dosiert. Die Kette wird in jugendlicher Sorglosigkeit aufgebrochen, das Atomwarnschild am Gitter beachten sie kaum, packen es gedankenlos, eher Trophäe denn Angstmacher, in den Kofferraum des Autos und fahren weiter, denn GPS ist garantiert Wahrheit und auch Lösung.

Schließlich gelangen sie zu einem verlassenen, vernachlässigten Campingplatz, der allerdings so aussieht, als hätte der Ausstatter ihn etwas zu deutlich auf verlassen gestylt. Die Kids lassen sich davon nicht irritieren, versuchen eine Mischung aus Überraschung und Neugier zu spielen.

Das GPS führt die Jugendlichen noch zum anliegenden See. In dessen Tiefen liegt die Zielbox; sie enthält diverse Utensilien, unter anderem Haschkuchen.

Bis hierher war die Story recht vereinnahmend und zielführend präsentiert. Aber an dieser Stelle scheint Thorsten Klein, den Regisseur, der mit Lena Vurma auch das Buch geschrieben hat, plötzlich der Horrorinstinkt verlassen zu haben. Jetzt lässt er seine Protagonisten rumhängen am See, träumen, ja er setzt sogar eine Romantic Comedy zwischen Daniel und Jessi in Gang, scheint unsicher, wie seine Hauptlocation einsetzen, ein Eisenkonstrukt von Sendemasten und mysteriöser Anlage der Amerikaner im Pfälzer Wald als Relikt des Kalten Krieges, das HAARP (High Frequency Active Auroral Research Program), ein Manipulationsversuch des menschlichen Gehirns, sowie Horror-, Blitz- und Käfereffekte, wie der Filmemacher also mit diesem und der eben begonnenen Love-Story jetzt noch einen Film zusammenmixen soll.

In diesem lähmenden Dilemma hat der Autor sich vielleicht an Brecht erinnert, der in einer solchen Situation skrupellos den reitenden Boten des Königs als ein Deus ex Machina eingesetzt hat; hier erfindet unser Autor einen Mann in einem schwarzen Ganzkörper-Schutzoverall, den lässt er allerdings nicht vom Himmel plumpsen, sondern aus einem Wohnwagen kommen, ganz praktisch, so scheint es, wenn das vielleicht auch noch die Künstlergarderobe war.

Dieser nicht reitende, eher delirierende Bote des Drehbuchautors im Strahlenschutzanzug soll nun zur Erhöhung der Spannung ein paar Informationen in den Film einbringen. Das will jedoch durch die unklare Haltung der Figur nicht richtig gelingen. Zu vieles bleibt im Dunkeln. Wenn eine neue Figur in einen Film eingeführt wird, die nur für Informationen beispielsweise zur Erhöhung des Horrorkitzels gedacht ist, so wäre eine eindeutige Definition hilfreich, zB der Tankwart an der letzten Tankstelle vor der Wildnis oder der Wirt in der letzten Kneipe vor der Horrorregion, also einer neutralen Figur außerhalb des Horrors und nicht eine dubiose Figur, die dem Horror selbst entsprungen scheint und somit statt Spannung zu erzeugen nur Verwirrung stiftet. Das wirkt, als würde die Horrorabsicht über ihre eigenen Füße stolpern. Ein Wirt ist in solchen Situationen eine klare Charge. Mit diesem Strahlenanzugmann wurde jedoch eine Figur eingesetzt und gecastet, die sich offenbar damit nicht zufrieden geben kann, und die statt Spannung zu erzeugen ablenkende Aufmerksamkeit, gar Verständnis zu heischen scheint. Nicht gut für einen Akteur, der als besonderer Gast mit einem bedeutungsvollen „und“ in der Liste des Hauptcastes vermerkt werden will.

Was bleibt sind schöne, teils tüftelige Bilder und eine dicke, fette Musiksauce, mit der der Regisseur offenbar zum eigenen Nachteil seine innere Stimme übertönt sowie Akteure, die von Drehbuch und Regie allein gelassen wirken.

Paranoia – Riskantes Spiel

Ein junger Mann, Generation Praktikum, hat kaum Aufstiegs-Chancen in der großen Firma, in der er arbeitet. Er lässt sich auf einen riskanten Deal, ein riskantes Spiel ein, macht eine wichtige Erfahrung und besinnt sich auf die wahren Werte, wird zum Start-Up-Gründer, das ist die wenig paranoide Moral dieses Filmes, der von jener Paranoia erzählt, die offenbar Asse im Geschäftsleben entwickeln, um oben zu bleiben, um kleine Rachegelüste auszuleben, um sich im Millionen- und Milliardengeschäft zu behaupten und auszubreiten.

So sorgfältig wie Jason Dean und Barry Levy das Drehbuch, Grundlage ist ein Roman von Joseph Finder, geschrieben haben, so sorgfältig hat Robert Luketic den Stoff verfilmt. Und so sorgfältig wurden die Figuren gecastet.

Der Protagonist, Liam Hemsworth als Adam Cassidy, ein ideal prototypischer, junger Amerikaner, muskelbepackt, schöne, große Augen, keine Ecken und Kanten. Er träumt den amerikanischen Traum vom Aufstieg, vom Nach-oben-Kommen.

Die Realität sieht anders aus. Immer ganz unten bedeutungslose Jobs machen und wie er, so seine Freunde. Bei einer Präsentation vorm obersten Boss seiner Firma Wyatt, Gary Oldman als Nichoals Wyatt, nimmt Adam, der die Meinungsfreiheit hoch einschätzt, den Mund zu voll. Er wird entlassen. Verfügt aber noch über eine Credit-Card der Firma, mit der er und seine Freunde umgehend eine Sause steigen lassen.

Adam hat jetzt Schulden. Daran nagelt Wyatt ihn fest. Gericht und alle Konsequenzen oder für Wyatt ein Geheimauftrag, eine Spionageaktion bei seinem ehemaligen Mentor und heutigen Konkurrenten, Harrison Ford als Jock Goddard; er hat die Wahl.

So gerät der brave, naive Adam, aber er hat es so entschieden lässt er uns gleich eingangs wissen, auf das total überwachte Feld des Games der beiden Konkurrenten, wird zum Spielball der beiden und wird dadurch eine schlimme Erfahrung machen, aus der er aber seine Lehre zieht und seinem Leben nun reflektiert einen (traumamerikanischen) Sinn geben wird.

Aktuell ist der Film vielleicht vor allem wegen der diversen Methoden der Überwachung und Sicherung, die hier teils detailliert ins Bild gerückt werden, die einem Angst und Bang werden lassen; und wo man sich noch weniger über den Prism- und den NSA-Skandal wundert. Diese Welt der Macht, die ist paranoid, die ist weit weg von fair und demokratisch. Das wiederum allerdings schwante uns schon lange. Wird hier aber aufs Neue und sehr gepflegt gezeigt. Die Besetzung hat Figuren ausgesucht, die von der Geschichte in keiner Weise ablenken.

Room 237

Der Zuschauer darf hier muntere 103 Minuten lang teilhaben an einer geist- und kenntnisreichen, nicht unbedingt tiefschürfenden oder gar todernsten Plauderei von filmgebildeten Menschen über Stanley Kubricks „Shining“.

Wobei der Begriff Plauderei insofern nicht ganz stimmig ist, als Bill Blakemore, Geoffey Cocks, Juli Kearns, John Fell Ryan und Jay Weidner von Regisseur und Drehbuchautor Rodney Ascher nicht zu einer Talkrunde zusammentreffen lässt, sondern deren Statements, Reflexionen, Bemerkungen und Interpretationen zum Film unter lockeren Zwischentitelpunkten aneinanderreiht und mit Ausschnitten aus „Shinging“ sowie Clips aus anderen Kubrickfilmen und aus der Filmgeschichte oder gar aus der politischen Geschichte bebildert.

Die Interviewten, das sind ein Journalist, ein Geschichtsprofessor, eine Dramaturgin, eine ehemaliger Video-Bibliothekar, ein Autor und Filmemacher. Sie haben alle ihre je eigenen Geschichten, Entdeckungen und Spekulationen über „Shining“. Voraussetzung für ihre Bemerkungen ist die Grundübereinstimmung, dass Kubrick sich immer was gedacht habe bei seiner Inszenierung; wobei Fälle von Anschlussfehlern, wenn ein Stuhl im Hintergrund beim nächsten Gegenschnitt plötzlich nicht mehr da ist, als Anschlussfehler gewertet oder eben anderslautend interpretiert wird.

Schier zur Verzweiflung bringen kann die Nachhaker die Architektur des Overlook Hotels am Center Lake. Da gibt es in Büros Fenster mit sehr viel Licht, in denen kein Fenster sein kann. Da landen zwei Darsteller nach einem langen Weg zwar in einer Toilette, die muss aber räumlich wieder im eben durchquerten Ballsaal liegen. Da ist das Muster am Boden, wenn Danny seine Spielzeugbahnen aufgestellt hat, erst offen und ein gelber Golfball rollt hinein. Im Moment aber, wo Danny aufsteht, ist das Muster geschlossen. Das dürfte nun kein Zufall sein.

Dass sich herrliche Überschneidungen ergeben, wenn man den Film gleichzeitig von vorn und von hinten auf eine Leinwand projiziert, dürfte weniger am Kalkül Kubricks als daran liegen, dass er den Gegenstand, den er betrachtet, meist sehr mittig inszeniert. So dass deutungsvolle Überblendungen bei diesem Vice-Versa-Projektionsverfahren zwingend entstehen müssen.

Blut, dieser kostbare Saft, lässt viele Interpretationen zu. Das Hotel liegt auf einem ehemaligen Indianerschlachtfeld. Und für die Zahlenmystiker hat der Kinomeister genügend Hinweise in die Ausstattung eingearbeitet, die die ganze Nazizeit als Unterlage unter den Film beamen können, das fängt schon mit der Adler-Schreibmaschine an.

Rodney Ascher versucht in einem Kapitel, die Essenz aus dem Film herauszuziehen, er, resp. seine Interviewpartner, versuchen „patterns of culture und civilisation“ aus dem Film herauszulesen oder sie versuchen im nächsten Kapitel, Wege aus dem Labyrinth zu finden – der Rückwärtsgang kann dabei ganz hilfreich sein.

Angelpunkt für Interpretationen bietet in einem weiteren Kapitel der geheimnisvolle Bill Watson. Die Gesprächspartner versuchen durch die Geschichte hindurchzusehen, die Gräueltaten der Geschichte als nicht länger existierend anzunehmen, nicht länger Opfer der Geschichte zu sein. Worte, die sicher über viele Filme gelegt werden können. Aber spekulieren macht eben Spaß, der wird hier als solcher vermittelt. Das Zimmer 237 wiederum ist das Zimmer ohne Ausgang, das Zimmer für Sex, eine hermetisch verschlossene Realität. Und wie war das nach Shining? Hat überhaupt einer das Thema kapiert bei all der Labyrinthizität? Da kann vielleicht die nochmalige, gründliche Vorwärts-Rückwärts-Projektion eine Antwort geben.

Zum Geburtstag

Hier trägt der französische Rationalismus in einer aparten, deutsch-französischen Mischproduktion einen schier archaischen Liebeskonflikt als nicht lösbar aber zum Zuschauen zwingend vor.

In der spröd-emotionalen Erzählart des DDR-Kinos schildert Denis Dercourt, der Autor und Regisseur dieses Filmes, die Ausgangslage in den 80ern im Osten Deutschlands. Einzig die Farbgebung trägt einen Touch französischen Impressionismus‘ bei. Sommer, Sonne, See; nichts kann die Idylle trüben. Die Jugend liegt am Strand. Ein Paar taucht auf. Es sind Anna und Georg. Am Strand sitzt einsam der verliebte Paul. Er hat einen Liebesbrief an sich von Anna gefälscht. Er drückt den Georg in die Hand, während Anna gerade nicht da ist. Georg ist bereit, Anna abzugeben, wenn Paul ihm eine andere verschafft. Paul zeigt spontan auf ein Paar Punks. Georg geht hin, unterhält sich kurz, entnimmt dem Rekorder die Kassette mit (verbotener) Rockmusik. Er entfernt sich, die schwarzhaarige Frau hinter ihm her. Paul kann jetzt die freigewordene Anna küssen. Der Pakt, den sich Georg für diesen Frauenverzicht ausbedungen hat, war der, dass er, sollte er je zurückkommen, Anna wieder so erhält wie sie jetzt ist. Sie ist blühend hübsch.

Die Wege der beiden Freunde trennen sich, kreuzen sich Jahre später im Westen Deutschlands. Paul ist mit Anna verheiratet und hat eine erwachsene Tochter, die ihrer Mutter aus der DDR-Zeit an Schönheit nicht nachsteht. Paul arbeitet auf einer Bank. Er ist in spekulative Rohstoffgeschäfte involviert und verdient so gut, dass er sich ein herrschaftliches Gebäude als „Jagdschlösschen“ kaufen kann.

Eines Tages wird ihm Georg als neuer Chef vorgesetzt. Georg ist mit dem Punkmädel von damals verheiratet. Der Pakt ist nicht vergessen. Das Drama kann sich in kammerspielmäßig ruhigem Ton entwickeln. Seine Ingredienzien sind ein Erpresserfoto, das Paul mit seiner Assistentin in verfänglicher Situation zeigt und das sein vertrautester Mitarbeiter Daniel partout nicht als Fälschung entlarven kann; eine Jagdgesellschaft; ein Anschlag auf eine Kupfermine in Burkina Faso; die hübsche Tochter Emilie von Paul, die Begabung in Gitarre und Gesang zeigt und für die Georg, der früher Musikproduzent war, von Interesse ist; die Geburtstagsparty für Emilie bringt alle Beteiligten des Konfliktes zusammen, spitzt das Drama radikal zu und löst es schließlich abrupt und überraschend auf.

Briefe spielen eine Rolle wie im guten alten Bühnendrama. Durch den Verzicht auf realistische Charakteristika bei den Figuren tritt deutlich das Modellhafte an dem Fall zutage. Wie ein Doktor Faust vor seiner Wandtafel referiert Denis Dercourt seinen Fall, der zwar in Form eines spannend gebauten Vortrages daherkommt, aber in seiner Gesamtheit eher ein Abstraktum bleibt, ein gepflegtes Arthouse-Produkt, Arthouse-Confiserie mit klassischer Salonmusikbegleitung – des Regisseurs erstes Studium war Bratsche, die er hier kenntnisreich einsetzt, um seinem Vortrag über einen modellhaften Ur-Liebes-Konflikt eine Feierlichkeit zu verleihen; in welcher besonders die deutschen Schauspielerinnen mehr Charme und Sinnlichkeit entwickeln als in ihren deutschen Filmen, bis auf Sophie Rois als Yvonne, die die Negativeinstellung des DDR-Punks nahtlos in ihr westdeutsches Erwachsenenleben hinüberrettet.

Zwei Leben

Eine schaurig-schauderhafte Geschichte, die uns Georg Maas, der mit Christoph Tölle auch das Buch geschrieben hat, hier auftischt, ein schauderliches Stück Kino, ständig hin- und hergerissen zwischen Horror und Melodram.

Den speziellen Kick erhält dieses Teil dadurch, dass es auf Tatsachen beruhe und nicht auf Erfindungen – wobei im Abspann zu lesen ist, dass einige Dinge nie aufgeklärt worden sind. Die haben die Autoren gezwungenermaßen nacherfinden müssen, was man ihnen auch ansieht.

Es geht auf die Nazizeit zurück. In Norwegen haben Nazis mit Norwegerinnen schätzungsweise 11.000 Kinder gezeugt, so das Presseheft. Diese wurden als „von gutem nordischem Blut“ für „hochwertig germanisch“ und „rassisch wertvoll“ erachtet. In Kinderheimen mit dem Namen „Lebensborn“ wurden diese Kinder „zur Förderung des germanischen Erbgutes für das Deutschtum“ untergebracht und aufgezogen, nachdem sie ihren Müttern weggenommen worden waren.

Etwa 250 von diesen Kindern seien nach Deutschland ins SS-Kinderheim „Sonnenwiese“ verschleppt worden. Dieses lag auf dem Gebiet der späteren DDR. Nach den Nazis kommt jetzt die Stasi ins Spiel. Die hat versucht, angeregt durch Ausreisegesuche solcher Kinder, die ihre Mütter suchten, Agenten in den Westen zu einzuschleusen. Hochkompliziert alles und nicht einfach nachzuerzählen.

Um eine derart angeworbene Agentin handelt es sich bei unserer Hauptfigur. Die wurde mit falscher Vita und unter falschem Namen nach Norwegen eingeschmuggelt. Sie fand ihre vermeintliche Mutter. Die wird gespielt von der großen Liv Ullmann, die auch wirklich ihre Tochter anschaut in den Momenten der Wahrheit. Ihre vermeintliche Tochter, also die DDR-Agentin, heiratet einen U-Boot-Kapitän, wird Mutter einer Tochter, und der Film versucht, uns das glückliche Familienleben mit belanglos nacherfundenen Familienszenen rüberzubringen, die eben nur erzählen, hier möchte ein Filmemacher ein glückliches Familienleben „zeigen“. Was als Ausgangslage für einen Konflikt und eine dramatische Handlung denkbar ungünstig ist.

Wie denn sowieso mehr Arbeit auf das Drehbuch hätte verwendet werden müssen. Um einerseits die geschichtliche Information plausibel verdaubar für den Zuschauer rüberzubringen, andererseits speziell die Rolle dieser Agentin, dieser Figur aus purer Falschheit zuerst einmal mit Sympathie aufzuladen, was hier nicht passiert, mit Empathie zumindest, um anschließend beim Entblättern der Wahrheit eine umso drastischere, horriblere Wirkung zu erzielen. Das passiert hier nur über die Besetzung.

Auch das sorgsame Aufrechterhalten dieser Fassade, denn es ist kaum zu erwarten, dass sie die falsche Grundlegung ihres „Glückes“ je vergisst, gerät dadurch außer Acht. Das wäre vielleicht ein Duktus ähnlich vergleichbar mit dem Sonderduktus eines Alkoholikers, der nicht auffallen möchte und der sich an seinem etwas deutlicher beherrschten Gang als dem seiner Mitmenschen verrät. Solche Arbeit an der Rolle scheint allerdings nicht geleistet worden zu sein. Vielmehr wirkt es so, als hätte ein Fundstück aus der Nazizeit, ein brisantes ohne Zweifel, als Vorwand für eine Degeto-Bedröppel-Geschichte mit zäher Musiksauce drüber herhalten müssen.

Juliane Köhler spielt diese Hauptfigur. Wie stellt sie diese kaum spielbare Person der Katrine Evensen Myrdal nun dar? Mit viel falschem Lächeln in der ersten Phase des Familienglücks, mit nervösem Reiben der Fingerkuppen aneinander bei manchem Textaufsage-Stellen in dieser falschen Rolle der erschlichenen Tochterschaft von Liv Ullmann oder mit deutlichem Widerwillen gegen das Kanu, das sie aus dem Wasser hieven muss, da zu ihrem falschen Leben auch das Kanufahren gehört – und mit vielen irren Blicken, teils mit aufgerissenen Horroraugen und nach und nach immer mehr schuldhaft bedröppelten Blicken, je mehr ihre grausige Vergangenheit an den Tag kommt. Wenn sie aus der Panik aufzufliegen in die ehemalige DDR zurückkehrt und mit schwarzer Perücke unerkannt bleiben möchte, könnte man sie für eine Beate-Zschäpe-Verkörperung halten.
Frau Köhler spielt diese Katrine wie eingesponnen in diese falsche Welt; als ob sie diese Welt gar nicht richtig wahrnehme.

Alles Schwindel (TV, ARD)

Albert Wolf ist Museumswächter in Wien. Er langweilt sich in seinem Job und fängt an zu zeichnen. Er entdeckt sein Talent. Er fängt an Bilder aus dem Museum zu kopieren. Mit einem Kollegen macht er die Kunstwerke zu Geld, um sich eine schöne Wohnung und seiner Tochter eine erstklassige Ausbildung zu leisten. Er hat von Klimt den „Kuss“ kopiert und hängt die Kopie in das Museum, während er das Original in seinem Schlafzimmer hinter einem Vorhang verbirgt. Jetzt plant er mit dem Kollegen den Diebstahl seiner Kopie aus dem Museum. – Das, also wie aus einem unbescholtenen Biedermann ein Krimineller wird, könnte eine spannende Geschichte sein. Aber die Autoren Uli Brée, Gabriel Castaneda, Rupert Henning bringen diese Geschichte nur als extraterritorialen Beipackzettel in ihrem Drehbuch unter in Form von Sprechtexten der Darsteller und nicht filmisch spannend aus dem Charakter der Hauptfigur entwickelt. Das Skelett dieses Filmes, ohne welches er wohl in sich zusammenbrechen würde, als Exoskelett, als Fussnote reingeschmuggelt.

Im Falle von Albert Wolf (Figurcharakteristikum: fataler Hang zu Herzinfarkten), wird dieses grundlegende Defizit des Drehbuches allerdings einigermaßen aufgewogen durch die Besetzung mit Udo Samel und seiner runden, rundlichen Darstellung, in jeder Sekunde stimmig und glaubwürdig. Auch ist er ein guter Gauner, denn er tut es für seine Tochter Isabella gespielt von Ursula Strauss, die es mit der Schönheit der Klimtfrau aus dem „Kuss“ spielend aufnimmt. Ihr Charakteristikum ist ein Dauerniesen wegen ihres Mohair-Schals. Sie scheint dabei zu sein, in Paris eine wichtige Modedesignerin zu werden, die bald ihre eigene Linie auf den Markt werfen wird, auch letzteres lediglich Erklär-Info.

Allerdings wiederholen die Autoren ihren gravierenden Konstruktionsfehler bei der zweiten Hauptfigur, welche als solche schon problematisch ist, denn zwei Hauptfiguren erträgt kaum ein Film, hier aber vermutlich nicht direkt den Autoren, sondern dem Koproduktionsmodell von ORF und ARD geschuldet und also mit einem deutschen Schauspieler besetzt, der vom Outfit her gestylt ist wie Prinz Charles und ein farb- und makelloses Hochdeutsch spricht adäquat der Langweiligkeit des britischen Prinzen. Das Drehbuchdefizit wiederholt sich, indem auch hier die Vorgeschichte im Beipackzettel serviert wird: der Adlige ist geschäftlich eine Niete (wo er ein Ass sein könnte bleibt im Dunkeln), die Schreibmaschinenproduktion und sein Schloss sind hoch verschuldet. Benno Fürmann allerdings, der mit dieser Rolle des Grafen Leopold von Hohensinn betraut worden ist, vermag es nicht, die Drehbuch- (und später sicher auch: Regie)defizite zu kompensieren, da helfen auch Ansätze von gekünsteltem Stottern nicht; er spielt anfangs primär im Untertext: ich bin der Star. Das verwässert sich zusehends in Möchte-Gern-Lustig-Kollisions- und Einbruchsszenen in der Art von schlecht geprobtem Kindertheater ohne jeden Aussagewert im Sinne des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags.

Die Rekonstruktion der Geschichte, ausgehend von Albert Wolf, würde also so weitergehen, dass der Diebstahl des Klimt-Gemäldes Schlagzeilen macht und dem hochverschuldeten Leopold wie ein Geschenk des Himmels erscheint: denn mit der Versicherungssumme in dreistelliger Millionenhöhe wären alle seine wirtschaftlichen Probleme gelöst und er könnt vom mühsamen Konstrukt der Adaption eines zwielichtigen Russen als Adoptivsohn zurücktreten, welches einer der Anfänge des Filmes aus heiterem Himmel ist. Im Film ist die Figur Leopold sogar so dumm (und dumme Figuren sind selten attraktiv in Filmen), dass er den Rücktritt von der Adoption gleich vollzieht ohne sich über die Details des Versicherungsgeldes kundig zu machen. Wieso dem so ist, dass das Bild nämlich eine Dauerleihgabe der adligen Familie an das Museum ist, auch diese extraterritoriale Geschichte entnehme der Zuschauer bittschön einem der anstelle von Spielhandlung inkludierten Beipackzettel-Dialoge.

Von der Aufgabe einer Rekonstruktion der Geschichte durch den Zuschauer muss insofern gesprochen werden, als die Autoren den Strang mit Leopold, der in der ersten Geschichte ja erst in dem Moment akut wird, wo der Diebstahl des Gemäldes publik wird, diese zweite Geschichte schon viel früher dem Fernsehmodus der Kurzatmigkeit und des Asthmas huldigend in den Film einfädeln. Die Chance, die zweite Geschichte und deren Verwicklung in die erste elegant wie ein Stoß mit einer Billardkugel in Gang zu setzen, wird hier vertan.

In die erste Geschichte ist also die hübsche junge Frau eingebaut und in die zweite ein Tunichtsgut von halbjungem Adligem. Logisch, dass die junge hübsche Frau und der Adelige Tunichtgut bald schon zusammenprallen müssen – und das ist vorhersehbar inszeniert, ohne Witz, ohne Überraschung.

Haben die Autoren nun schon geworgt und gebogen, dass die Balken ächzen, um den Plot ohne klar Hauptfigur zusammenzustöpseln und mit dem einen oder anderen gut gemeinten Joke anzureichern, so wird die Regie von Wolfgang Murnberger vollends zum Drama, a) weil ihm die Produzenten zu wenig Drehzeit und also Geld eingeräumt zu haben scheinen, damit er sorgfältig inszenieren kann oder b) weil es ihn schlicht nicht interessiert hat und das schmerzt hinsichtlich des guten Namens, den er sich mit „Silentium“ oder „Der Knochenmann“ gemacht hat, außerordentlich. Hier ist alles nur Routine, schnelle, lieblose Routine. Die Schauspielerei wie Kasperltheater beim Einsteigen ins Schloss oder beim Bruch in die Wohnung von Wolf durch Leopold mit Kletterseil umgebunden rittlings in die Badewanne kippend.

Das wird fernsehgerecht – also nicht spannungserzeugend, sondern Auge und Geist lediglich beschäftigungstherapeutisch in Beschlag nehmend, damit der Geist aus dem Stückwerk von Szenen wenigstens ein Sachverhaltsskelett nachbauen kann, zubereitet; der Zuschauer solchermaßen abgelenkt, wird um den Genuss der Zwickmühlen der Figuren innerhalb ihrer schwindligen Lebensentwürfe und Taten, ihrer Tricksereien gebracht. Der Zuschauer wird lediglich rekonstruktiv beschäftigt statt erkenntnisgewinnend durch Überraschungen.
Der Titel allerdings, der stimmt durchaus und sowieso für den Charme des Österreichischen, in welchem das kalte Hochdeutsch von Graf Leopold besonders uncharmant wirkt.

Um abzulenken von den Schwächen von Drehbuch und Regie darf die dekorative Zutat zum untauglichen Fürstensohn, dessen demente Mutter Gloria, Bibiane Zeller, immer wieder TV-Werbung schauen, vom Zyklon-Staubsauger über die Bauchmuskelwerbung bis zur Kreuzworträtselfrage „prominenter Deutscher mit 9 Buchstaben“, fernsehtechnisch gesehen steckt dahinter vermutlich satirische Absicht.

Eine Brücke in die Welt (TV, BR)

Langzeitdokumentation als solches ist schon etwas Faszinierendes: Menschenentwicklung im Zeitraffer und mit nicht garantiert vorhersehbarem Ende. Maria Knilli (Redaktion Thomas Sessner) hat sich für ihre Langzeitdokumentation eine Schulklasse der Waldorfschule bei Landsberg vorgenommen. Seit 2007 begleitet sie die Schüler und ihre Klassenlehrerin, denn diese bleibt einer Klasse 8 Jahre lang in dieser Funktion erhalten. Hier nun der zweite Teil der Doku. Die Kinder sind anfangs 9 und am Ende 12 Jahre alt. Sie stehen am Übergang von der Kindheit zum Jugendlichen. Am augenfälligsten ist das hier zuerst allein am Volumen, was die Klasse anfangs des Filmes und am Ende des Filmes im Klassenraum einnimmt; es hat deutlich zugenommen.

Maria Knilli geht sehr klug vor, hat das Vertrauen zur Klasse und der Lehrerin längst gewonnen; sie stellt auch nicht einzelne Schüler als Stars in die Mitte; das ruhende Zentrum ihres Filmes ist die Klassenlehrerin Umbach, eine berufene, eine geborene Pädagogin. Genauer gesagt: eine geborene Waldorfpädagogin. Sie macht den Film zu einem klaren Votum für diese Schulphilosophie. Und das wird jetzt vor allem spannend, man möchte am liebsten sich zeitlich die nächsten drei Jahre vorausbeamen lassen und schauen, wie das ausgeht im dritten Teil. Einerseits die Rudolf-Steiner-Welt, die Goethe-Welt mit ihren Metamorphosen der Pflanzen, mit ihrer Tradition des Schultheaters, des Musischen, des Respektes vor den Menschen; auf der anderen Seite diese Kinder, die anfangen Jugendliche zu werden, Ablehnung gegen die Autoritäten zu empfinden, die einem enormen Einfluss der technischen Medien ausgesetzt sind (die haben in der Waldorfwelt nichts zu suchen); denen als übernächste Stufe eine Welt des gnadenlosen Wettbewerbes (der nicht weniger werden dürfte) in Handel, Industrie, Fabrikation, Wissenschaft, Management ausgesetzt sind, einer Welt des Diktates der Ökonomie, einer Welt des Mobbings, der Intrige, der Feinseligkeit.

An der Waldorfschule aber gilt der Gedanke des Miteinander, keiner soll ausgebremst werden. Jeder hat seine Qualitäten. Es gibt am Ende der ersten Schuljahre nur Wortbeurteilungen und die Versetzungsfrage stellt sich nicht. Die Schüler sollen Vertrauen in sich gewinnen. Sie sollen durch Üben die eigenen Grenzen erweitern. Sie sollen ihr Identität entwickeln können.

Als symbolische Vergegenständlichung des langen gemeinsamen Entwicklungsweges unternimmt die Klasse in den acht Jahren eine Etappenwanderung von Landsberg nach Venedig; die wiederum die soziale Struktur in der Klasse ganz schön durcheinanderwirbeln kann.

Der Titel dieses zweiten Teils der Langzeitdoku bezieht sich auf das Bild, dass die Eltern in die Selbstverwaltung der Schule und durch viele Veranstaltungen in den Entwicklungsprozess integriert werden; was als Pfeiler der Brücke interpretiert wird, über die der Weg der Kinder in die Welt hinaus führt; eine Brücke, die sie brauchen in einer Zeit enormer seelischer Veränderungen, in der heftige Krisen auftreten können. Bemerkenswert auch, dass die Pädagogin nicht von körperlichen Veränderungen spricht.

Ob die Gitarrenzupferei zur gelegentlichen Untermalung der Bilder nötig gewesen wäre, sei dahin gestellt.

Diese Landsberger Idylle hebt sich deutlich ab von Berichten über Lehrer mit frühem Burnout, mit riesigen Disziplinproblemen mit den Schülern. Davon ist im geschützten ländlichen Landsberg nichts zu spüren. Eine heile Welt?