Dieser mit staatlichem Geld hochgeförderte, filmtouristische Ausflug nach Marokko schmort im eigenen, deutsch-intellektuellen Saft.
Caroline Link möchte in Marokko eine Vater-Sohn-Beziehung behandeln, verpasst aber die Einfahrt. So entstehen teils Bilder, wie wir sie im Kino von Marokko erwarten. Und am Schluss findet der Kitsch am Meer ein Ende. Da sind schon zwei Stunden vorbei.
Kitsch, weil Caroline Link uns suggeriert, sie möchte einen Vater-Sohn-Konflikt behandeln, sie es aber nicht kann. Kitsch, weil es keinen Vater-Sohn-Konflikt gibt, weil auch der Sohn keinen die Dramaturgie des Filmes anheizenden Konflikt hat. Er hat lediglich keine Beziehung zu seinem Vater. Der Vater hat sich nie um ihn gekümmert (das wird in einem Spiel deutlich, wenn der Sohn bei einer Fahrt mit dem Vater durch die Wüste sich eine Papiertüte über den Kopf stülpt und der Vater Gesichtsmerkmale von ihm aufzählen soll; ein Spiel was vielleicht eine Sozialpädagogin mit einem gestörten Kind inszenieren würde, nie aber ein Junge von sich aus mit seinem Vater).
Vor allem müsste man das erzählerisch vorbereiten, die Ängste, die Hoffnungen, die Erwartungen vor so einer Begegnung. Nichts davon bei Frau Link. Da gibt es ein langes, unergiebiges Vorspiel im bayerischen Voralpenland, damit die hiesige Filmförderung in Anspruch genommen werden kann. Bei einer Oscarpreisträgerin schaut offenbar kein Förderer ins Buch, ob sie überhaupt eine kinotaugliche Vorlage bietet. Und wenn Frau Link noch mit Herrn Bierbichler aufwarten kann, so muss wohl von einem Filmförderautomatismus gesprochen werden, den die Regisseurin gnadenlos ausnutzt. So darf Bierbichler hier als Schuldirektor eines voralpenländischen Internats ein paar Sätze sagen, die die Abwesenheit einer klug vorausschauenden Dramaturgie kompensieren soll. Er wird völlig grundlos am Tag der Abreise in die Ferien aus der Masse der Schüler Ben, den Protagonisten des Filmes, dem die Filmemacherin seinen Grundkonflikt vorenthält, zu sich bestellen und ihn fragen, was mit ihm los sei, er hätte ja was drauf, und ein Text, den er geschrieben hätte, habe dem Leiter der Schule gefallen. Und was er mache im Sommer und er werde sicher gute Erfahrungen machen, er solle was machen aus seiner Marokko-Reise (der Schauspieler als verquälter Ersatz für Unfähigkeit der Autorin, Geschichten erzählen zu können?). Bierbichler wird sich vor allem gesagt haben, das gute staatliche Geld, das lass ich doch nicht am Wegrand liegen.
Dass dem so gewesen sei, (weil das Drehbuch es sich so ausgedacht hat und zum Beweis des Konsequenz der theoretischen Korrektheit des Drehbuchdenkens der Regisseurin), wird er später dem Vater gegenüber anführen dürfen. Nun hat Caroline Link diese Hauptrolle, der das Elementare zu einer Hauptrolle fehlt, nämlich ein Grundkonflikt, mit einem jungen hübschen Mann besetzt, der weder Fisch noch Fleisch ist, der in der Nacht vor dem Ferienbeginn mit einem Schulkameraden die Landschaft beobachtet in stummer Zwiesprache mit der Natur, und der nicht so recht weiß, was er will.
Ben wird nun von seiner Mutter zum Vater nach Marokko geschickt, der dort deutsches Theater aufführen darf. Kultureller Austausch. Wem es bisher noch nicht aufgefallen ist, dem dürfte spätestens jetzt klar werden, wir sind in einem kulturellen Milieu. Das hat aber weiter keine Bedeutung. Es gibt zwar eine Theaterszene zu sehen, eine Tochter scheint umgebracht zu werden, aber was hat das mit dem Film zu tun.
Was hat das mit der Vater-Sohn-Beziehung zu tun, die eine Nicht-Beziehung ist? Die aber zu einer merkwürdigen Kameraderie zurechtgebogen werden soll; allerdings erst im letzten Viertel des Filmes, nachdem der Filius mit der Prostituierten Karima, die in den unmöglichsten Moment lacht oder lächelt, völlig unmotiviert abgehauen ist, nachdem ihm das Insulin, das er sich spritzen soll (Angelpunkt für die Empathie des Zuschauers?) ausgegangen ist und ihm auch Karima, die ihn in ihrem Dorf in den Frauenkreis ihrer Mutter aufgenommen hat, abhanden gekommen ist.
Es wird einsam um Ben. Aber so richtig nimmt sich Caroline Link nicht die Zeit, das zu zeigen, denn wir brauchen touristisch schöne Aufnahmen von Wüste und Schneebergen, von Souks und Puffs, von Luxushotels und Luxushotel-Investitions-Ruinen, von Ziegen und Kamelen und Händlern und Teppichen und Märkten und immer wieder der Muezzin, der einmal sogar in akkuratem Englisch übersetzt wird, damit wir hier endlich ein Verständnis für den Islam intravenös verpasst kriegen – noch so ein pädagogischer Impetus.
Schließlich findet der Vater den Sohn, obwohl doch die Karriere seine Anwesenheit bei den Gastspielen in Fez und Rabbat erfordert. Trotzdem erfahren wir vom Vater wenig; wie geht er um mit den Anfechtungen durch Protagonistinnen, ist er liederlich oder treu zu seiner neuen Frau? Es wird auch nicht klar, wieso er plötzlich so besorgt ist um seinen Sohn und ihm nachreist. Aber der Kopf der Drehbuchautorin wollte unbedingt eine Situation herbeiführen, wo die beiden sich ausgeliefert sind. Was bietet sich in Marokko mehr an als eine Fahrt im Auto durch die Wüste?
Und dann, noch so ein Sozialpädagogikexperiment, lässt der Vater, der doch gar nichts von seinem Sohn weiß, den Sohn ans Steuer. Der ist selber noch nie Auto gefahren. Und schon da ist klar, dass die beiden verunfallen werden. Aber der Sohn fährt los, als hätte er nie was anderes getan, erschrickt sogar die Beduinen am Pistenrand. Der Unfall passiert, jetzt wo er Logik hätte, nicht. Dazu muss der Sohn erst kotzen und Kola trinken und sich auf die Hinterbank legen. Dazu muss der Vater wieder ans Steuer. Dazu muss einem merkwürdigen TV-Realismus huldigend eine serpentinenreiche Straße her, damit die beiden endlich, mei das hat aber jetzt eine Ewigkeit gedauert, die Leitplanke durchbrechen und den Abhang runter rasen können.Nichts gegen einen solchen Suspense – wenn er denn genutzt würde, um Erhellendes, Vertiefendes, Aufregendes zum Thema zu erzählen. Das aber passiert hier nicht.
War die Heranführung an den Unfall ätzend langsam und nichtssagend, so stolpert die Geschichte jetzt schier über die eigenen Füße vor lauter Eile. Sohn kriecht heraus, rüttelt kurz am Wagen, so macht man das in Marokko oder bei Frau Link, müht sich den Abhang hinauf und murmelt in einer Tour, er müsse jetzt Hilfe holen.
Jetzt muss alles nur noch zum glücklichen Ende am Meer zurechtgebastelt werden. Geeignet dafür hielt Frau Link die Methode, Szenen nur noch anzudeuten, anzuspielen, jetzt sind wir im Krankenhaus beispielsweise, um mit Fade-Out in Schwarz zu enden. Seiten schnell rumblättern, um zum Schluss zu kommen. Ziemlich nervend an dem Film finde ich dieses häufige Glöckchen-Gebimmel, das immer wieder in ganz schnellem, akzelerierendem Rhythmus wie bei der Pferdekutschenfahrt in schneebedeckter Landschaft auf kommende Großereignisse hindeuten will, die nie eintreffen und das Atemlosigkeit suggerieren möchte.
Der Film hat mir über weite Strecken das Gefühl vermittelt, einer Angelegenheit beizuwohnen, die nicht für mich bestimmt sei. Eine etwas verquere Meinung von Kino, wenn es so ein Gefühl, das schnell in ein Schuldgefühl sich ändern kann, überträgt. Außerdem spritzt sich der Junge ständig Insulin und jedes Mal wird deutlich, dass der Darsteller das sonst nie im Leben macht. Das sind Details, die, wenn sie nicht gut gearbeitet sind, nicht dazu angetan sind, dem Film ein gutes Renommee zu verschaffen.
Non-Plus-Ultra weltabgehobenen Intellektualismus‘, dass Ben der Nutte ein deutsches Lied vorsingen soll und er sich tatsächlich nicht entblödet, „Der Mond ist aufgegangen“ zu singen und damit der Zuschauer den Eindruck erhält, das Drehbuch sei durchdacht, wird das Motiv später noch einmal gesummt werden. Erinnerung an eine Nutte? Die Nutte ist aufgegangen. Über das Singen in vielen, neueren, geförderten, deutschen Filmen müsste einmal gründlich nachgedacht werden. Der Verdacht stellt sich allmählich ein, damit ist leicht und ohne Anstrengung Filmzeit zu schinden – denn die Förderung bleibt sich gleich, ob mit oder ohne Gesang. Wo gesungen wird, brauchst du keine Szene gründlich analysieren, brauchst du dir keine Gedanken über Konflikte und Dialoge machen. Und nicht in einem dieser neueren Filme hätte ein Lied eine Berechtigung gehabt als Nachhall zu einer intensiven Szene und Überleitung zu einer weiteren intensiven Szene.
Ein Film ohne jede Überraschung.
Ein Film mit hochmoralischem Zeigefinger. Hinweise auf Frauen hinter Gittern, auf hungrige Bettler vor feinem Restaurant, auf den Luxus der Europäer (den das Filmteam auf Kosten des deutschen Steuerzahlers bestimmt nicht verschmäht hat), auf eine eingemauerte Frau wegen eines Ehebruches, auf den Sport des Dünenskiings.
Ulrich Tukur spielt den Vater. Er macht das gut. Er macht aus der Rolle, was zu machen ist. Da sie aber vom Drehbuch her kaum Futter erhält, hat er nicht die Chance, den deutschen Intellektuellen kritisch durchleuchtend, womöglich leicht überhöht, verbindlich zu spielen, ihm den Spiegel vorzuhalten. Zu dieser Figur hat das Drehbuh kein Verhältnis.
Mit dem Fremdenführerverweis auf den Dreh von Bertolucci in Marokko tut sich der Film nun grad gar keinen Gefallen. Ja, Bertolucci, das war noch ein Filmemacher. Ist es noch, demnächst: „Ich und Du“, welche Lehrstunde über das Kino und das Kinoerzählen! Wie Bertolucci die Menschen hingebungsvoll beobachtet; der stülpt ihnen nicht ein theoretisches Konzept wie eine Papiertüte über den Kopf; der kann etwas über Menschen erzählen auch ohne Marokko.
Nach 90 Minuten etwa hat der lange Anlauf Vater und Sohn endlich in einem Zimmer zusammengebracht. Aber statt dass sie eine Spannung aufbauen mit Schweigen, mit nicht recht wissen, was sie sagen sollen, womöglich dass der Zuschauer gemeinsame Charakterzüge erkennen kann, da schwatzen sie drauf los, was das Drehbuch hergibt, was aber nicht als Übersprungshandlung inszeniert und erkennbar wird. Sie liefern die Vater-Sohn-Beziehung pünktlich ab. Schlimmer kann es nicht kommen. Zum Beispiel, dass der Vater ein Buch geschrieben habe „Gedanken über das Theater“ und der Sohn erwidert, er hätte in seinen Kurztexten auch ein Thema beschrieben, was er kenne, nämlich die kaputte Familie. Keine Details bitte. Das ist das Grundaxiom dieses Filmes.
Thema des Filmes (spekulativ): wie verbrenne ich auf die mir angenehmste Weise deutsche FilmFördergelder (Steuer- und Gebührengelder)? Dieses Trauerspiel haben hinter den Kulissen jede Menge von gebührenfinanzierten Fernsehsendern und steuerfinanzierten Filmförderern unterstützt und möglich gemacht, wobei nicht auszumachen ist, welcher Drehbuchlegastheniker als erstes das Drehbuch von Frau Link für drehreif befunden hat und in welcher Reihenfolge die Förderlemminge sich den Förder-Massen angeschlossen haben, denn wo Oscarpreisträgerin drauf steht, da kann unnöglich haarsträubender Dilettantismus drin sein: ARD Degeto (Christine Strobl, Stefan Lux, vertretungsberechtigte Geschäftsführer), Bayerischer Rundfunk (Intendant Ulrich Wilhelm), Westdeutscher Rundfunk (Intendant Tom Buhrow), Arte (Präsidentin Véronique Cayla), Studiocanal (Geschäftsführer Rodolphe Buet), FilmFernsehFonds Bayern (FFF) (Vorsitzender Staatsminister Thomas Kreuzer, Geschäftsführer Prof. D. Klaus Schaefer), Film- und Medienstiftung NRW (Vorsitzende Aufsichtsrat: Dr. Frauke Gerlach, Geschäftsführerin: Petra Müller), Filmförderungsanstalt (FFA) (Vorstand Peter Dinges), Deutscher Filmförderfonds (DFFF) (Staatsminister für Kultur und Medien Bernd Neumann), Unterstützung durch MEDIA PROGRAMM der Europäischen Union (Christiane Siemen, Geschäftsführung/Beratung).
Dieser mit staatlichem Geld hochgeförderte, filmtouristische Ausflug nach Marokko schmort im eigenen, deutsch-intellektuellen Saft. Caroline Link möchte in Marokko eine Vater-Sohn-Beziehung behandeln, verpasst aber die Einfahrt. So entstehen teils Bilder,...