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Alphabet

Jeder Mensch ist von Natur aus ein Genie, aber was nützt es ihm, wenn er – bildlich gesprochen – im Death Valley zur Welt kommt, wo es nie regnet. Das Tal des Todes taucht ganz am Schluss des Filmes auf als Beweis für die Eingangsthese; einmal hat es nämlich geregnet im Death Valley und im Frühjahr drauf begann es dort heftig zu sprießen, Blumen über Blumen, ein Meer von Blumen im Death-Valley!

Was wäre eine Welt voller Genies, könnte man fragen nach diesem Film von Erwin Wagenhofer, dem Dokumentaristen, der schon mit „We feed the world“ und „Let’s make money“ sich globalen Themen angenähert hat. Er scheint jetzt selbst auf einer Schiene festgefahren, er scheint selbst, so wie es im Film als Negativbeispiel dargestellt wird, unkreativ geworden zu sein, sich aufs Prinzip festgelegt haben, um die Welt zu reisen, punktuell dokumentarisches Material zu sammeln, um im Kino ein globales Thema, hier das der Bildung des Menschen, der Erziehung, zu illustrieren.

Prinzipiell stehen sich, wenn auch nicht systematisch dargestellt, aber eben auch nicht mit der Freiheit, wie der vor den Nazis geflohene Arno Stern es in seiner wunderbaren Malschule in Paris seit Jahrzehnten mit Kindern praktiziert, zwei Lehren gegenüber: die schulische, die trimmende, die ehrgeizige, die Konkurrenzlehre und die freie à la Arno Stern oder à la Hirnforscher Gerald Hüther – die beide in ländlichen Idyllen zu hausen scheinen, à la anthroposophischer Ansatz, den Wagenhofer allerdings gänzlich ignoriert, gegen den beibringenden Ansatz, den der auf Leistung, Effizienz und Anpassung aus ist, wie ihn eine Gymnasiastin aus Hamburg beklagt oder wie er die erste halbe Filmstunde lang aus China rapportiert wird, zum Beispiel die regionale Vorentscheidung in der Provinz Sichuan für die internationale Mathematik-Olympiade.

Und immer wieder dreschen Herrschaften von McKinsey oder Mr. Pisa Management- und Bildungsanalysestroh.

Der Film dürfte sich vornehmlich an ein Publikum richten, was sich mit dem Thema Bildung beschäftigt und was gerne Zeit mit dem Thema in Seminarräumen verbringt oder er könnte möglicherweise in den Schulunterricht eingebaut werden und zu selbstreflexiven Diskussionen innerhalb unseres Bildungssystems führen.

Was aber Erwin Wagenhofer mit diesem Film auch beweist, dass das Bildungsthema kinobildnerisch eher trostlos und unergiebig ist.

Andererseits könnte man sagen: Erwin Wagenhofer präsentiert uns Bildungsphilosophie- und praxispositionen wild und bunt durcheinander wie in einem Gartenbeet mit Wucherblumen; er versucht einerseits den freien, den genialen Ansatz zu praktizieren. Aber der kommt wiederum merkwürdig wenig genialisch rüber; weil doch zu viel ausgefahrene Dokumentarstruktur sichtbar wird, auch wenn er diese punktweise zu konterkarieren versucht, indem die Gesprächspartner beispielsweise erst kurz bevor sie abgespielt sind, vorgestellt werden; indem er die Bildungs- und Lehrräume gerne als Leerräume zeigt, bevor die Seminarteilnehmer oder Schüler sie füllen.

Vom Standpunkt der ökonomischen Produktion aus allerdings könnte eingewendet oder als positiv bewertet werden: der Film will den Menschen Hoffnung machen, auch wenn Patrick aus Dortmund, der als Security-Mann für 8 Euro pro Nacht arbeitet, als hoffnungsloses Gegenbeispiel herhalten muss, dass, wie auch wissenschaftliche Reihenuntersuchungen über Jahre an Heranwachsenden gezeigt haben, der Mensch von Natur aus ein Genie, also frei sei und dass je älter er wird, der Prozentsatz von Genies eines Jahrganges drastisch sinkt; dank Anpassungs- und Lernleistungsdruck. Solche Aussagen wirken allerdings anhand der Probleme unserer modernen Industriegesellschaften (Thomas Satttelberger ein ehemaliger Personalchef riesiger Firmen wie Mercedes, Telecom, Continental würde am liebsten einiges an dieser erstarrten Bildungskultur erst mal zertrümmern) doch eher als gut gemeintes Geschwätz in wissenschaftlichem Mäntelchen weit abseits der Lebenspraxis.

The Human Scale

Eine Dokumentation von Andreas M. Daalsgard über das Denken des Architekten Jan Gehl zum Städtebau, der das Bewusstsein für städteplanerische Belange stärkt.

Jan Gehl reflektiert und plant seit 40 Jahren menschengerechte Städte. Die Städte sind für die Menschen da und nicht umgekehrt. Wir wissen mehr über Gorillas als darüber, was Glück in Städten bedeutet. Von den Stammesgemeinschaften zu den Kleinfamilien und Singles. Sehr graphische Fotographie, Bilder von Verkehrs- und Passantenströmen, von Routen. Spannende Doku mit Städteplanern.

Erst formen wir die Städte, dann formen sie uns. Corbusier, der Modernismus und die Abtötung des Lebens. Rasante Urbanisierung in China innert einer Generation. Die Hutongs, die alten chinesischen Nachbarschaften. Pendlerstress. Einsamkeit.

Man misst das, was einen interessiert.
Kopenhagen. Entwicklung in den 60ern wie China heute. Erforschung der Bewegungen der Menschen. Jan Gehl studierte das. Autofreie Straßen. Plätze für öffentliches Leben.
2007 kamen diese Erforschungsmethoden nach New York. Robert Moses: Entwurf großer Straßen, rational, funktional. Aber das machte die Stadt nicht lebenswert. Sie hatten keine quantitativen Methoden, das Leben der Fußgänger zu untersuchen. Nur Autos. Datensammeln über die Bewohner. Neue Vorschläge gegen Alltagsroutine. Fußgängerzone Times Square. People want a different lifestyle. Schneeballschlacht am Times Square.
L.A.: einen Tag im Jahr sind die Straßen autofrei.

Wie macht man mit weniger mehr? Chongcing. die am schnellsten wachsende Stadt in China. Zentrum liegt wie Manhattan auf einer Halbinsel. Neue Fußgängerwege. Fußgängerrouten in der Innenstadt. Suche nach kleinen, freien Räumen, um sie zu öffentlichen Räumen zu machen. Sitzen, Kartenspielen, Handeln.
Siena 1965. Hier fing Gehl an zu forschen. 5 Km pro Stunde (Fußgänger); 60 Km pro Stunde (Auto), braucht viel Platz.
Melbourne. Der Traum vom raumfressenden Landhaus mit 2 Garagen; das war einmal. In den 80ern war Melbourne praktisch ausgestorben. Das Leben etwas Organisches, was dort entsteht, wo man es nicht erwartet. Die Gassen, damals die dreckigsten Ecken. Die Einführung der Cafés, von 2 auf über 500.

Wir steuern auf ein selbstgeschaffenes Chaos zu.
Dhaka, Bangladesch. Wachstum jährlich 6 – 7 Prozent. Die am schnellsten wachsende Stadt der Welt. Aktivisten haben Gehls Buch übersetzt. Zahlen sammeln über Fußgänger etc. Nicht nur Reiche und Mittelschicht in Planung einbeziehen. Man hat sie nicht berücksichtigt, aber sie sind immer noch da. Wo sollen die Prioritäten sein. Weltbank zahlt für Zehnjahresplan. Straßenentwicklung. Socially unfair. Protestgruppen. Zu viele Verkehrsunfälle mit Fußgängern als Opfer. Mehr öffentliche Verkehrsmittel. Erdbebenproblem, Grundwasserproblem, Versiegelungsproblem. Wir müssen Städte planen, in denen die Kinder sich bewegen können.
Eine menschenfreundliche Stadtplanung ist nicht teuer.
Christchurch, Neuseeland. Erdbeben von 2011. Meiste Opfer in Hochhäusern und Innenstädten. Zerstörung der Lebensqualität. Rote Zone. Bis zu 1500 Gebäude müssen abgebrochen und ersetzt werden. Gehl / David Sinn besuchen Christchurch im Schock. Einbeziehung der Öffentlichkeit. 106’000 Ideen für die Neugestaltung. 100 Leute angestellt um das zu sichten. Keywords. Niedrige Gebäude, Platz, kleinere Einkaufszonen, Gärten, eine Stadt für die Menschen. Stadt und die Erinnerung (es geht um Herz, Gefühl). Sechs Etagen am Rentabelsten. Aus dem Hochhaus geht man nicht so schnell raus. Lego als Ausgangspunkt für die Planung.

Wir can invite people
We can invite people to sit.
Werkzeugkiste für Stadtplanung ist unvollständig; kostet nichts bis gar nichts; denn der Mensch ist im Grunde genommen ein kluges Tier, das weiß, was es gern hat und mag.

Vive la France – Gesprengt wird später

Wie mit dem Handlungszwang eines Terroristen muss hier auf Biegen und Brechen eine Komödie auf die Leinwand gestanzt werden.

Die Filmemacher Bernardo Barilli und Dominque Gauriaud als Autoren und Michael Youn als Regisseur, haben dafür ein Land irgendwo zwischen Afghanistan und Kirgistan erfunden, ein urzeitliches Gebilde wie ein Germanendorf weitab von der Welt und jeglicher moderner Kultur. Hier gehört es zur guten Sitte, die Frauen schon beim morgendlichen Tanz heftig zu ohrfeigen.

Dieses Land, Taboulistan wird es genannt, leidet darunter, dass es von der Welt, die sie ja auch überhaupt nicht zu interessieren scheint, nicht wahrgenommen wird.

Der geniale Staatsführer hat nun die Idee, zwei Männer als Terroristen in Richtung Frankreich loszuschicken. Sie sollen ein Flugzeug entführen und in den Eifelturm donnern lassen. Eine recht krude Idee. Vom Vorbild 9/11 jeden substanziellen Background (Leiden unterm amerikanischen Imperialismus) ausgeblendet. Nur um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhalten.

Auf so einem dünnen Ziel lässt sich schwerlich eine spannende Komödie aufbauen. Für die zwei Terroristen werden zwei Komiker gestellt, die eine Art Urkomiker darstellen sollen und die immer in jedes Fettnäpfchen treten. Das wirkt innerhalb der vorgegebenen Mission merkwürdig unkomisch.

Dummerweise wird das Flugzeug, das sie nach Paris bringen und in den Eifelturm crashen soll, wegen Verstopfung der Luftstraßen und Streiks nach Korsika umgeleitet. Unsanfte Begrüßung in Korsika. Von einem Elend und Vorurteil geraten sie ins nächste.

Zum Beispiel trägt einer unserer zwei begnadeten Komiker ein Shirt, auf dem RTL steht, was in Frankreich mit Pro-Schwulität in Verbindung gebracht wird. Also setzt es Haue und Verfolgung. So geht es ständig weiter. Einer landet wegen einem gebrochenen Nasenflügel im Spital. Da wird ihm die Niere herausoperiert. Oder es geht um Missbrauch im Gefängnis, da sollen sie Fluffi und Kroko für den Gefängniswärter im Gefängnis spielen mit zwei voluminösen Kostümen, wie sie für die Werbung in Einkaufszentren benutzt werden. Dann eine abenteuerliche Flucht aus dem Gefängnis.

Das ist vielleicht das Hauptproblem dieser Möchtegern-Komödie, dass sie sich nicht für ein Thema entscheiden kann, will sie den Terrorismus auf die Schippe nehmen, das haben schon die Engländer mit zwei Deppen als Terroristen nicht besonders erfolgreich versucht, soll es um die Vorurteile gegen Immigranten und andere Nationalitäten gehen oder gar um ärztlichen Pfusch? Allein für letzteres ließe sich doch eine abgrundtief schwarze Komödie schreiben und inszenieren. Nichts davon hier. Sie lernen auch die guten Seiten von Frankreich kennen, das Essen und die Frauen und eine engagierte Reporterin. Und zu guter Letzt wollen sie gar nicht mehr sich selbst opfern. Vielleicht wollen sie vor ihrem Tod noch einen besseren Film machen? Die deutsche Synchro versucht am unteren Ende dieses tiefen Niveaus mitzuhalten.

Out in Ost Berlin

Ein teils kolorierter Blick auf die Regenbogen-DDR, auf die Stellung der Schwulen im Osten Deutschlands bis zum Fall der Mauer.

Zuerst war Schwulität verboten nach dem Paragraphen 175. Dann wurde der Paragraph aufgehoben, aber die sich formierenden Schwulenaktivisten wurden vom Staat ängstlich beobachtet und kontrolliert, so wie Bayern zur Zeit Flüchtlingstrecks einschüchtern will. Zum Schluss versuchte der Staat sich der Schwulen selber anzunehmen, sie in seine politischen Jugendbewegungen zu integrieren. Das sollte sich vielleicht Herr Putin, der ja in der DDR gewirkt hat, nochmals vor Sotschi 2014 in Erinnerung rufen.

Jochen Hick und Andreas Strohfeldt haben Buch und Regie für diese spannende Dokumentation übernommen, die wieder einen ganz eigenen Blick in die Vergangenheit Ostdeutschlands wirft und mit vielen Archivaufnahmen aufwartet in einem breiten Spektrum von Spielfilmszenen über öffentliches Material bis hin zum privaten Super-8-Film.

Einen Teil der Vergangenheitsbilder haben sie im Außenbereich koloriert, was ansprechend wirkt. Es gibt aber auch Aufnahmen aus der Gegenwart. Einzelne der Interviewpartner lassen sie durch das heutige Berlin spazieren. Oder Jürgen Liftin führt uns zu einem Wachturm, an dessen Fuß eine Gedenktafel an den Tod seines Bruders erinnert, des ersten DDR-Flüchtlings, der erschossen worden ist, und der „Puppe“ genannte wurde, weil er immer besonders hübsch gekleidet war; wobei Jürgen Liftin sich vehement dagegen wehrt, seinen Bruder als homosexuell zu bezeichnen.

Die rosa Lebenswirklichkeit in der DDR schildern prima ausgesuchte Gesprächspartner und -partnerinnen: Peter Bauersdorf, der seit 48 Jahren mit seinem Lebenspartner zusammenlebt und immer davon geträumt hat, ein Eheleben zu führen wie jedermann, unauffällig und angepasst; Marina Krug hat sich mit anderen lesbischen Frauen im Arbeitskreis „Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche“ organisiert, sie erlebte staatliche Verhinderung, wie sie im ehemaligen KZ Ravensbrück einen Kranz zum Gedenken an die lesbischen Opfer niederlegen wollte. Auch Klaus Laabs hatte sich politisch in der Homosexuellen-Bewegung engagiert, ebenso wie Christian Pulz, Marinka Körzendörfer, Michael Eggert, Peter Rausch, Bettina Dziggel, Michael Raimann.

Peter Tatchell stellte die Verbindung zu internationalen Aktivisten her; er wollte bei den Weltfestspielen in Berlin mit einem Plakat auf das Thema aufmerksam machen; aber seine britischen Landsleute hinderten ihn daran. Andreas Fux ist Fotograf und sollte aus diesem Grund für die Stasi die Künstler- und Schwulenszene fotografieren und ausforschen, was er nicht mit sich vereinbaren konnte. Eddy Stapel wurde das Priesteramt verweigert, weil er sich für die Ordination offen schwuler Priester einsetzte und war Mitpromotor der Gründung von Arbeitskreisen Homosexualität in fast jeder DDR-Stadt.

Informativ ist dieser Dokumentarfilm auch aus dem Grund, weil die Interviewpartner ein hochreflektiertes Verhältnis zu ihrer Geschichte haben und deshalb ungewunden zielführende Informationen beitragen können. Es gibt aber auch neue Begriffe zu lernen; eine Zeitlang wurden die Homosexuellen medizinisch schikaniert mit der Begründung der Erkennung von Geschlechtskrankheiten noch vor AIDS, so wurden sie in die „Tripperburg“ bestellt, wo sie sich für einen Abstrich auf einen gynäkologischen Stuhl, genannt die „Pflaumenburg“ (?), setzen mussten. Und so ganz en passant gibt’s zwischendrin eine schnelle Folgen ausgewählter sozialistischer Bruderküsse unter Spitzenpolitikern, lecker, lecker.

Kaiserschmarrn

Ein Sekundärunfall als Folge des Kulturunfalls „Filmförderung“, insofern als gerade mittelbegabte Figuren sich wohlig und relativ konkurrenzlos ernähren können in den geförderten Gefilden; somit Reserven und Beziehungen aufbauen, die sie für unsubventionierte Eigenproduktionen nützen können, um, wie hier vorexerziert, sich endlich als Protagonist anzubieten, die vermeintlich vom Subventionswesen nicht anerkannte Fülle des Talentes voll auszukosten, was hier allerdings nicht gut kommt.

Explizit: Ein gschaftlhuberischer Darsteller, der einen ungepflegten Schweizer Akzent hinrotzt, der dieser rundliche Kumpeltyp ist und im deutschen subventionierten Film ganz gut beschäftigt, sprich mit guten staatlich gegönnten Einnahmen versehen, scheint unglücklich darüber zu sein, dass er in diesem Subventionsteich immer nur Chargen spielt und keine Protagonistenrollen bekommt, wahrscheinlich nicht einmal die Chance auf ein Casting. Andererseits hat er aber beim subventionierten, deutschen Film genügend Geld verdient, dass er eine Low-Budget-Produktion mit noch einem Produzenten und dem mitproduzierenden Regisseur stemmen kann. Das scheint der reale Hintergrund für diese rotstichige Möchtegern-Parodie zu sein, die am Wörthersee spielt und für diesen gschaftlhuberischen Schauspieler mit dem ungepflegten Schweizer Akzent eine Möchtegern-Paraderolle bereit hält.

Ein sich unterschätzt fühlender Darsteller möchte sich als Protagonist empfehlen. Dazu möchte er die beiden Genres Pornofilm und Wörthersee-Heimatfilm als persiflierende Elemente zu einer Geschichte verschmelzen, eine Idee, die nicht ganz des Reizes entbehrt (Drehbuch: Daniel Krauss, Lasse Nolte). Der Darsteller möchte zwischen den beiden Genres ohne weiteren Rollenhintergrund hin und her springen und so seine Vielseitigkeit beweisen. Die beiden Figuren sind Alex Gaul und Zacharias Zucker.

Alex Gaul ist die erste der beiden Hauptrollen dieses gschaftlhuberischen Darstellers mit dem ungepflegten Schweizer Akzent. Der ist ein Pornodarsteller und seine Oma möchte, dass er einmal wenigstens ins richtige Fernsehen kommt. Wenn diese Grundsituation nun als solche solide und glaubwürdig eingeführt worden wäre, so ließe sich ja vielleicht etwas darauf aufbauen (Regie: Daniel Krauss).

Jedenfalls kleistert es die Dramaturgie des Filmes so zusammen, dass gleichzeitig bei seinem nächsten Dreh am Wörtersee, originelle Idee: der erste 3D-Porno, in praktisch derselben Location und demselben Hotel Zacharias Zucker, der Volksmusikstar einen Film fürs richtige Fernsehen dreht. Und – hackeliger und weniger charmant erzählt geht nicht – er es schafft, den Zacharias aus dem Spiel zu ziehen und als dessen Doppelgänger seine Position einzunehmen, um vollkommen zu versagen. Auch das könnte sogar ein Stück weit funktionieren, wenn auch dieses zweite Drehteam irgendwie glaubwürdig vorgestellt worden wäre und nicht mit dem dicken Etikett vor jedem Satz „Vorsicht Parodie!“.

Aber wo nichts aufgebaut wird, kann auch nichts demontiert werden; was aber offenbar die Absicht der Autoren war, ein Blick hinter die Kulissen zu werfen, die Allmacht der Redakteure zu karikieren, das Versagen des Schauspielers am Set, aber das passiert so unglaubwürdig, die Reaktionen von Mitspielern und Crew sind so übertrieben gespielt, dass die ganze Übung gewaltig in die Binsen geht.

Vielleicht hat sich’s im Buch ja noch irgendwie plausibel gelesen, was ich mir allerdings schwer vorstellen kann; andererseits scheint jeder halbwegs Gebildete auf ein Buch reinzufallen, in welchem vom V-Effekt von Brecht die Rede ist oder Shakespeare erwähnt wird oder gar ein Buch von Spinoza auf einem Nachttischchen sich befindet. So haben Grit Böttcher, Heinrich Schafmeister, Markus Knüfken, Ottfried Fischer, Ilja Richter, Hannes Jaenicke, Gerit Kling Rollen zugesagt.

Der einzige Moment allerdings, der kurz Empathie aufkommen lässt, der etwas von der Wörthersee-Stimmung, wie sie in Fernsehserien und Filmen gerne evoziert wird, rüberbringt (und das zu können, wäre ja die Voraussetzung für die Parodie) ist Günther Grauer als Portier wie er seinen Pornostarsong in einer Hotelzimmerflucht singt.

Der Grund, warum Genre hier nicht funktioniert, dürften die eingangs erwähnten Überlegungen zur Herstellung dieses Filmes gewesen sein: ein gschaftlhuberischer…. und entscheidet sich nicht nur für Genre, sondern gar noch für den Versuch der Parodie desselben; was allerdings auch aus dem Grund nicht gelingen kann, weil das Genre ja gar nicht beherrscht wird. Denn Genre heißt doch auch oder gar in erster Linie: mit einfachen Geschichten und Mitteln Geld verdienen wollen (siehe „Insidious, Chapter 2“). Aber dazu muss man was verstehen davon.

Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt

Die Grundlagen für diesen Spielfilm über den WikiLeaks-Gründer Julian Assange und seinen Kompagnon Daniel Domscheit-Berg waren die Bücher von Daniel Domscheit-Berg „My Time with Julian Assange at the World’s Most Dangerous Website“ und von David Leigh und Luke Harding „WikiLeaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy“.

Das Problem für den Drehbuchautor Joseph Singer war dramaturgisch insofern knifflig, als er aus zwei biographischen Büchern über zwei Hauptfiguren ein Drehbuch schreiben sollte/wollte. Bill Condon als Regisseur musste diese Dualität ausbaden. Das Material ist hochaktuell und brisant und ergibt unter diesen Umständen eine über zweistündige für den internationalen Markt intendierte Kinounterhaltung, die sich als Dokuthriller sieht und angereichert ist mit einer eher stereotypen Mann/Frau-Beziehung, den AgitProp nicht ganz auslassend: wir brauchen Mitstreiter, wir brauchen die Transparenz, die Offenheit im Netz, um Diktatoren ihr Handwerk zu legen. Wobei der Zwiespalt, sich zwischen Faktentreue, eben der Dokuhaltigkeit und dem Bürsten und Auslassen von Material hinsichtlich eines spannenden Thrillers zu einer Art Reportagehaftigkeit führt, die gelegentlich eher gedehnt als spannend wirkt; wobei am spannendsten die Entwicklung ist, die zur Veröffentlichung des brisanten Materials des Gefreiten Mannings führte und die Welt, die amerikanische Diplomatie, viele gefährdete Geheimdienstler in Aufruhr versetzte und als Thema wochenlang die Medien beherrschte.

Der Fall kommt im Film als der Höhepunkt vor. Aber bis es so weit ist, wird meines Erachtens viel zu ausführlich der Weg dahin geschildert. Und auch viel zu viel Energie darauf verwendet, das Milieu der Computernerds stimmungsvoll mit vielen Bildschirmen und Computerclub-Konferenzen und die Suche nach Mitstreitern von Assange verwendet; was allerdings hervorragend gelingt.

Hier im Film, da Daniel Domscheit-Berg auch einer der Autoren eines der zugrunde liegenden Bücher ist, wird auch viel Filmzeit auf ihn verwendet. Und natürlich auf seine Beziehung zu Assange, der zusehends irrationaler wurde. Aber keiner ist so richtig die Hauptfigur.

Daniel Brühl spielt Daniel Berg und beweist zusehends internationales Format. Das fällt besonders auf im Hinblick auf deutsche Zubesetzungen, die hier in Deutschland große, lokale Subventions-Heroes (Milberg und Selge) sind, und die in ihren kleinen Auftritten sich fragen lassen müssen, ob sie das nötig haben und ob sie damit Profil gewinnen.

Gut mithalten auf diesem internationalen Parkett können von den Deutschen lediglich Michael Kranz als Otto und Moritz Bleibtreu als Marcus, der in Skandinavien seine Computerei im Kuhstall versteckt und gelegentlich fassungslos ist, wie leicht Assange und Berg zu knacken seien. Denn es geht um den Schutz der Whistle-Blower.

Ein Film also über ein brandaktuelles Thema würde man meinen. Manning, das ist doch erst zwei Jahre her. Das Video über die Tötung von unbewaffneten Zivilisten durch Amis vom Apache-Kampfhubschrauber aus in Irak. Das hat damals die Gemüter erhitzt und bewegt. Und heute? Es scheint wie vergessen. Als ob innert kürzester Zeit Gras drüber gewachsen sei. Es ist allerdings auch schwer feststellbar, inwieweit diese Skandale etwas verändert haben. Alle berühmten Whistleblower sitzen irgendwo immobilisiert. Assange immer noch in der Botschaft von Costa-Rica in London. Snowdon in Moskau. Und Mannings in den USA im Gefängnis. Der Film zeigt insofern auch auf, wie schnelllebig doch so eine Zeit ist.

Oscar Wilde: Gib einem Menschen eine Maske, dann sagt er die Wahrheit. Der Satz wird zum Schutze der Whistleblower angeführt.

Mit Schilderung des Tacheles auch viel Zeit zum Lob der Berliner Szene. Inhaltlicher Anspruch wird angemeldet mit Blick auf die durchsichtige Reichstagskuppel: so transparent soll Demokratie sein.

Vom Standpunkt des gut gebürsteten Thrillers aus: zu viel Zeit für Julius Bär, für Kenya.
Und der typisch karrieristische Konflikt: Liebe und Familie; Anke in Berlin von Daniel. Assange mit Sohn in Australien. Aber die Mission der Männer ist wichtiger. (Thema wird aber auch nicht vertieft, nur stereotyp angeführt), fast möchte man sagen: der Vollständigkeit halber.

Nach Kochbuch: reeller Reportagerealismus.

Diskussion zwischen Assange und Daniel: was Assange schon getrieben habe, während Daniel noch mit Mama und Papa zu Judokämpfen ging und Trophäen gesammelt habe.

Ob sich die Tyrannen dieser Welt nach diesem Film glauben in Acht nehmen zu müssen?

Ich fühl mich Disco

Eine exzellente Milljöh-Studie liefert Axel Ranisch („Dicke Mädchen“), der mit Sönke Andresen auch das Buch geschrieben hat, mit einer kleinen, überschaubaren, melodramatischen Coming-of-Age-Geschichte.

Florian heißt der dicke Hauptdarsteller, der sich am Anfang der Pubertät befindet und sich nach dem gleichen Geschlecht sehnt, der Schlagersänger werden möchte und ein Fan des Schlagersängers Christian Steiffen ist, der im Film ebenfalls auftritt und Schlager wie „Sexualverkehr“, „Eine Flasche Bier“ beiträgt.

Florian wächst im Berliner Hochhaus-Milljöh auf; enge Verhältnisse, grandios ausgestattet mit einem sagenhaften Wandschrank, mit nicht totzukriegenden Pflanzen wie Gummibäumen und Philodendren. Sein Vater ist Schwimmmeister, trainiert den rumänisch-stämmigen Radu im Turmspringen, der in etwa so alt ist wie Florian.

Mit einer das Vater-Sohn-Verhältnis charakterisierenden Szene fängt der Film an. Florian soll das Rollerfahren lernen. Der Vater erklärt dem Sohn alles, der unter dem dicken Helm praktisch nichts versteht und der sagt, er hätte lieber ein Klavier. Bald schon kommt es auf dem weitgehend leeren Parkplatz, auf dem nur noch das Auto des Vater steht, zu einem herrlichen Rumms, herrlich, weil der Zuschauer ihn sich in seinem Kopf ausmalen kann.

Die Mutter hat mehr Verständnis für Florians Träumerei von der Discokugel, die er in seinem Zimmer angebracht hat. Die Mutter erleidet bald schon einen Schlaganfall. Der Arzt klärt Vater und Sohn über einen Gehirnschlag, eine Gehirnblutung auf, die große Teile des Gehirns zerstört hätten und die Chancen, dass Mutter aus dem Koma nochmal aufwacht, minimiert.

Exemplarisch kann die Szene dieser Nachricht an die nächsten Betroffenen genommen werden, als Beispiel für den präzisen, ganz genau die Menschen beobachtenden, sie ernst nehmenden Regiestil von Axel Ranisch. Damit steht er im eingezäunten Areal des deutschen subventionierten Filmes ziemlich allein auf weiter Flur, der doch hauptsächlich thematisch arbeitet, insofern es vorwiegend mit theoretischen Menschen zu tun hat und nie die Menschen beobachtet, schon gar nicht milieugerecht beobachtet.

Der Vater muss sich damit anfreunden, dass sein Sohn anders sei, aber das ist für den Vater Terra inkognita. So erhält er vom Schlagersänger Steiffen, den er im Suff trifft, ein Videoband. Auf diesem klärt Rosa von Praunheim über schwule Sexualität auf, empfiehlt zum Test sich selbst mal einen Dildo reinzuschieben.

Vater Hanno, prima dargestellt von Heiko Pinkowski, schaut sich nun im Fernseher dieses Video an, wo er sich selbst als gelehrigen Schüler von Rosa von Praunheim anschauen muss. Eine Figur korrespondiert mit sich selbst und zeigt ihre Spanne auf.

Vielleicht noch ein Beispiel für die Milljöh-Studie: wie Monika, die Mutter, wie sie noch lebt, ihrem Mann die Haare schneidet. Er sitzt nackt auf einem Hocker vor ihr, ein Badetuch über die Schultern. Nach dem Schneiden saugt sie hinuntergefallene Haare mit einem Staubsauger vom nackten Körper ihres Mannes. Solche Details lenken nun aber nicht ab vom zentralen Punkt des Filmes, sie untermalen ihn extrem gut: vom Erwachen einer Gefühlswelt in einem Jugendlichen, für die in so einer Umgebung kein Platz ist. Vorboten eines neuen deutschen Kinos, das seine Erzählungen in genaue Studien der Menschen, ihres Verhaltens, ihrer Beengungen und Träume packt und dazu noch mit exzellent ausgesuchter Musik ganz unkitschig mitten in den Gefühlsnerv trifft?

Der Teufelsgeiger

Das Genie und der Pöbel, das Genie und der Dilettant, das Genie und das Mittelmaß, dieser Widerspruch dünstet bei diesem Film aus allen Poren. Oder: das Küchenpersonal versucht sich an einem Genie. Das wird noch der Erklärung bedürfen.

Das Genie, um das es hier geht, ist der Geigenvirtuose Noccolò Paganini, der 1782 bis 1840 gelebte hat. Bernd Rose, der nicht nur das Buch geschrieben hat, sondern auch als Kameramann in eigener Regie fungiert, zeichnet diesen spiel- und frauensüchtigen Paganini, der contre coeur von seinem Vater zum Geigenspielen gezwungen worden ist, als einen Urvorvater der Popstars mit langem, schwarzem Mantel, langer Mähne, Sonnenbrille. Er besetzt ihn mit einem Typen (David Garrett), dem man vielleicht den Surflehrer im Club Robinson, aber nie und nimmer einen sensiblen Violonisten abnehmen will; im Film kommt der Satz ja auch vor, dass es nicht auf das Können ankomme, Genie und Amateurtum auch hier eng beisammen; und die Geigenmusik, die Rose über das Geigenspiel dieses Paganinis legt, ist vielleicht gutes Konfektions-Konservenmaß, aber holt genau das nicht aus der Geige heraus, was ein Publikum in Entzücken versetzen könnte, so wie es in einem Konzert in London gezeigt wird.

Was uns der Autor im Untertext dieses Filmes erzählt, ist, dass er Erfolg liebe, dass ihn Erfolg antörne, dass er sich nach Erfolg sehne. Und deshalb, das dürfte eine folgenschwere Fehlentscheidung gewesen sein, entschied er sich vermutlich nicht nur für diese grandiose Fehlbesetzung der Hauptrolle, sondern auch für eine ganz triviale Erzählweise. Die führt er zwar konsequent nach dem Prinzip „und dann“ durch; und hält sich am liebsten bei den kitschigen, gefühlvollen Dingen auf, will keine Zeit mit Konfliktanalyse verbrennen.

Von dieser Fehlentscheidung des Autors war Veronika Ferres, die deutsche Schauspielerin, offenbar so angetan, dass sie den Film gleich mitproduziert hat, in der irrigen Annahme, sich selbst durch die Besetzung als Elisabeth Wells, der bösen Stiefmutter der hübschen Charlotte, die sich aber von ihren Gesten eher wie ein Stubenmädchen aufführt, eine Glanzrolle zu verschaffen.

Der kleine Twist im Film ist der, dass Paganini sein Geld andauernd verspielt, andauernd pleite ist und so ein Angebot aus London mit der Aussicht auf königliche Bezahlung und auf dringendes Anraten seines Managers Urbani trotzdem nicht annehmen will. Er muss zu diesem Engagement mit physischer Gewalt hinbugsiert werden.

In London ist der Dirigent und Musikmanager Watson die treibende Kraft, die eine Reihe von Paganini-Konzerten durchführen will und sich das große Geschäft davon verspricht, um das kriselnde Theater zu retten. Dessen Frau spielt eben die Koproduzentin dieses Filmes. Und die Stieftochter soll sich als Stubenmädchen dem berühmten Geiger nähern.

Weil das Genie als Weiberheld verschrieen ist, protestiert eine Frauenrechtlerinnengruppe lauthals vor dem Hotel, in dem es absteigt, so dass es in der gepfändeten Wohnung der Managers Watson Zuflucht sucht. Töchterchen Charlotte, die sängerische Ambitionen hat, auch hier im Widerspruch zwischen Genie und Mittelmaß des Talentes, spielt das Dienstmädchen, das den schwierigen, grapschigen Gast bedienen soll. Dienstmädchenromanze in Reinkultur, nein, es wird sich ins Melodram wenden, denn eine andere Frau pfuscht hinein in das pure Dienstmädchenglück; es ist eine Journalistin von der „Times“, die eifersüchtig wird bis zum Platzen und das junge Glück mit einem Zeitungsartikel brutal zerstört. Die Macht der Presse machtvoll und für jedermann verständlich demonstriert.

Zwischendrin gibt’s lange Stellen mit Musik und viel Applaus und Standing Ovations und Hütewerfen und Damentüchlein in die Luft werfen. Angetan von dieser Groschenroman-Schmonzette waren auch Bettina Ricklefs von BR und Andreas Schreitmüller von ARTE, die Zwangsgebührengelder für dieses kleine, wenig aussagekräftige Machwerklein locker machten. In manchen Momenten erinnert die Inszenierung, auch was Cast und Spiel betrifft, an den Vereinsunterhaltungsabend des Musikvereins Veitshöchheim (hier nur des Klanges des Namens wegen genommen).

Der blaue Tiger

Eine umwelt- und naturfreundliche tschechische Kinderträumerei, teilanimiert, denn die kleine Johanna, die man getrost die Hauptfigur des Filmes nennen darf, sieht auf dem Rücken ihrer Lehrerin sich bewegende Tattoos, auf dem Hut, an der Wand der aufgelassen Schwimmhalle, ihre Phantasie ist so heiß und beschützend, schon richtig mütterlich, dass sie es schafft, ein geplantes, großkotziges Bauvorhaben, das ihre kleine, geschützte Welt eines vernachlässigten botanischen Gartens mit der Erfindung eines blauen Tigers vor dem zerstörerischen, stadtplanerischen Zugriff des ewig smilenden, blitzblank weißgekleideten Bürgermeisters zu retten, ja ihn noch anderer Untaten zu überführen.

Diese Geschichte wird von Petr Oukropec und Bohdan Slàma nach einem Drehbuch von Tereza Horváthová und Petr Oukropec in lebensfreundlichem Lichte erzählt, in bewusst altmodisch gehaltenen Settings mit Autos, die bei uns schon Oldtimer wären und einem Verkehrspolizisten, der stark an denjenigen von Helge Schneiders neuem Film „00 Schneider im Wendekreis der Eidechse“ erinnert. Mehr Gemeinsamkeit ist nicht.

Auf der Seite von Johanna steht ihre Mutter, die gerne Backpfeife raucht und der tüftlerische Gärtner Blume, dessen Reich dieser kleine botanische Garten ist und Kinderparadies dazu; sein Sohn Matthias ein Wundergeschöpf von Filmknaben mit wuscheligem Lockenkopf. Allerdings ist die Lehrerin gegen Flausen und einige siebenmal kluge Mitschüler und Mitschülerinnen sind für Spinnereien nicht zu haben; der Vater der einen Mitschülerin ist die ausführende Hand des Bürgermeisters, der wird später Jagd auf den blauen Tiger machen und als allererstes den Stofftiger seiner Tochter anschießen.

Vom Moment der Vision vom blauen Tiger an herrscht Alarmstimmung in der Stadt. Die Planer fürchten um ihre toll-modernen Pläne; und plötzlich verschwinden immer mehr Hunde. Das wird dem blauen Tiger zugeschrieben. Die Geschichte wird wie verwunschen erzählt, man steht wie vor einem Dschungel und muss sie selber darin sehen.

Dann fängt sie an zu gedeihen wie eines Tages das Treibhaus im Botanischen Garten zum Entzücken von Blume und dem Professor, was es da alles an seltenen Pflanzen gibt. Der böse Tiger an der ganzen Sache, der wirklich einiges von dieser erträumten Wunderwelt zerstört, das ist hier mal wieder die deutsche Synchronisation.

Der Film ist ein schönes Symbol für die Macht nicht nur der Fantasie des Menschen, sondern auch der zerstörerischen Kraft von Realpolitik, aber auch der Macht der Natur, die sich mehr zu wehren weiß, als der realpolitische Mensch sich einzugestehen bereit ist. Der Urwald braucht 800 Jahre um sich zu regenerieren, das lernen wir allerdings in einem anderen Film, in „Das Geheimnis der Bäume“.

Eine ewig alte Parabel, erfrischend neu aufgelegt.

Tatort: Aus der Tiefe der Zeit (TV, ARD, BR)

Weniger spannender Krimi denn atemlos geschmackvoller Bilderbogen von hoher, linksintellektueller Salonwarte herab zum Thema Gentrifizierung („Finger weg vom Jugendhaus“) am Beispiel der Boombaustelle München.

Der Krimi, soweit nachvollziehbar, wildert, da wo die Tiefe der Zeit im Nazimilieu wurzelt, im feinen Derrick-Milieu (Familie Holzer und ihre Villen am Isarhochufer), wobei die Ahnmutter mit der Knarre eher aus dem Helge-Schneider-Wild-West-Universum entsprungen sein dürfte.

In diesem Film des Fernsehregie-Säulenheiligen Dominik Graf nach einem Buch von Bernd Schwamm (hat zwar Fahnder und Rosenheim-Cops in seiner Vita, aber keinen Derrick) buddelt ein Baustellenbagger eine Leiche frei. Diese wird Anlass für einen Gang nicht nur durch das Derrick-Milieu sondern auch durch das Umwandlungs-München, gegen welches sich Alt-Wackersdorf-Protestierer auflehnen und Mieterdemos mit der Initiative Westend veranstalten. Dieses Milieu wiederum legt mittels wunderschöner Innenausstattungs-Referenz tiefere Sehnsüchte des Regisseurs frei: das Filmplakat „Nuda per il Diavolo“ ein Film von Wolfgang Becker, der einige Derricks inszeniert hat. Die andere Filmplakat-Referenz gilt mit „La Sfida degli Implacabili“ dem Spaghetti-Western, dem italienischen Giallo-Film in der Person von Ignacio F. Iquino, einem italienischen Vielschreiber-Autor, der in der IMDb mit 103 Titeln vermerkt ist. Da muss Dominik Graf sich sputen, der bisher mit 39 Regietiteln aufwarten kann. Hinweise auf unerfüllte Kino-Sehnsüchte des Regisseurs anstelle präziser Milieu- und Menschenstudie.

Durch Dominik Grafs Münchner Bilderbogen von ausgesuchter Erlesenheit und Schick stapfen zwei weißhaarige Kommissare wie wasserdicht und wetterfest und milieuresistent, denen weder die Referenz auf die Nazizeit oder die Korruption im Baugewerbe oder die Wildwest-Allüren einer Alten noch das Männerwohnheim noch Coiffeur Heesters noch die eleganten Büros noch die geschmackvoll ausgewählten Darstellerinnen (die wiederum mehr über den Geschmack der Casterin oder ihrer Vorstellung vom Frauenwunschbild des Regisseurs erzählen als etwas über die reale, schöne Münchnerin) was anhaben können, als würden sie die tausendste Führung durchs Wolpertingermuseum runterrasseln. Oder sie kommen mir vor wie zwei Möbelpacker, die dem TV-Zuschauer seine wöchentliche Sonntags-Kommode frei Stube liefern, wobei ihr Navi sie andauernd in die falsche Richtung und in Einbahnen schickt.

Der Titel „aus der Tiefe der Zeit“ erweckt einen Anspruch, der mit der Leiche von SS-Hauptmann Schwertfeger (zu diesem Thema gepflegte Orgelmusik) lediglich formal abgegolten wird, sich das Etikett historischer Wichtigkeit selbst verleihend.
Ein Traum-München, in dem kroatische Gangster Kinderlieder singen.
Die einzig glaubwürdige Figur im Ganzen, das ist die „arme Sau“ Gerry (Moritz Katzmeier).