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Gabrielle (k)eine ganz normale Liebe

Wie Frau Holle ihre Federn übers Märchenland, so schüttet Louise Archambault, die mit Valérie Beaugrand-Champagne auch das Drehbuch geschrieben hat, diesen Film verführerisch und reinziehend auf die Leinwand.

In ein lockeres Tableau aus Alltagsszenen eingebettet schildert Archambault die Liebe von Gabrielle zu Martin. Traumhafte Besetzungen mit Gabrielle Marion-Rivard, die selbst unter dem Williams-Beuren-Syndrom leidet und mit dem Schauspieler Alexandre Landry, der den Martin verhalten als ebenfalls von diesem Syndrom Betroffenen spielt.

Martin macht eine Tischlerlehre und arbeitet gelegentlich in einer Tierhandlung. Gabrielle wohnt in einer Wohngruppe für Behinderte, denn selbständig kann sie ihr Leben nicht meistern. Sie erledigt Hilfsarbeiten wie Aktenvernichten in einem Büro.

Der lockere Handlungsfaden, an dem die vibrierenden und verführerischen Stimmungsbilder aus diesem Behindertenalltag aufgereiht sind, ist die Vorbereitung zum und die Teilnahme am großen Open-Air-Laval Musikfestival. Der Clou für unseren Chor, der sich die „Musen von Montreal“ nennt, ist ein Live-Auftritt mit dem berühmten kanadischen, francophonen Sänger Robert Charlebois. Was ihn sympathisch macht, dass er alle Sänger mit Namen nennt, bevor es los geht, wenn er ganz in Weiß auf die Bühne kommt; allerdings nennt er auch zwei, die gar nicht dabei sind; das darf ruhig verraten werden, es ist unser Liebespaar, das sich endlich, nach viel Dreinreden von ängstlichen Müttern und besorgten Pädagogen gefunden hat. Denn auch Behinderte haben ein Recht auf Liebe und Sex. Wobei der sicher nicht unter dem Gestänge einer Musikbühne stattzufinden hat mit Hot-Dog und Orangen-Getränk.

Das ist vielleicht der einzige Einwand, dass sich die Geschichte gegen Ende hin etwas zieht; das hätte man kürzer abhandeln können, so wie alles vorher. Aber der Finalauftritt von Chor und Sänger ist sagenhaft. Hier wird auch die Musikalität und die Beschwingtheit und das oft überbordende Temperament der Behinderten lustvoll zum Leinwandgenuss eingesetzt.

Schon die Chorproben ohne den Star sind beeindruckend. Betörend schöne Woge an Gefühl, nie krampfhaft, voller Überschwang und doch geführt. Es gibt andere Gesangseinlagen, ein Zulu-Chor aus Afrika und eine Lolita-Samba-Song-Einlage.

Eine besonders zarte Szene, wie die Liebenden, die sich noch treffen dürfen, von den Aufsichtspersonen dabei überrascht werden, wie sie sich um die Tattoos an Rücken interessieren und Mama ganz besorgt fragt, ob Gabrielle denn Martins Penis in die Hand genommen habe.

Es entwickelt sich zwischen beiden eine selten heiße, verhaltene, zarte Liebe. Und drum herum die üblichen besorgten Besorgten halt. Gabrielle hat ja auch noch Diabetes.

Die musikalischen Einlagen, die sind richtige Ohrwürmer. Die Liebenden sind altersmäßig längst erwachsen, Gabrielle ist 22 und Martin ist 25. Und wie ihr die Liebe zu ihm verboten wird, macht sie eine richtig verzweifelte Phase durch. Der sympathische Song vom Robert Charlebois: „Ich bin einer von Euch“.

Miss Sixty

Seniorinnenstammtischunterhaltung; Mutterfantasien von 60jährigen.
Von öffentlich förderungswerter Filmkunst dürfte hier in keinerlei Hinsicht gesprochen werden; Missbrauch der Rundfunkzwangsgebühr.

Eine Themenkomödie. Kinderlose Frauen, in denen mit 60 der Mutterwunsch aufkeimt. Ist heute physiologisch möglich, wenn frau im richtigen Alter Eizellen eingefroren hat und einen Samenspender ausfindig macht und sich noch etwas Hormone spritzen lässt. So weit zum Sachgehalt dieses Filmes von Sigrid Hoerner nach einem Drehbuch von Jane Ainscough.

Was heißt hier Drehbuch, was heißt hier Komödie und warum dürfte sie über ihr Zielpublikum hinaus, Frauen, wie vorhin beschrieben, wenn überhaupt, kaum auf Resonanz stoßen? Weil Ainscough und Hoerner unter Komödie offenbar verstehen: zwei Personen tauschen Texte aus, die Regisseurin stellt diese beiden Figuren ohne ersichtlichen Handlungszusammenhang vor die Kamera, wenn man die Hände runterhängen sieht, kann man ab und an beobachten, wie die Darsteller mit ihren Fingern nervöse Bewegungen machen, Übersprungshandlung, um einen gelernten Text möglichst einwandfrei rüberzubringen, Hinweis auf ungeklärte Diskrepanz zwischen Darsteller und Rolle.

Die Dialoge bestehen überwiegend aus themenverwandten Pointen, gerne auch mit dem Holzhammer, 6 und 60. Figurkontinuität spielt keine Rolle. Das hat zur Folge, dass wenn die beiden Protagonisten Iris Berben als Louise Jensen und Edgar Selge als Galerist Frans Winter Szenen spielen, aus eins plus eins immer nur zwei wird, so hochprofessionell spielen sie aneinander vorbei.

Erotische Spannung wäre gegen die Komödienmechanik. Diese Beobachtung gilt auch für den Rest des Castes. Das mag an der Regie liegen, die lediglich an der richtigen Betonung der Pointen interessiert schien, wodurch die Texte schnell etwas Aufgesagtes haben. Zudem ist die Mutter von Louise Jensen mit einer reinen Knallcharge von Figur besetzt.

Die Geschichte kommt mir zusammengekrampft vor. Luise Jensen arbeitet an einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut und lebt, obwohl sechzig, noch mit ihrer Mutter zusammen. Vom Institut wird sie anlässlich ihres Geburtstages hinauskomplimentiert, in den frühen Ruhestand versetzt, die Intrige einer jüngeren Kollegin und des Chefs, der vor allem dadurch auffällt, dass ihm immer Essensreste im Bart hängen bleiben, was später zu einer Graffiti-Aktion am seinem Auto durch Luise führen wird, so keck sind die 60jährigen.

Beispiel für die Humorlage: unförmige Ruheständler sind in Unterwasseraufnahmen bei der Wassergymnastik zu sehen, da schwimmt ein Gebissteil vorbei. Dafür werden wir von Gesetzes wegen gezwungen, monatlich eine Rundfunkgebühr zu bezahlen.

Figurdiskontinuität: Edgar Selge versucht mit viel zu vielen Verrenkungen einen Hexenschuss zu mimen, der ist dann wieder plötzlich wie verschwunden, und dann kommt er wieder. Wer einen Hexenschuss hat, geht lange vorsichtig, vorbeugend, das durchzuspielen wäre aber für die öffentliche Gage wohl zu anstrengend; als Gegengewicht versucht er unvermittelt sportlich, leichte Bewegungen; nach der Lebenserfahrung müsste sich der Hexenschuss bei einer einzigen unvorsichtigen Bewegung wieder melden, tut er aber nicht; Hexenschuss nach Darstellers Belieben.

Das Geschichtskonstrukt. Der Galerist Frans Winter holt sich den Hexenschuss bei einer krampfig inszenierten Bumserei mit seiner Assistentin. Es gibt noch eine Nebengeschichte in der Galerie mit einer Ausstellung, die themenfremd ist zum Film mit einem Künstler, der einen Papagei spielt. Der Sohn von Frans ist Samenspender. Luise erhält nach ihrem Abgang vom Job noch ihre vor 40 Jahren tiefgefrorenen Eier. Diese will sie mit dem Samen des Spenders vereinen und austragen. Mit extrem anstrengenden, dramaturgischen Winkelzügen versucht nun die Autorin Jane Ainscough die Winters und die Jansens mehrfach zusammen- und wieder auseinander- und wieder zusammenzubringen, was ohne jeden Entertainment-Mehrwert vollzogen wird.

Der Zwangsgebührenstar Selge grinst etwas viel, versucht diesen Filmblick-in-die-Ferne und ist von Szene zu Szene anders gebräunt. Die Autorin muss sich das so gedacht haben: diese zwei Figuren Luise und Frans, die sollen sich mehrfach begegnen, erst sich ablehnen und nicht mögen und später dann zusammenkommen. Dazwischen übt Luise mit einem Übungsbaby und einem Schwangerschaftsbauch. Das Baby hat sie von einer Riesin von Frau erhalten, die Übermutterfigur in der Komödie. Könnte komisch sein, wenn sie denn mit dieser Art von Besetzungskomik nicht so allein stünde.

Motto des Filmes, diesem vorangestellt: „Es ist doch so, tief im Inneren wird man nie älter als 18“. Holzhammerkomödie: Du hast ihren linken Daumen gehauen, sie hat meine Zentrifuge angefasst. Igitt, so lautet 18 mit 60.

Noch Pointe gefällig, die auf die Seelenlage der Autorin schließen lässt: das einzige, was Männer haben können und ich nicht, das ist Prostatakrebs. Wat haben wir jebrüllt. Komödie, die frieren macht, die auf Bleifüßen daher kommt. Ausstattung gruftig. Zwischen zwei Hexenschussszenen steht Selge ganz locker, die Hände in den Hosentaschen an einen Türrahmen gelehnt, also die Regisseurin hat ihn vermutlich dort so platziert. Stehpartydialoge. Aber das entfernte Lippen-Piercing, da hält der Schmerz auf der Zunge, obwohl sie eines der am schnellsten regenerierenden Teile des Menschen sein dürfte, da hält die Sprechhinderung jedoch, weil Selge sie so lustig findet, noch über Szenen an: das Provinztheater könnte das nicht zweitklassiger.

Steve McQueen ist über eine Phase des Filmes ein Runninge Joke. Was hat denn dieser oberflächliche Film mit „12 Years a Slave“ zu tun, der dieses Jahr bei den Oskars abgeräumt hat? Was hat der mit 6/60-Witz-Kino zu tun?

Rote Karte des Zwangsgebührenbezahlers für viel zu schlecht gearbeteiteten Film.

Transcendence

Künstliche Intelligenz ist ein akutes und brennendes Thema, ein Forschungsobjekt, was sich in rasender Entwicklung befindet. Dieser möchte dieser Film von Wally Pfister nach einem Drehbuch von Jack Paglen eine Drehung weiterhelfen, sie eine schwer vorstellbare Dimension weiter spinnen.

Hier geht es soweit, dass die Intelligenz eines bereits Verstorbenen sich im Netz ausbreitet, Allmachtfantasien nebst gewaltigem Energiehunger entwickelt. Und damit der Regisseur Wally Pfister, der sonst ein Kameramann ist, nebst vielen dunklen Innenraumbildern auch einige Schießereien in der Wüste fotografieren kann, werden ex nihilo Terroristen aufgefahren.

Mit dem Thema künstliche Intelligenz hat zuletzt der Spielfilm „Her“ mit Joaquin Phoenix fasziniert. Hier wurde eine computergenerierte Frau zum Mittel gegen die Einsamkeit des Großstädters, ein anrührender, packender Film, nah am Menschen.

Warum dieser Film hier einen eher kalt lassen dürfte, liegt weniger an den schmucken, geschmackvoll ausgewählten Darstellern von Rebecca Hall über Johnny Depp, Paul Bettany bis Morgan Freeman und sicher auch nicht an den ebenfalls geschmackvoll gewählten Sujets, Räumlichkeiten noch an der Ausstattung.

Das größte Handicap hier dürfte das Buch sein. Es will diese Ausweitung der Möglichkeiten künstlicher Intelligenz nicht als spannende Geschichte aufdröseln sonder mehr wie ein mit einer dünnen Spielstory illustriertes Fachreferat vortragen, mit einem Vortrag fängt es ja auch an, was Johnny Depp als Wissenschaftler und Forscher Will Caster mit der Erweiterung der Möglichkeiten des Einsatzes künstlicher Intelligenz bezwecken möchte, nämlich Heilung für die Menschheit, Befreiung von Alzheimer und Krebs. Eine Angelegenheit zum Nutzen der Medizin.

Das Buch unterlässt es insofern konsequenterweise, uns die Hauptfiguren mit einem Konflikt darzustellen, der für den Zuschauer nachvollziehbar wäre und sein Modell künstlicher Intelligenz in der Erfahrung des Zuschauers verankern könnte. Es scheint, als ginge es hier um eine Produktpräsentation, die mit an den Haaren herbeigezogenem Terrorismuselement belebt werden soll. Wobei das Produkt selbst als solches auch merkwürdig wenig zündet. Bei „Her“ war so faszinierend, dass man von der künstlichen Freundin Samanta nur die Stimme hörte, deren künstlich erzeugten Texte. Hier fällt Johnny Depp dem Attentat eines Fanatikers zum Opfer; sein Gehirn wird für die künstliche Intelligenz nutzbar gemacht. Ein merkwürdiges, künstliches Intelligenzmonstrum schwebt den Machern des Filmes vor, was von den Computern, die am weltweiten Netz hängen, Besitz ergreift und sie sich fügbar machen will. Ein Abstraktum mit einem Etikett des verstorbenen Johnny Depp versehen, dessen Stimme plötzlich aus den verschiedensten Personen zu vernehmen ist. Das wirkt mehr wie ein bemühter Faschingsscherz denn als ernst zu nehmende Utopie. Der gute, vertraute Johnny Depp, der hier schauspielerisch unterfordert wirkt. Und falls diese Monstrumsidee den Begriff Transzendenz illustrieren soll – da war die deutsche Philosophie schon monströser.

Thema nach Eigenaussage des Filmes ist die unvermeidliche Kollision von Mensch und Technologie. Die Folgen eines sich selbst erhaltenden, künstlichen Gehirns, dessen Ziel es ist, Leben zu retten, Alzheimer und Krebs. Die negativen Folgen der guten Absicht „evolve the future“, wenn sich diese Geister, die die Menschen rufen, Großes zu tun, verselbständigen. Eher schwacher Faustabklatsch. Der Film setzt nach Selbstauskunft Singularität mit Transzendenz gleich.

Die Synchro erweckt den Eindruck von österlicher Sakralität.

Für immer Single?

Der Übergang vom wilden Großstadtsingle zum geordneten Ehemann ist bei all den Freiheiten, die New York bietet, ein schwieriger Vorgang. Diesen hat sich Tom Gormican für seinen Film vorgenommen.

Drei Männer gegen die Dreißig entscheiden sich nach unterschiedlich gescheiterten Beziehungen oder Ehen für ein wildes Singleleben, sich schwören sich, keine Beziehung mehr einzugehen, nur noch One-Night-Stands zu absolvieren, die Frauen in den entsprechenden Bars aufzureißen.

Es ist nicht zu viel verraten, dass die Ehe am Schluss triumphieren wird. Der Film ist ein ordentlicher Film, ein außerordentlich ordentlicher Film, denn einer der drei Protagonisten, Zac Effron als Jason, ist auch einer der Produzenten. Sie wollten es also besonders gut machen. Und sie können ja auch vieles. Sind allesamt Filmprofis durch und durch. Und sie haben einen unbestreitbaren Erfolg damit: laut IMDb hat der Film bei einem geschätzten Budget von 8 Millionen Dollar diese schon am Eröffnungswochenende eingespielt und das Einspielergebnis inzwischen mehr als verdreifacht haben. Dagegen ist nichts zu sagen, mindestens ein gutes Geschäft.

Es liegen sich in diesem Film die Attitüde der sorgfältigen Hingabe und der Ehrgeiz, es besonders gut zu machen, doch ziemlich im Clinch mit dem Anspruch, ein gültiges Bild der heutigen, jungen Generation in dieser Zwittersituation zu geben. Aber vielleicht ist das Bild auch gültig. Jedenfalls entsteht der Eindruck einer jungen Generation von bierernstem Konservativismus, von großer Humorlosigkeit, von einer Angepasstheit sondergleichen, von beachtlicher Angst vorm Individualismus, von einer enormen sexuellen Verklemmtheit, wo Sex mit möglichst vielen Kleidern am und möglichst vielen Bettdecken überm Körper und nur trockenen Lippenküssen besteht. Eigentlich vor allem aus Dialogen.

Vielleicht ist diese Jugend so, alles nur besprechen, offen über Sex zu sprechen und der wildeste Gag ist der, dass Jason auf einer vorgeblichen Kostümparty mit einem langen Dildo vorgehängt und einem T-Shirt wo „Rock out“ drauf steht, auftritt (im Dialog: cock out und Kommentar: Classic of Dresser Party – übrigens war niemand in einem Kostüm da, es war nur Konservativismus vorhanden). Das ist richtig herzig.

Ein Film, bei dem es kein Entrinnen der düsteren Halbnahen und den pausenlos tröpfelnden Dialogen gibt. Nur zwischendrin werden kurze Zeitraffer als Szenenscharniere eingeblendet, Impressionen aus der Dämmerung von New York.

Diese Mischung aus Sorgfalt und ansprechendem Bild bewirkt den Eindruck von erstarrter Jugend, unmunter, brav, eingeengt, und von unverhohlener Beklemmung.

Sie stellen selber fest: they call us a selfish generation. Der Sex wirkt eher wie ein Klotz am Bein, von Lust ist nicht die Spur. Bild- und farbunfröhlicher Film über some girlfriend shit. Jung sein heute muss ziemlich langweilig sein, ziemlich stromlinienförmig. Eine Jugend, die einem ziemlich alt vorkommt. Konventionell wie ein Benimmfilm.

Zac Efron scheint schwer geworden zu sein, schwankt zwischen Darsteller- und Produzenten-Rolle. Die Drehlacher im Abspann. Beim Drehen scheinen sie es lustiger gehabt zu haben, als es die Zuschauer im Kino haben werden, die sich eher wie in einer Kirche, alt, grau, mauerkalt, vorkommen dürften. Die Musik spricht nicht dagegen, die ist auch schwer, es geht ja auch um das Alter, wo die Liebe anfängt schwer zu werden. Ausflippig für diese Generation ist: sich von der Maklerin ein Luxusappartment zeigen zu lassen, sie dann vor sich hin über Parkettböden quasseln lassen, dabei den Schlüssel zu einem abgesperrten Park klauen und über ein Balkonfenster abhauen zu nüchterner Parkromantik.

Irre sind männlich

Da ist es wieder, unser liebes, anspruchsloses Pfründenkino, bei dem der einzige Anspruch der zu sein scheint, auf der korrekten Bezahlung der guten, zwangsgebühren- und steuerfinanzierten Gage zu bestehen.

Irgend ein Produzentenmensch hat eine Idee, die er für absolut irre hält: zwei Männer holen sich in Therapiegruppen die Frauen – und der Rest sind miefig durchwühlte Betten. Dann kennt einer einen, dem er diese Idee verklickert und der sitzt auf einem Förder- oder Gebührengeldhaufen und lässt sich vorschwärmen, wie irre diese Idee mit den irren Männern doch sei und macht das Geld locker. Ohne großen Aufwand, Betreibermethode wie im Kolonialwarengeschäft, schon gar nicht bei der Drehbucharbeit wird über weitere Pfründenbeziehungen ein Team und ein Cast zusammengestellt, die alle nur für sich stehen, und schon ist unser Glanzprodukt fertig, was kaum jemand lustig finden dürfte und schon gar nichts Ernsthafte über die Liebessituation von unterversorgten 40-jährigen erzählt. So entsteht einer jener Filme, über die ein Bekannter neulich gemeint hat, den haben wir ja bereits mehrfach bezahlt: über die Rundfunkzwangsgebühren und über die Steuergelder für die Subvention, womit wir also alle längst das Recht auf ein Gratisstreaming im Internet hätten. Sollte sich jemand das antun wollen.

Die „irre“ Idee: zwei geile Böcke melden sich in überwiegend weiblich bestückten Therapiegruppen an, um Frauen zum Vögeln kennenzulernen. Der Produzent Philip Voges und Ilja Haller haben nun versucht aus der irren Idee ein Drehbuch zusammenzustöpseln, anders kann man es nicht sagen. Illja Haller firmiert bei IMDb immerhin mit 11 Credits als Autorin. Bei diesem Film außerdem auch als Produzentin. Die beiden Produzenten-Autoren haben sich nun wohl hinter den Computer gehockt und haben viele schwer sprechbare Relativsätze, die als Dialoge zu funktionieren haben, reingetippt.

Dabei dürften Voges und Haller das Elementare für so ein Buch, für ein Buch, was Erfolg haben möchte, glatt übersehen haben vor lauter Begeisterung über ihre Idee, nämlich den beiden Hauptfiguren oder zumindest einer der beiden, einen Konflikt zuzuschreiben, der diese filmfüllende Aktion halbwegs glaubwürdig in Gang setzen kann.

Auch haben sie, da ihr Projekt in der Altersgruppe der 40jährigen angesiedelt ist, schlicht vergessen, hinzuschauen, wie wenig lustig in diesem Alter die Liebesprobleme sind, haben sie nicht ernst genug genommen; wobei sie gerade aus diesem extremen Ernst, gerade mit 40, ein abgrundtief komisches Potential hätten ziehen können. Sie haben aber auch dieses Thema nicht ernst genommen, sie haben es benutzt, um Geschwätz über Bindung und Vertrauen und Liebe loszulassen. Denn wenn es bei 40jährigen mit der Liebe nicht klappt, dann ist es ein ernstes Problem. Aus diesem Ernst Komik zu ziehen, das wäre die Kunst. Haben die Autoren aber nicht gemacht, weil sie es vermutlich gar nicht können. Sie benutzen das lediglich als Blödelvorwand. Im Grund verarschen sie damit alle: die 40jährigen, die unter Liebesunfähigkeit leiden, die Zuschauer, die nichts Ernstzunehmendes vorgesetzt bekommen, auch keine spannende Geschichte, nur einen bunten Verhau von Darstellern, die irgendwie alle nichts miteinander zu tun haben (der einzige, der eine gewordene Type ist, das ist Milan Peschel), die ihre Rollen abliefern und bestimmt gut kassieren dafür, so wie der DHL-Bote gegen Ende der Sendung, ähm, des Filmes, welche Szene ein vollkommen vom Rest des Filmes losgelöstes, kitschiges Happy-End initiiert.

In diesem Film mieft es von ungemachten Betten, in die die Darsteller halb bekleidet reinhupfen unter die Decken und dann wieder herauskriechen, weder richtig Sex haben noch nicht richtig, noch lustig und nach welchem nicht richtig Gehabtem sie mit rot und braun überschminkten Gesichtern wieder ins Blickfeld der Kamera rücken, gerne von pastellfarbenen Hintergründen, Ansätze von Geschmack. Wie ein Stilleben von Äpfeln vor solchem Hintergrund.

Einmal mehr wundert man sich, ob es denn im ganzen Lande niemand gibt, der Drehbücher lesen kann oder ob sie überhaupt einer liest, wenn Personal aus dem Pfründstadl von Förderung und Rundfunk mit so einer „irren“ Idee ankommt, welche neben der Erfahrungs- und Lebens- und auch der Kinowelt platziert wird. Wenn schon Frau Professor Dörrie keine funktionablen Drehbücher schreiben kann, werden die sich gesagt, dann müssen wir es noch viel weniger können. Die Gutachten über diese Drehbücher sind vermutlich so zustande gekommen, wie die des Gutachters Spies im Falle Beltracchi, man sass nett beim Tee zusammen, die Mühe, in die Bücher zu schauen, hat sich niemand gemacht.

Einen Moment von Poesie gibt es allerdings, das sei nicht verschwiegen, das Kinderbuch von Paul der Krake. Das ist richtig schön. Kann aber die übrige Verarsche nicht ungeschehen machen, die bemühte Lustigkeit, wo nichts lustig ist. Wobei Anno Saul, dem Regisseur noch der geringste Vorwurf zu machen wäre, er muss sicher auch eine Familie ernähren und er musste schauen, was er mit dieser Besetzung und diesem Buch anfängt, mit den rot-braun-angelaufenen Gesichter, die die Maske ihm bescherte und hat sonst öfter versucht mit Frauen-Operettenbein (nach hinten angewinkelt in die Luft) harmlose Freundlichkeit reinzubringen, die vielleicht dem Kino der 50er Jahre zur Ehre gereichen würde.

Dafür dass sie um die 40 sind, spielen die meisten Schauspieler ihre Figuren mit diesem Gestottere und dieser Art Unsicherheit als viel zu jung. Da wir solchen Bockmist alle zwnagsmitfinanzieren, möchten wir künftig bittschön auf Euro und Cent genau erfahren, wer an solch bodenloser Subventions- und Zwangsgebührenabzockerei wie viel verdient.
Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Amazonia – Abenteuer im Regenwald

Eine Emanzipations- und Befreiungsgeschichte, gleichzeitig eine Ausgrenzungsgeschichte, inszeniert mit Tieren.
Nach einer Idee von Stéphane Millière und Luc Marescot hat Thierry Ragobert die Regie im Urwald von Amazonien geführt.

Das Kapuzineräffchen Sai ist die Hauptfigur. Es ist unter Menschen aufgewachsen, noch jung und soll mit dem Flugzeug zum Behufe der Auswilderung in den Urwald geflogen werden. Allerdings stürzt die kleine Propellermaschine ab. Sai ist mit dem Leben davon gekommen, aber immer noch im Käfig. Nasenbären sind bei der Befreiung behilflich.

Jetzt ist es aber so, das erfahren wir erst später, dass Kapuzineraffen im Urwald die Gruppe brauchen, um zu überleben. Sai jedoch ist nun ganz allein, urwaldunerfahren im weiten Gebiet des Amazonas, doppelt so groß wie Deutschland und mit über zwei Millionen Insektenarten.

Erst lassen Tukane Früchte fallen, die kann Sai vom Boden auflesen. Dann reißt der anschwellende Fluss ihn fort. Er findet aber, das war nett von den Filmmenschen, eine schön gebastelte, kleine Rettungsinsel aus einem Baumteil und Grünzeug. Fürs Futter muss der Affe an Land. Hier lauert Gefahr. Er überlebt bei der Weiterfahrt auch Stürze über wilde Wasserfälle, taucht wieder auf. Nach einiger Irrfahrt und auch schon etwas ausgehungert findet Sai endlich um einen Baumriesen eine Kolonie von seinesgleichen. Die Tiertrainer haben sich Mühe gegeben, eine Einzelliebesgeschichte mit einem Weibchen zu inszenieren. Denn der Herrscher der Gruppe lehnt den Familienfremden mit dem Halsband ab. Er darf aber in der Nähe bleiben. Muss auch mal am Boden verharren, obwohl ein Jaguar herumschleicht. Wie er dem entkommen ist, findet der Kommentator des Filmes, dass er durch seinen Mut die Anerkennung der anderen Affen gewonnen habe.

Ganz am Schluss des Filmes kommt Sai nochmal in die Nähe von Menschen, die sind gerade dabei, den Urwald zu roden. Er erinnert sich an seine frühere Geschichte. Nähert sich neugierig einem Mädchen. Dann entscheidet er sich doch für die Rückkehr zur Kolonie, trifft sein Weibchen, emanzipiert sich von den Menschen, indem er sich vom Halsband befreit. Wer das nicht versteht, der hat den Film nicht verstanden.

Dazwischen setzt es Bemerkungen über das Funktionieren des Amazonas als einer großen Kompostfabrik: im Amazonas geht nichts verloren. Oder die Bemerkung zu einem kleinen Tier: ein Zwerg zu sein hilft auch.

Wir bekommen Frösche, Kaimane, Schaben, Wollaffen, Königsgeier, Laubheuschrecke, Honigfrosch, Schmetterlingsraupe, Papageien, das Tapir, Giftpilze inklusive Sais filmisch-halluzinatorischem Rausch, Reiher, Bienen, Ameisen, Harpyie, die stärksten Greifvögel der Welt, Faultier, Gürteltier, Flussdelfin, Kolibri und viel anderes Getier zu Gesicht.

Pseudosachliche Sprecherstimme bringt anthropozentrischen Text, bei Affen nicht ganz abwegig.

Unter dem Blätterwald des Amazons ist es generell schon dunkel; sich da filmisch für 3D zu entscheiden, halte ich für keine glückliche Lösung, da noch mehr Licht flöten geht und der cineastische Mehrwert unter Null liegt.

20 Feet from Stardom

Sekundäre Promiploitation dezidiert im Dunstkreis der Stars, in welchen sich Morgan Neville mit dieser seiner Dokumentation hineinbegibt. Es sind also nicht die im Dunkeln, von denen der Brecht spricht, die man nicht sieht, es sind Leute, die sieht man durchaus, es sind Hintergrundsänger, die Hintergrundsängerinnen berühmter Stars vornehmlich aus den 60ern und 70ern, die der Filmemacher vor die Kamera holt.

Der Vorteil dieses Milieus: es wird eine Menge von Konzertmitschnitten von Berühmtheiten geben. Und nicht nur das, manche Stars werden sich auch über ihre Hintergrundsängerinnen äußern, lobend versteht sich.

Vor allem aber erzählen die Sängerinnen selbst, dies und das, nicht unbedingt Weltbewegendes, denn von irgend etwas müssen sie ja leben. Das kann sich mitunter erschwerend bemerkbar machen, wenn die eine oder andere dieser Hintergrundsängerinnen, die allesamt fabelhafte Stimmen haben, das zeigen auch viele Probenmitschnitte, sich auf eine Solokarriere verlegen wollte. Aber eine Solokarriere ist eben etwas völlig anderes als im Chor mit anderen einem Star eine angemessene Klangwolke und auch sexy Zusatzblickfang zu spenden.

Viel erhellender als Binsenweisheiten es tun wird das Thema Star/Hintergrundsänger hier allerdings auch nicht umzingelt. Dazu hätte es vielleicht doch eines etwas anderen auch strukturellen Zugriffes bedurft. Vielleicht hat den Filmemacher die Nähe zum Startum und Namedropping zu sehr betört, als dass er mit dem vorgeblichen Thema in die Tiefe hätte gehen wollen, hat es wohl nur als Vorwand benutzt, um prominentes Footage zu vermarkten. Insofern wirkt dieses Produkt selber als eines aus der zweiten Reihe.

Yves Saint Laurent

Am liebsten würde ich jetzt über die Faszination durch die Mode, über die Modeschöpfer, die Haute Couture, das Prête-à-Porter, die Individualität und die Individualität des Reichtums philosophieren. Ob die Haute-Couture wirklich dem Reichtum ein Gesicht gibt? Ob Mode Reichtum individuell macht? Ist Mode eine Angelegenheit für Kolonialisten und Kapitalisten? Was ist das Geheimnis des erfolgreichen, berühmten Modeschöpfers? Gibt es das Diktat der Mode überhaupt? Was verspricht sich der Konsument davon, dass er mit der Mode geht? Das sind jetzt nicht unbedingt die Fragen, die dieser Film stellt, denen er nachgeht.

Hier wird die Frage gestellt, ob Mode eine ernsthafte Kunst sei oder eher nicht, wie Yves Saint Laurent an einer Stelle meint und was er damit meint, ihn nehme der Kampf für die Einkleidung von Frauen voll in Anspruch, so dass er für politische Statements oder Aktionen keinen Kopf habe.

Dieser Film, die Lebens- und Liebesgeschichte des weltberühmten Modeschöpfers Yves Saint Laurent nach dem französisch klar und klug durchdachten Buch von Maire-Pierre Huster, Jacques Fieschi und Jalil Lespert und auch in der Regie von diesem, macht selbst ein eklatante Veränderung durch gemäß dem Objekt seines Interesses. Anfangs transportiert er mit leichtem Charme die reine Unschuld des Modegenies mit seiner schwarzrandigen Brille und den großen Augen unvoreingenommen versonnenen Blickes eines wissenden Zwanzigjährigen, der nur die Mode im Kopf hat, der nur zeichnen möchte, der mit allem darüber hinaus überfordert scheint, der mit 20 schon bei Dior Zeichner ist und mit 21 nach dem Tod von Dior die Verantwortung für dessen Kollektion übernimmt. Erfolgreich. Der weiß, dass er Männer liebt, der bald schon seinen Freund fürs Leben findet – Guillaume Gallienne als Pierre Bergé -, der als manisch-depressiv in der Psychiatrie landet, wie er in den Algerienkrieg ziehen soll. Die emotionale Achterbahn bis dahin, noch ist der Film ganz jung, ist mit voluminöser, traditioneller Filmmusik umfangen und die ersten Tränen im Publikum dürften längst geflossen sein.

Mit Gründung des eigenen Labels nach Rauswurf bei Dior wegen der Algeriengeschichte steigt der Film auf Jazzmusik um, Erfolge, Parties, das Schwulenleben wird über die Zweierbeziehung hinaus ausgeweitet, Enttäuschung, mäßiger Erfolg mit dem Label, Krise. Diese führt zur Kreation der aufsehenerregenden Pit-Mondrian-Kollektion, die den weltweiten Durchbruch bedeutet, was hier rauschhaft inszeniert ist und einen Easy-Rider-Motorrad-Urlaub der beiden in Marokko zur Folge hatte. Der steigende Erfolg wird parallel ertränkt in Partys und Drogen, in einem märchenhaften Domizil in Marokko.

Aber die Arbeit geht weiter. Immer weiter. Das Leben mit Pierre Bergé geht auch weiter; sie sammeln Kunstschätze. Aber es gibt Verliebtheiten, Seitensprünge, Affären, Park, Dark-Room. Cruising. Denn der Künstler braucht immer wieder neue Inspiration. Mit zusehender Kaputtheit von Laurent wechselt die Musik zu tragischen Opernarien, die von Hoffnung singen. Immer mehr wird Laurent zur menschlichen Ruine. Nur mit Mühe scheint es, kann er noch den Applaus bei der Präsentation der Kollektion entgegennehmen.

Mit Pierre Niney als Yves Saint Laurent und Guillaume Gallienne als Pierre Bergé, beide von der Comédie Francaise, wie es in den Titeln heißt, hat der Film zwei großartige Protagonisten, die ihn vorm Abdriften in die Sentimentalität bewahren, die Rührung aber nicht verhindern – Comédy Francaise verstehen sie durchaus als Qualitätsmerkmal und Verpflichtung.

Die deutsche Synchronisation lässt Respekt vor dem Film erkennen und erreicht eine angemessene Individualität, ohne den Hautgout von Routine. Darin wird noch deutlicher sichtbar, wie leicht und wundervoll durchbuchstabiert dieser Film von französisch-geistiger Klarheit ist, ohne die bittere Substanz auszusparen.

Signifikantes Jugenderlebnis: die Mutter, die ihn nicht beschützt hat, wie er in der Schule von Oran von Klassenkameraden wegen Schwulität blau geprügelt wurde.
Signifikante Geste: der Antippen des Brillengestells an der Brücke zwischen den beiden Gläsern, die kommt hier allerdings etwas mechanisch rüber.

Inspirationsmangel wegen der Sache mit Victoria, weil sie Sex Pierre hat; so begibt sich Yves das erste Mal unter die Brücken, wo die Männer sich treffen. Ohrfeige für Yves. Er leidet unterm Mangel an physischer Kraft. Er gehört zu den Nervösen, die ihr Werk machen müssen.

Er liebt Jacques Bascher, aber der Mann seines Lebens ist Pierre Bergé.
In diesen schlimmen, ruinierten Zeiten war YSL nur noch zweimal im Jahr glücklich: wenn die neue Kollektion präsentiert wurde. Die Arbeit hat ihn am Leben erhalten, nicht die Liebe.

Lauf Junge Lauf

Schocktherapie gegen die Angewöhnung des Nicht-Vergessens.
Neuer Farbtupfer in der Flut der Holocaustexploitation- und Holocaust-Nichtvergessenmachenwollen-Filme.
Die schlimmsten Befürchtungen werden anfangs wahr, eine Riesenlatte an Filmförderern im Anspann, dann Winterlandschaft, dröge, holocaustbleigrau und blau. Ein einsamer Junge geht durch die Landschaft. Polen, Winter 1942/43. So sieht es die Holocaust-Filmindustrie gerne und die Förderer auch.

Dann Zeitsprung 6 Monate zurück. Dem Warschauer Ghetto entronnene Flüchtlinge machen Sommercamp, so wirkt es. Die Landschaft wird schöner. Die Kamera entdeckt den Reiz des polnischen Waldes, es könnte aber genau so gut der deutsche sein. Fantastisch so ein Sommerurlaub in der Natur.

Unsere Hauptfigur, der 8-jährige Srulik, verarztet eine Wunde mit dem eigenen Urin, er weiß, dass die Desinfektion damit wirksam ist. Er verliert durch einen Angriff seine Freunde. Jetzt liegt er, dieser Junge mit den abstehenden Ohren, den großen Augen, den breiten Lippen und viel zu gut ernährt für ein Kriegskind, das sich allein in den Wäldern durchschlagen muss und das aus dem Ghetto kommt, im Laub, auf dem Laubboden, die Kamera entfernt sich in die Höhe. Blätter regnen auf die traumhaft schöne Idylle.

Im Kopf des geneigten Zuschauers läuft der Film ab, vielleicht will hier einer die ganze Holocaust-Exploitation-Filmindustrie auf die Schippe nehmen. Vielleicht hat der Regisseur Pepe Danquart beim Dreh mit Joschka Fischer, dem er einen hochlobenden, allerdings nicht entsprechend hochgelobten, Verehrungsfilm gewidmet hat, in einer Drehpause sich über das deutsche Kino unterhalten und die beiden werden gelästert haben und einer hat vielleicht gesagt, für jeden Holocaust-Schmarren kriegst du Geld, aber für gscheites Kino nicht. Zu später Stunde werden die beiden Herren eine Wette abgeschlossen haben, dass der Pepe, wenn er auch einen solchen Film macht, vom Joschka eine Flasche Wein kriegt, und wetten, dass so ein Thema alle Förderer blind mitmachen. Und so muss es denn gekommen sein.

Weiter geht es mit unserem Jungen, der jetzt allein ist, der gute Menschen findet und schlechte. Aber männliche Juden sind nun mal physiologisch als Juden identifizierbar – die Immigration aus muslimischen Ländern gab es zu der Zeit noch nicht -, umso mehr versucht er, nachdem er bei einer guten Frau, die die Partisanen unterstützt, sich in die christliche Lehre hat einführen zu lassen, das Christentum einzuüben. Bald schon kann er bei der Frau nicht mehr bleiben und muss weiter. Mal ist die Bleibe länger, mal kürzer. Mal kann er bei Bauern arbeiten, mal wird er weggejagt.

Schon die Flucht aus dem Ghetto auf einem Pferdekarren war abenteuerlich. Der Soldat, der mit der Spitze des Gewehres in die Waren stieß, unter denen der Junge verborgen lag (eine ähnliche Szene gab es letzte Woche in „Bekas“). Weiter geht also das Holocaust-Disneyland des Jungen durch die in Pointillismus-Manier dargestellte Natur, Seen, Wälder, Felder und alte Gutshöfe. Die Musik wirkt gelegentlich beschwingt walzerhaft. So dass einen die deutsche Nachsynchronisation plötzlich nicht mehr ganz so auf den Wecker geht.

Es gibt eine idyllische Geschichte mit einem Wolfshund. Und zwischendrin kurze Stream-of-Consciousness-Rückblenden zum Ghetto. Einmal wandert der Junge in einem langen Hemd mit einem Stab in der Hand wie Christopherus durch eine Wasserlandschaft. Auf einem Gutshof wird ihm die Hand zerquetscht: das ist allerdings merkwürdig inszeniert, dass er ausgerechnet bei diesem Rad, was von Pferden gedreht wird, seine Zwischenverpflegung hingelegt hat. Im Spital soll er operiert werden. Der Arzt sieht bei der Entblößung des Körpers etwas, was nicht da ist, und weigert sich. So muss dem Jungen tags drauf der rechte Arm abgenommen werden.

Aber der Junge kämpft sich weiter durch schmerzhaft schöne Natur und böse und gute Menschen. Und hofft jetzt sehnlichst, dass die Russen kommen. Dann ist der Krieg aus. Er wird von einem Funktionär des jüdischen Waisenhauses in Warschau ausfindig gemacht und abgeholt. Nach einiger Zeit bricht plötzlich das den ganzen Film über verdrängte Jiddisch aus ihm heraus. Das wirkt enorm, wie ein Vulkan, der solange nicht ausbrechen konnte. Und ein eisiger Wind weht nach all der süßen Holocaust-Exploitation plötzlich im Kino, wenn der Original-Srulik real dokumentarisch im Film auftaucht, wie er mit Kindern und Enkeln in Israel am Strand zugange ist. Es hat ihn wirklich gegeben. Und er ist einarmig. Seine Geschichte wurde als Roman von Uri Orlev weltbekannt und daraus hat Heinrich Hadding das Drehbuch für diesen Film geschrieben. Da weht plötzlich ins Holocaust-Fantasy-Spektakel ein eisiger Hauch Realität herein. Und wir sind kurz herausgerissen worden aus unserer pflichtbewussten Gewohnheit des Nicht-Vergessen-Wollens.

Die schwarzen Brüder

Historisches Kinderausbeutungsdrama, was von Xavier Koller nach einem Buch von Fritjof Hohagen und Klaus Richter nach dem Roman von Lisa Tetzner und Kurt Held zwischen krudem Swisskitsch und Vorstadtkrokodile-Kinderabenteuerfilm holzhackig präsentiert wird.

Wie kann so ein Produkt zustande kommen, mit dem vermutlich niemand recht zufrieden sein kann? Es gab vor nicht allzu langer Zeit in der Schweiz den Film „Der Verdingbub“, der hat dort die Gemüter bewegt und die Menschen ins Kino gelockt. Er hatte ein Ausbeutungsthema behandelt, was in der Schweiz bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts akut war: Kinder wurden zu fremden Familien gegeben, weil ihre eigenen arm waren oder nicht existiereten und sie wurden oft brutal ausgebeutet und schlecht behandelt. Durch diesen nationalen Erfolg angespornt dürften Produzenten, die Zugang zu Fernseh- und Redaktionsgeldern haben, sich auf die Suche nach einem ähnlichen Stoff gemacht haben. Und siehe da, es gibt ihn: Teens aus armen, südschweizerischen Bergdörfern, die rank und schlank und beweglich und bei guter Gesundheit waren, wurden von Menschenhändlern an Kaminfeger im reichen, industrialisierten Norditalien, in Mailand, verkauft, um als Hilfskräfte der Kaminkehrer in die Kamine hochzusteigen und den Russ runterzukratzen, als verlängerte, lebendige Kaminkehrerbesen.

Um sich gegen die miese Behandlung zu wehren, schließt sich eine Gruppe der Jungs aus dem Tessin zusammen. Sie nennen sich „die schwarzen Brüder“. Wie sie hören, dass die Schweizer Polizei ein Kopfgeld von Tausend Franken auf den Menschenhändler, der sie von zuhause weggelockt hatte, ausgeschrieben hat, reift in ihnen der Entschluss, den Händler zu fangen und ihn auszuliefern.

Bei Xavier Koller reifte wohl der Entschluss, die letzte halbe Stunde des Filmes, die diese Aktion zeigt, als ganz normalen, etwas hölzernen Kinderabenteuerfilm zu inszenieren. So geht der vorgeblich ernste Gehalt der Geschichte flöten, umso mehr als das Besetzungstohuwabohu offenbar vor allem darauf geschaut hat, nur ja keine Jungs zu besetzen, denen man die Frische des Berglers abnehmen würde, die Knackigkeit, Drahtigkeit, Gelenkigkeit. Glaubwürdigkeitsproblem durch die Besetzung.

Brave Stadtjungs dürfen historische Abenteuerkindergeschichte nachspielen. Aber nicht nur deshalb verliert der Stoff an Glaubwürdigkeit. Die Sprachregie ist eine einzige Katastrophe. Die meisten Figuren sprechen ein steriles Synchron- und Fernsehhochdeutsch, irgendwo scheint Schweizer Akzent drin zu sein und dann wiederum scheint es, als ob gebrochenes Deutsch mit undefinierbarem Akzent bevorzugt wird.

Hinzu kommt eine krude Schauspielerei, vor allem die Erwachsenen brüllen andauernd. Historienfilm heißt Grobheit vorzeigen. Hier geht schlicht nichts zusammen. Das ist vielleicht der Kompromiss, der das Produkt verunzierende, unattraktiv machende Kompromiss durch die Zusammenarbeit verschiedener Länder und Produzenten und Geldgeber. Jeder will auf Nummer sicher gehen mit seinen Besetzungs- und Ausgestaltungsvorschlägen. So kommt am Schluss ein schwer verdaulicher Klumpen heraus.

Dadurch, aber auch durch den Mangel an Drehbuchkunst, wird die ehrenvolle Intention, ein interessantes Thema ans Licht zu bringen, den Bach ab geschickt. Jeder Geldgeber scheint etwas durchgedrückt zu haben. Jeder Geldempfänger hat pflichtschuldigst Professionalität, auch wenn es darum ging zu zeigen, dass man Texte auch brüllen kann, vorgegaukelt. Gemeinsam haben sie das Projekt ruiniert. Wahrscheinlich, weil keiner sich etwas getraut hat und weil Funktionäre zu viel dreingeredet haben. Mussten sie unbedingt ihren Mangel an Qualifikation beweisen? Vermutlich ist das Koproduktionsmodell so komplex, dass auch keiner Schuld ist an dem bescheidenen Output mit viel zu vielen Mängeln in Relation von Geld und Aufwand zum Resultat. Gute Absicht plus gute Absicht plus gute Absicht ergeben ein minderwertiges Resultat.

Der Film scheint für alle Beteiligten lediglich unter dem Motto des Geldverdienens gesehen worden zu sein, nicht anders hat der Menschenhändler auch gedacht. Zudem bescheidene Inszenierung des Chors, speziell der schwarzen Brüder, wenn die in der Gruppe agieren und reagieren müssen, wie schlecht eingeübtes Theater.

So scheint die erste Stunde fast mit Bedacht auf alles, was Spannung erzeugen könnte, zu verzichten. Es wäre halt zusätzlich Arbeit. Wie bei einem Zelt. Es schnell hinzustellen, das geht. Dann aber die Seile an die Pflöcke, die erst den Halt verleihen, festzuzurren, vorher die Pflöcke richtig in den Boden zu rammen, das artet in harte Arbeit aus. Die ist hier beim Drehbuch garantiert nicht geleistet worden. Ah, und doch ein jugendmoralisch einwandfreies Werk: nie zu vergessen, „dass man alles erreichen kann, wenn man Freunde hat“. Hier hatte offenbar niemand Freunde.