Archiv der Kategorie: Allgemein

Lebenslinien – Tina Schüssler – Mein härtester Kampf (BR, Montag, 25. November 2024, 22.00 Uhr)

„Verrückt, taurig und schön“,

so resümiert Tina Schüssler, die Protagonistin dieser Lebenslinien von Stefan Panzner unter redaktioneller Betreuung durch Christiane von Hahn, ihr bisheriges Leben.

Mit ihrer Erzähllust und Energie, mit ihrem Optimismus und ihrer Lebensfreude rockt sie die Sendung praktisch im Alleingang.

Es sind ja auch ziemliche Extreme, die bei ihr zusammentreffen. In einer harten Männerwelt, Bauunternehmen, Vater, zwei Brüder, wächst sie auf. Phänotypisch sieht sie vielleicht mehr einem Mann ähnlich. Aber kein Gendergejammere, das Thema hakt sie als kleines Mädchen ab, wie sie einmal einen Rock tragen muss. Sollte nicht wieder vorkommen.

Tina Schüssler wird nie im Leben eine Tussi, wie sie später ein Lebenspartner und Künstler beschreibt. Sie interessiert sich nicht für Feminismus, für Frauenthemen. Sie fokussiert sich mit der Volljährigkeit auf Kampfsport, gründet ihre eigene Kampfsportschule in der Nähe von Augsburg.

Es folgen Lebenszyklen wie auf der Achterbahn. Boxweltmeisterin. Schlaganfall. Familiengründung. Ein Sohn. Kampfsport. Herz-OP; Ärzte meinen, nie wieder kämpfen. Dann erneut Weltmeisterin. Nochmal Weltmeisterin. Kurz vor einem Mega-Medien-Kampf-Event Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule. Ende der Sportkarriere. Beginn der Karriere als Sängerin. Dazu Moderation bei Sportanlässen und ehrenamtliches Engagement für junge Menschen, die Ähnliches erlebt haben wie sie.

Eindrücklich an diesen ungewöhnlichen Promi-Lebenslinien ist, dass bei Tina Schüssler kein Platz für Gejammere oder für Selbstmitleid ist; da ist sie eine Ausnahmeerscheinung, eine deutsche Ausnahmeerscheinung, ganz gegen den jämmerlich-jammernden Zeitgeist; ein Frau mit unglaublicher und seltener Begeisterungsfähigkeit.

Und die Schulmedizin mit ihren defätistischen Diagnosen kriegt eins auf den Deckel.

Mitreißend, enthusiasmierend.

3 Paare, ein Ziel – Wir machen uns selbständig, Folge 2: Work-Love-Balance (BR, Sonntag, 24. November 23.30 Uhr)

Wie es bei einem Serienprodukt so ist, nach der ersten Folge ist es auf die Schiene gesetzt und je nachdem fängt es bei der zweiten an zu langweilen, so wie hier – bei aller Sympathie für die Protagonisten – und macht klar, dass das Format kein überzeugendes Produkt ist.

Eigentlich könnte es sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk leisten, etwas nur zu machen, wenn es wirklich gut und mit seinem Grundauftrag zu vereinbaren ist.

Wieder ist vollkommen übertriebene und unpassende Musik drübergelegt, die noch dazu betont, dass einen hier allenfalls der Unterhaltungswert, sicher aber nicht die fachliche Info (das ist leichter bei Youtube zu haben) interessiert, womit kaum mehr als Klatschspaltenqualität erreicht wird.

Der Folgetitel ‚Work Love Balance‘ wirkt willkürlich. Die Darsteller ihrer selbst dürfen über sich reden, über Erfolge und Misserfolge, kurz kommt auch das Thema Liebe vor. Dafür ist aber bei Selbständigkeit wenig Zeit. Grad Glück, wenn Kinder auf die Welt kommen. Mit einem Paar gibt’s einen Abstecher in die Vergangenheit. Beim Mechaniker eine ausführliche DEKRA-Prüfung seiner Werkstatt (was hat das mit Work Love Balance zu tun?).

Es scheint, die Sendung ist gedacht für Leute, die nichts anfangen können mit ihrer Zeit. Kaum ein Zuschauer dürfte sich ernsthaft für die Probleme dieser Menschen interessieren.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

3 Paare, ein Ziel – Wir machen uns selbständig, Folge 1: Einfach machen? (BR, Sonntag, 24. November 2024, 23.00 Uhr)

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter der Redaktion von Christiane von Hahn scheint, was Unterhaltungssendungen betrifft, in den Urzeiten stecken geblieben zu sein, in der urzeitlichen Welle von Samstagabend-Unterhaltung, von Familienunterhaltung mit den Wettbewerben zwischen verschiedenen Gruppen; der Turnverein von Türkheim tritt gegen den Sportverein von Hinterwalden im Pyramidenbau an. Das waren richtigehende Ereignisse, die ihren Niederschlag auch in den lokalen Zeitungen fanden, weil Normalbürger es auf diese Art ins Fernsehen brachten.

Die Zeiten sind nur wirklich passé. Heute holen die Öffentlich-Rechtlichen damit niemanden mehr hinterm Ofen hervor, schon gar nicht können sie den Nachwuchs und genau so wenig die verloren gegangenen Zuschauer zurückholen, heute, wo jeder im Internet sein eigener Herausgeber sein, seinen eigenen Kanal betreiben kann.

Die Zeiten haben sich geändert und die Öffentlich-Rechtlichen hinken hinterher mit Formaten, die maximal ein eng umrissenes Zielpublikum erreichen; das sich aber vermutlich längst im Internet kundig gemacht hat. Bei Youtube ist der Zuschauer definitiv besser bedient, weil Leute, die dort von ihrer Selbstständigkeit berichten, dies konzentrierter tun, zielführender und nicht so TV-verhackstückt. Wer fachlich etwas erfahren will, ist hier beim BR schlecht bedient. Die Sendung scheint eher für Mumien geeignet, die nicht mehr in der Lage zum Wegzappen sind.

Hier stolpern Dokumentaristen (Ariane Dreisbach, Lenja Hülsmann, Rachel Roudyani, Juliane Rummel) unter redaktioneller Betreuung durch Saskia Barthel und Christiane von Hahn unbeholfen durch das Leben junger, durchaus sympathischer Selbständiger (Erdnussbauern, Online-Mentoren-Programm-Anbieter, Autowerkstattbetreiber) und verschneiden und vermampfen die Shooting-Strecke zu einem wenig bekömmlichen Brei, der noch in billigst-nervigen Sound getunkt wird. Das Geld für solche Sendung ist offenbar vorhanden; man könnte also auch was Gscheits damit machen. Das ist ärgerlich für den Zwangsgebührenzahler.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Outlaws – Die wahre Geschichte der Kelly Gang (BR, Freitag, 22. November 2024, 22.50 Uhr)

Australien 1867

Ein australischer Held –
irische Outlaws als Rebellen in Frauenkleidern

Sie wollen Sand ins Getriebe streuen. Sie sind gegen die Staatsmacht. Der Obrigkeit haftet der Geruch des Empires an. Das hat jüngst König Charles bei seinem Besuch in Down-Under zu spüren bekommen, allerdings nicht von irischer sondern von indigener Seite.

Ned Kelly (George MacKay) ist der Kopf der hier im Film von Justin Kurzel nach dem Drehbuch von Shaun Grant und Peter Gray besungenen Kelly Gang. Es gibt auch eine Fernsehserie über sie. Und alles nur, weil Ned Kelly sich berufen gefühlt hat, in einem Tagebuch an seine Tochter seine Geschichte aufzuschreiben.

Seine wahre Geschichte, meint Ted Kelly, und im Filmvorspann wird hinzugefügt, dass nichts hier wahr sei. Beste Vorausssetzung zur Legendenbildung. Der Mythos wiederum ist dazu geeignet, einen Beitrag zur Identität eines Lande leisten. Es sind archaisch-anarchisch antiherrschaftliche Selbstjustiz-Qualitäten, die besungen werden.

Der Film ist in drei Kapitel eingeteilt.

Das erste handelt vom Jungen Ned Kelly (Orlando Schwerdt), gibt als Zeitpunkt 1867 an, da müsste der Bub 12 Jahre alt gewesen sein. Ein Engel mit offenen Augen. Der bekommt mit, wie seine Mutter Ellen (Essie Davis) mit einem Blowjob beim Polizisten Geld verdient. Sie betreibt eine Spelunke, eine Art Verschlag im Niemandsland ist das. Vater ist bald weg, tot, der ist auch kein Vorbild; der ist weder treu noch in der Lage die Familie zu unterhalten – da tötet Ned schon mal ein Pferd aus der Nachbarschaft, um Fleisch zu beschaffen. Hier lernt der Bub das Töten. Und überhaupt soll er ein Mann werden.

Es sind die wildesten Dinge, die der Film berichtet. Aber Ned ist auch ein Lebensretter, er rettet einen reichen Nachbarsjungen vorm Ertrinken. Es sind vermögende Briten und die Mutter möchte dem wunderbaren Jungen eine ordentliche Schulbildung ermöglichen. Denkste, da ist dessen Mutter davor, die verkauft den Buben lieber an einen Straßenräuber; das wird seine Ausbildung. Töten muss der Bub lernen, damit er ein Mann wird.

Das zweite Kapitel ist mit Mann überschrieben. Hier ist Ned als Erwachsener zurück, möchte sein Leben geregelt verbringen. Er lernt Orgien kennen bei den exzentrischen Briten, Frauen, Ungerechtigkeiten, Lügen und Treue, Freundschaften und die Iren, die in Frauenkleidern zu Rebellen werden.

Konflikte mit der Justiz. Mutter im Gefängnis. Die muss befreit werden. Ned plant Großes an Aufstand, will die Staatsmacht in eine Falle locken – und landet doch selber in deren Fängen bis zum bitteren Ende. Aber etwas hat er nie aufgegeben: das Schreiben.

Find The Liar, Mittermeier (BR, Donnerstag, 21. November 2024, 22.00 Uhr)

Missbrauch des öffentlich-rechtlichen Zwangsfunkes

als Promi-PR-Vehikel, die dann auch noch dick auftragen, sie (die als deutscher Schauspiel-Superstar angekündigt wird mit der Behauptung, sie habe sich ihren Beruf nicht ausgesucht, um bekannt zu werden – da gibt es andere Geschichten, die aber gewiss nicht in eine Lügensendung passten…“hier ist das Amphibienfahrzeug unter den deutschen Fernsehstars!“) – und für solch dämlich Anmoderationen sollen wir Zwangsgebührengeld aufbringen? Für eine Sendung, die gleich mit Eigenlob beginnt, „das ist eine super Voraussetzung für eine lustige Sendung“).

Die Verlogenheit der Sendung wird auch auf der Tonspur mit dem hochgedrehten, künstlichen Jubel der Studiozuschauer unter Beweis gestellt. Müder Promi-Eigenbefriedigungs-Sülzquark.

Es wäre interessant zu erfahren, aufgrund welcher Berufs- und Lebenslügen BR-Redakteurin Birgit Baier so ein Format ins Leben ruft und Zwangsgbühren missbraucht, um Mist zu finanzieren, der mit dem Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunkes rein gar nichts zu tun hat; der lediglich dazu dient, Promis einen bezahlten PR-Auftritt zu ermöglichen.

Wobei das Thema Lüge/Wahrheit ein durchaus ernsthaftes ist, gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem von manchen Seiten vorgeworfen wird, ein Lügenfunk zu sein. So aber setzt er sich nur noch mehr ins Abseits, wenn er das Thema so veralbert.

Alle setzen verlogen freundlich gutgelaunte Minen auf.

Es steht den Leuten frei, sich auf dem Niveau einer Amphibie zu unterhalten, das ist wohl nur menschlich; aber das hat nichts zu suchen in einem zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der noch dazu ein gravierendes Legitimationsproblem hat. Mit solchen Sendung jedenfalls löst er es nicht.

Also das stört mich schon, dass ich vom Staat gezwungen werde, mittels Rundfunkgebühr Sendungen solch feiner, substanzarmer Promipinkel zu finanzieren; das ist absurd; da komme ich mir glatt zwangsgeneppt vor.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Kommentar zu den Reviews vom 21. November 2024

Und wieder kämpft eine ganze Armada neuer Filme um Aufmerksamkeit im Kino! Und alle verdienen sie, alle sind sie dazu geeigent, Kopf und Seele zu beschäftigen, Altes neu zu sehen, Neues zu sehen und zu erfahren, Dinge anders zu sehen und lebendiger zu sehen, Alltag mit Routine aufgemischt, Routinen mit Überraschungen unkalkulierbar gemacht, auf Gefahrenpunkte hingewiesen, mei, was des Kino alle zu leisten im Stande ist, das geht auf keine Kuhhaut.

Heute berichtet es aus Rom von einer verschworenen Veranstaltung und mischt sie mit entzückenden Lichtblicken auf. In Oregon ist es auf der Spur einer Serienmörderei und berichtet das apart. In Frankreich hüllt es wie einsten Christo ein Provinzdorf mit Phantastisch-Historischem ein. Französische Zeichner lassen sich von Weihnachten lustvoll inspirieren. Und ebenfalls in Frankreich geht es in der Banlieu um höchst bedrohliche Situationen. In Deutschland kommt einmal mehr die KZ-Chose hoch – bittersüß. In Skandinavien werweißen Erwachsene über Dinge von Kindern, die sie nur von Gerüchten kennen. Am Himalaya geht es um die Ehe einer Frau mit drei Ehemännern. In Irland stellt sich Prekäres kalenderblattschön und vorweihnachtlich dar. Die Deutschen versuchen sich einmal mehr an einer Romanverfilmung – generell zum Scheitern verurteilte Bemühungen, aber dieses Scheitern selbst ist dann doch einen Augenaufschlag wert. Und ein weiterer Deutscher reenactet seine eigene Pilgerwegserfahrung. Auf DVD tobt sich das amerikanische Independent-Kino aus! Das Öffentlich-Rechtliche schafft es, ein spannendes Leben öde zu erzählen.

Kino
KONKLAVE
Öde Veranstaltung aufregend geschildert

STRANGE DARLING
Liebe und Serienmord als Vexierspiel

DAS IMPERIUM
Das französische Provinzdorf beherbergt gothische Sternenkriegerkathedralen.

WEIHNACHTEN DER TIERE
So fantasievoll sind Weihnachtsgeschichten selten animiert.

SPIDERS – IHR BISS IST DER TOD
Das Gift der Vorstädte

SCHWARZER ZUCKER – ROTES BLUT
So schmeckte der KZ-Zucker.

ARMAND
Verwirrspiel um eine unbekannte Wahrheit

SHAMBALA
Eheclinch am Himalaya

SO THIS IS CHRISTMAS
Irische Prekär-Bescherung

MILCHZÄHNE
Vielleicht muss man den Roman kennen.

ALMAR – DER RUF DES JAKOBSWEGES
Planvolle Wiederbegehung

DVD
LOVE LIES BLEEDING
American Independent at its best

TV
WIE ICH AUF DER STRASSE LANDETE
Als ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Protagonistin, die vom Leben nicht Verwöhnte, auch noch bestrafen wollte.

Weihnachten der Tiere

Copyright by Yusra (9)

Fünf Geschichten und dazwischen Intermezzi

Es heißt, dieser Film sei für die ganz Kleinen, für die Kinoanfänger. Diese Sicht auf diesen bezaubernden, faszinierenden Zeichentrickfilm ist viel zu eng. Es dürfte ein Film sein vor allem für Menschen mit Fantasie oder für Menschen, die zumindest Fantasie lieben. Wenn etwas mit wenig attraktiven Strichen auf die Leinwand gepinselt wird und der Zuschauer sich den Rest vorstellen muss.

Die Welt als Vorstellung. Das ist Aktivität im Zuschauerhirn, die der Film zulässt, die er ermöglicht, die er wie ein Katalysator in Gang setzt. Es ist nicht ein Kino, wie in industriellen Kinderfilmen oft zu sehen, das den Zuschauer zudröhnt mit Action in irrem Tempo, jede Sekunde ein Gag.

Nicht dass die 5 Geschichten langweilig wären. Überhaupt nicht. Es sind fünf verschiedene Kreativteams, die sie gezeichnet haben mit minimalen Mitteln, ein Katzengesicht kann aus einer Schablone bestehen, die im Bild bewegt wird. Ein hilfreiches Hörnchen erscheint erst nur mit seinem Schwanz. So kann man sich das Tier am Schwanz vorstellen.

Die Geschichten sind allemal unterhaltsam. Es sind einfache Dinge, die zu erledigen sind um Weihnachten rum. Der Weihnachtsmann sollte mit dem Schlitten losfahren, aber seine Behausung auf einer Eisscholle löst sich. Das hat – einfach gezeichnet – dramatische Folgen. Aber der Weihnachtsmann ist nicht allein, er hat den Storch und den Fuchs und aus dem Meer taucht ein Walfisch auf, ein Tier biblischen Kalibers.

Auch die Tonspur ist kunstvoll, nie billig, immer qualitätsvoll auf die Geschichte und deren Stimmung abgestimmt; es ist nicht Musik, die schnell mit einem Griff aus irgend einer Sammlung rausgegriffen wurde.

Zwischen den Geschichten gibt es kurze Intermezzi. Die sind die fantasievollsten und auch von einem eigenen Kreativteam hergestellt. Es sind Sterne und Schneeflocken, die tanzen oder ein Orchester andeuten; es sind die Stellen des Filmes, die am nächsten an die wunderbaren Welten eines Walter Ruttmann kommen.

Die Geschichten sind auch nie nett-gefällig, kitschig oder kindisch. Es sind ernste Unternehmungen wie diejenige, dass in einem abgeholzten Wald nach einem Weihnachtsbaum gesucht wird. Die Geschichten laufen jedes Mal auf ein traumhaft schönes, poetisches Schlussbild hinaus.

Und dann die Geschichte mit den Hühnern, die den Weihnachtsbaum schmücken sollen. Aber Tiere können auch in einen Schneesturm geraten. Es ist keine Welt der Verniedlichung, aber es ist auch keine Horrorwelt. Es ist eine Welt mit Problemen, die lösbar sind.

 

Spiders: Ihr Biss ist der Tod

Die Erfahrung mit den Spinnen

Es ist keine schöne Erfahrung. Es ist eine gruselige Erfahrung, eine Erfahrung der Enge in einem dieser Hochhäuser in der Banlieu von Paris, wo die Menschen dicht gedrängt in vollgestellten Wohnungen leben.

Hochhäuser, aus denen es kein Entkommen gibt, wenn die Polizei sie unter Quarantäne stellt, weil darin die Spinnen ausgebrochen sind, Menschen töten und alles mit Spinnweben überziehen.

Sébastien Vanicek, der mit Florent Bernard auch das Drehbuch geschrieben hat, erzeugt diese Atmosphäre des Ausgeliefertseins, der Auswegslosigkeit in seinem hypernervösen, keine Verschnaufpause lassenden, extrem verruckelten Film mit seinen pausenlosen Alltagsdialogen, die als deutsche Untertitel zu lesen eine eigene sportliche Leistung bedeutet.

In rasanter Videotechnik fängt der Film in Marokko an, lässt Beduinen in der Wüste die Spinnen ausräuchern und fangen, lässt sie handeln mit ihnen. Sie finden ihren Weg nach Paris. Dort wird Protagonist Kaleb (Théo Christine) beim Händler Ali (Samir Nait) geködert. Er ist Spinnenliebhaber, hat sein Zimmer voll mit den lieblichen Tieren. Aber er ist unvorsichtig genug, seine Neuerwerbung in einem nicht ganz dichten Schuhkarton unterzubringen – wie kann er nur.

Das Tier findet seinen Weg nach draußen, vermehrt und vergrößert sich in Windeseile, wird zur Bedrohung im ganzen Haus, hinterlässt eine verheerende Spur, lässt zwischenmenschliche Konflikte eskalieren. Draußen wartet die Polizei. Aber das hört der Zuschauer nur. Er ist mit der Kamera gefangen in der Katastrophe. Horror pur vor politisch brisantem Hintergrund, der sozialen Lage in den Vorstadthochhäusern von Frankreichs Kapitale.

So this is Christmas

Irland prekär

In ruhiger Kalenderblattfotografie gibt der Film von Ken Wardrop einen intimen Einblick in die bescheidenen Lebensverhältnisse seiner Protagonisten. Er hat sich für die Adventszeit entschieden, wo Armut und Einsamkeit wegen der christlichen Weihnachtsgeschichte besonders im Fokus des Interesses stehen.

Eine Alleinerziehende mit drei Kindern, trockene Alkoholikerin, die jeden Cent umdrehen und zur Tafel gehen muss. Ein Witwer mit zwei Buben, der den Tod seiner Frau nicht überwunden hat und als Handwerker hart arbeitet, um die Familie durchzubringen. Eine Zynikerin, die allein lebt und blutrünstige Literatur liebt. Ein Single, dem die Mutter gestorben ist und der 6 Kilometer vom Ort entfernt wohnt. Er arbeitet bei der Stadt, man sieht ihn mit Kollegen bei der Laubbeseitigung. Eine Perfektionistin mit Essstörung.

Der Film ist nah dran bei seinen Protagonisten; er lässt sie über sich selbst und ihre Lebenssituation erzählen. Er zeigt auch, wie sie sich betten, wie sie frühstücken, wie sie einkaufen oder bescheidene Weihnachtsgeschenke besorgen und einpacken.

Als Beifang bringt der Film Weihnachtsfeiervorbereitungen, Weihnachtsdekorationen, einen Chor, Schmücken des Weihnachtsbaumes, Rupfen des Weihnachtstruthahns, Weihnachtsmänner mit weißen Bärten. Eine bunte Vielfalt, eine irische Bescherung.