Archiv der Kategorie: Allgemein

Another German Tank Story (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Der Mond über Wiesenwalde –
eine dörfliche Posse

Für Freunde des feinen Films erzählt Jannis Alexander Kiefer, der mit Theresa Weiniger auch das exzellente Drehbuch geschrieben hat, eine Wundergeschichte aus dem Dorf Wiesenwalde.

Es sei sein Dorf, behauptet er. Er versammelt seine Zuhörer und Zuschauer um den Teleman-Brunnen, ein Prunkstück in seinem Dorf. Der wurde errichtet, weil der berühmte Komponist in diesem Dorf krank und dann aber auch wieder gesund geworden sei. Er habe ein Wunder erlebt in dem Dorf, das seit der deutschen Wiedervereinigung ein Mauerblümchenleben fristete.

Der Glaube an Wunder – als Game-Changer – aber ist geblieben. Und tatsächlich, Hollywood hat sich gemeldet. Eine amerikanische Filmproduktion will hier mit einem Weltstar Szenen für einen Weltkriegsfilm drehen. Aufregung im Dorfe.

Ein bisschen erinnert das Szenario an das Lustspiel „ Die deutschen Kleinstädter“ von August von Kotzebue. Dort taucht Besuch aus der Stadt auf. Hier im Dorf ist es gar Hollywood. Das macht das Gefälle größer.

Jannis Alexander Kiefer reiht herrliche Miniaturen um diesen Hollywood-Dreh im Dorf aneinander, alle mit hervorragend gearbeiteten Dialogen, ausgehend von der Beobachtung auch der Charaktere und mit ebenso wundervollen Darstellern.

Das Corpus Delicti in der Posse ist ein Reststück aus dem zweiten Weltkrieg. So schon grotesk genug. Aber die Amis fahren ihrerseits einen Panzer auf. Den möchten sie gut bewacht wissen. Das tut die Bürgermeisterin Susanne Pauli (Meike Droste) auch pflichtbewusst, obwohl sie besseres zu tun hätte.

Alle im Dorf profitieren von dem Dreh. Der Sohn von Susanne, Tobias (Johannes Scheidweiler), weiß noch nicht so recht, was anfangen im Leben, liebt Videogames und seinen weißen Hasen Falco. Er wird Fahrer für die Crew. Obwohl er nicht mal den Führerschein hat und mit diesen modernen Sprintern nicht zurechtkommt.

So fährt Tobias immer nur im ersten Gang. Das gibt Zeit für Gespräche mit Jojo (Philipp Karner), der das Lichtdouble des berühmten Stars spielt. Vom Heimkehrer Bert (Roland Bonjour), der behauptet, Journalist zu sein, wird er für das Original gehalten.

Jede Figur in dem Film ist liebenswert gezeichnet. Jede scheint ihre eigene Geschichte zu haben. Selbst die chronischen Fenstergucker hinterlassen einen Eindruck, besonders die Fensterfrau Silke (Friederike Frerichs), die, schönes Inszenierungsdetail, nach dem Gucken die Kissen wieder von der Fensterbank entfernt, auf die sie ihre Arme aufzustützen pflegt.

Dann ist da der Sohn Wolfs (Alexander Schuster) von der eindrücklichen Wirtin Jenny (Gisa Flaker), der als Komparse einen Nazi spielen darf und direkt vernarrt ist in seine maßgeschneiderte Uniform.

Die hier liebevoll entworfene und gezeichnete Welt ist in ihrer Präzision und Klarheit auch in die Nähe der Filme eines Roy Andersson zu rücken.

Ein Stromausfall ist ein weiterer Gamemaker. Und erinnert an den geschichtlichen Hintergrund, nicht nur die Wartezeiten, die zum Film genau so gehören wie in der Provinz offenbar. Und wenn es nur das Warten auf den Tod ist wie das von Rosi (Monika Lennartz). Ein Kino, das wegen seiner Genauigkeit auch in die Nähe der Kunst der Kupferstecherei platziert werden könnte.

Jenseits der blauen Grenze (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Diktatur und Sport.

Scheiße,

das ist das erste Wort, das in diesem Film von Sarah Neumann fällt. Aber ansonsten ist der Film eine faszinierende Fingerübung in filmischem Erzählen.

Es ist die Verfilmung des Romans „Jenseits der blauen Grenze“ von Dorit Linke, einer Fluchtgeschichte aus der DDR.

Der Film erinnert in seiner Kargheit und Einfachheit an das schnörkellose Kino der DDR.

Er erzählt die Geschichte von den drei Jugendfreunden Hanna Klein (Lena Urzendowsky), Andreas Kuschwitz (Willi Geitmann) und Jens (Jannis Veihelmann). Sie sind um die 16. Andreas und Hanna sind schon Buddelkastenfreunde gewesen. Der Pastorensohn Jens ist ein Neuzuzug.

Hanna ist eine exzellente Schwimmerin und wird an der Schule entsprechend gefördert. Sie ist eine Medaillenhoffnung und über ihr schwebt das Damoklesschwert einer Sportschule, was den Wegzug und das Ende der Freundschaften bedeuten würde.

Andreas hat ein lockeres Mundwerk, macht sich so bei den Lehrkräften und Funktionären nicht beliebt; die Verhältnisse bei ihm zuhause sind nicht berauschend; sein Vater ist gewalttätig. Während der Vater von Hanna bettlägrig ist. Ihm liest sie ab und an vor.

Der Druck auf die Sportlerin wird stärker. Man denkt an den Film Tatami, bei dem die Beziehung zwischen Sport und Diktatur ins Extrem getrieben wird.

Auch für Hanna wird es schwierig. Freund Jens zieht in den Westen, die Eltern haben die Ausreise bewilligt bekommen. Andreas schmiedet Fluchtpläne, weiht Hanna ein. Sie will auch mit auf die Flucht.

Es wird eine lange Flucht, schwimmend über die Ostsee im Neopren-Anzug und bepackt mit Überlebensutensilien. Eine Schnur verbindet die beiden.

Die Flucht selber schneidet Sarah Neumann immer wieder zwischen die Zeit davor, in der die Idee dazu gedeiht und die Vorbereitungen getroffen werden. Pointiert zeichnen die Dialoge das Bild des peinlich-ideologisch organisierten Staates. Aber die drei Freunde habe auch ihren Freiraum. Güterwaggons an einem verlassenen Bahnhof sind ihr Treffpunkt. Auch diese Jugend hat ihre romantische Seite.

Good News (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Ein Mann in einem Hotelzimmer in Asien,

das erinnert an die Ausgangslage von Apokalypse Now. Dort ist es ein US-Soldat in Vietnam. Im Abschlussfilm von Hannes Schilling, der mit Ghiath Al Mhitawi auch das Drehbuch geschrieben hat, ist es ein deutscher Journalist in Thailand. Beider Wege werden in den Dschungel führen.

Der von Leo (Ilja Stahl) geht in Richtung Pattani in Südthailand, einem ehemaligen Königreich das1768 von Thailand erobert worden sei, teilt der Film im Antext mit.

Weiteres zur realen Geschichte hinter diesem Film findet sich bei Wikipedia, wenn man die Stichwörter Pattani und Rebellen eingibt.

Diesen Konflikt benutzt der wunderschön in Schwarz-Weiß gedrehte Film für ein Journalisten-Porträt bei gleichzeitigem Reflektieren von journalistischer Arbeit und deren Ethos. Denn Leo ist der Überzeugung, dass Berichte und damit Öffentlichkeit für die Rebellen nützlich seien. Andererseits sind diese offenbar nicht an PR interessiert, es ist kaum an sie ranzukommen.

So behilft sich Leo mit Andeutungen und Fantasie. Das erscheint der Redaktion in Deutschland vielversprechend, so sehr, dass es für den Journalisten einen Durchbruch bedeuten könnte. Sie schickt dem halbscharigen Leo den Fotografen Julian (Dennis Scheuermann) zur Unterstützung. Leo ist nicht begeistert, da seine Kontakte mehr geflunkert als Realität sind.

Es sind zwei wunderbar konträre Schauspielertypen, beide filmaffin. Der wie von einer KI gesteuerte Leo, der mit seinem Töchterchen skypt, gleichzeitig Flirts mit Thailänderinnen nicht abgeneigt ist; ein Mix aus Karrierist und nicht so richtig konsequent. Während Fotograf Julian sein Herz auf der Zunge trägt, sehr direkt sogar.

Der Film erfindet nun den nicht so richtig eskalierenden Konflikt der beiden und baut ihn aus. Julian will unbedingt Fotos. Leo laviert herum. Er hat einen besonderen Draht zum Einheimischen Mawar (Sabree Matming), dem er das Blaue vom Himmel verspricht mit einer Zukunft in Deutschland; gleichzeitig soll er ihm zu Kontakten mit den Rebellen verhelfen. Alles nicht so ganz koscher, alles nicht so ganz einfach. Die Versuchung zu tricksen ist enorm.

Der Film überzeugt durch seine Erzählschönheit; wirkt aber in der Erzählung selbst zusehends konstruiert.

Electric Fields (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Alpenrand-Surrealismus
und knarzende Holzbohlen

Dieser Film von Lisa Gertsch ist eine hübsche Kollektion kurzer Schwarz-Weiß-Studien menschlicher Begegnungen mit mehr oder weniger surrealem Touch, mit einem Entgleiten der menschlichen Herrschaft über die Situation, mit einem Eingreifen des Unerklärlich-Übersinnlichen, mit gelegentlichen Zweifeln an der von uns behaupteten Realität.

Die knarzende Töne, die bereits die Titeltexte untermalen, sind vielleicht als schönes Symbol dafür zu verstehen; nicht so ganz klar, woher sie kommen, wer sie verursacht, wohin sie führen.

Die Grade des Absurdismus sind unterschiedlich. Dem Titel des Filmes am nächsten kommen die ersten zwei Episoden. Grotesk, wie Michael Neuenschwander als Kurt am Todesbett seines Vaters (Hans-Rudolf Twerenbold) mit Wiederauferstehungsfantasien kämpft und mit der Unerklärlichkeit, was die mit der Musik aus dem portablen Radio zu tun haben.

Oder Manni, der Tüftler in seiner Werkstatt. Er hat es mit einer ungewöhnlichen Kundin zu tun. Sie will Erklärungen, die es nicht gibt, über eine Glühlampe, die unabhängig von Stromzufuhr und Anknipsschalter leuchtet.

Realistischer wird es bei der Vertragsunterzeichnung, die Julia Jentsch als Chefin Chloe zu bewältigen hat. Dass die neue Mitarbeiterin eine Auszeit hatte, die nicht schwangerschaftsbedingt war, irritiert sie, sehr, sehr. Da kann schon mal ein Pfeifen statt eines Textes kommen.

Besonders rätselhaft bleiben die Folgen, wie ein Mann ins Wasser geht und was mit den von ihm auf dem Bootssteg zurückgelassenen Schuhen passiert.

In Rom wiederum faszinieren Naturphänomene wie Vogelschwärme, die in einer Bewusstseinüberblendung zwischen Rom und einer Schweizer Stadt passieren; hier geht es um Literatur.

Zu dem Film fallen einem Begriffe ein wie Alpenrand-Slapstick, Alpenrand-Surrealismus; Begegnungsminiaturen mit unerwarteten/unerklärlichen Einschlüssen.

Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Wild-aufsäßig-feministisches Poem

Anhand der Eintragungen in ein Oktavheft in ungebundener Schrift und begleitet von kindhaften Zeichnungen von Selma Schulte-Frohlinde ventiliert Martha Mechow, die auch das Drehbuch geschrieben hat (Dramaturgie: Charlotte Brandhorst), grundsätzlich feministisches Gedankengut einer modernen Frau in essayistischer Form.

Es gibt eine Spielhandlung.

Hauptlocation ist Barraconi auf Sardinien, eine Mutter-Kind-Kurstätte. Hierher folgt Flippa (Lisa Schulte-Frohlinde) ihrer Schwester Furia (Ann Göbel). Ihre Mutter hat sie früh verlassen. Von hier wird Flippa mit ihrem Macker Vicky (Max Grosse Majench) und ihrem Buben sich in einem lottrigen Kleinwagen zur Fähre nach Korsika begeben.

Es sind die urfeministischen Themen. Sie werden reflektiert vom kapitalistischen Standpunkt aus, dass die Frauen die Kur ja nur machen, damit sie nachher wieder arbeiten, lieben, pflegen können, dass sie wieder funktionieren im kapitalistischen Kreislauf.

Es gibt Musik zwischendrin und Party. Es gibt fesche Männer, die auch zu Wort kommen. Der Begriff von der Frau als trojanischem Pferd fällt oder derjenige des heterosexuellen Knotens der Männer. Und dann weiß doch niemand, was damit gemeint ist.

Der Tour d‘ horizon du feminisme fängt mit der Bibel und der christlich-abendländischen Ikonographie an. Mit der Verwunderung darüber, dass Maria nichts von der unbefleckten Empfängnis bemerkt haben will; die Darstellung der Maria in der bildenden Kunst als ein Häuflein Elend. Mit einer Kettensäge wird einer Marienskulptur das Heilige Kind abgetrennt.

Die Frage der wahren, nicht von der Gesellschaft arrangierten Liebe rückt ins Zentrum. Jane Austin wird diskutiert, dass die Gefühle der Frau von den Umständen diktiert werden. Was ist freie Liebe? Was ist bedingungslose Liebe? Kleiner Gag dabei: die Frau trägt zum Sprechen eine Art Zahnspange.

Der Film sprüht nur so vor Ideen auch zur leichten, spontan wirkenden Illustration seines elmentaren Themas. Der Erzeuger des Buben von Flippa tauch unangemeldet auf. Und ein wunderbares Ensemble an Darstellern.

Antier Noche (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Sich faszinieren lassen
und ein bisschen inszenieren,

das scheint das Dokumotto von Alberto Marín Menacho gewesen zu sein, um die Ortschaft Salvaléon in der Extremadura in Spanien zu porträtieren.

Schon Bunuel war von der Extremadura fasziniert. Er inszenierte dort den Film Las Hurdes als ein Beispiel für extreme Armut im ländlichen Spanien. Ein Spielfilm, der so tat, als sei er eine Dokumentation.

Alberto Marín Menacho ist da offener in seiner Vorgehensweise. Er fängt den Film mit einer Castingsituation an. Der elfjährige Juan Francisco erzählt, dass er noch nie in einem Film gespielt habe, dass er noch kein Casting gemacht habe und warum er die Haare wachsen lässt. Das hat einen ganz persönlichen Hintergrund. Er wird einer der Protagonisten sein.

Der Dokumentarist bekommt auch Juans Schwester und Mutter vor die Linse. Und viele weitere Bewohner des Dorfes, das vielleicht 1600 oder 1700 Einwohner hat. Es ist ein Dorf unserer Zeit. Hier trifft die Moderne auf Ländlichkeit, auf Weite, Abgeschiedenheit, Ärmlichkeit, Vergessenheit, Verlorenheit. Es sind Sehnsuchtslandschaften für die ins Internet und die Mobiltelefonie eingespannten, eingestrickten Großsädter. Aber um die Moderne ist nicht herumzukommen.

Im Dorf gibt es eine Fleischfabrik. Aber auch die Landwirtschaft mit Kühen, Schweinemast, Obstanbau, Oliven, Korkeichen. Die Jugend fährt Mofa, geht in die Disco und spielt Videogames. Das Mobilphon ist ein untentbehrliches Kommunikationsmittel, nicht nur für die Verwandte, die im Krankenhaus ist, auch zum Festhalten von Waldbränden oder dem Löschhelikopter, um sich selbst im Spiegel zu fotografieren.

Es ist ein ungezwungenes Betrachten des Dorfes, ein Film für Müssiggänger und für Leute, die zu bequem zum selber Erkunden sind. Es ist ein Film, der gar nicht erst Systematik und Vollständigkeit vorgibt. Es lässt die Dinge auf sich zu kommenen.

Der Film ist dabei, wenn die Dörfler mit ihren Windhunden jagen, wenn sie Falken trainieren, aber auch bei der Jugend in der Turnhalle oder beim rauschenden Bach, wenn die Leute schwimmen. Er lässt den Jungen durch einen herrlichen Farnwald gehen; Naturidylle pur. Wenn Gelegenheit ist, setzt er die Leute mit innerem Monolog vor die Kamera oder inszeniert auch mal ein Gespräch über das Leben im Dorf, das Auswandern, die Liebe. Oder er wirft einen Blick auf die Geschichte rund um einen entlaufenen Esel.

Animal (Fünf Seen Filmfestival 2024)

Die Welt der Animateure

Der Film von Sofia Exarchou taucht ein in die Welt der Animateure auf einer griechischen Urlaubsinsel.

Das Hauptaugenmerk gilt der Tänzerin und Karaoke-Sängerin Kalia (Dimitra Vlagopoulou). Um sie herum sind die rätselhafte Eva aus Polen (Flomaria Papadaki) und weitere Animateure wie Simos (Ahilleas Hariskos), Thomas (Chronis Barbarian), Jonas (Voodoo Jürgens), Sergey (Kristof Lamp).

Der Film lässt sich vor allem vom Milieu faszinieren. Dieser Enthusiasmus, diese Stimmung, die Sorglosigkeit der Lebensentwürfe der Gaukler (ein ganz fernes Echo an die Welt aus „Abendstunde der Gaukler“ oder „La Strada“, oder auch Rimini)

Der Film kümmert sich wenig um die Ortung. Dass er in Griechenland auf einer Insel spielt, wird dezidiert erst kurz vor Schluss sozusagen amtlich. Darum scheint es der Filmemacherin nicht zu gehen. Sie mag den Strand, das Meer, wenn dort nicht Betrieb herrscht, die Barackensiedlung, die Atmosphäre im Club Apollo oder im feinen Hotel. Sie mag die Show-Nummern, die Künstler hinter der Bühne. Ein kleines Mädchen lebt mit den Künstlern, darf auch mal auftreten.

Es gibt Momente, die etwas unter die Oberfläche schauen lassen, aber der Film hütet sich vorm Drama oder vor der großen Liebesgeschichte. Alles ist vergänglich. Nur der Tag zählt.

Es gibt eine Verletzung, die darauf hinweist, auf wie dünnem Eis solche Künstlerleben gebaut sind. Es gibt Liebesgeplänkel unter Kollegen oder mit Gästen. Die Atmosphäre ist erotikgeschwängert. Es gibt den Moment der Überstrapaze, in dem Kalia in eine Krise schlittert.

Generell gilt: Lächeln, die Lust am Leben wird propagiert, der Elan der Jugend. Das kommt so glaubwürdig rüber, dass der Eindruck entsteht, es handle sich teils um einen Exploitation-Film, der einen realen Club mit realen Animateuren als Hintergrund für die Szenen benutzt, in denen er tiefer in die Akteure hineinhorcht. Hier tauchen Fragen auf, warum man das mache, wie lange schon.

Es gibt auch zwei, ja sogar drei Erklärungen für den Titel. Die eine ist bereits in der grafischen Gestaltung des Titels enthalten. Hier fällt nach ein paar Sekunden das „l“ am Schluss weg. Es bleibt die Anima, die Seele, was sicher auch als Zugeneigtheit des Filmes zu seinem Objekt – oder gar Subjekt – gelesen werden kann.

Einmal erzählt Kalia von einem Auftritt bei ätzender Hitze in Griechenland. Die Tänzerinnen trugen über den Bodys in den Farben Russlands schwere Pelze. Diese „Tiere“ lasteten auf ihnen, seien über ihnen gewesen. Die Last des Unterhaltungsgewerbes. Eva erzählt von einem Traum, der mit ihrer Herkunft zu tun hatte, da haben die alle geschaut mit großen Augen wie Tiere.

Kommentar zu den Reviews vom 28. August 2024

Menschen und Systeme ist wie ein Schwerpunkt bei den neu besprochenen Filmen. Warum muss Don im Marionettentheater im Central-Park immer den Narren spielen, der die Sahne ins Gesicht bekommt? Eine indisch-französisch-deutsche Animation beschäftigt sich explizit mit Systemen und dem Zusammenhag zwischen System und Lüge. Ein amerikanischer Film verengt das Thema des Systems auf das individuelle Hirn und dessen Verdrängungs- und Vergesslichkeitskünste; auch hier wird ein Zusammenhang zur Lüge behauptet. Warum müssen Frauen, bloss weil sie Frauen und musikalisch begabt sind, in der Barockzeit in einem Konvent untergebracht werden? Ein deutsch-amerikanisches Movie thematisiert das System Familie und Abgründe. Frauen, bloss weil sie Frauen waren, hatten im System DDR ganz spezielle Herausforderungen. Auch Erziehung ist ein System, erst recht in Familien, die auseinandergebrochen sind; daraus machen die Deutschen einen Themenfilm. Auf DVD gibt’s einen fetzigen Einblick, wie mit einem System wie der DDR kräftig rockhaft umzugehen war.
Kleine biographische Anmerkung: diese Woche ist gerade 15 Jahre her, dass stefe seine erste Review hier bei Filmjournalisten.de online gestellt hat.

Kino
DIE UNZERTRENNLICHEN – ZWEI DURCH DICK UND DÜNN
Von der Veränderungskraft der Phantasie

SCHIRKOA: IN LIES WIE TRUST
Kopftütenmenschen und die Gier der Macht. Gibt es eine Gleichheit unter Menschen?

SLEEEPING DOGS – MANCHE LÜGEN STERBEN NIE
Gedächtnisverlust kann auch ein raffinierter Selbstschutz sein.

GLORIA!
Schönstes Blumenbinderkino – Sujet sind musikalische begabte Frauen in einem Kloster bei Venedig.

CUCKOO
Horror, der in der Dehnung der Zeit seinen Kitzel findet.

DIE UNBEUGSAMEN 2
Bei den starken Ostfrauen dominiert das kollektive Denken.

ALLES FIFTY FIFTY – EINE ERZIEHUNGSKOMÖDIE
Die Tragödie dieses Filmes besteht darin, dass die Komödie nicht funktioniert.

DVD
SCHLEIMKEIM
Punktauglichkeit absolut nötig!

Schirkoa: In Lies we trust

Spiel mit Welten

Dieser Film ist ein Spiel mit Welten, die uns aus den Nachrichten verschiedenster politischer Systeme und Utopien nur bestens vertraut sind.

Hier werden die Ideale reduziert auf die Begriffe „Sicherheit, Vernunft, Heiligkeit“; insofern spielt ein Gott eine Rolle. Die erste Welt ist Schirkoa. Das ist die dikatorische, absolutistische, anonymisierte Welt, zu der sich möglicherweise ein früherer Idealismus, wie einsten der Kommunismus oder der Sozialismus, entwickelt hat. Hier laufen die prima animierten Menschen alle mit Tüten auf dem Kopf rum. Die Regierung besteht aus vier verquasten Intellektuellen mit noch größeren Tüten auf dem Kopf – diese Parlamentsszenen wirken besonders kafkaesk und erinnern auch an das Ballett „Der grüne Tisch“.

Kopftütenlosigkeit ist verboten. Ebenso wohl Individualität. Die Menschen haben auf der Stirnseite der Papiertüten über dem Kopf lediglich Nummern. Zwei der Hauptrollen sind die Nummer 197a (der ist sogar bei der staatlichen Verwaltung angestellt) und 242. Egal. Alles gleich.

Immerhin gibt es einen Blue District und auch Balkonien-Liebes-Romantik. Aber selbst in dieser Vorstellung einer Gesellschaft kommt es nach illegalen Flugblattaktivitäten zu einer Revolution. Die wird blutig gerächt mit dem Ansatz einer Hexenverbrennung.

Zwei der Protagonisten wollen sich vom Hochhausdach stürzen. Dagegen steht die Erkenntnis, dass Sex vor so einem Selbstmord, diesen für mindestens 6 Stunden aufschieben würde. Sie überleben.

Es gibt die andere Welt, die von Schirkoa als die böse geschildert wird, die Feindwelt, die Welt der Anomalia und als besonders gefährlich werden die Immigranten geschildert, die gejagt werden müssen.

Diese Welt des Abnormen ist bunt, vielfältig, chaotisch, sie lobt aber auch die Lüge. Es ist eine Welt der Künstler und der Show. Und wie in ihr ein Attentat passiert, greift sie gedanklich zu Strafmodellen nicht viel anders als Schirkoa. Es ist die Welt von Paraden und Partys.

Es gibt noch eine dritte Welt. Die scheint sich am Religiösen und am Buddhismus zu orientieren.

Ishan Shukla hat diesen Film nach einer Graphic Novel und nach seinem eigenen Kurzfilm in besonderer Animationstechnik geschaffen. Es sind Welten, die an jene aus Videospielen erinnern; sie wirken aber auch näher an der Realität. Tja, der Traum von der Gleichheit der Menschen wird hier eher kritisch gesehen; ein Film vielleicht symptomatisch für unsere Zeit des offenen Kampfes der Systeme und eines tief sitzenden Skeptizismus allen Herrschaftsformen gegenüber.