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Kommentar zu den Reviews vom 10. Juli 2025

Da das Filmfest, also das Münchner, aufgehört hat Kinorabatz zu machen, aus dem schlichten Grund, weil es seinen diesjährigen Dienst geleistet hat, schießt das reguläre Kinoprogramm wieder aus vollen Rohren, um sich auf dem Megamarkt der kulturellen Angebote bemerkbar zu machen und sich zu behaupten. Auf einer britischen Insel lässt es deshalb einen Megarockstar sich die Zähne ausbeißen. In Irland hat es sich was ganz Besonderes ausgedacht für einen jungen Autor, der mit seinem Debütroman über sein Coming-Out Erfolg gehabt hat. In Deutschland hängt es sich konsequent an einen jungen Mann, der noch nicht so recht weiß, was und wo und wie. Dass auch Extragalaktische Fehler machen und Niederlagen erleiden, erzählt ein neuer Film aus der Kategorie US-Blockbuster. In Moskau begibt es sich auf die Ebene von Straßenkötern, hündisch. In Deutschland wiederum erinnert es sich der Geschichte der jungen Bundesrepublik über die Befassung mit einem ihrer prägenden Architekten (baulich). Aus purer Verzweiflung über die politischen Verhältnisse, meine Interpretation, schickt Amerika einen missionarischen Film; ob die in Europa heilen wollen, was sie gerade bei sich kaputtmachen oder kaputtmachen lassen? Das Öffentlich-Rechtliche nimmt es mit der Gleichberechtigung im Sport nicht so genau und verbannt eine Doku über den schweren Weg des Frauenfußballs in die düstere Nachtzeit. Dass es überhaupt eine queere Reihe bringt, ist ihm hoch anzurechnen, aber auch die muss sich trotz prima ausgewählter Filme mit einem Mauerblümchensendeplatz begnügen.

Kino

THE BALLAD OF WALLIS ISLAND
So hat sich der Weltstar seinen Gig auf der britischen Insel nicht vorgestellt.

VIER MÜTTER FÜR EDWARD
Wer beißt sich hier an wem die Zähne aus?

DER FLECK
Coming of Age als poetisierendes Rumhängen und als Orientierungssuche

SUPERMAN
Errare human est.

DREAMING DOGS
Wovon Moskaus Hunde träumen.

SEP RUF – ARCHITEKT DER MODERNE
Der Architekt der jungen Bundesrepublik, der das Leichte suchte.

HOMESTEAD
Wenn Evangelikale Kino machen.

TV
MÄDCHEN KÖNNEN KEIN FUSSBALL SPIELEN
Der von der ARD für minderwertig erachtete Frauenfußball muss tief in der Nacht versteckt werden.

LOLA UND DAS MEER
Wenn es doch ein Mittel gegen die Verständnislosigkeit dem Anderssein gegenüber gäbe.

Superman

Brauchen wir einen neuen Superman-Film?

Was ist ein Superman? Der stammt aus dem DC-Universum. Braucht unsere heutige Welt einen Helden, der von einem anderen Stern, einer anderen Galaxie kommt, der bei einfachen Bauernsleut auf dem Lande aufwächst und später erfährt, dass er über berühmte Comic-Superkräfte verfügt? Muss er sich als Journalist Clark Kent (David Corenswet) ausgeben? Darf nur seine Kollegin/Freundin Lois (Rachel Brosnahan) wissen, wer er in Wirklichkeit ist?

Muss dieser Superheld so eine echt – auch filmisch – sterile Figur sein? Ja, das wohl, denn er ist für die Weltrettung zuständig und nicht fürs Liebemachen.

Eine wichtige Rolle spielt der Hund Krypto, der ebenfalls aus kryptischem Material gemacht sein dürfte; er verleitet dazu, den Film einen Hundefilm zu nennen, durchaus im niedlichen Sinne.

Sonst passieren die üblichen Actioneffekte, bei denen ich oft nur die leere Bühne sehe, auf der die Darsteller agieren und die in der Postproduktion piktographisch aufgemotzt werden; das jedoch furios unter der Regie von James Gunn.

Es sind moderne Themen eingespeist, welch gravierende Folgen Fakenews haben können und wie sie in die Welt gesetzt werden, dass sie selbst einem Superman zu schaffen machen, erst recht wenn er wie ein Milchbub aussieht und plötzlich einem Shitstorm ausgesetzt ist und alle sich von ihm abwenden, der doch gar nicht Böses getan hat.

Ja, unser Superman ist noch viel menschlicher, ausgerechnet er, der vom fremden Universum stammt, bringt den urhumanistischen Satz in Spiel, dass er Fehler gemacht habe und dass Fehler machen doch menschlich sei. Aber im Gegensatz zur realen Welt werden sie hier konsequent und selbstverständlich aufgeklärt, nicht wie die Maskengeschäfte eines ehemaligen Gesundheitsministers. Was sie wieder verbindet: bei beiden wird der Mythos des Superheldentum dadurch untergraben. Hollywood demontiert seinen eigenen Helden. Will das jemand sehen?

Für Bösewichter gibt es ein fantasievoll, grauenhaftes Cybergefängnis, das wird noch getoppt vom Taschenuniversum. Dank Fakenews landen darin aber eben nicht nur die Bösen, sondern auch solche, die als Böse denunziert werden. Da ist es noch schwieriger hinein- und erst recht, wieder hinauszugelangen.

Sonst gibt es Monster wie Kingkong, die halbe Städte zertrümmern, ein freischaffender Riss in der Erdoberfläche, der ganze Häuser, Städte und Landschaften in zwei Teile auseinanderreißen kann. Die Figuren jagen mir nichts dir nichts durch die Luft.

Professionell ist vorgesorgt für Lacher anhand von alltäglichen Imponderabilien wie einem Garagentor, das vorsintflutlich langsam sich öffnet, dahinter ein futuristisches Cybergefährt, oder eine Bemerkung über einen Haarschnitt und Hundy sorgt sowieso für Anteilnahme und Aufmerksamkeit. Das bewährt und immer wieder gern angewandte Hausmacherrezepte.

Vier Mütter für Edward

Vom morbid-herrlichen Charme klebriger Beziehungskisten

Von Machart und Erzählung her erweckt dieser Film von Darren Thornton, der mit Colin Thornton auch das Drehbuch geschrieben hat, so nah an der heutigen Zeit, dass quasi kein Blatt zwischen die beiden passt. Auch in der Subjektivität.

Es ist die Selbstbespiegelung eines Autors und seiner Lebenssituation als schwuler Mann mit pflegebedürftiger Mutter, die nach einem Schlaganfall stumm geworden ist und nur noch über Tablett mit KI-Stimme kommunizieren kann.

Mit dem Roman Aeonis, der Geschichte seines eigenen Coming-Outs, hat Edward (James McArdle) Erfolg gehabt. Jetzt soll eine Amerikatournee geplant werden. Dem stellt sich seine private Situation entgegen. Das sorgt für die Konflikte, die aneinandergefädelt dem Film sein anheimelndes, so ein bisschen im eigenen Sud köchelndes Cachet geben, was verblüffend zeittypisch erscheint.

Edwards Situation wird erschwert, und da zeigt sich abgrundtief irischer Humor, dadurch, dass schwule Freunde von ihm je ihre Mütter bei ihm deponieren, weil sie sich einen schön schwulen Urlaub auf einer Sonneninsel gönnen. So findet er sich mit Alma (Fionnula Flanagan), das ist seine Mutter, mit Maude (Stella McCusker), das ist die Mutter seines indiskreten Therapeuten, Jean (Dearblha Mollyo), und Rosey (Paddy Glynn). Ihm behilflich ist sein Ex Raf (Gaetan Garcia), der eine der Frauen pflegt.

James McArdle ist wunderbar in der Rolle des Edvard, dem das Mutterthema über den Kopf zu wachsen droht, der noch dazu in Internetproben den Ansprüchen der Amis für Interviews nicht genügt, wenig Lust auf die Amerikareise verspürt und froh ist, eine Ausrede zu haben. Die Mutter als Ausrede, das ist so eine Sache.

Raf ist sehr sinnlich, behauptet, er könne Handlinien lesen, ein Grund, zart diese Hände in die Hand zu nehmen. Einmal macht das Mütterquartett mit den beiden Betreuern einen Ausflug zu Maura (Niamh Cusack). Die will als Medium Kontakt zu der verstorbenen Ehemännern der Frauen herstellen.

Der Film verbreitet einen traurig schönen Humor, ein mildes Lächeln darüber, wie Menschen sich doch in Abhängigkeiten begeben oder in solchen gefangen sind. Der Auslebe-Urlaub auf der Insel scheint, so erzählen es die Handyfotos, auch nicht gerade das Non-Plus-Ultra gewesen zu sein.

Die Frage nach der Lebensweise, nach der besten Lebensweise, die kann der Film höchst akutell aufwerfen, beantworten kann er sie auch nicht. Es geht bei dem Film nicht um Fortpflanzung, um Nachwuchs und die damit verbundenen Hoffnungen, es geht um einen Lebenssinn außerhalb dieser Ziele.

The Ballad of Wallis Island

Von der beschränkten Haltbarkeit des Glücks und der Liebe

Herb (Tom Basden) und Nell (Carey Mulligan) waren ein erfolgreiches Musikerduo und ein glückliches Paar. Das ist Vergangenheit. Längst haben sie sich getrennt. Nell ist jetzt mit Michael (Akemnji Ndifornyen) zusammen. Herb verfolgt seine Solokarriere; er ist ein Megastar geworden. Trotzdem braucht er dringend Geld für sein neues Album.

Das Drehbuch von Tom Basden und Tim Key fädelt die Geschichte in der Regie von James Griffiths andersherum auf.

Ein Ruderboot landet an auf Wallis Island, einer wenig bewohnten Insel vor der Küste Englands. Charles (Tim Key) steht am Strand mit einem Schild, wie man sie von den Abholern am Flughafen kennt. Das zeigt die skurrile Betrachtungslage, die der Film bezieht. Für den Musikerstar ist das irritierend. Er platscht beim Aussteigen ins Wasser, sein Handy mit ihm. Dem Trocknen des Handys und dem dafür notwendigen Reis widmet der Film eine eigene kleine Story.

Grotesker wird die Situation, wie der Star in sein „Hotel“ geführt wird, es ist ein steiler Pfad vom Strand in die Höhe. Als Unterkunft fungiert das Haus von Charles.

Der Film zelebriert ausgiebig und neckisch die Diskrepanz zwischen gewohntem großem Bahnhof eines Megastars, der Stadien füllt und hier zu einem Konzert für eine halbe Million gebucht wurde. Die Fallhöhe ist wie die Falaises und ergiebig für viele ‚Situationen‘.

Andererseits ist der Vielschauer etwas besorgt, ob sich so eine Grundsituation einen Film lang durchhälten lässt. Da sind die beiden Autoren und Protagonisten gewieft genug, in die Tiefe zu gehen. Sie begründen auch die Finanzkraft des Herb-Verehrers.

Charles hat hinterlistigerweise für das Konzert am Strand, dessen einziger Besucher er sein wird, die frühere Partnerin von Herb, Nell gebucht. Sie kommt mit ihrem Michael. Auch die beiden brauchen das Geld. Die Expartner müssen üben für das gemeinsame Konzert, auch wenn Herb nicht begeistert ist.

Als Übungsraum stellt Charles den beiden einen mit Pflanzen vollgestellten Wintergarten zur Verfügung. Sie evozieren die Zeit des gemeinsamen Glücks. Das sind wunderschön wehmütige Szenen: kann ein Glück denn nicht für immer halten? Kann man es nicht zurückholen? Irgendwie scheint Glück, wenn es denn mal da war, immer wieder zu locken. Der Mensch möchte es, auch wenn er es verspielt haben mag, nicht loslassen.

Der Film Volvereis von Jonás Trueba kommt einem in den Sinn.

Der Film wirkt wie eine skurrile Grübelei zu den Themen Glück, Liebe, Erfolg, Vergänglichkeit, Herzwärme. Eine schönere Location hätte er sich nicht suchen können, die die Kamera ab und an zu überraschend, wie spontan wirkenden, kühnen Drohnenflügen verführt. Die Songs, die sind reines Ohrenschmalz.

Sep Ruf – Architekt der Moderne

Der Architekt des federleicht, lässig Schwebenden

Kanzlerpavillon in Bonn und Deutschlandpavillon bei der Weltausstellung in Brüssel sind vielleicht die beiden typischsten und berühmtesten Sep-Ruf-Entwürfe, die verwirklicht worden sind. Eine leichte, deutsche Nachkriegsarchitektur, vom Denken her demokratisch und offen, Fenster bis zum Boden, keine Schwellen, leichte Säulen, der Kanzlerpavillon alles auf einer Ebene.

Rufs Entwürfe werden in Deutschland anfangs oft abgelehnt, sind umstritten, international aber werden sie von Beginn an heftig begrüßt. Ob das mit dem Erbe der Nazizeit zu tun hat, das versucht der Film von Johann Betz nicht zu ergründen, er stellt es nur fest.

Im Winter sei es kalt in solchen Räumen und im Sommer heiß, meint ein Student. Die Präsidentin des Amtsgerichts in der Maxburg in München lobt die Menschenfreundlichkeit, die Dachterrasse, die Begegnungsmöglichkeiten, die sich positiv auf die Gerechtigkeit auswirkten.

Der Tucher-Park in München ist in die Jahre gekommen, gerne hätte man mehr darüber erfahren, wie genau die Modernisierung unter Wahrung der Rufschen Architektur geplant ist.

Der Film fährt jede Menge an Talking-Heads auf, Leute, die in Ruf-Häusern und -Pavillons wohnen, Leute, die mit ihm zu tun gehabt haben, Fachleute, ein Architekturkritiker.

Im Wirrwarr der vielen Stimmen kommt der Blick auf Entwicklung und Persönlichkeit des Protagonisten zu kurz. Dem Film selber fehlen genau die Eigenschaften, die die Architektur von Sep Ruf ausmachen: Leichtigkeit, Eleganz, Schwerelosigkeit, ja er bringt nicht mal ein Inhaltsverzeichnis, er blättert nur wie wahllos in dem riesigen Werk, das der Architekt hinterlassen hat, bringt Footage auch mal doppelt und haut eine Musik drüber, die wie billiger Sound in einer Mall klingt, der die Käufer besinnungslos in einen Einkaufstaumel stürzen soll.

Der Titel scheint unpräzise; diese Moderne scheint mir ein zu weit gefasster Begriff zu sein; eher angemessen wäre – nach Schauen des Filmes zumindest – „Der Architekt der jungen Bundesrepublik“.

Homestead

Missionary Prop statt Agit Prop

Ein Film mit einer Botschaft für eine bessere Welt von den Angel Studios, die eine Institution scheint, die mit christlichen Kirchen, den Evangelikalen oder in deren Auftrag agiert. Von denen gibt es bereits den Film Bonhoeffer, durchaus anregend, da es sich um das Biopic einer Theologenpersönlichkeit handelt, da werden kontroverse theologische Positionen behandelt, so wie der Film auch kontrovers aufgenommen wurde.

Hier im Film von Ben Smallbone nach dem Drehbuch von Jeff Kirkham, Jason Ross und Ben Kasica geht es vor allem um die Botschaft des Glaubens, es wird gebetet und gehofft; es gibt hoffnungsvolle Lichtmagie am Horizont, es gibt eine atomare Katastrophe in Kalifornien und die Beschreibung einer egoistischen Familie, die sich, da reich, in eine Art luxuriöse Festung in den Bergen zurückzieht, bewacht von einem Wachtdienst, der ausgestattet ist wie eine Privatarmee.

Es ist die Familie von Ian Ross (Neal McDonough), die sich für die Katastrophe präpariert hat, so richtige Preppers mit enormen Vorräten. Getreide in Silos zum selber Brot backen.

Für die Bewachung des Anwesens ist Jeff Eriksson (Bailey Chase) mit seinem Mannen angeheuert. Er lebt in einer Patchwork-Familie mit Tara (Kearran Giovanni), die den Sohn Abe (Tyler Lofton) in die Beziehung gebracht hat. Der wiederum ist im besten Alter sich zu verlieben und zum Glück haben die Rossens Töchterchen Claire (Olivia Sanabia), den Rest kann man sich denken, es wird sehr keusch bleiben.

Vor den Toren der Villa sammeln sich Menschen, die Einlass und Rettung begehren. Einmal bahnt sich der Staat in Form der Polizei den Weg vor das Anwesen und fordert die Herausgabe der Waffen. Das führt zu einer Schießerei; Ross wird verletzt. Vorher schon hat Abe jemanden erschossen und leidet unter Gewissensbissen.

Am Schluss heißt es, dass das Ende erst der Anfang sei und es wird eine direkte Ansprache an das Publikum geben, mit der Bitte, den im Abspann aufscheinenden PR-Code zu scannen. Mission accomplished or, better, mission begun.

Dreaming Dogs

Streuner

Streunende Hunde, Katzen faszinieren Filmemacher immer wieder aufs Neue. Ob das mit einer Zivilisationsfluchtssehnsucht zu tun hat? Im Extremfall wird das zu einer beinah literarischen, gar kinematographischen Geschichte verdichtet, wie bei Bob, der Streuner. Oder Katzen, die ein quasi freies Leben mitten in den Zwängen einer hektischen Stadt zu führen scheinen, wie in Medi – Von Katzen und Menschen. Zu schweigen von den Filmen aus Rumänien, Bulgarien, Griechenland. Oder aus Russland: Space Dogs, der vom selben Filmemacher-Duo stammt.

Jetzt hat sich das Duo Elsa Kremser und Levin Peter von dieser scheinbaren Freiheit, von dieser Zivilisationsnegation, von der Romantik des Aussteigertums in wild überwucherten Industrieruinen erneut faszinieren lassen. Sie werden von ihren menschlichen Protagonisten als Gäste bezeichnet, machen sich aber ansonsten unsichtbar. Wer weiß, vielleicht richtet man für ‚Gäste‘ ein paar Dinge doch etwas her.

Die Protagonisten, Russen und Russinen, leben mit Streunern vor den Toren Moskaus, obdachlos würden wir sagen, provisorisch, teils in einem Auto oder nur unter Planen. Sie verdienen sich ein Geld mit Metall, was sie an der stillgelegten Bahntrasse aus der Erde buddeln.

Vom filmischen Standpunkt aus gesehen führen sie ein malerisches Leben. Aber auch eine Fahrt durch das nächtliche Moskau mit einem Köter, der zum Fenster rausschaut, passt in diesen Romantizismus. Schöne Bilder vom Lagerleben mit überall aufgehängten Kleidungsstücken, mit einem prasselnden Feuer, mit Menschen die gemütlich beisammen hocken und Kreuzworträtsel lösen oder sich über den Film Nemo unterhalten.

Und dann imer wieder symbolstarke, stillgelegte, überwucherte Bahngleise. Wege ins irgendwohin. Aus der Ferne Ambulanzsirenen.

Die Gespräche der Menschen drehen sich um die Hunde, um Dingo oder Mucho oder Junia oder wie auch immer. Nicht weniger romantisch wirken nächtliche Aufnahmen vom Lagerfeuer oder von fernen Hochkaminen im Abendlicht. Das ist der Sommer. In der Winterphase des Filmes bewohnt Oma mit ihren Hunden plötzlich eine Hütte; die Männer und die junge Frau sind nicht mehr mit dabei.

Der Fleck

Zwischenwelt

Nicht mehr Kind, noch nicht erwachsen, kein Bub mehr, noch kein Mann, mitten in der Verpuppung, orientierungslos, das Gefühl, es gibt’s anderes als die Schule, diese Zwangsinstitution, einfach nicht hingehen, sich treiben lassen, durch die Straßen gehen, seine Wasserflasche in die Luft werfen, Übersprungshandlung vielleicht, nach Hause gehen, dann wieder weg, sich von einem Kumpel überreden lassen, an den Fluss zu gehen.

So fängt Willy Hans seine Erzählung über Simon (Leo Konrad Kuhn) an. Es ist eine sensible, fragile Lebensphase. Das übernimmt der Film empathisch. Er spiegelt das durch eine Erzählweise, die sich gerne des Offs, des Dazwischen, des Daneben, des Unscharf, der Distanz, des Erahnten, des Vermuteten bedient, eine Erzählweise, die sich die ‚private Activity‘ zu nutze macht; selbst die Kamera übernimmt diesen Darstellungsmodus, lässt sich ablenken, begnügt sich mit Details, mit Angerissenem; wenn Marie (Alva Schäfer) mit den blau gefärbten Haaren und den Nasenringen das abgestandene Wasser in der Flasche von Simon durch frisches ersetzen will; so reicht die Info vollkommen, dass sie das im Sinn hat; die Kamera kann sich an der Natur ergötzen, am Garten, die Erzählung leidet dadurch nicht.

Der Film beschreibt die Rumhängesituation der Jugend ähnlich wie Cesare Pavese es zur Zeit des italienischen Neorealismo getan hat. Hier treffen sich Kids in idyllischer Natur. Sie vertreiben sich die Zeit. Ein Paar verschwindet im Gebüsch. Simon ertappt sie beim Küssen. Bei ihm wird es nicht so weit kommen. Seine Annäherung an Marie passiert wie magisch, unbewusst, so recht weiß er wohl noch nicht, was ihn zu ihr hinzieht und was er mit ihr soll.

Das ist angenehm gegen den Zeitgeist, der ach so offen über Sex, Knutschen spricht und gleich zur Sache kommt. Bei den beiden reicht es gerade für gemeinsame Fotos. Oder ein Knutschfleck am Hals eines Mädchens bannt kurz seinen Blick.

Die Erzählung wird gebrochen, einmal kommt eine Filmklappe vor und die beiden spielen auch eine Szene, einmal ist ein Fussel am unteren Bildrand über ganze Szenen sichtbar. Dann wieder verabsentiert sich die Kamera beim steigenden Flusspegel, beim Hochwasser. Die schwemmt Kindheitserinnerungen an einen Geburtstag am Wasser mit sonderbaren Sci-Fi-Kostümen der Kinder in Simon hoch. Oft ist Simon hinter Ästen, durchs Gebüsch zu sehen, das Gesicht halb verdeckt. Dazwischenwelt.

Lola und das Meer (BR, Donnerstag, 10. Juli 2025, 23.15 Uhr)

Die Engstirnigkeit der Männer

die ist sicher nicht das direkte Thema in diesem Film von Laurent Micheli. Sie liefert jedoch den Hauptwiderstand gegen die Entwicklung von Lionel zur selbstbestimmten Lola (Mya Bollaers).

Vater Philippe Ronsart (Benoît Magimel) kann überhaupt nicht damit umgehen, dass sein Sohn mit 18 zur Frau werden will. Er hält das für eine pubertäre Laune. So etwas fordert sein Weltbild heraus, es erschüttert es. Er gibt seinem Sohn die Schuld an seinem eigenen Unglück und am Tod seiner Frau, der Mutter von Lola.

Der Film geht allerdings diesem Thema nicht auf den Grund. Diese Verständnislosigkeit steht da wie ein erratischer Block, Hopfen und Malz verloren.

Es gibt eine Handlung, die zu einem Roadmovie von Vater und Kind ans Meer führt. Anlass ist der Tod der Mutter. Ihre Asche soll beim Haus ihrer Eltern im Meer verstreut werden.

Der Bub Lionel ist von zuhause abgehauen, weil er mit dem Vater nicht zurechtkam oder umgekehrt. Im Heim hat er sich mit Samir (Sami Outalibali) angefreundet. Dort macht ihm keiner Vorwürfe für seine Art, während er, das erzählen Rückblenden, im Schoße der Familie am Meer, von seinen Cousins malträtiert wird.

Nachdem Lola wegen mangelnder Info durch den Vater die Beerdigungszeremonie verpasst hat, raufen sich Vater und Tochter zusammen, auch wenn bei jedem Zusammentreffen Explosionsgefahr besteht. Sie wollen die Urne mit der Asche der Mutter gemeinsam zum Meer bringen. Bitter und schmerzhaft ist es, zu sehen, wie aussichtslos jeder Versuch von Lola ist, Verständnis für ihre Lage zu schaffen. Einen kleinen Hoffnungsschimmer bietet ein Brief, den Lola an ihre Mutter geschrieben und nie abgeschickt hat, und den sie jetzt ihrem Vater zum Abschied gibt.

Mädchen können kein Fußball spielen (ARD, Freitag, 4. Juli 2025, 23.15 Uhr)

Der Frauenfußball und der Sexismus

Warum sendet die ARD diese Dokumentation von Torsten Körner so spät nachts? Ist das der immer noch nicht endgültigen Beendigung der Diskriminierung des Frauenfußballs zuzuschreiben? Würde die ARD eine solch anekdotische, in der unendlichen Fundgrube sexistischer Sprüche reichlich wühlende Dokumentation, wenn es denn um die Herren der Schöpfung ginge, bei der ja der aktive Sexismus, der potenzstrotzende Sexismus nicht weniger da ist, ebenfalls zu nachtschlafender Zeit versenden, um ihn anschließend in der Mediathek zu versenken?

Vielleicht sind dafür nicht mal die für die Herstellung der Sendung verantwortlichen Redakteure Rolf Bergmann (RBB) Anais Roth (MDR), Raiko Richter (MDR), Sabine Mieder (HR), Marc Brasse (NDR) und Thomas Kampf (WDR, zuständig. Vielleicht sind das heimliche Machos in grauen Anzügen, die sich geschickt getarnt in den unzähligen Hierarchien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks namenlos unsichtbar machen.

Ja, es wäre interessant, von der ARD eine Begründung für die Platzierung zu hören. Fußball ist doch eine populäre Angelegenheit. Warum wird die nicht zur Hauptsendezeit behandelt? Es geht immerhin, ständig ist am unteren Bildrande anspruchsvoll das Label „ARD History“ zu lesen, um die Geschichte einer Emanzipation, sowohl in den zwei parallelen deutschen Staaten als auch nach der Wiedervereinigung im heutigen Deutschland.

Der Film bejubelt in den letzten Sequenzen denn auch die Erfolge der deutschen Frauen-Nationalmannschaft seit der Wiedervereinigung. Er erfüllt vielleicht diesen History-Anspruch nicht unbedingt nach systematischen Kriterien. Immerhin geht er in locker chronologischer Reihenfolge primär anekdotisch vor. Und da ist die Geschichte reich davon!

Der Film platziert wichtige Akteurinnen dieser Geschichte als Talking Heads in einem historisch anmutenden, fein ausgestatteten Studio, könnte aus der DDR stammen, die Protagonistinnen gut ausgeleuchtet, hübsch angezogen, frisiert und geschminkt. Der Hintergrund kommt einem Bericht über den historischen Stuhlfundus der ARD gleich. Wie in einem Design-Museum dekorativ werden da zeitgenössische Sitzgelegenheiten in eigenen Choreographien hindekoriert.

Als nett kommentierend werden immer wieder die Sphinx-Köpfe eines Tischfußballspiels zwischengeschnitten, die auch mal akklamierend nicken.

Die Geschichte des Frauenfußballs ist ein einziger Kampf, das ergibt sich aus den Erzählungen, gegen den vorherrschenden Machismo, der mit Statements speziell auch von Spitzenpolitikern, aber auch von Männern aus dem Volk und auch von Sportjournalisten, seinen Niederschlag findet.

Der Film kann gesehen werden als flankierende Ergänzung zu anderen Filmen zum Thema. Diverse Überschneidungen, auch dank der Protagonistin Anne Trabant-Haarbach, gibt es mit der Doku Das Wunder von Taipei. Wie aus einer Parallelwelt zur hier beschriebenen Frauenfußballwelt gibt es den neuen Kinofilm Copa 71, der von einer sensationellen WM der Frauen schreibt, die praktisch mit dem Abpfiff sofort dem Vergessen anheim gefallen ist.