Archiv der Kategorie: Allgemein

Kommentar zu den Reviews vom 1. Juni 2023

Im Kino dominiert das Örtliche. Ein Pueblo in Argentinien als Location für verzwickt gesponnene Liebesgeschichten. In den Sanddünen einer dänischen Insel wird die Insel dafür gebasht, was sommers dort passiert. Mitten in Afrika, der höchste Berg, Besteigung mit Handicap. Das Militärsetting als Ort für extrem raue wie extrem lauwarme Gefühle. Eine Wohnung in einem Schweizer Wohnblock als Räumlichkeit für eine Einladung, die bös aus dem Ruder läuft. Eine klassische Oper, die in Räume von Alltagsenge hineingeklemmt wird. Im Bezahlstream wurde ein Kultstoff gestreckt. Auf DVD sind Extreme zugange: lose finnische Sünden zwischen Bett und Stall im Süden Lapplands, eine willensstarke Französin trimmt ihre Gesundheit gegen die Prognosen der Schulmedizin und eine Autorin zeigt, was sich mit Sprache alles anrichten lässt.

Kino
TRENQUE LAUQUEN
Angewandter Feminismus in der Pampa

DAS RÄTSEL – LES TRADUCTEURS
Verleger- und Übersetzerkrimi

FUCKING BORNHOLM
Fucking ist natürlich nicht die wunderschöne dänische Insel, fucking ist das Coming-of-Age der Kinder

KILIMANDSCHARO – DIESMAL MIT KRÜCKEN
Bergsteigen mit Handicap

EISMAYER
Harte militärische Schleiferei und schwule Liebe

DIE NACHBARN VON OBEN
Gott des Gemetzels gutnachbarschaftlich schweizerisch

ORPHEA IN LOVE
Den klassischen Stoff zwischen Call-Center, Theatergarderobe und Straßendiebstahl eingezwängt

Stream
DIE HOHLBEINS – DER GREIF
Der Kultstoff hat sich im Zuge der Streamisierung arg verdünnisiert.

DVD
DIE ERDE IST EIN SÜNDIG LAND
In der finnischen Erde ist die Sünde noch feiner.

ROSY – AUFGEBEN GILT NICHT
Gegen Rosys eisernen Willen hat das Untergangsgetöse der Schulmedizin wenig Brot.

ELFRIEDE JELINEK – DIE SPRACHE VON DER LEINE LASSEN
Mit scharfem geschichtlichen Bewussstsein und provokanter feministischer Sprache

Trenque Lauquen

TEIL 1

Nicht klassifizierte Spezies
oder: eine unabhängige Frau
oder die Liebe: die immer grad woanders ist.

Das ist vielleicht eines der Geheimnisse der Liebe: dass sie immer grad woanders ist, in den Köpfen, in den Geschichten, in den Büchern, in den Filmen, in der Literatur oder bei anderen Menschen, die sich der Liebe aber nicht gewahr sind.

Das ist vielleicht auch das Geheimnis der reinen Liebesgeschichten. Dass sich alles um die Liebe rankt, aber zu fangen ist sie nicht, festzunageln schon gar nicht, sie ist vielleicht ein flüchtig Ding.

Vielleicht ist die Liebe eine nicht zu klassifizierende Spezies hier im Film von Laura Citarella (Produzentin: La Flor), die mit Laura Paredes auch das Drehbuch geschrieben hat, auf jeden Fall als Symbol zu sehen. Denn die große Leerstelle an Protagonistin Laura (Laura Paredes), ist in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf der Suche nach einer solchen, eine fehlt ihr noch. Sie ist die Freundin des Dozenten Rafael (Spregelburd). Und Laura ist verschwunden.

Auf die Suche nach Laura machen sich Rafael und Etzequiel (Ezequiel Pierri). Etzequiel kennt sie lange, arbeitet auch für den Staat, fährt Laura oft, hier ist sie keine Leerstelle mehr, ins Land hinaus zu ihren Recherchen.

Laura Citarella hat ein feines Geschichtengespinst erstellt, das um Laura einerseits, um die literarische Figur Carmen und deren Freund Pedro, kreist, andererseits um die beiden Männer Rafael und Etzequiel, die wiederum in Beziehung zu Laura stehen, wovon der eine der beiden einen gewissen Informationsvorsprung hat und den auch für sich zu behalten weiß.

Die Leer- oder Füllstelle des Filmes ist Laura, ist ihre Arbeit für das Radio, ist ihr Einsatz für die Emanzipation der Frau, für die Unabhängigkeit der Frau, ein Thema, das besonders im Moment der Schwangerschaft an Brisanz gewinnen kann, wie das quasi literarische Vorbild, der Briefroman zwischen Carmen und Pedro, zeigt. Es gibt Parallelen zwischen beiden Liebesgeschichten. Und es gibt das Verschwinden von Laura. Es gibt aber auch literarische Hinweise, wie der Film – leicht – zu lesen ist: Cesare Pavese, „le amiche“, „wer Kinder hat, akkzeptiert das Leben“. Wobei der Satz möglicherweise mehr Rätsel stellt als löst.

Ganz nebenbei ist der Film als Roadmovie eine kleine Argentinien-Besichtigungstour mit vielen Orten, die nicht durchorganisiert sind, mit Orten, wo Luft zum Atmen und auch zum Zerfall da ist.

TEIL 2

Daily Mystery
telenovelagestählte Erzählweise
das tägliche Rätsel der Vorstadt

Trenque Lauquen.
Daily Provinzstadt-Mystery

In diesem zweiten Teil des Provinzstadt-Mystery-Opus von Laura Citarella werden einige Fragen aus dem ersten Teil beantwortet, dafür kommen neue Geheimnisse ins Spiel.

Im ersten Teil sucht Ezequiel eine Frau, Laura (Laura Paredes). Hier im zweiten Teil sucht die gesuchte Frau etwas, was, das wird der Zuschauer am Ende selber beantworten müssen und auch, ob sie es gefunden hat.

Hier wird nachvollziehbar erzählt, wie und warum Laura sich das Auto von Ezequiel urplötzlich ausleiht und dann verschwindet. Das hat mit der Beziehung zu Juliana (Juliana Muras) zu tun, der Schwangeren, die Laura beim Hörfunk der titelgebenden Kleinstadt Trenque Lauquen kennenlernt. Es geht um eine Sendung über Frauen, die die Ortschaft und die Geschichte prägten, die neue Frau von Trenque Lauquen.

Juliana Verdi ist eine der neuen Frauen. Laura ist auch Gast in der Live-Sendung, die ausgiebig von Regisseurin Laura Citarella geschildert wird, als gäbe es kein Morgen; wie denn überhaupt der Zeitbegriff im argentinischen Kino doch ein anderer zu sein scheint als beispielsweise im europäischen, mal abgesehen vielleicht von einigen Filmen von Bela Tarr.

Wobei das südamerikanische Kino häufig, was den Zeitbegriff betrifft, von der Tradition der Telenovelas geprägt scheint. Etwas fehlt hier im Film von Laura Citarella gänzlich, was oft ein Thema ist in lateinamerikanischen Filmen, das Thema Herrschaft und Dienerschaft, der Klassenunterschied. Hier sucht erst – im ersten Teil – ein Mann eine Frau, dann sucht eine Frau – in diesem zweiten Teil – etwas, was genau, dürfte offen bleiben. Sie ist hinter Juliana her, pirscht sich in ihr Leben mit einer anderen Frau hinein. Auch diese zwei Frauen haben ein Geheimnis, hinter welches zu kommen nicht leicht ist, es hat mit Pflanzen zu tun und mit einem In-Vitro-Gewächshaus.

Vielleicht ist Film einfach ein Hohelied auf das Vorstadtleben.

Historisch-literarischer Hinweis:
„Ein Meer an Neugikeiten“
Nudistin Lady Godiva von Coventry. 11. Jahrhundert.
Nur Peeping Tom schaute und erblindete.

Lob der Kleinstadt: „Wenn man einmal hindurchspaziert, trifft man die Hälfte der Bewohner“ (was ist mit der anderen Hälfte?). Hier wird ständig jemand gesucht oder verfolgt. Ständig ist der Film hinter wem her.
Laura die Geschichtenerzählerin, sie hat den Kaiman gesehen, gehört.
Das Geheimnis des oberen Stockwerkes. Die zwei Frauen, Lisa, Romina.

Und hinter Trenque Lauquen beginnt die Pampa.

Orphea in Love

Ich hab da so eine Idee
zum Orpheus und Eurydike-Thema,

so ungefähr könnte sich Autor und Regisseur Axel Ranisch an Filmförderer und Fernsehradakteure gewandt haben, wie das Orpheus-Motiv, das sich schon in x Opern und Musikwerken findet, modern umgesetzt werden könnte.

Und, besonders originell, ein gewisse Umkehrung, hier ist eben die Frau die Sängerin und muss singen, damit ihr Geliebter Kolya (Guido Badalamenti), der bei einem Verkehrsunfall zu Tode gekommen ist, wieder aufersteht.

Durch eine gewisse Tür muss sie gehen; das erinnert an den Film Suzume; macht aber auch auf den gravierenden Unterschied aufmerksam, wie poetisch vieldeutig der japanische Anime-Film ist im Vergleich zur Holzhammer-Tür hier, die wie aus einem Operettenfundus gefallen scheint.

Die Idee, die Axel Ranisch gesponnen hat, geht so:
Orphea heißt Nele (Mirjam Mesak) und ist Studentin aus Estland. Sie arbeitet in einem Call Center als Telefonistin und im Theater als Garderobiere. Sie wird Opfer des Anmachtänzers Kolya am Prinzregentenplatz (mit Sicht auf die ehemalige Wohnung von Hitler), der mit einer Knallchargenalten (Ursula Werner) Passanten beraubt.

Kurz gefasst wird sich zwischen Nele und Kolya unsterbliche Liebe einstellen. Dazwischen pfuschen ein ebenfalls als lieblose Knallcharge gezeichneter Agent (Heiko Pinkowski), genau so wie die Chefin des Call-Centers.

Der Film bedient sich bei den verschiedensten abendländischen Orpheus-Werken; schafft es aber nicht, das Unsterbliche an der Liebe und an der Kunst zu vermitteln. Dadurch, dass manche Figuren als lieblose Knallchargen fungieren, werden die anderen nicht unbedingt poetisch, erotisch, verzaubernd, ein wohl elementarer Bestandtteil dieser Geschichte, die doch von der Macht der Musik – und damit von der Kunst – handelt.

Hier wird banalisiert. Hier werden Ideen gewälzt, an denen sich zusammen mit Axel Ranisch als Drehbuchautoren noch Sönke Andresen und Denis Pauls beteiligten, als Dramaturgen mischten Cornelia Ackers und Rainer Karlitschek mit und als verantwortliche öffentlich-rechtliche Redakteure dürften Theresa März und Monika Lobkowicz ihren Mist dazu beigetragen haben, so dass das Resultat nach dem berühmten Spruch von den zu vielen Köchen kommt.

Von der Kulisse her wanzt sich der Film romantisierend an die Graffiti-Kunst in einer Unterführung ran (für einen Balztanz des Taschendiebes und Rückgabe der Börse), an aufgelassene Bahngelände und Industriebrachen. Und er schreckt nicht davor zurück, das ganze Orpheus-Kuddelmuddel mit einer Art Parodie auf den Elvis-Nummernzirkus von extremer Beliebigkeit anzureichern.

Dem Dieb Kolya fehlen allerdings Sensibilität, Anmut und Poesie der Bewegungen einer Cocteaufigur.

Geliebt wird gremienkompatibel jugendfrei und züchtig

Wenn man vergleicht, wie ein Tobias Kratzer in Berlin die an sich als schwacher Abklatsch des Rosenkavaliers geltende Arabella von Strauß/Hofmannsthal hochintelligent zu Kultpotential gebürstet hat, so wirkt das hier provinziell-biederlich.

Vertrag: your voice for his life… are you really strong enough?

Der Film pflegt sich länglich in Einzelarien zu suhlen. Trotzdem, neue Einsichten zu dem Thema hat er nicht zu bieten.

Es fehlt die Poesie, das Traumhafte, die Kraft, die träumen macht, die Erotik, die Seite des Sensibel-Künstlerischen.

Kilimandscharo – Diesmal auf Krücken

Atemtechnik

Das Blut mit genügend Sauerstoff versorgen, wenn der knapp ist. Das ist Atemtechnik. Atemtechnik ist Willenstechnik.

Was der Mensch damit alles erreichen kann demonstriert in diesem Film von Michael Scheyer der Bergfex Thomas Lämmle. Der hatte, wohl erst als zweiter Mensch nach Reinhold Messner, 8000er ohne Sauerstoffgerät bestiegen, gleich zwei Stück hintereinander, ohne damit groß Aufsehen zu erregen.

Mehr genützt hat ihm seine Atem- und Willenstechnik allerdings nach einem schweren Gleitschirmunfall im August 2020. Die Diagnose der Schulmedizin lautete nach der Reha: Rollstuhl. Aber nicht für den Allgäuer Lämmle. Der war früher schon über 60 Mal auf dem Kilimandscharo. Er hat dort eine nachhaltige, touristische Infrastruktur aufgebaut. Träger sind Pflicht. Und die haben bei ihm ein sicheres Auskommen.

Wie Lämmle feststellt, dass er mit Krücken wieder gehen kann, auch wenn der linke Fuß noch ohne Gefühl ist, lockt ihn der Kili, wie der höchste Berg Afrikas hier immer wieder liebevoll genannt wird.

Mit einigen Menschen aus dem Allgäu plant er eine Tour, eine der ersten nach Covid. Einer aus der Gruppe ist Michael Scheyer, der diese mehrtägige Bergwanderung und Besteigung wie ein Videotagebuch spannend aufgezeichnet hat. Dabei ist viel zu erfahren über die Atemtechnik, über Akklimatisierung, über den Umgang mit den Kräften.

Der Film ist vieles in einem. Er ist ein packendes Roadmovie über diesen Aufstieg. Er ist eine Lektion in Atem- und Tourengeh- und Akklimationstechnik. Und er liefert einen Beweis dafür, was ein Mensch mit eisernem Willen, der immer wieder gegen den Schmerz kämpft, erreichen kann und dass die Schulmedizin mit ihren Negativdiagnosen lange nicht immer richtig liegt. Zudem ist der Film ein sympathisches Potträt dieses Bergsteigers – mit einem Blick in sein Archiv – und ist zudem ein schöner PR-Streifen für geführten Exkursionen in dem afrikanischen Naturschutzgebiet. Merke: für so eine Besteigung entscheiden nur über 30 Prozent die Füße, über 70 Prozent der Kopf!

Fucking Bornholm

Bienchen und Blümchen

Diese Review fängt mit einem kleinen Spoiler an, also der erste Abschnitt verrät etwas, das im Film allderdings auch bald schon aufgelöst wird.

Früher ging Aufklärung noch über die Erzählung von den Bienchen und den Blümchen. Heute guckt der 10-Jährige auf den Computer des Papas, sieht was eine Frau mit seinem Penis macht und bittet im Sommercamping auf Bornholm seinen ebenfalls zehnjährigen Freund, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Der ist am nächsten Tag wortkarg.

Mama Maja (Agnieszka Grochowska) – nicht die Biene – bekommt das mit, ist höchst alarmiert. Papa Hubert (Maciej Stuhr) sieht das lockerer und meint, die Kinder müssten das doch ausprobieren. Aber da Mama Maja ein Kontrollfreak ist und die Entwicklung der Kinder im Auge haben möchte, auch wenn es um Intimitäten geht, was vielleicht doch hinterfragt werden sollte, dringt sie in die Kinder und bohrt, bis sie die oben gespoilerte Geschichte ihnen aus der Nase gezogen hat.

Damit ist der Kinderteil der Story, die Regisseurin Anna Kazejak mit Filip K. Kasperaszek geschrieben hat, vorbei: jetzt schwappen die Irritationen des Coming-of-Age der Kinder auf die Erwachsenen über. Vielleicht hatte Maja es damals noch mit der Biene und dem Blümchen vermittelt bekommen. Hubert scheint ihre erste und einzige Liebe gewesen zu sein. Die Enttäuschung über die Computerfilmchen ist groß, löst Emanzipationsdrang in Maja aus.

Das befreundete Paar ist Nina (Jasmina Polkas) und Dawid (Grzgorz Damiecki), wobei Nina im Vergleich zu Maja die lockerere ist. Sie nimmt sie mit in die Disco. Dort wartet der abenteuerlustige Mikkel (Magnus Krepper). Fast möchte man meinen, die wundersam nordisch lichtdurchflutete sandig-gestrüppige Insel Bornholm spielt die Hauptrolle, in deren Dünen die Protagonistenpaare ihre Camping-Wagen abgestellt haben, direkt hinter dem Meer.

Hier können sich die Konflikte wunderbar entwickeln und selbstverständlich ist nicht die Insel „fucking“, sondern es ist das Coming-of-Age, die Pubertät, die – wie auch hier wieder ersichtlich – die Erwachsenen offenbar härter drannimmt als die Pubertierenden selbst, die erst mal ohne große moralische Belastung mit der Morgenlatte konfrontiert werden.

Derweil können die erwachsenen, polnischen Protagonigsten lernen, was die dänische Hygge ist, im Gegensatz zur vorgeschobenen Begriffsstutzigkeit, wenn es um das Heranwachsen und geschlechtliche Reifen der eigenen Kinder geht.

Eismayer

Schleifer contra Homo-Rom-Com

Wegen dem völkerrechtswidrigen Überfall von Russland auf die Ukraine und unsere Erkenntnis, dass es dort um eine Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Diktatur gehe und dass Demokratien die Ukraine nicht einfach schutzlos dem Aggressor überlassen werden dürfen, ist auch bei uns das Militärische wieder salonfähiger geworden. Damit auch der Soldatenfilm und auch der Kriegsfilm.

David Wagner hat eine Geschichte, die im österreichischen Militär passiert ist, zum Anlass für diesen Spielfilm genommen. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen einem Schleifertypen, Vizeleutnant Charles Eismayer (Gerhard Liebmann) und dem sich offen schwul gebenden Rekruten Mario Falak (Luka Dimic).

Wagner geht thetisch vor, schildert, wie wir es uns heute kaum mehr vorstellen können, den frustrierten Vizeleutnant, wie er die Leute schleift. Er hat seine eigene schwule Geschichte hinter sich, ist verheiratet, hat einen Sohn. Erst hat er Mario auf dem Kieker, geht ihn unfair an. Bei einem weiteren Zwischenfall werden sie zu Helden, weil er Mario rettet.

David Wagner interessieren nicht die psychologischen Feinheiten, wie die Liebe sich ihren Weg zwischen den beiden Männern bahnt. Ihn interessiert mehr, zusehends Risse in die Fassade des Schleifers zu bringen, bis der Liebe nichts mehr im Wege steht.

Zwischen den einzelnen Abschnitten bemüht der Regisseur gerne das Symbol der Ruine, in der neues Leben blüht. Denn die Leben, die er schildert, sind nicht glamourös noch glanzvoll noch romantisch. Es ist ein Leben, was die Menschen hart hernimmt, in der Schleiferei oder auch gesundheitlich (vielleicht wegen der Raucherei), gegen welches sich die Liebe dann doch als unergründlicher Retter erweist.

Die Nachbarn von oben

Nachbars Gemetzel

Wenn ein Film oder ein Theaterstück „Wer hat Angst vor Viriginia Wolf“ oder „Gott des Gemetzels“ heißt, so bringt er großen Atem in das abgestandene Beziehungs-Klein-Klein von Paaren.

Durch die Titelgebung des Nachbarschaftlichen allerdings wirkt der Film von Sabine Boss nach dem Buch von Alexander Seibt eher so, als verheddere er sich im Klein-Klein der Beziehungs- und Nachbarschaftskisten.

Zu diesem Eindruck mag die immer sehr enge Kamera auf Darstellerhöhe beitragen.

Die erwähnten Vorbilder fallen einem ein, wie klar wird, dass es sich bei der Einladung des Paares Thomas (Roeland Wiesnekker) und Anna (Ursina Lardi) an die neuen Nachbarn über ihnen, Salvi (Maximilian Simonischek) und Lisa (Sarah Spale), deren Sexgestöhn sie ausgeliefert sind, um einen vorsätzlichen Seelenstrip handeln dürfte.

Es wird mehr als nur ein Seelenstrip. Es kommt Gruppensex ins Gespräch – und das in der Schweiz! – und die Protagonisten interpretieren das durchaus unterschiedlich.

Über manche Schwächen des stellenweise allzu konstruierten Drehbuches spielen die Protagonisten wunderbar hinweg, allen voran die beiden Männer Wiesnekker und Simonischek.

Das Schwyzerdeutsch, selbstverständlich untertitelt, vermag im Original immer wieder zu erheitern, wenn beispielsweise von einem „munzigen Orgasmus“ die Rede ist oder von „blütle“ (blutt, also nackt, herumlaufen).

Das Rätsel – Les Traducteurs

Elegant extravagant, das ist die aufgedonnerte Welt der Bestsellerverleger.

Eric Angstrom (Lambert Wilson) hat den geheimnisvollen Autor Oskar Bruch am Haken. Er hat bereits zwei Teile einer Dädalus-Trilogie erfolgreich auf den Markt geworfen. Riesengeheimnis um den Autor, den kein Mensch kennt.

Auf der Buchmesse in Frankfurt kündigt Armstrong den dritten Teil an, „Der Mann, der nicht sterben wollte“, der gleichzeitig in x Übersetzungen herausgebracht soll.

Die Paranoia der Branche zeigt sich in der Organisation der gleichzeitigen Übersetzungen. Übersetzer aus allen wichtigen Absatzbereichen des Verlages werden nach Paris geholt und in einer schlossähnlichen Anlage untergebracht. Alles mit Hochsicherheitsvorkehrungen.

Der literarische Text ist Gold wert und muss so behandelt werden, denn der Klau gerade in diesem Bereich ist nicht unbekannt. Armstrong bringt seine Übersetzer (so heißt der Film im Originaltitel) hier unter wie in einer Klausur; alles muss abgegeben werden, was dazu dienen könnten, irgendwas von dem Text zu kopieren und in die Welt draußen, vor allem in jene des Internets, durchsickern zu lassen.

Es wird also in den wie ein Luxushotel ausgestatteten Kellerräumen eine Schicksalszwangsgemeinschaft entstehen. Denn die Übersetzer werden erst wieder in die Freiheit entlassen, wenn die mehreren hundert Seiten dieses dritten Teiles druckfertig sind. Eine etwas raffiniertere Art der Sklavenhaltung.

Ist das alles schon verschwörerisch genug, so erschüttert eine Erpressung das Unternehmen. Ein Unbekannter droht mit der Veröffentlichung des doch so geheim behandelten dritten Teiles, wenn Armstrong nicht einen erklecklichen Millionenbetrag locker macht. Jetzt sind wir in einer ähnlichen Situation wie bei Agatha Christie beim Mord im Orientexpress.

Eine geschlossene Gesellschaft, von der einer oder eine der Übeltäter sein muss. Es ist vorerst absolut unerklärlich, wie die Sicherheitsvorkehrungen überhaupt zu überwinden waren.

Die bunt gemischte Gesellschaft besteht aus den Übersetzern Katerina Anisinova (Olga Kurylenko), einer Russin, dem Italiener Dario Farelli (Riccardo Scamarcio), der Dänin Helene Tuxen (Sidse Babett Knudsen), dem Spanier Javier Casal (Eduardo Noriega), dem Milchbubi Alex Goodman (Alex Lawther) aus England, der Deutschen Ingrid Korbel (Anna Maria Sturm) und dem Chinesen Chen Yao (Frédéric Chau), aus Telma Alves (Maria Leite) und dem Griechen Konstantinos Kedrinos (Manolis Mavromatakis). Es gibt ständig anwesende russische Sicherheitsleute, denen die Pistole leicht in der Hand liegt.

Die Hysterie steigert sich, Paranoia macht sich breit, wie das Rätsel nicht gelöst werden kann, Verdächtigungen verwandeln sich in Handgreiflichkeiten. Zwischen der Thriller-Action, die sich zusehends breit macht, findet der Film von Régis Roinsard, der mit Daniel Pyresley und Romain Compingt auch das Drehbuch geschrieben hat, immer wieder Gelegenheit, Bonmots über Bücher, den Buchhandel, den Unterschied zwischen Loyalität und Verlegergrößenwahn einzustreuen.

Die Hohlbeins – Der Greif (Stream)

Nebeneinander-Welten

Hier Krefelden, bürgerliche Spießerwelten, da der Schwarze Turm, die Nebenwelt der Familie Zimmermann seit Generationen, die über eine Schwarze Chronik am 16. Geburtstag an Mark (Jeremias Meyer) weitergegeben wird.

Zehn Jahre zuvor, 1984, ist sein Vater bei einem Ausraster, der mit dieser Schwarzen Turmwelt zusammenhing, ums Leben gekommen. Da hat der ältere Bruder Thomas (Theo Trebs) die Chronik übernommen.

Die beiden Brüder betreiben zusammen einen lauschigen Platten- und Musikkassettenladen. Es handelt sich um die Verfilmung des Fantasy-Romans der Erfolgsautoren Wolfgang und Heike Hohlbein als einer Serie für den Streaminganbieter Prime Video.

Vorab wurden drei Folgen als Pressevorführung im Kino gezeigt. Allerdings habe ich nur die beiden ersten Folgen gesehen, bei denen führte Sebastian Marka die Regie. So ist also eine Gesamtbetrachtung der Serie nicht möglich.

Die Serie wird angepriesen als eine „High-End-Fantasy-Serie, in der drei Außenseiter:innen in die Welt des Schwarzen Turms aufbrechen müssen, um gemeinsam ihre Familie und die eigene Welt gegen ein grausames Monster zu verteidigen.“.

Die Monsterwelt ist inspiriert durch die Wasserspeier an mittelalterlichen Kirchen und die Protagonisten wechseln, sie wissen selbst nicht wie ihnen geschieht, zwischen den beiden Welten hin und her.

In Krefelden führt das zu Gerüchten und Außenseiterproblematiken. Neu im Ort ist eine junge Frau, Becky Meißner (Lea Drinda), die aus Berlin zu ihrem Vater gezogen ist.

Die erste Folge kommt mit viel Schwung daher; allerdings ist eine Serie ein Marathon und kein Sprint, das dürfte der Grund dafür sein, dass es in der zweiten Folge mit deutlich gedrosseltem Tempo weitergeht, Tendenz Telenovela-Geschwindigkeit.

Es gibt Sidekick-Figuren, die sich mit einem skizzenhaften Dasein begnügen müssen, von der Mutter (Sabine Timoteo) über den Psychiater bis zu einem möglichen neuen Lover der Mutter; andere junge Leute, die stellvertretend für die Mehrheit einer Generation dazustehen haben. Über den Erfolg der Serie dürften die Fans des Buches entscheiden, ob sie im Film ihre Vorstellungswelt wiederfinden.