Archiv der Kategorie: Allgemein

Kommentar zu den Reviews vom 5. September 2024

Einübungen für den geballten Kinoherbst, der vor der Tür steht. Aus Deutschland auf den Straßen Konstantinopels landen. Kurz vor der amerikanischen Traumhochzeit einen Ausflug auf eine abseitige Insel machen. Oder wirklich unbeirrt üben in Skandinavien und dabei gleich zwei Dinge erreichen wollen. In Frankreich sich die heikle, amüsante Frage stellen, wo denn die kleine Differenz zur Norm sei. In den Norden der USA driften, ohne zu wissen, was Ungeheures in einem steckt. Sich in Deutschland bewusst machen, was Freiheit bedeutet und was sie wert ist. Und ebenfalls in Deutschland Humor-Begriffsturnerei betreiben. Auf DVD sich auf einen Transalpenflug freuen. Oder in Festivalstimmung in das wundervolle Voralpenland von München pilgern und sich Kino satt reinziehen, sich die volle Kinopulle geben.

Kino

ELLBOGEN
Wie eine Katze auf den Straßen Istanbuls

SOMETHING IN THE WATER
Eine Flosse kreist unheilschwanger um das Schiff im Südseeparadies

ÜBEN ÜBEN ÜBEN
Gilt für ein Musikinstrument ebenso wie für den Schutz der Natur

WAS IST SCHON NORMAL – UN P‘ TIT TRUC EN PLUS
Wer ist jetzt wer und was, das ist bei einem Rollentausch zwischen Normal/Nicht-Normal gar nicht so einfach zu unterscheiden.

NEW LIFE
Mit Covid virulent gewordene Ängste horrorkinematographisch urbar gemacht

WIR SIND SO FREI
Aber wir müssen diese Freiheit auch nutzen!

DIE IRONIE DES LEBENS
Ironie muss nicht lustig sein.

DVD
DIE KLEINE GLOCKE BIM RETTET OSTERN
Flugtauglichkeit unerlässlich

Festival
FÜNF SEEN FILMFESTIVAL
Was am Alpenrand kinematographisch grünt und blüht.

Wir sind so frei

Das Schlusswort in dieser anregenden Aktivisten-Dokumentation von Christian Lehmann-Feddersen und Alf Schreiber hat John Holloway. Er plädiert für einen Dialog zwischen dem Kapital und den Aktivisten. Er begründet die Notwendigkeit dieses Dialoges damit, dass auch die Aktivisten zwar Erfahrungen, aber keine Antworten auf viele Fragen hätten angesichts der Erkenntnis, dass das Geld den Ökozid zu verantworten habe. Das müsse verhindert werden und der Kampf gegen Ausbeutung und der Kampf gegen die globale Erwärmung seien nur zwei Gesichter des gleichen Kampfes gegen die Herrschaft des Geldes.

Als weiterer heftiger Kritiker der Herrschaft des Geldes kommt Jean Ziegler zu Wort.

Der Film fängt Mit einem Zitat von Achill Mbembe von 2017 aus „Politik der Feindschaft an“: „… Die liberalen Demokratien unserer Zeit (sind) für ihr Überleben angewiesen auf die Spaltung in Gleiche und Nichtgleiche oder auch in Freunde bzw. „Verbündete“ und Feinde der Zivilisation. Ohne Feinde haben sie Schwierigkeiten, sich allein aufrecht zu halten. Ob es solche Feinde tatsächlich gibt, fällt dabei kaum ins Gewicht. Man braucht sie nur zu erschaffen, zu identifizieren, zu demaskieren und ans Licht zu holen.“

Untermauert werden diese differenzierten Betrachtungspunkte durch die Schilderung von Streiks, Demos, Aktivitäten, die alle dieselbe Stoßrichtung haben.

Den Anfang bilden die Krawalle während des G-20-Gipfels von Hamburg von 2017. Hier interessiert vor allem die Eskalation der Polizeigewalt weit über ihre rechtsstaatliche Legitimität hinaus. Ein gewisser Olaf Scholz wird zitiert, der damals OB in Hamburg war, und der von Gewalt nichts wissen wollte.

Es kommen Aktivsten und Juristen zu Worte, es gibt Videomaterial als Beweis der Gewalt; der Begriff der Gesinnungsjustiz wird eingeworfen. Das Thema ist die „Suspendierung rechtsstaatlicher Mindeststandards“.

Ein Schwerpunkt sind Immigranten, die oft prekäre Jobs annehmen müssen. Es gibt Bilder von Demos gegen die Firmen Gorilla, gegen Flink, gegen Amazon. Nina Women in Action kommen vor. Es gibt Berichte von Streiks in Nordrhein-Westfalen gegen ein neues Mediengesetz. Ver.di-Vertreter kommen zu Wort, auch mit Brecht-Zitaten.

Der Film macht klar, wie wichtig Aktivismus ist; wie ohne Gegenwehr der Kapitalismus letztlich alles kaputtmacht. Und es gibt Archivschnipsel aus der Geschichte der Immigration in der Bundesrepublik in schönem Schwarz-Weiß. Der Film zeigt auch, wie vielfältig und vielseitig doch die Aktivistenszene in Deutschland ist.

New Life

On the road –
on the run

Jessica Murdock (Hayley Erin) ist auf der Flucht. Blutverschmiert.

Rückblenden werden den Hergang, die Gründe für diese Flucht erhellen. Jessica ist im Norden der USA unterwegs in Richtung Kanada.

Das sind Bilder fürs Kino und für die Ewigkeit, junge Frauen allein unterwegs in einer dünn besiedelten Welt, in der es nicht nur gute Menschen gebe, wie einer des spärlichen Personals des Filmes an einer Stelle sagt.

Derselbe gutmütige Farmer Frank (Blaine Palmer) begründet seine Unterstützung der Flüchtenden mit dem amerikanischen Axiom der Freiheit, die Amerika seine Größe gebracht habe. Das ist als ob John Rosman, der Autor und Regisseur dieses kleinen feinen Horrorfilmes, wie ein Meister eine kleine Würze über das Genre streut.

Es gibt die Seite der Verfolger von Jessica. Hier ist Elsa Gray (Sony Walger) federführend. Es wirkt jetzt, als ob zwei Krankheiten konkurrieren würden in diesem Film. Bei Elsa kommt ALS ins Spiel. Das Wort dazu geht von der Gefangenschaft im eigenen Körper. Hier diese Gefangenschaft, dort Flucht aus dem Land der Freiheit. Gegensätze, die sich balgen.

Allzulange macht der Film kein Geheimnis daraus, worauf er hinausläuft. Aber die erste Halbzeit bleibt vieles im Dunklen, ist es lediglich eine gut gemachte Hit- and Rungeschichte.

Den Hauptkitzel bezieht der Film allerdings daraus, was Jessica in sich trägt, und weswegen sie von einem großen Stab an Detectives mit allen Mitteln verfolgt wird. Nur, dass im dünner besiedelten Norden die Überwachungsmöglichkeiten, die momentweise universell erscheinen, gar nicht mehr so intensiv und so verknüpft sind.

Jessica landet in einem Kaff unweit der kanadischen Grenze, findet einen Job und eine Unterkunft bei Molly (Ayanna Berkshire). Hier bricht aus, was sie in sich trägt, was ansteckend ist mit scheußlichen Haupt-oder Nebenwirkungen, wodurch der Film zum Zombiefilm mutiert. Er kitzelt jene Nerven, die durch Covid und die Pandemie nach jahrzehntelangem Tiefschlaf mächtig sensibilisiert worden sind. Nach den Auswüchsen von Covid wundert uns nichts mehr. Das macht einem dieser kleine Independent-Film grad bewusst. Denn auch hier ist das Übel menschengemacht.

Was ist schon normal? – Un p‘ tit truc en plus

Noch eins draufsetzen,

so könnte handgelenkmalpi der französische Originaltitel deutlich passender übersetzt werden, die deutsche Frage hört sich so bierernst an.

Dabei ist der Trick in diesem Feelgood-Movie von Artus, der mit Clément Marchand und Milan Mauger auch das Drehbuch geschrieben hat, überhaupt nicht diese zweiflerische oder grüblerische Frage.

Alles ist das Normalste – und ein kleines Stück dazu – im Wohnprojekt Fliederbaum, einer WG aus Behinderten und Betreuern. Hier wird zur Realität, dass das Gros der Akteure aus dem Behindertenbereich kommt, noch im Sinne einer besten Unterhaltung fett eins draufgepackt, vor allem die Story dient gewiss nicht der Tiefgründigkeit oder als Analyseobjekt.

Sie ist nur der Vorwand, um den Sommerferien der WG auf einer beneidenswert malerischen und beneidenswert abgelegenen Alm, noch was draufzupacken, zur Erhöhung des Vergnügens. Somit wird auch der an sich schon lebendigen WG-Stimmung noch eins zugesetzt, was dem Kinovergnügen garantiert keinen Abbruch tut und die WG-Charaktere überzeugend agieren lässt.

Die beiden Juwelenräuber Paul (Artus) und La Fraise (Clovis Cornillac), werden für den Nachzügler Sylvain und seinen Betreuer gehalten. Das ist ein Urkomödienkonstrukt oder Komödientrick, Menschen in eine unvorhergesehene Rolle zu drängen, den Juwelendieb Paul in die Rolle des Behinderten Sylvain, den noch keiner in der Gruppe kennen kann.

Weil Paul zu bequem war, einen gscheiten Parkplatz für ihren Fluchtwagen zu suchen und ihn ausgerechnet auf einem Behindertenparkplatz abgestellt hat, wird dieser abgeschleppt, denn er ist dem Behindertenurlaubsbus im Weg.

Auf der Flucht vor der Polizei kommt den beiden Dieben die Behindertengruppe gerade recht. Und schon gibt es kein Entkommen mehr.

Kurz noch wirft der Film einen Blick auf den echten Sylvain. Der wiederum gerät in eine gutgelaunte Gruppe von Normalos auf Ferientripp.

Aber das Feelgoodmovie kann bis auf einen späteren kurzen Schwenk auf den echten Silvain auch ohne Fortspinnen dieses Geschichtsstrangs auskommen, genau so, wie es relativ egal ist, was eigentlich aus der Beute wird.

Spannend ist das Zusammenspiel zwischen Behinderten und Dieben. La Fraise, der sich erst widerwillig in die Betreuerrolle begibt und dann mit dem Fußballfan zusammenspannt. Die Beziehungen, die sich zwischen dem vorgeblich behinderten Paul alias Sylvain und anderen entwickeln.

Es geht ums Kochen, Fußballspielen, Meditieren, Bootsausflug (der ist ziemlich riskant). Und einmal ums Einkaufen. Es entwickeln sich menschliche Drähte und auch kleine Dramen. Der Gemeinschaftsfunke springt über von der Leinwand und dass plötzlich normalerweise zurückhaltende Menschen sich umarmen, verwundert weiter nicht. Logo, dass der Handyempfang auf der Alm erschwert ist; ab und an meldet sich der Hehler des Juwelendiebstahles bei La Fraise.

Üben Üben Üben

Trine ist stur

Trine (Kornelia Melsaeter) ist sogar doppelt stur. Sie ist stur als Profitrompeterin, die sie werden will, sie ist stur im Üben. Und sie ist stur in ihrer Überzeugung für den Umweltschutz. Sie lehnt Flugreisen ab. Zu ihrem Vorspiel in Oslo trampt sie von den Lofoten bis in die norwegische Hauptstadt.

In seinem lauschig erzählten Debütfilm verbindet Laurens Pérol die beiden Sturheiten und Ziele als doppelte Spannungsschraube.

Es ist ein Roadmovie, bei dem nicht der Weg zählt, sondern das Ziel. Ziel eins ist es, das Vorspiel zu erreichen und Ziel zwei, gleichzeitig die Umwelt auf dem Weg zu schonen. Auch wenn das Flugzeug trotzdem fliegt, mit oder ohne ihr und wenn sie auf dem langen Trampweg auch mal ein Ölarbeiter mitnimmt, der sein Geld ausschließlich mit der endlichen Ressource Öl verdient. Das sind die kleinen Widersprüche, mit der Trine leben muss. Das Auto vom Ölarbeiter verlässt sie. Er wird ohne sie weiterfahren und Benzin verbrennen.

Laurens Pérol erlaubt sich einen schmunzelnden Zugriff auf sein Thema. Die Gefahren beim Trampen, die beschwört er ganz diskret mit Dunkelaufnahmen und Kellerräumen und ein paar Geräuschen um das Boxerstudio herum, mit nächtlichen Bildern.

Er will kein Drama aus der Reise machen und gibt Trine immer wieder Gelegenheit zum Üben, zur Vorbereitung. Das kann in feiner Fjordlandschaft in freier Natur sein, in einer Garage oder in einem Kuhstall.

So ein Landstrich bietet einem Filmer mit offenen Augen genügend Footage, allein die Brücken. Aber auch die Menschen, mehr oder weniger freundlich, die Trine mitnehmen. Auch die Konkurrenzsituation hat der Filmemacher im Blick.

In einer kleineren Stadt trifft Trine auf eine Kollegin, die ganz nebenbei erwähnt, dass sie sich in letzter Minute auch für das Vorspielen entschieden hat. Auch sie spielt Trompete. Auch sie hat sich für das Stück „Oblivion“ (ist es die Musik zu dem Film, der von der Zerstörung der Erde ausgeht?) entschieden. Sie fügt, wie sie das überraschte Gesicht von Trine sieht, schnell hinzu, dass es wohl mehrere Positionen zu besetzen gebe. Sie wird das Flugzeug nehmen.

In den munteren Erzählfluss des Filmes mischen sich sporadisch Radioberichte über den Fortgang eines Prozesses vor dem obersten Gericht in Norwegen, bei dem es um den Schutz der Natur und das Recht des Menschen auf einen intakten Planeten geht. Das Urteil steht kurz bevor.

Something in the Water

Knackig zuckrig

beginnt dieses herrliche B-Movie (als eigenes Qualitätsmerkmal verstanden) von Hayley Easton Street nach dem Drehbuch von Cat Clarke.

Meg (Hiftu Quasem) und Kayla (Natalie Mitson) sind eine Liebespaar. Spazieren durch knallig-düstere Nacht, eine bunt bemalte Unterführung; kräftige Farben, fleischlich-lebendig gezeichnete Darstellerinnen. Sie geraten in eine Lesbenschlägerei hinein. Ab da sind sie kein Paar mehr. Das erfährt der Zuschauer erste später.

Der Film macht jetzt einen Sprung um ein Jahr. Und von knackig stellt er auf knackig zuckrig um. Eine Südseeinsel, wie sich die Langnese-Eis-Werbung nicht zuckriger hätte vorstellen können. Freundin Lizzi (Lauren Lyle) will hier ihren Dominic (Gabriel Prevost Takahashi) heiraten. Megan fliegt aus L. A. ein. Sie soll abgeholt werden am Flughafen. Es ist Kayla, die auf sie wartet. Eisiger Empfang. Schock für Meg. Den Junggesellinnen-Abschied feiert Lizzie mit den beiden.

Zur Clique gehören noch Ruth (Ellouise Shakespeare-Hart) und Cam (Nicole Rieko Setsuko). Alles starke, attraktive Frauenzimmer. Am nächsten Tag findet die Brautentführung statt. Die Freundinnen fahren mit einem gemieteten, nicht allzu vertrauenswürdigen Boot auf eine touristisch nicht erschlossene Insel.

Hier setzen sie Meg und Kayla aus, die sich versöhnen sollen. Sie kehren zu den anderen zurück, behaupten die Versöhnung und jetzt ist der Film bereit für die B-Movie-Horrorphase, die als herrliches Eskapismus-Mittel bezeichnet werden kann.

5 Frauen auf einem Boot alloein im weiten, strahlend blauen Ozean. Kein Haus, kein Mensch, kein Schiff, kein Flugzeug weit und breit. Und ein Hai, der um das Boot zu kreisen beginnt. Weitere Zutaten: nur eine Rettungsweste, kein Handy-Empfang, eine Nichtschwimmerin mit an Bord, ein Leck im Schiff.

Das kann mitunter für die Zuschauernerven strapaziös werden und wenn er noch so geschult sein sollte mit dem Vorbild aller Haifilme, dem Weißen Hai. Ganz nebenbei findet auch die Zerstörung von Riffen und Meeren durch den Menschen Erwähnung.

Ellbogen

Junge Frau allein in Istanbul

Dieser Film von Asli Özarslan, die mit Claudia Schaefer das Drehbuch nach dem Roman von Fatma Aydemir geschrieben hat, steht in Deutschland mit dem Subventionsfuß auf und findet in Istanbul zur großen Kinoform.

Als i-Tüpfelchen dazu gibt es einen Gastauftritt einer der Istanbuler Straßenkatzen, denen der Film Kedi gewidmet ist, und denen für ihren Auftritt ausdrücklich im Abspann gedankt wird.

Auch Crossing – Auf der Suche nach Thekla konnte dem Charme dieser Katzen, die für Istanbul als Sympathieträger wirken, nicht widerstehen.

Vielleicht kann man diese Katze als ein Symbol für die großartige Protagonistin Hazal (Melia Kara) lesen, offenbar eine Entdeckung, das andere Symbol für sie dürfte der Filmtitel sein, der sich mit dem Romantitel deckt.

Als Katze streift sie heimatlos durch Istanbul und fühlt sich nicht so unglücklich wie in Deutschland. Der Ellbogen spielt auf die Eigenschaft an, die sie zum Überleben braucht, sowohl in Deutschland als auch in der Türkei.

In Deutschland machen ihr Einwandererdefizite zu schaffen. Es sind Bildungslücken, es ist möglicherweise die Ausländerrolle, es ist die Integrationspolitik, die die Zuwanderer nicht für voll nimmt.

Mit einer Bewerbungstrainingsszene fängt der Film an und wirkt dadurch als typisch deutscher Themenfilm, in welchem Integration vom hohen Ross herab betrieben wird. Der zu Integrierende ist der mit Mängeln behaftete und er hat sich gefälligst klein zu machen. Das fehlt vielleicht etwas im Film, wie Hazal diese erwartete Mängelexistenz kompensiert. Denn der Mensch muss ja vor sich selbst bestehen können. Und kein Lebenssinn kann in der Integration bestehen. Die mag eine Aktivität sein, mehr oder weniger nachdrücklich verfolgt, aber sie macht auch nicht die Würde des Menschen aus. So aber kommen diese anfänglichen Sequenzen im Film daher.

Hazal kommt mit den Integrationsbemühungen ihrer Umwelt nicht klar. Das führt dazu, dass sie sich in Istanbul wiederfindet, in Deutschland wird sie wegen Totschlages gesucht. Sie findet Unterkunft bei Mehmet, einem Junkie. Der schläft mit ihr lediglich zur eigenen Befriedigung, ein eigenartiges Erlebnis für Hazal. In Gesprächen mit seinem Mitbewohner muss sie sich anhören, dass sie wohl keine Ahnung vom Leben in der Türkei habe. Nach einer Polizeirazzia bei Mehmet findet sie sich allein auf den Straßen Istanbuls, wie einer Straßenkatze.

Die Ironie des Lebens

Vom Witzereißer zum Prediger,
Bekehrungsschnulze mit vorbehaltloser Bewunderung des Lebens im Luxus

Uew Ochsenknecht ist der erfolgreiche Moderator Edgar. Er lebt supermondän am Starnberger See, hat einen Jaguar mit Chauffeur (Henning Peker) und steigt nur in den teuersten Hotels ab und dort in exklusiven Suiten.

Dies schildert der Film von Markus Goller (Simpel, 25 Km/h) nach dem Drehbuch von Oliver Ziegenbalg (Russendisko, Frau Müller muss weg, 25 Km/h) in höchst bewundernden Tönen; kein Stäublein, kein Kakerlack trübt die edle reiche Welt; sie wird distanzlos als erstrebenswert dargestellt. In Zeiten der sich weitenden Spaltung Arm/Reich im Lande, wäre eine kritischere Haltung dieser immer mehr sich abhebenden Luxuswelt wünschenswert.

So reich wird man in Deutschland nicht mit guten Witzen, sondern nur mit der Ausbeutung der billigsten Klischees über Frauen, über Ehefrauen. Von dieser (Corinna Harfouch) ist Edgar schon lange getrennt, er kennt auch seine beiden Kinder kaum (Robert Gwisdek und Emilia Schüle).

Die Auftritte als Moderator spielt Uwe Ochsenknecht ganz prima. Im Abspann ist ein Coach dafür genannt, ein BR-Moderator, der offenbar so schlecht ist, dass der BR ganze Inseratenserien in den Zeitungen platziert hat, mit dem Namen dick drauf. Die Erfahrung lehrt, dass Leute, die in ihrem Beruf nicht unbedingt gut sind, durchaus taugliche Lehrer/Coaches sein können, man denke an Pestalozzi, dessen Erziehungslehre und wie er bei der Erziehung der eigenen Kinder schauderlich versagt hat.

Die Erwartung, dass ein so vielfältig geförderter deutscher Kinofilm auch nur annähernd an themenverwandte Filme wie Entertainment oder The Comedy herankomme, traut man sich eh nicht zu haben.

Mit dem Auftritt von Corinna Harfouch als Eva nach einer Vorstellung in die Garderobe des Witzereißers allerdings wird klar, dass hier an einen rührseligen Krebsfilm gedacht ist. Rührselig durch das Spiel von Corinna Harfouch mit diesem Kleinmädchengetue, wie es mir schon bei Schauspielanfängerinnen aufgefallen ist.

Sie platzt nach Jahrzehnten in das Leben ihres Ex mit der Nachricht, dass sie Krebs habe in einem Stadium, dass sich eine Therapie aus ihrer Sicht nicht mehr lohne.

Abgesehen davon, dass es mir schwerfällt, die beiden unterschiedlichen Schauspielerkaliber als ein realistisches Paar vorzustellen – da ist vermutlich rein nach Subventionsbankability der Namen besetzt worden -, ist noch unglaubwürdiger, wie Edgar, kaum hat sie die Garderobe nach dieser Nachricht verlassen, ihr nachjagt und unbedingt dieses Leben retten möchte. Ein Pfingsterlebnis vielleicht, vom Film aber nicht als solches gekennzeichnet. Jetzt muss auch er auf den Modus der Rührseligkeit umschalten.

Und da hier ganz offenbar eine Schnulze beabsichtigt ist, wird es zu einer Familienzusammenführung kommen. Aus dem Witzereißer wird ein Prediger, der der Versöhnlichkeit das Wort redet. Der Film ist für diese Message deutlich zu lang. Auf die bemühte Gesangseinlage der beiden Protagonisten am Weißen Flügel hätte gern verzichtet werden dürfen. Nicht jeder, der sich für einen begnadeten Sänger hält, sollte dies auch öffentlich kundtun.

Fünf Seen Filmfestival 2024 vom 3. bis 12. September 2024

Wollte man dem sympathischen Fünf Seen Filmfestival schmeicheln, so könnte man es das Locarno Bayerns nennen. Stefe konnte vorab die Filme aus der Sektion Dach Panorama schauen, nämlich jene 7 Filme, die um den Perspektive Spielfilmpreis konkurrieren.

Es sind Filme aus den Alpenländern Deutschland, Österreich und der Schweiz, was aber nicht gleichbedeutend ist, dass sie auch dort spielen. Man ist weltoffen, erweitert den Horizont, die Spielorte erstrecken sich von Griechenland, Spanien, Italien, der Schweiz, Thailand bis in die Neuen Bundesländer.

Die Jury wird die Qual der Wahl haben zwischen sieben reizvoll individuellen Nachwuchsfilmen unterschiedlichster Genres aus der Alpenregion.

ANIMAL
Ein Animateur hat’s schwör, er muss das Tier in (oder auf) sich haben.

ANTIER NOCHE
Von dieser Gegend ließ sich schon Bunuel inspirieren – inzwischen sind 90 Jahre verflossen.

DIE ÄNGSTLICHE VERKEHRSTEILNEHMERIN
Der heterosexuelle Knoten ist der gordische, der hier so mediterran wie feministisch gelöst werden soll.

ELECTRIC FIELDS
Am Alpennordrand zeigen sich erstaunlich übersinnlich-zwischenmenschliche Phänomene.

GOOD NEWS
Für einen Journalisten ist ein Scoop begehrenswert, ja essentiell. Die Verführung zum Nachhelfen ist groß.

ANOTHER GERMAN TANK STORY
Wenn Hollywood in Wiesenwalde einfällt.

JENSEITS DER BLAUEN GRENZE
Eine DDR-Fluchtgeschichte, eine Literaturverfilmung