Berlin bei Regen –
Das Geleit
Berlin bei Regen ist schön, so schön, als hätte ein Canaletto es gezeichnet und die heutige Technik noch einen Regen davor, faszinierendes Licht, faszinierende Stadtstrukturen und Stadtlinien.
Tom Tykwer drängt nach Jahren der Serienarbeit wieder ins Kino. Und will es uns zeigen. Allerdings fängt es etwas geschmäcklerisch an. Mit dieser Fahrt über die Stadtansicht auf ein Wohnhochhaus zu und dann auf ein Fenster und dahinter sitzt die Protagonistin Farrah (Tala al Deen) vor einer Stroboskop-Lampe, deren grelles Licht ständig an- und ausgeht, in schnellem Wechsel.
Vor solchen Flacker-Effekten wird heute gerne im Vorspann gewarnt; hier nicht. Stattdessen kommt auf Schwarztafel eine Erklärung zum Geleit. Für mich war da der Film zu jung, man muss ja wie mit den Augen, wenn man aus dem Hellen ins Dunkel geht, diese erst adaptieren und so müssen sie es auch beim Film tun. Wenn da eine relativ theoretische Erklärung als Texttafel kommt für einen Sachverhalt, der erst Stunden später im Film relevant wird, und wenn in dem Moment noch ein verspäteter Zuschauer sich durch die Reihen quetscht oder man noch nicht voll konzentriert ist, so kann einem ein entscheidender Grundstein für das Verständnis des Filmes fehlen. Wenn also in dieser Phase schon ein entscheidender, inhaltlich entscheidender Text und dazu noch vollkommen abstrakt kommt, so ist er für mich jedenfalls nicht rezipierbar und schafft einen schmerzhaften Verständnisdefekt für den Rest des fast drei Stunden langen Werkes.
Vor allem kommt die Ausführung oder Erklärung dieser Geleitmethode erst Stunden später. Da schieben wir die Schuld eindeutig auf den Film. So viel wird klar, diese Methode dürfte etwas mit Traumabewältigung zu tun haben.
Es geht um die Familie von Farrah, die aus Syrien übers Meer geflüchtet ist in einem Seelenverkäufer, so viel wird auch klar. Unklar bleibt, warum sie dieses Geleit braucht und warum sie es ausgerechnet in einer deutschen Intellektuellenfamilie sucht, die recht gut situiert scheint.
Vater Lars Eidinger hat etwas mit Kampagnen zu tun und Mutter Nicolette Krebitz ist in der Entwicklungshilfe in Kenia engagiert und fliegt ständig hin und her. Sie hat mit einem Afrikaner den Sohn Dio (Elyas Eldrige) und mit dem Deutschen zwei halberwachsene Kinder, den Sohn, der ständig in virtuellen Welten und deren Games zu Gange ist, und die Tochter, die noch nicht mündig ist, aber bereits abtreiben muss.
Allein in diese Familie ist bereits ein Wust an Themen reingepackt, Nebenthemen, denn das stellt sich heraus, der Anlauf für das Geleit ist zweispurig.
Es gibt die Installation, in der das stattfinden soll. Die wird in Etappen als theatraler Raum, als Performance-Raum eingeführt.
Andererseits muss sich Farrah ihre Geleit-Familie angeln. Das wird auf hochdramatischem Wege initiiert, mit viel Theaterdonner, wenn man so will. Da ist die Mutter auf dem Rückflug von Kenia und gerät in horrible Turbulenzen. Da ist die Putzfrau der Intellektuellenfamilie, die den Pizzaboten aus der eigenen Tasche bezahlt. Der wird Minuten später vor dem Haus von einem LKW tödlich überfahren, während die Putze in der Wohnung tot zusammenbricht. Das wäre ein herrliches Gebiet für alle Psy-Forscher in der Nachfolge von Professor Bender aus Freiburg.
Jetzt erst ist der verpeilte Weg frei für Farrah in die angepeilte Wohnung. Und sie wird tatsächlich engagiert als Putze. Sie wird mehr leisten. Sie hat vielleicht Theorema von Pier Paolo Pasolini gesehen, sieht sich selbst in moderner Gendervariabilität als späte Nachfolgerin von Terence Stamp. Dieser hatte eine verkorkste Industriellenfamilie emotional aufgewühlt, indem er alle, Vater, Mutter, Tochter, Sohn in sich verliebt gemacht hat. Aber vielleicht hat sie auch nur ein spätes, britisches Remake, The Visitor gesehen, in dem es deutlich konkreter zur Sache geht als noch zu Pasolinis Zeiten; dagegen wirken Eidingers Nacktauftritte wie die eines Konfirmanden.
Leider jedoch befinden wir und sie uns nun im deutschen Kino, das von weisungsgebundenen TV-Redakteur abhängig und entsprechend unmündig ist und lieber mit Erklärungen arbeitet, als dass es Dinge spielen lässt.
Hierin ist Tom Tykwer vielleicht durch die viele Fernseharbeit deutlich geprägt. Nur ein Beispiel: wie Farrah mit dem Vater vor einem Späti sitzt, da erklärt sie. Oder er und seine Frau befinden sich in einer Paartherapie. Ja, auch das muss sein zur Erklärung der Kaputtheit der Familie.
Indem das deutsche Kino auf diese große Phase des italienischen Kinos verweist, stellt es sich selbst in Frage. Vielleicht möchte es die laut und deutlich vom Zuschauer beantwortet haben: dass es eben ein anderes Kino gibt als nur das subventionierte, wettbewerbsfeindliche, fernsehabhängige deutsche, das jetzt mit der Trennung des deutschen Filmpreises vom staatlichen Preisgeld immerhin zu einem kleinen Stück Ehrlichkeit zurückgefunden hat; das bleibende Verdienst der scheidenden Kulturstaatsminsiterin Claudia Roth um das deutsche Kino. Ausreichen dürfte das nicht.
Ein paar Kamerapositionen von der Decke herab erinnern an den frühen, wunderbaren Tom Tykwer. Heute sehen wir, was das deutsche Fernsehen aus ihm gemacht hat. Vielleicht weint der Himmel über Berlin deshalb so oft. Da können die netten Gesangs- und Tanznummern auch nicht helfen, die überladen die Sache nur noch mehr.
So wird denn nicht klar, was Tykwer uns mit dem Film erzählen will, ob er gleich die ganze Welt kinematographisch erfassen und damit retten möchte? Dafür ist er zu jung, um der Welt bereits sein Opus magnum zu hinterlassen wie Francis Ford Coppola mit Megalopolis oder Martin Scrosese mit Killers of the Flower Moon.
Berlin bei Regen – Das Geleit Berlin bei Regen ist schön, so schön, als hätte ein Canaletto es gezeichnet und die heutige Technik noch einen Regen davor, faszinierendes Licht, faszinierende...