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Juan of the Dead

Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt. Damit lässt sich alles ertragen, Angola, die kubanische Revolution und sogar eine Zombie- oder Vampirinvasion auf Kuba (und vermutlich kürzlich sogar der Papstbesuch).

Die zwei Freunde, die uns durch diesen unkompliziert-frischen fantasievoll-verrückten, höchst politischen Vampirfilm führen, sind die Titelfiguren Juan und Lazaro. Sie pflegen den Müßigang, was will man auf Kuba auch anderes tun. Sie gehen mit einer Harpune fischen. Juan liegt breit ausgestreckt auf einem notdürftig zusammengebastelten dreieckigen Floß, schaukelt träumend in den Wellen, während Lazar taucht. Aber statt eines Fisches fängt er eine ziemlich tote Hinterlassenschaft in orangener Sträflingskleidung des amerikanischen Imperialismus aus Guantanamo. Nichtsdestotrotz reden sie davon, nach Miami rüberzumachen. Tun es aber nicht. Die Lethargie, die Zufriedenheit im Unglück.

Was diesem kubanischen Film an Geldmitteln fehlt, das macht er mit Fantasie und bitterbösem, schwarzem Humor wett. Auch die Freundschaftsfrage der beiden wird auf die Spitze getrieben. Dazu muss erwähnt werden, dass das Hauptereignis dieses Filmes eine Vampirinvasion auf Kuba ist. Wie also Lazaro überzeugt ist, dass auch Juan von den Vampiren infiziert ist und Juan gesteht dass er ihn liebt und er das Thema Freundesliebe bis auf die Ebene der geschlechtlichen Liebe weitertreibt, da biegt Alejandro Brugués, der Autor und Regisseur dieses Filmes, die sich anbahnende Romantic Comedy gerade noch rechtzeitig mit einem Joke ab.

Nebst der Harpune, die Lazaro auch in Havanna mit sich trägt und die gerne in den ungeschicktesten Momenten losgeht, haben die beiden genügend Alkohol gebunkert und außerdem ein erstklassiges Fernroh auf dem Dach des Mietshauses installiert, in dem sie wohnen. Damit kann Juan seine Tochter Camila und den Sohn von Lazaro, den dieser Vladi California nennt, beim Anbandeln beobachten und noch rechtzeitig eingreifen.

Juan vertreibt sich die Zeit auch gerne mal mit Fensterln, über den Balkon bei einer verheirateten Frau einsteigen; aber bevor sie es zum fünften Mal treiben können, kehrt der Ehemann zurück. Also ab über den Balkon. Der Freund auf dem Dach fragt ahnungslos, wo er denn gewesen sein.

Die Verhältnisse, in denen unsere Cubanos leben sind desaströs. Der Lift im Haus bleibt einen halben Meter unterhalb der Etage stecken, so heißt es rauskriechen, was saukomisch aussieht; kann sich aber zur Entsorgung einer Leiche als ganz praktisch erweisen. Denn das Problem wird sich stellen, wie sich ganz unbemerkt Zombies oder Vampire auf Kuba einnisten. Erst einer, eine dicke Frau bricht mit großem Knall wie ein Ungeheuer durch eine Tür, stürzt sich auf andere Menschen. Es kommt wirklich überraschend. Bis auch das Nachbarschaftskomitee sich mit dem Thema befassen muss.

Für die offizielle Politik ist klar, dass es sich um imperialistische Parasiten, um Dissidenten handeln muss; die Unordnung wird vom Erzfeind geschürt. Die Nachbarin Yiya, deren Mann Regelio seit 15 Jahren unbeweglich im Rollstuhl sitzt, ist überzeugt, das kommt von den Medikamenten, die man ihr und ihm verabreicht. Auch hier wird die Harpune einiges regeln.

Wie das mit den Vampiren zur Plage ausartet (oder: wie Kuba immer mehr von „Dissidenten“ bevölkert wird), hat Juan die brilliante Geschäftsidee, vielleicht sein erste, einzige und eine richtig kapitalistische noch dazu: er garantiert Beseitigung von Vampiren in Verwandt- und Nachbarschaften. Man kann ihn auf seinem Festnetzanschluss auf dem Dach erreichen, einem grünpatinisierten Apparat aus den prähistorischen Zeiten der Draht-Telefonie. Er und seine Truppe kommen auf Anruf und erledigen die Zombies.

Diese schräge, schäbige, ärmliche Truppe besteht aus Juan, Lazaro, China, einem transvestitischen Typen, der aber im entscheidenden Moment gekonnt die asiatische Kampfkunst einsetzt, einem großen Dicken, dem noch die Augen für den Kampf mit einer roten Binde verbunden werden. Das ist also Juans zündende „idea to get rich“. Eine Art Reinigungsbusiness gegen Dissidente. Jedenfalls ist das so eine richtig filmreife, filmschräge, zombiefilmergiebige, armselige Truppe, die hier die kubanische Welt und damit die Revolution auf kapitalistische Weise retten will.

Der Film ist gespickt mit Anspielungen auf die beschissene Gegenwart in Kuba, auf den verlotterten Zustand des Landes zum 50. Jahrestag der Revolution.

Im Laufe des Kampfes treten plötzlich martialisch ausgerüstete Soldaten auf, die es schaffen unsere Vampirbeseitigungstruppe zu fesseln und sich ausziehen zu lassen; die tänzeln daraufhin ein herrlich erotisches Männer-Ballet in der Nacht statt sich ihren Humor nehmen zu lassen. Diese Rettungsarmee, bestehend aus zwei Soldaten nennt sich übrigens die Altruisten.

Je krasser die Invasion der Zombies wird, desto mehr werden auch locker einige Animationstricks eingefügt, die Havanna nach und nach zerstören, die Helikopter in schöne Kuppeln oder in Hochhäuser crashen lassen, die nur noch rauchenden Kaminen gleichen: die gute Frage, wer nun wirlich die Vampire sind, sind sie nicht ein Bild für die revolutionären Ideen, die Kuba seit Jahrzehnten verarmen lassen und ausrauben?

Übrigens warnt Juan seine Tochter vor California, er habe Herpes. So wird junge Liebe gezügelt.
Die vordergründige Intention hinter dem ganzen Spektaktel ist sowieso die eines Musicals, denn ständig wird Sambamusik gespielt und auch dazu gesungen.

Juan definiert sich selbst als ein Überlebender, ein Survivor, er hat Angola überlebt, er hat das 50. Jubiläum der kubanischen Revolution überlebt, er hat die Zombies überlebt, was will er nach Amerika abhauen.

Die Bösen, das sind die Dissidenten, Imperialisten, die Sklaven, der Plebs, Anarcho-Dissidents, Iconoclastics.

Lustiges Spiel: mit einem Auto in Vollgas gegen eine Kartonmauer fahren und genau so bremsen, dass diese nicht umfällt.
Havana Libre, die Neoninschrift über einem Hotel.

Auch eine Bloggerin kommt vor: Sara.

Ein schwarzhumoriges kubanisches Panoptikum. Kuba erfasst und durchschaut.

Work Hard – Play Hard

Carmen Losmann hat sich für diesen Dokumentarfilm eine krasse Industrie vorgenommen: jenes Geschäftsfeld, das dem Geldkapital weismachen will, die Leistung des Human-Kapitals zum Zwecke einer besseren Gewinnmaximierung optimieren zu können. Angesichts des riesigen thematischen Berges zeigt uns Frau Losmann aber auch, dass es praktisch nicht möglich ist, das ganze Themenfeld in einem Film griffig zu erfassen.

Die Regisseurin serviert uns einen Kessel Buntes zu einem irren Themenkomplex, der, wenn er denn Garant für filmisches Erlebnis werden sollte, doch eines geistig deutlich durchdringenderen, stringenteren Zugriffes mit mehr Biss bedurft hätte. Wir aber bekommen hier serviert einen recht willkürlichen Mix aus Beobachtungen bei Architektens, die für Unilever ein Maßstäbe setzendes neues Bürohaus im Hamburger Hafenviertel hinklotzen sollen, Kienbaum Management-Bereichsmeetings; der Versuch der Post, sich „lean“ zu organisieren, Assessment-Center (statt von „Schwächen“ wird hier von „Entwicklungsfähigkeit“ gesprochen), Towers Watson Unternehmensberatungen, nonterritoriale Arbeitsplätze bei accenture (Menschen in nicht eigener Umgebung sind anders), Ellernhoftraining; eine Gruppe wird mit verbundenen Augen in ein Verlies gesteckt und muss den Ausweg finden; alles wird genau von einem Kontrollraum aus mit Video und Gegensprechanlage beobachtet und anlaysiert; die verdienen sicher gut an diesen Pfadfinderspielen, die als Team- und Führungstraining angeboten werden, die den Menschen daraufhin beobachten, ob er „im Flow“ ist auch mittels Gehirnprozessanalysen.

Jedes einzelne Fundstück von Carmen Losmann lässt schaudern. Wie da geredet und getan und geschwätzt und geschwatzt und geblufft und belehrt und getest wird, das sind alles mehr oder weniger verbrämte Varianten von Selektion, immer zwischen abgrundtief komisch und unglaublich und grauenhaft, wie versucht wird, das menschliche Kapital im Sinne einer blutsaugerisch größtmöglichen Effizienz einsetzbar zu machen, es knetbar zu machen.

Auch die Typen von den Beratungen und Tests, die die Programme in den Firmen durchführen müssen, sind ein Kapitel für sich. Die machen ja auch wieder nur ein Riesengeschäft mit der Geldgier des Kapitals. Indem sie den Kapitalisten vorgaukeln, mit ihren Tests und Methoden und Büroeinrichtungen könnten sie das Humankapital profitabler einsetzen. Es ist alles nur grotesk was da abläuft.

Wenn die supergestylte Dame von der Post soweit geht zu sagen, man möchte diese Maxime, diese Logik „in die DNS jedes einzelnen Mitarbeiters“ einpflanzen, da wackeln einem die Ohren. Fehlt nur noch, dass die Mitarbeiter nach rassisch-rassistischen Merkmalen untersucht und selektiert werden.

Wie die Dame bei der Post versucht, den kulturellen Wandel „lean“ zu bewerkstelligen. Da kommt im Film kurz etwas Zusammenhang auf, wenn später ein Abteilungsleiter beim täglichen Briefing nach Trainingsmethodenvorschrift gezeigt wird und er vorschriftsmäßig fragt, wie es den Leuten gehe und die sagen „schlecht“ und sie wären lieber zu Hause und als Wunsch bringen sie vor, mehr Leute einzustellen. Da fällt dem Leiter nichts mehr ein und er studiert die Kennzahlen und weiß auch nicht wie weiter. Wer Augen hat der sieht, wie der arme Kerl von den unternehmensberaterischen Weltverbesserern getreten wird und wie er nun nach unten treten muss und dabei so tun, als würde er sich um das Wohl der Menschen kümmern. Der Zuschauer wundert sich nicht, dass bei solchen Beratungen und plumpen Versuchen der Manipulation des Humankapitals nicht viel rausschauen kann. Wie denn schon vorher bei der Schulung ein Mitarbeiter gefragt hat, wie sie denn nun konkret vorgehen sollen.

Zum Cineastischen: Der Zuschauer muss hier sehr genau hingucken, um zu bemerken, wie schauderhaft das unter der glatten, netten Oberfläche alles ist, wie abgefeimt.

Zur Methode von Frau Losmann. Sie hat sich nicht undercover wie einsten Walraff oder als penetrante Recherchejournalistin wie früher Michael Moore an die Materie herangemacht. Sie scheint ganz offiziell um Drehgenehmigungen ersucht zu haben und sie hat die Namen der diversen Firmen schön und ehrenhaft groß in den Film eingesetzt, dass diese es problemlos als Werbung verstehen können und sie wussten ja auch, dass sie gefilmt werden und für ihre Firmen das beste Image herstellen wollten. Formal sieht der Film eher wie ein Werbefilm für die vorgestellten Firmen denn wie ein kritischer Dokumentarfilm vor. Hinsichtlich eines kritischen Dokumarfilmes ist Frau Losmann noch entwicklungsfähig.

Krieg der Knöpfe

Die Kinder spielen das, was die Erwachsenen tun. Wenn Krieg ist, Zweiter Weltkrieg, dann spielen die Kinder Krieg. Wie bei den Erwachsenen geht es um Territorialvormacht. Allerdings geht es bei unseren franzöischen Jungs um Knöpfe, Knöpfe sind die Kriegstrophäen. Wenn einer besiegt wird, werden ihm Knöpfe und Schnürsenkel abgezwackt und so muss er sich nach Hause begeben, eine schmerzhafte Blamage.

Hier bekämpfen sich die Gangs von Longeverne und Velrans. Velrans werden beim Wildern auf Longeverner Gebiet entdeckt. Damit ist der Krieg schon erklärt. Parallel dazu gibt’s Geschichtsunterricht in der Schule und ein neu aufgetauchtes Mädchen, das vor allem den Anführer unserer Longeverne-Gang anturnt. Sie bringt ihm ein Buch über den punischen Krieg. Vielleicht interessiert ihn das ja mehr als die Städte, die an der Loire sind. Wenn man die nämlich nicht kennt, muss man, wir sind 1944, sich vor der ganzen Klasse in die Ecke stellen, selbst wenn man der am weitesten gediehene Bengel ist.

So ein Krieg der Knöpfe um Knöpfe, der besonders dann befeuert wird, wenn das Schimpfwort „Schlappschwanz“ einem an den Kopf geworfen wird, kann in gefährliche Regionen sich hochschrauben, wenn auch bei den Erwachsenen Krieg ist, wenn die Ortschaft im Süden Frankreichs schon einen uniformierten naziphilen Polizisten und einen rumlavierenden Bürgermeister mit einem ziemlich feigen Sohn hat, der von der eigenen Gang wegen Verrates verprügelt wird, was das Mädchen nicht gerade für weise und erwachsen hält. Wenn all das gegeben ist und der gestrafte feige Bube in Anwesenheit des nazigeilen Polisten anfängt aus dem Nähkästchen zu plaudern und dieser schon die Pistole für die Menschenjagd zücken will, da kann aus dem Spiel schnell tödlicher Ernst werden, da ist plötzlich Solidarität über Ganggrenzen hinweg gefragt, da macht sich die latent vorhandene Résistance bemerkbar, aus allen Löchern sozusagen, da passiert dann etwas, was man sich heute so gar nicht mehr vorstellen kann, auch wenn es vielleicht idealisierend dargestellt ist, dass es eine große Gemeinschaft für eine Idee von Gerechtigkeit gibt. Dass ein Dorf, eine Gemeinschaft an einem Strang zieht.

Dieser Krieg der Knöpfe, zu dem Christoph Barratier, der Regisseur, mit Thomas Langmann auch das Buch geschrieben hat, überrollt einen förmlich 100 Minuten lang und man weiß nachher gar nicht, wo man mit Erzählen anfangen soll. Denn es gibt ja noch Liebesgeschichten und Inspirationen durch eine Museumsführung sowie köstliche Folgen der Knopfabschneidegeschichten. Und einen wie immer 100 prozentig überzeugenden Kad Merad als der oft in sich gekehrte, aber um eine Ohrfeige für seinen seiner Ansicht nach missratenen Sohn, den Anführer der Bande, nie verlegenen Vater.

The Grey – Unter Wölfen

Gelegentlich hängt unser Leben an einem seidenen Faden, wobei hier besser von Kälte und Wölfen und Flugzeug-Crash oder von einem aus Kleiderteilen geknüpftem Seil über einem Abgrund zu sprechen wäre, die Situation kann durchaus eintreten noch bevor wir uns klar gemacht haben, ob denn unser Leben einen Wert hat oder fast dümmer noch, erst nachdem wir uns vielleicht klar gemacht haben, dass es so gar nichts wert sei und wir aber vom freiwilligen Exitus durch ein doofes Wolfsgeheul eben noch abgehalten worden sind.

Ein nihilistischer Film, der solche Fragen stellt und solche Situationen her- und ausstellt. Unsere im Verlaufe des Filmes sich nach und nach dezimierende Anzahl Protagonisten ist ganz hoch im Norden von Alaska bei einer Ölbohrstelle dafür zuständig, Wildtiere, die sich ihr nähern, unschädlich zu machen. Liam Neeson ist der Primus inter Pares unserer Stars. An ihm lässt Joe Carnahan, der das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt hat, etwas tiefer blicken in die Seelen dieser harten Männer, deren Leben keinen Wert mehr hat.

Liam Neeson als Ottway hält von seinen Kollegen nicht viel, alles mehr oder weniger verunglückte Existenzen, bei denen dies und das schief gelaufen ist. Sonst würden sie nicht den Job in dieser Einsamkeit machen. Es hat zwar jeder irgendwo eine Frau und Kinder oder Eltern, kam mal aus einer Familie und gehört irgendwie noch zu einer; das wird im Laufe des Filmes sehr diskret gezeigt anhand von Einblicken in die Geldbörsen der wilden Männer.

Ein gutes Dutzend unserer Jäger ist gerade dabei, einen Heimaturlaub anzutreten; sie besteigen bei eisiger Kälte und Wind und Wetter ein kleines Flugzeug, das sie in die Zivilisation zurückbringen soll. Um nun ein bisschen Stimmung zu schaffen, lässt Joe Carnahan das Flugzeug erst mal starke Turbulenzen passieren, dass einem Angst und Bange wird. Dann muss sich die Situation beruhigen, die Männer werden stumm ihren Gedanken überlassen.

Was folgt ist der Absturz. Richtig schön katastrophenfilmmässig. In einsamer, eisig, schneeiger Gegend. Dann das langsame Zu-sich-Kommen, und schon ist das erste Wolfsgeheul zu hören, das hier oft ganz wunderbar orchestriert ist und nachts sind viele Wolfsaugenpaare hervorragend choreographiert auf unsere Überlebenden gerichtet, haben sie eingezirkelt.

Den Männern steht nun ein Horrortrip zu Fuß durch wilde, unbewohnte, raue Gegend bevor, immer umzingelt und provoziert von den Wölfen. Das fordert Opfer. Zwischendrin wechselt Sturm und Schnee und eiskalte Landschaft mit Studiowinter ab und Lagerfeuer und gar Wolfsgrill, tastes like shit, tastes like dogshit, da wird es dann etwas gemütlicher, da wird der Katastrophenfilm heimelig, bis die harte Realität wieder zuschlägt.

Es ergeben sich auch Möglichkeiten zu Fragmenten von Dialogen über die Liebe und den Job, die Familie und die Herkunft. Geworfensein in eine Existenz, die nicht weiter erklärbar ist und deren Wert auf jeden Fall nicht unbedingt von sich aus einleuchtend ist. So kann das Kino zum Ort existenzialistischer Reflexion und Betrachtungsweise werden. Was ist das Leben wert? Wozu verliert einer erst die Brille, um dann doch abzustürzen? Die Männer haben aber oft recht treuherzige Blicke.

Monsieur Lazhar

Philippe Falardeau präsentiert eine unaufdringliche, sorgfältig im Hinblick auf dokumentarische Nähe präparierte Fallstudie zu einem Vorfall in einer Schule in Canada. Dabei legt er ganz behutsam und ohne Sensationshascherei einige Problemchens, die das Institut Schule heutzutage so bereiten kann, frei.

Die Lehrerin Martine LaChance hat sich in einer Pause im Klassenzimmer erhängt. Wenn das mal kein Hinweis ist. Allein der Name, den ihr Falardeau gibt: LaChance, die Chance ist von traurigschöner Zweideutigkeit. Was ist die Chance? Sich aus diesem Leben, aus dem Schulleben zu verabschieden? Allein darüber könnte ausführlich diskutiert werden.

Dass der Film nicht sensationsheischerisch mit dem Thema umgehen möchte, zeigt er dadurch, wie er darüber berichtet. Es ist Pause in der Schule. Es sind vor allem 11- und 12jährige. Simon muss kurz vor Ende der Pause noch die Milch für die Klasse besorgen. Er will sie schon mal ins Schulzimmer tragen. Die Tür ist verschlossen. Durch das Glas sieht er die Frauensperson, die da hängt. Auch der Zuschauer sieht das nur ganz kurz. Dann etwas Hektik. Die Lehrerinnen beordern die von der Pause zurückströmenden Schüler sofort wieder aus dem Schulhaus raus.

Es folgt eine Versammlung mit den Eltern. Die Sache wird besprochen. Eine Spezialistin, eine Psychologin ist vor Ort und wird auch eine Weile lang Schüler und Lehrer betreuen. Die Geschichte wird öffentlich und auch, dass ein Ersatz für die Lehrerin gesucht wird. Das Schulzimmer wird frisch gestrichen, als ob das die Erinnerung an den Tod verblassen machen könne.

Da taucht Bachir Lazhar, ein algerischer Immigrant, bei der Schulleiterin auf und bewirbt sich für die Stelle. Mohammed Fellaq spielt diesen Lehrer als weisen, demütigen Mann, als eigenwilligen Pädagogen, der den Kindern höchst-literarische Bildung vermitteln möchte. Er ist ein Typ, der sicher auch einen Komiker spielen könnte mit seinen großen Augen, die in keiner Sekunde private Anbandelmessages aussenden. In der Schule ist er fordernd und vermittelnd zugleich, Balzac kommt vor und Jack London im Diktat.

Er gewinnt schnell das Vertrauen der Kinder. Er ist aber auch Skeptiker. Zum Beispiel wie die Psychologin nach einiger Zeit wieder von der Schule abgezogen wird, fragt er die Direktorin ganz erstaunt, aha, die Kinder sind jetzt geheilt? Und wenn das Thema aufkommt in seiner Klasse, dann geht er darauf ein. Das ist allerdings nicht im Interesse der verdränglerischen Schulleitung.

Simon zum Beispiel hatte von der Verstorbenen einen Fotoapparat erhalten. Damit hat er sie auch während einer Schulstunde abgelichtet – übrigens dann auch den neuen Lehrer. Als eine Traueraktivität hat er der Martine auf dem Foto Flügel aufgemalt und den Strick um den Hals gezeichnet. Die Schule sieht diese Art von Trauerarbeit nicht gern.

Es kommt auch das Thema auf, wie Lehrer die Schüler behandeln dürfen, dass das inzwischen fast so risikant sei, wie radioktives Material. Keine Berühung, keine Schläge. Wie schwierig schulische Erziehung heute sei.

Simon selbst plagen Schuldgefühle. Er ist überzeugt, dass er Schuld ist; dass Martine sich seinetwegen umgebracht hat und den Zeitpunkt und den Ort so gewählt hat, dass er sie entdecken musste.

Es gibt Gespräche zwischen Lazhar und seinem einzigen männlichen Kollegen; eine Einladung bei einer Kollegin, auch ganz verhalten; eine Besprechung mit den Eltern von Simon, die Mutter ist Pilotin und viel unterwegs; alle diese Gespräche und Schulszenen geben so ganz nebenbei Einblicke in den Schulalltag und das Drumherum. Auch über Vandalismus an der Schule wird gesprochen.

Schulalltag. Der dicke Pedell. Einmal der kleine Gag mit einem Fisch aus Papier, der Lazhar an den Rück gepeppt wurde, ohne dass er es merkt.

„Defenestrer“ heißt, sich aus dem Fenster stürzen. Auch so ein Thema. Und immer wieder latent das Thema des Selbstmordes der Lehrerin. Einmal zeigt der dicke Pedell Monsieur Lazhar eine Schachtel mit Dingen, die die Lehrerin zurückgelassen hat und die deren Mann nicht abgeholt hat.

Das Bild, die fast dokumentarische Bildfolge ist wie aus einem Guss.
Schon sehr früh erinnert eine Szene daran, dass Lazhar selber Flüchtling aus Algerien ist. Dass dort seine Familie verbrannt ist bei einem Anschlag, der gezielt ihm gegolten hat. Das muss in Canada vor Gericht genau bewiesen werden. Gemeines Schicksal: wie er den Prozess gewinnt, kommt die Schule dahinter. Seine Anstellung ist leider nicht regelkonform.

Ein traurig-schön erzähltes Beispiel dafür, wie kleinkarierte Auslegung von Paragraphen einen wunderbaren, versierten Pädagogen aus dem Verkehr ziehen können.

Nathalie küsst

Irgendwie originell dieser Film und sicher nicht intellektuell. Die Gebrüder David und Stéphane Foenkinos haben ihn nach dem erfolgreichen Roman gedreht, den David geschrieben hat.

Nicht intellektuell wirkt der Film im Vergleich zu „Die Kunst zu Lieben“ von Emmanuel Mouret, in dem geistreich über die Risiken und Chancen der Liebe debattiert und experimentiert wird.

Originell ist er, indem man durchaus von einem Elchtest der Liebe sprechen könnte. Ein Skandinavier nämlich, ein Bursche der mit Elchen aufgewachsen sein könnte und der so gar nicht in die Pariser Bürolandschaft hineinpasst, Markus Lundl heißt er und wird gespielt von Francois Damien, wird bei einer Besprechung mit seiner Chefin, Nathalie Kerr, gespielt von Audrey Toutou, vollkommen unvorbereitet und heftig geküsst und dann sofort verabschiedet.

Am nächsten Tag tut sie so, als sei nichts gewesen. Aber wenn der erste Kuss mal passiert ist, so kommt das Verlangen nach mehr. Andererseits wird Nathalie auch von ihrem Chef ziemlich direkt angemacht. Eine schwierige Situation, wenn die Liebe nicht die Hierarchien der beruflichen Alltagsbewältigung beachtet. Das ist der Test, dem Nathalie sich aussetzt. Sie hat, was auch für die Facetten der Standpunkte im Film hilfreich ist, eine Freundin, mit der sie die Dinge besprechen kann.

In der Firma löst das Verhältnis von Markus zu Nathalie, das weiter geht, Gerüchte und Gerede aus. Einmal schenkt er ihr ganz ungeschickt verpackt einen Minzbonbonspender mit Elchohren obendrauf. Wirklich sehr ungeschickt. Einer Kollegin, die eben Geburtstag hatte, bei der ist er mit einem riesigen Bouquet aus weißen Blumen aufmarschiert. Auch nicht unkomisch.

Die Liebe ist an sich schon schwierig und zwischen einem solchen Skandinavier und einer französischen Chefin noch komplizierter. Vor allem: vom Spiel her fibriert nun gerade so gar nichts zwischen den beiden. Das wird teils kompensiert mit bedeutsamer Musik. Kann vielleicht auch damit aufgewogen werden, dass das Publikum sich vornehmlich aus Leserinnen des Romans rekrutieren dürfte, bei denen dann allemal eh der Film ablaufen wird, den sie sich bei der Lektüre gemacht haben.

Es ist die Geschichte von einer Art ungehöriger Liebe, die sich am Ende auch noch die Freiheit nimmt, einfach alles stehen und liegen zu lassen und abzuhauen, das ist sicher Wunschtraum vieler, so dass also das reale Spiel in der doch realistischen Inszenierung gar nicht so wichtig ist.

Immerhin nehmen sich die Gebrüder Foenkinos immer wieder viel Zeit, um ihre Figuren durch Gänge oder Straßen gehen zu lassen, inneren Monolog führen zu lassen, so dass auch der Zuschauer Zeit genug hat, in dem eh langsamen Spiel die Figuren und ihre Gefühle oder die Zwickmühlen ihrer Gefühle selber zu entwickeln.

Es ist auf einer Seite ein Kino des Alltäglichen. Bei einer Beerdigung küsst am Schluss die halbe Trauergemeinde die Hinterbliebene. Diese Art von Realismus meine ich. Und er scheint nicht bewusst gewählte Methode der Regisseure, er scheint aus einem intensiven Mitgehen mit ihrem Roman und der Begeisterung dafür zu entstehen. Insofern kann man durchaus von einer eigenen Handschrift der beiden sprechen.

Zwischendrin spielen sie einen Lovesong ein. Es sind vielleicht einfache Träume, für die sich die Foenkinos begeistern, Träume eher einfacher Menschen – ein Indiz dafür scheint mir die Kostümierung der Figuren, die durchaus von einem Versandhaus wie Quelle es einst war, stammen könnte. Das wäre spannend, eine Vorstellung dieses Filmes zu besuchen und zu schauen, ob sich tatsächlich in der Bekleidung der, wie ich annehme, vor allem weiblichen Zuschauer, ein Trend in Richtung einfach und Versandhaus feststellen lässt. Der Traum von der Liebe, die sich gegen die Hierarchie und das Geschäft und das Erwerbsleben durchsetzt. Wunschtraumkino. Foenkino-Kino.

Battleship

In Deutschland ist man seit Jahrzehnten nicht gerade kriegslustig. Das hat sich auch nach dem doch mit sehr gemischten Gefühlen hinter sich gebrachten und vor allem garantiert nicht gewonnenen Krieg in Afghanistan nicht geändert. Insofern dürfte es ein Film, der lustvoll auf der Klaviatur des Kriegerischen nicht nur vollkommen unkritisch sondern das Militärische sogar als vorbildlichen Wert hinstellend spielt, schon mal nicht leicht haben.

Gut, Schiffeversenken mag für manchen Zeitgenossen ein spielerisches Freizeitvergnügen sein.

Der Film „Battleship“ stellt den Versuch dar, ein Computerspiel zu einerm Spielfilm mit Spielhandlung auszubauen, in der der Zuschauer allerdings im Gegensatz zum Computerspiel insofern gehandicapt ist, als er nicht eingreifen kann. Das kommt sozusagen erschwerend hinzu bei so einem Projekt. Diese Erschwernis müsste also mit besonderem Augenmerk auf Spielhandlung und Charakterisierung der Figuren aufgewogen werden.

Der Rahmen dieser Spielhandlung ist in realistisch militärischem Milieu angesiedelt, so realistisch wie die Sauberkeit der Wäsche in einem Werbefilm für Persil.

Ein junger Offizier verliebt sich in die Tochter seines Admirals. Aber das ist nicht sein einziges Problem, denn er nimmt es mit der militärischen Strenge und Pünktlichkeit nicht sehr genau. Es stehen große Manöver bevor, soviel darf hier verraten werden. Die werden allerdings ungeplant von einem Angriff vorerst nicht identifizierbarer außerirdischer Kampfmaschinen unschön gestört. Das gibt Anlass zu sehr vielen Computereffekten, die Geschosse und Feurschweif und Explosionen simulieren. Es muss ja was los sein beim Schiffe versenken.

Sonst gibt’s kein Geheimnis in diesem Film. Insofern kann auch keines verraten werden, was dem Zuschauer die Freude oder allfällige Überraschung nehmen könnte. Selber bin ich mir unklar darüber, wen hierzulande am ehesten der Film interessieren könnte. Vielleicht an Persönlichkeitsdefiziten leidende Jungs oder noch rüstig-lustige Veteranen. Inzwischen gibt’s davon hierzulande auch wieder welche und die Politik ist gerade dabei, diesen mehr Verehrungszuwendung zu schenken. Das wäre sicher eine nette Anerkennung, Afghanistan-Veteranen im Rahmen einer Aufmerksamkeitsübung ein Screening mit diesem Film zu schenken.

Warum mich der Film dann doch nicht ganz so gefesselt hat, das ist nicht meine mangelnde Beziehung zu Kriegsfilmen oder meine Unkenntnis des Computerspiels. Das ist eher die dramaturgische Struktur. Dass zwar schon ein Grundproblem da ist für den Protagonisten, der sich in die Tochter seines Admirals verliebt, dass das aber eher als ein Problem gezeichnet wird, wie es sowie so viele zu lösende Probleme, auch strategische gibt, die werden aber nicht zur Befeuerung eines dramaturgisch angelegten Konfliktes genutzt, der Spannungspotential garantieren könnte. Da ist die Figurzeichnung des Protagonisten schlicht nicht gründlich genug gearbeitet.

Eine Prise chinesische Kriegsphilosophie blitzt an zwei, drei Stellen auf mit dem auf Anhieb nicht unbedingt einleuchtenden Satz, es gelte den Feind da anzugreifen, wo er nicht ist.

Das gute halbe Dutzend der Protagonisten sind mit simplifizierender Klarheit herausgearbeitete oder eingesetzte Typen. Auch die Story wird so eingeführt, dass sie garantiert der letzte versteht. Aber die Figuren haben alle etwas Holzschnittartiges. Wie Computerfiguren aus einem Computerspiel, sie sind allerdings nicht so gezeichnet, dass sie über das Genre hinaus Interesse erwecken würden. Sie müssen funktionieren in dieser Kriegsspielerei – und das tun sie auch. Das würden reflektierte, nuanciert-entwickelte Figuren mit grundsätzlichen Konflikten kaum.

Die deutsche Synchronisation ist der Computerhaftigkeit und der von Spiel und Besetzung her Beschränktheit der Figuren angemessen. Fast könnte man sagen, die deutsche Synchronisation schafft sogar einen zusätzlichen Touch der Entfremdung vom Individuellen. Wie sie ganz klar gewollt sein muss von den Machern dieses Filmes, von den Autoren Erich und Jon Hoeber und vom Regisseur Peter Berg. Krieg und Anonymität, darüber könnte man auch nachdenken, nicht nur darüber, dass man den Gegner da angreifen müsse, wo er nicht sei. Hier steht allerdings zu befürchten, dass das Kino den Zuschauer da trifft, wo er nicht ist.

Iron Sky

Timo Vuorensola, der Regisseur, zeigt uns hier eindrücklich, wie mit Hilfe moderner Computertechnik ein schwacher Witz (die Nazis haben sich seit dem 2. Weltkrieg hinterm Mond versteckt gehalten und wollen jetzt wieder zurück auf die Erde) zu einem donnernden, belang- und spannungslosen Nichts an Bilderwust aus dem Flohmarkt des Sci-Fi-Genres aufgebauscht werden kann.

Vom geistigen Horizont her gehört der Film eher in die Ecke „Studentenulk“; es kommt darin vor der „Albinisierer“ damit kann die Haut von Schwarzen gebleicht werden, denn ein solcher verirrt sich zu den vergessenen und zurückgebliebenen Nazis oder der Begriff des USB-Sticks wird veralbert in umfassende, systematische Beschönigung oder Beschleunigung oder egal welches B auch immer.

Vuorensola scheint ein Bildberserker zu sein. Nur ist ihm und seinen Drehbuchautoren Johanna Sinisalo und Michael Kelsniko nicht so ganz klar, was sie uns zu erzählen und mit wagnerianischem Musikgetöse aufzudonnern versuchen. Wegen den paar Witzchen einen so aufwändigen Film zu machen, das kanns doch nicht gewesen sein. Ein bisschen die Nazis verscheissern und einen Ausschnitt aus dem großen Diktator von Chaplin als einen erfolgreichen Kurzfilm zu apostrophieren.

Götz Otto gibt einen glaubwürdigen Nazi. Aber alle Figuren, bis vielleicht auf den skurrilen Computerforscher Tilo Prückner als Dr. Richter, sind todernst und böse. Es gibt nicht eine einzige Sympathiefigur in dem Film. Denn auch die Amis sind krass negativ gezeichnet. Da ist es am Schluss vollkommen egal, wer wen besiegt. Schade ist es um keinen, den es am Ende erwischt.

Ein geistiger Verhau, der sich da auftut. Ein Mangel auch an Kenntnis im Geschichtenerzählen. Begeisterung für Science-Fiction allein garantiert, wie hier bewiesen, noch für keine spannende Geschichte.

Erstaunlich immerhin, wer hier alles mitgetan hat, wer sich von diesem Film etwas versprochen hat, von Udo Kier über Julia Dietze, Götz Otto, Tilo Prückner, die hier alle als große Stars angekündigt werden.

Spieglein, Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen.

Die gar nicht so große Geschichte von Schneewittchen und den Sieben Zwergen hollywoodisch megamässig aufgemotzt schier zu einem Opus Magnum aus Show und Action und Ausstattung und Kämpfen und Animation und Jokes, mit einer kleinen Prise „wahre“ Gebrüder Grimm immer noch drin.

Ein fettes Menü mit viel zusätzlich reingeschütteter Joke-Dialektik. Die Zwerge sind nicht nur klein. Sie gelten auch als Monster des Waldes. Wenn sie sich Stelzen unterbinden mit den fantasievoll-eleganten Wadenverkleidungen, dann gelten sie als die Ungeheuer vom Walde und sind eine faszinierende Show.

Man könnte auch sagen: Schneewittchen kräftig entniedlicht und auch die Armutsproblematik und die wirtschaftlichen Halloderitums der Königin beigemixt.

Die Königin schwelgt im Luxus. Sie spielt Schach mit wundervoll kostümierten lebendigen Menschen-Schach-Figuren-Darstellern. Sie hat ihren Exgatten längst in den Wald geschickt und dem richtigen Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen. Sie kämpft, wenn sie was will mit allen Mitteln auch der Meinungsunterdrückung, der Verdrängung, der Vergiftung und gnadenloser Ausbeutung des Volkes, des Aussaugens mittels Steuern. Sie lebt in einer abgehobenen, realitätsvergessenen Welt wie vielleicht eine heutige weltweite Luxusklasse lebt.

Der Prinz kommt früh ins Spiel. Er wird samt seinem Diener gleich Opfer der Zwerge, die sich im Wald als raffinierte Wegelagerer ihren Unterhalt redlich verdienen. Zum Glück macht Schneewittchen, die längst eine junge Dame ist, einen Spaziergang in den Wald und entdeckt den Prinzen, ohne zu wissen, dass er ein Prinz ist, an einem Seil mit seinem Diener gefesselt kopfunter vom Baum hängend. Schneewittchen befreit die beiden und verabschiedet sich artig. Wer weiß, wozu ein frühes Inkognito-Kennenlernen noch mal gut sein kann.

Der abgerissene Prinz schlägt sich zum Schloss durch. In der Königin weckt er, wie er mit nacktem Oberkörper und in langer Unterhose vor ihr steht, gleich Heiratssehnsüchte. Die Königin lässt ihn und seinen Diener mit lächerlichen Klamotten ausstaffieren und lädt sie gleich zu einen prunkhaften Kostümball ein. Auch Schneewittchen hat sich gegen den Willen der Mutter hineingeschlichen. Und trifft auf den Prinzen.

Elegante Nummer, wie der Prinz beim Partnerwechsel-Tanz trickreich immer bei Schneewittchen bleibt, gelungene Slapsticknummer, so eine ausgiebigere Konversation mit ihr ermöglichend.

Die böse Königin kommt der Sache auf die Spur. Sie denunziert die Stief-Tochter als geistig krank. Sie will den Prinzen. Die Ereignisse verkomplizieren und beschleunigen sich. Der Höfling Brighton soll für ein großes Bankett zu Ehren des Prinzen, der reich ist und deswegen geheiratet werden muss, noch mehr Steuern beim Volk eintreiben. Er wird aber mit dem prallen Geldsäckel Opfer der Zwerge. Schneewittchen landet inzwischen auch bei diesen und absolviert einen Schnellkursus in Selbstverteidigung. Selbst ist die Frau.

So nehmen denn die Dinge ihren Lauf. Zwischendrin begibt sich die Königin mit großem Hokuspokus zu ihrem sprechenden Spiegel. Nie aber fragt sie, Spieglein, Spieglein…? Nein, sie hält mit dem Spiegel, der eh eine verzwickte Konstruktion ist, Strategiegespräche ab, wie sie Schneewittchen los werden und der Prinzen gewinnen kann.

Schöne Szene, die die Kinder bestimmt zum Lachen bringt – und natürlich nicht nur diese -, wenn Brighton Schneewittchen hätte töten sollen und dann grimmsch originalgemäss als Beweis die Innereien der Königin bringen soll, bei Grimm die von einem Frischling, hier bei einem Metzger besorgt und wie er sie zeigen will, noch eine ganze Reihe geklauter Würste zum Vorschein kommen. Auch diese Szene hier nur als ein Beispiel für die trickreiche Konstruktion und Nebenbei-Charakterisierung der Figuren angeführt.

Next Step mit dem Prinzen: die böse Königin will ihm einen Trunk verabreichen, der ihn willig machen soll. Dummerweise erwischt sie das Mittelchen für Hunde. So spielt er denn den Hofhund und stürzt sich entsprechend auf sie. Hündische Männer und selbständige Frauen.

Grandiose Parodie auf jeglichen Schönheitswahn: die Behandlung und Schönheitskur, die sich die Königin für ihre perfekte Erscheinung am Ball angedeihen lässt. Die fängt damit an, dass die Bäckerin Papageienkacke wie Schokolade der Königin ins Gesicht streicht. Und das ist erst der Anfang. Was dann folgt, lässt die Dschungelcamp-Erfinder als arme Leute dastehen.

Ein opulentes Werk, die Macher waren sich nicht zu schön, wo auch immer im breiten Feld der Kulturen ikonographisch und thematisch (die New York Times sieht im Ungeheuer eine Replik zu Cocteaus „Die Schöne und das Biest“) zu wildern, um das gute alte gemütliche Grimm-Märchen kräftig zu tunen. Einer der Zwerge ist zum Beispiel Asiate. Man will ja alle Märkte bedienen. Einer heißt Napoleon, einer Romeo, einer Grimm und von dem lesen wir im Abspann, dass er nachher, also nach Ende des Filmes, angefangen habe, Märchen aufzuschreiben. Vielleicht holt der sich jetzt die Inspiration in Hollywood. Aber das ist sicher das einzige Märchen, was Hollywood je selbst erfunden hat, dass es Märchen erfinde. Es mischt sie eher neu zu einem bunt-spritzigen Cocktail.

The Lady

Luc Besson, den man eher mit Action-Filmen wie “Colombiana “ oder “Leon, der Profi” in Verbindung bringt, hat hier einen politisch engagierten Film gemacht, ein Biopic über die birmesische Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.

Der Spielfilm endet 2007 mit dem birmesischen Aufstand der Mönche und der schönen Schlussgeste von Suu, die von Michelle Yeoh immer ganz Dame gespielt wird; sie erscheint über dem Gittertor ihres herrschaftlichen Anwesens, in welchem sie unter Hausarrest steht, und wirft den Mönchen eine Blume zu. Dort endet Besson mit einem Freeze. Das Buch hat Rebecca Frayn geschrieben. Die Entwicklung ist bereits überholt, die Blume erweist sich als ein positives Zeichen, ist doch inzwischen in der birmesischen Diktatur ein unverhofftes Tauwetter ausgebrochen.

Besson malt das Leben von Suu wie ein plakatives Wandgemälde mit pointiert ausgewählten Szenen. Wo er die Möglichkeit hat, seine Action-Erfahrung einzubringen, da tut er es knallig. Zuerst lässt er allerdings eine Erzählerstimme die Vorzüge und Schätze Birmas, Natur- wie Bodenschätze loben und dass eines Tages fremde Soldaten gekommen seien und diese in Besitz genommen hätten. Der Weg von Suu ist der Kampf um Freiheit und Demokratie, der Aufruf am Ende des Filmes lautet, wir mögen unsere Freiheit nutzen, um ihre zu ermöglichen. Etwas davon scheint inzwischen wahr geworden zu sein.

1998 steigt der Film in Oxford ein. Beim englischen Gatten der burmesischen Suu wird Prostata-Krebs diagnostiziert. Er hat noch eine Lebenserwartung von maximal fünf Jahren. Dann springt der Film auf 1988 zurück. Die Familie von Suu mit ihrem Mann und den zwei Söhnen ist glücklich. Suu ist einen Text am Schreiben. Am Fernsehen kommen Bilder über einen Aufstand in Burma. Suu weiß, sie muss jetzt dorthin.

Ein Beispiel, wie Besson cool auf seine Effektenkiste zurückgreift. Wie Suu in Birma einreist und den Pass vom Beamten zurückbekommt und der den Pass auf das Schalterbrett haut, da spielt Besson einen Knall wie aus einen Actionfilm ein. Wie er überhaupt die Szenen sehr ausgestellt inszeniert und wie die auf die wichtigen Dinge, die sie erzählen sollen, reduziert sind. Didaktisch gut aufbereitet folgen die weiteren Schritte auf dem Weg zur Diktatur, der Diktator als Brutalo gezeichnet. Er befragt eine Wahrsagerin, die im Knast einsitzt. Dann hat sie nicht nach seinem Gusto wahrgesagt. So geht er nochmal hin und erschießt sie. Er wird noch weitere Menschen abknallen respektive abknallen lassen.

Gegen diese Diktatur kämpft Suu. Ihre Unterstützer im Ausland setzen sich dafür ein, dass sie zur Kandidatin für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wird. So wie Besson mit Action-Szenen nicht zimperlich ist, so ist er genauso wenig zimperlich, wenn es ums Gefühl geht, um die Rührung über die Verleihung. Denn der ältere Sohn darf den Preis im Namen seiner Mutter verdanken. Die Rede wird übers Fernsehen und Radio in alle Welt ausgestrahlt. Ausgerechnet in ihrem Haus in Birma aber fällt der Storm aus. So kann Besson eine ausgeklügelte Szene einfügen, wie Suu sich mit einer Angestellten zu helfen weiß.

Besson erzählt durch seine Methode scheinbar luzide, weil er nicht komplizierte Sachverhalte oder Machtgeflechte, die eine solche Diktatur ermöglichen und am Leben erhalten, analysieren will. Ihn interessieren Szenen, die eine Art News-Wert haben: Auftands-Szenen, Massaker-Szenen, Gefängnis-Szenen, aber auch Zeremonien oder Arztbesprechungen.

Ein grob-gestricktes, knalliges Heldinnengemälde im Sinne der guten Sache. Könnte ich mir gut als Illustration zu und Ersatz für zwei Schulstunden vorstellen. Andererseits sind die Entwicklungen in Birma im Moment so überraschend und rasant, dass man bereits ein weiteres, aktuelleres Gemälde bräuchte, um zu kapieren, was dort vor sich geht.