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Feuchtgebiete

Aseptisch und penibel clean legt David Wnendt, der mit Claus Falkenberg auch das Drehbuch zur Verfilmung dieses Bestsellers von Charlotte Roche geschrieben hat, die Feuchtgebiete trocken, versucht die Hämorrhoiden inklusive einer Selbstverletzung im genitalen Bereich einer jungen Frau mit schier wissenschaftlich sorgfältiger Bebilderung zwei Stunden lang auszubreiten als Plafond für die Hoffnung eben dieser jungen Frau, dass ihre Eltern doch wieder zusammenfinden mögen.

Das deutsche Kopfkino von David Wnendt, wie es mir schon bei der hochgelobten „Kriegerin“ aufgefallen ist, zeitigt hier eine merkwürdige, skurrile Blüte, über deren Unterhaltungswert man allenfalls geteilter Meinung sein kann. Denn es behandelt ein eher nicht kopfiges Thema, es geht um Intimhygiene, um Intimverletzungen, um intime Säfte, das vom Regisseur behandelt wird, als seziere er vor Studenten fauliges, stinkiges Fleisch, ohne sich jedoch etwas anmerken zu lassen, nein im Gegenteil, indem er so tut, wir machen hier Kunst, Beweis: bekannte Darsteller-Namen waren sich nicht zu schön, hier mitzumachen, jedenfalls, falls sie wählerisch in der Zusage von Rollen sein sollten. Wendt scheint aber auch an das verklemmte, amerikanische Aufklärungskino der 50er Jahre andocken zu wollen, pfleglich hergerichtet für den von einem trockenen Hüsteln begleiteten Igitt-Genuss mit dem gespreizten Finger. Seichtgebiete im Gewande der Kulturpose.

Hilfreich für Wnendt ist dabei die junge Hauptperson, Carla Juri als Helen Memel, die über alles und jedes auf dieser Welt in vollkommen ungerührtem Plapperton unterschiedslos schwatzen kann, was anderen Menschen die Schamesröte ins Gesicht treiben oder sie zum Stottern bringen würde. Hinzu kommt ihre der Figur zugeschriebene Naivität, die sie glauben macht, wenn ihre Hämorrhoiden geheilt wären, sei die Voraussetzung dafür gegeben, dass ihre getrennten Eltern wieder zusammenfinden würden. Solches reicht hierzulande bereits für Starqualitäten.

Rückblenden unterbrechen immer wieder die Hämorrhoiden-Behandlung.

An die Wiener Aktionisten erinnert die Szene, in der die Krankenschwester der Patientin nach der Operation einen Plastikbeutel mit blutigen, herausoperierten Teilen in die Hand drückt und die Patientin dieses Kunstblut überall verschmiert. Die gewählte Blutfarbe wirkt auch hier vor allem eines: aseptisch. Igitt vermutlich als geistiger Genuss intendiert.

Das Grundmissverständnis dieser Verfilmung ist möglicherweise das, dass der Leser des Buches durch wie mir gesagt wurde witzige Sätze und Bemerkungen in seiner Fantasie angeregt werde, während im Kino eine aseptische Bebilderung derselben Sätze vermutlich so wirkt, wie verdorrte Phantasie; denn die des Lesers kann nur lebendiger sein, gruseliger, igittiter: igitt, die junge Frau steckt ihren Finger in die Möse, feuchtet den Finger an, riecht daran, reibt sich den Saft hinter die Ohren. Oder sie erzählt ihrem aseptischen Krankenpfleger bei der Pizza, die sie sich vom Pizzaservice hat bringen lassen, was die Pizzaköche onanierenderweise um so eine Pizza herum treiben – und unser Regisseur glaubt das noch bebildern müssen. Wenn überhaupt, bräuchten solche Bilder, um kinematographische Brisanz zu entwickeln, einen Trash-Regisseur, der das Tier im Menschen, den Ficker im Mann, den Onanier richtig zulassen würden, die schmerzverzerrten Gesichter dabei zeigend, die von richtiger Not sprechen und nicht ein paar Pizzakoch-Nebendarsteller von der Stange.

Eine Erklärung für die Gestörtheit der Hauptfigur bietet eine Reminiszenz aus Helens Kindheit: darin ruft die Mutter dem erhöht stehenden Mädchen zu, es solle springen und sie breitet dabei die Arme aus; wie Helen springt, tritt die Mutter zurück, lässt das Kind auf den Boden fallen. Gestörtes Grundvertrauen. Was bei einer solchen Mutter, Meret Becker, und einem durch seine Glattheit dem Töchterchen keine Orientierung vermitteln könnenden Vater, wie Axel Milberg ihn darstellt, nicht weiter verwundert.

Insgesamt dürfte hier der Zuschauer nicht nur an der im Film erwähnten Oralsex- sondern auch an Kinematographie-Unterversorgung leiden. Während bei den fördernden Gremien noch Unterzucker hinzukommt.

Pain & Gain

In diesem Film von Michael Bay, zu dem Stephen McFeely das Drehbuch aufgrund von Magazin-Artikeln von Pete Collins geschrieben hat, ergeht es dem amerikanischen Traum nicht gerade gut.

Was ist er überhaupt, der amerikanische Traum? Hier im Film ist es das reiche Leben mit Villen am Meer, Swimming-Pool, Yachten, Blondinen. Errungen nach der Methode: make America a better place, become a Doer! Dummerweise ist dieser amerikanische Traum nicht für jedermann erfüllbar.

Andererseits hat der Amerikaner doch die Freiheit, seinen Traum zu erfüllen. So denkt jedenfalls Mark Wahlberg als Daniel Lugo. Er hält sich allein schon als muskelpepackter Mann für den Inbegriff des amerikanischen Traummannes und meint so zurecht, ihm stehe die Erfüllung dieses Traumes auch zu. Zu diesem Traum gehört nämlich auch die Fitness. Und dieses Seite des Traumes erfüllt er immerhin, hilft auch anderen als Mitarbeiter eines Fitnesszentrums, eines Gyms, diesen zu erreichen. Was ihn als Fittnesstrainer direkt mit unangenehmen Nebenerscheinungen des Ideals konfrontiert und in engsten Kontakt bringt; da könnte sich die Kamera von „Feuchtgebiete“ noch was abschneiden.

Unter seinen helfenden Händen hat er einen Kunden, Tony Shalhoub als eindrücklicher Victor Kershaw, der sich den amerikanischen Traum erfüllt hat. Da steckt allerdings auch viel Gegenteil von Traum dahinter, Flucht vor den Nazis nach Lateinamerika, dann Flucht aus Lateinamerika wegen der vielen Entführungen von Reichen nach Florida, nach Miami.

Das liegt gar nicht so weit weg von einem anderen Traum, dem sozialistischen nämlich, der auf Kuba praktiziert wird. In den bunten, fröhlichen, intensiven Farben, in denen Kubaromantiker ihre Filme drehen, wird nun hier das Scheitern des amerikanischen Traumes, seine schmerzhafte Negativanalyse plakativ, graffitihaft mit großem Pinselstrich auf die Leinwand gesprüht.

So dass es über lange Strecken richtig schmerzt, wie Daniel, der auch Paul und Adrian zur Mittäterschaft überreden kann, Victor Kershaws Entführung plant und realisiert, um an die Millionen zu kommen. Schmerzhaft, diesen armseligen Figuren zuzuschauen, die sich für so groß halten und es mit ihren Muskeln auch sind, wobei Paul dazu noch religiös ist und ein guter Mensch werden wollte nach einem Knastaufenthalt; ihnen zuzusehen wie sie in ihrer Dummheit den amerikanischen Traum aushöhlen und zerstören. Wie offenbar die Selbstdestruktion zu diesem Traum gehört, so gehört andererseits die Oberhand von Recht und Ordnung zu diesem Traum, zur vermeintlichen Rettung oder Aufrechterhaltung des Traumes. Sonst dürfte es wohl kaum eine wahre Geschichte genannt werden. Ausgerechnet die Männer, die physisch dem Traumbild des amerikanischen Mannes am nächsten kommen, die naiv Bizeps und Bauchmuskeln trainieren, schönes Bild am Anfang, wie Daniel an der Wand des Gyms sich in die Luft hinaus nach hinten beugt und wieder mit den eigenen Muskeln in die Höhe schraubt, zerstören diesen Traum, sind nichts weiter als miese, kleine Scumbags.

Gold

Vielleicht war es lediglich Sauerstoffmangel unterm Treibhausdach des subventionierten und fernsehredigierten deutschen Kinos, dass hier keinem der Beteiligten aufgefallen ist, wie in Formalin eingelegt, gleichsam präpariert für eine Nachwelt, die sich die Auswüchse des deutschen Kinosubventionswesens als Kuriosa eines Tages womöglich anschauen wird, dieses Stück Kino her- und zugerichtet wurde.

Denn für lebende Zeitgenossen dürfte dieser Film nichts zu erzählen haben. Es geht um das Reshaping eines Goldgräbertrecks von Ashcroft nach Dawson Ende des vorletzten Jahrhundert zum Klondike River in Kanada mit einigen Teilnehmern mit deutschen Wurzeln, weshalb jetzt wohl dieses deutsche Förderprodukt entstehen konnte. Späte Nebenwirkung des Goldrausches.

Sie ist nicht gut ausgegangen, die Expedition – so wenig wie der Film. Dabei hat der Autor und Regisseur Thomas Arslan sicher einen Grund gehabt, sich für diese Geschichte zu begeistern. Und ihm ist es am wenigsten anzukreiden, dass sein Produkt garantiert nicht kinolebensfähig geworden sein dürfte.

Dass ein Mensch mit einer fixen Idee sich verrennt, das ist nichts Ungewöhnliches, manchmal wird ja auch was draus. Die Idee: eine Art Western, der aussehen soll, wie im deutschen Mittelgebirge gedreht, mit vollkommen unvoreingenommener Herangehensweise, ohne Rücksicht auf die große Könnerschaft, die darin amerikanische Filme zu Hunderten und Tausenden entwickelt haben, ohne die Weite von kanadischen Gebirgen und Wäldern, ohne den Kamerareiz des Reitens und von Pferden oder von Lichtstimmungen einzubauen, eher den Eindruck eines Produktes als Resultat einer Gruppentherapie für unterbeschäftigte Filmleute in Deutschland zu erwecken; man sollte ihnen gut zusprechen; beim nächsten Mal klappt’s vielleicht, sich noch etwas umsehen im Western-Genre; nur die Hoffnung nicht aufgeben.

Jedenfalls ließen sich von Arslans fixer Idee offenbar vollkommen unkritisch anstecken und gaben ihre Namen und ihre Leistung dafür her: Nina Hoss, Peter Kurth, Lars Rudolph, Uwe Bohm und weitere Namen des kruden Castes sowie Filmförderer diverser Couleurs: eine erschreckende und nichts Gutes verheißende Vielfalt schon im Vorspann prominent angeführt.

Die Schauspieler haben alle eine merkwürdig verhackte, künstliche Sprechweise, als wollten sie den Eindruck abgehalfterter Synchronsprecher erwecken; vermutlich in der Absicht, Westernatmosphäre unter Subventionstreibhausbedingungen zu erzeugen. Dass offenbar von all den Beteiligten auch keiner eine Ahnung von Spielfilmdramaturgie, von Figurentwicklung und Konflikten der Figuren hat, macht die Sache nicht besser. Immerhin wird ab und an eine Info über die Motive der Teilnahme an der Expedition, die von einem Gauner initiiert worden ist, eingestreut – immer wenn es zu spät ist, um die Information noch spannungstechnisch nutzbar zu machen. Entsprechend begeisternd und erhellend sind die Dialoge:

Sie sollten auch mal eine Pause machen.
Ich muss zugeben, dass ich mir das mit dieser Reise auch einfacher vorgestellt habe.
Was treiben Sie denn da, Müller.
Kommen Sie, Müller, wir wollen aufbrechen.
Wir haben das Restaurant verkauft.
Ich hoffe, da ist noch was übrigen von dem Geld, wenn wir dort ankommen.
Machen Sie keine Dummheiten, Müller.
Hör auf, mich als rohes Ei zu behandeln, ich bin nicht mehr wert als Du.

Die Musik wird eingesetzt, als hätte sie den Film gar nicht gesehen, sie kann das Formalin auch nicht in Vibration verwandeln. Ein Western im Halbnah-Filmsubventionsmodus, oft werden Nacht- und Dämmerungsaufnahmen so realistisch gezeigt, ohne Kunstlicht, dass praktisch nichts mehr zu sehen ist.
Wildwest als Pfadfinderübung wäre bestimmt erheiternder.

Positiv zu vermerken: alle Beteiligten scheinen sehr konzentriert bei der Sache zu sein, was allerdings bei weitem nicht genügt, um den öffentlichen Auftrag der mitproduzierenden Sender zu rechtfertigen.

Dieses Produkt für die Sammlung „Auswüchse und Relikte zu Tode geförderten Deutschen Kinos des aufgehenden 3. Jahrtausends“ haben subventioniert: Bayerischer Rundfunk (Intendant Ulrich Wilhelm), ARD Degeto (Peter Boudgoust, Intendant), Westdeutscher Rundfunk (Intendant Tom Buhrow), Arte (Präsidentin Véronique Cayla), Medienboard Berlin-Brandenburg, BKM (Kirsten Niehuus, Elmar Giglinger, Geschäftsführung), Kulturelle Filmförderung des Bundes, FFA (Vorstand Peter Dinges), Filmförderungsanstalt, DFFF (Vorstand Peter Dinges).

The Bling Ring

Sofia Coppola, die sich für diesen California-Life-Style-Film von einem Artikel in Vanity Fair hat inspirieren lassen, hat eine seelenmassierende Erzählweise, eine verführerisch schöne, richtig süffige Filmhandschrift. Sie erzählt aus einer reichen Welt, aus einer Welt des Überflusses an schönen Dingen.

Sie erzählt aber auch, dass in dieser Welt viel Nachlässigkeit herrscht, Villen von Stars, die zum Einbruch direkt verführen dank nicht abgeschlossener Fenster und Türen, während die Herrschaften, wie uns das Internet lehrt, gerade in New York am Drehen sind oder woanders ein Konzert geben oder eine Party besuchen.

Sie erzählt aber auch davon, dass in dieser Welt unbesehen der Person Recht und Ordnung herrscht. Sie erzählt davon, dass es nach wie vor eine Bonny-und-Clyde-Begeisterung in den USA gebe und dass man ein Star werden kann ungeachtet der Tatsache, ob man ein Künstler oder ein (sympathischer) Einbrecher ist.

Ferner erzählt sie uns, dass im Internet eine Art Waffengleichheit zwischen den Räubern und den Cops herrsche. Denn einerseits findet die jugendliche Gang aus guten Verhältnissen, Schüler, Kids, Teenager, die sich langweilen, die koksen und in der Disco tanzen, dem Rausch frönen, die mit diversen Mitteln ihr Coming-of-Age zudröhnen und betäuben, ihre Opfer, Stars mit Schmuck und Juwelen und riesigen Schränken voll mit feinen Schuhen und edlen Klamotten oder sündhaft teuren Uhren oder gar Bargeld, im Internet, da gibt es Fotos von den Villen von oben und auch die Infos, wo der Star sich gerade aufhält.

Auch die Polizei bedient sich des Netzes, zusätzlich zu teilweise installierten Überwachungskameras. Die sozialen Netzwerke helfen der Polizei, mehr über die Einbrecherbande zu erfahren.

Sympathisch stellt Coppola die Gruppe beispielsweise in einer Szene dar, in der sie wie eine erfolgreiche Popband, alle mit Sonnenbrillen, nebeneinanderher über einen Boulevard in L.A. schreiten und die entsprechende Musik dazu. Abgesehen davon waren es Jugenddummheiten, denn eigentlich sind die Teens idealistisch, wollen für den Frieden auf Erden arbeiten, Stichworte „Live, Nature, Love“ laut einem Plakat an einer Zimmerwand oder eine führende Position einnehmen, eine Stimme auf der Welt werden, die vernommen wird, die wahrgenommen wird.

Dank ihrer Brüche, dürfen sie diese ihre Philosophie über Interviews mit Vanity-Fair auch verbreiten. Die erste Stufe zum Startum ist somit erfolgreich gemeistert. Dumm nur, dass bis zur nächsten Stufe, einige Jahre Knast dazwischen liegen werden, mit Schwerverbrechern in den orangen Gefängnisanzügen, um womöglich in einer Zelle daneben einen echten Hollywood-Star, der wegen eine Diebstahls im Wert von wenigen Dollars einsitzt, schreien zu hören. Diese Gefängnisrealität Amerikas wird nicht weiter thematisiert. Politisch-kritisch wäre gegen die schöne Erzählung. Die Gefängniserfahrung, die müssen die mit sich selber ausmachen.

Aber auch: Einer der belanglosesten, langweiligsten Film des Jahres. Villen-Hopping, Shopping-Hopping, Life-Style-Hopping, Vanity-Hopping und das alles im Schmorsaft des Reichtums. Chanel, Prada, Miu-Miu vor dem Hintergrund von Privatunterricht zu Hause und Besuch eines schlecht renommierten privaten Lehrinstituts in Indiana Hills – gepflegte kalifornische Hochglanzlangeweile – und der Bob Hope Airport vermag auch keine Hoffnung geben.

Camille – Verliebt nochmal!

Eine sympathische Eigencréation von Noémie Lvovsky, die mit Maud Ameline auch das Buch geschrieben hat und die Hauptrolle spielt. Eine création individuelle, mit der sie des Zuschauers Geist anregen will und sicher auch tut.

Der Topos ist nicht zu weit weg von Jedermann und Jederfrau, die Frage, habe ich mich im Leben und der Liebe richtig entschieden und wie würde ich es mit den Erfahrungen von 40 Jahren machen, wenn ich nochmal zurückkönnte.

Im Film ist das möglich. Diese Chance bietet sich Noémie Lvovsky und sie nutzt sie sprudelnd erzählend, als sei die Hervorholung ihrer Erinnerungen ein unerschöpflicher Quell.

Wir lernen sie kennen, Camille Vaillant nennt sie ihre Figur und ist Schauspielerin, wie sie bei einem Dreh im Horrorstreifen „Die Rache des Metzgers“ eine Tagesrolle als Opfer des Metzgers mimt. Sie liegt reglos in einem Bett, ist kompliziert verkabelt für das Blut, was ihr aus dem Hals spritzen soll, wobei ein Techniker sich schier den Atem aus der Brust pumpt um dem Drängen des Regisseurs nach genügend Druck Folge zu leisten.

Camille hat also lediglich im Bett zu liegen und wie der Metzger ihr in den Hals sticht verendend zu röcheln. Nicht unbedingt eine dankbare Rolle für eine vierzigjährige Schauspielerin, die etwas auf sich hält. Kein Wunder, ist sie dem Alkohol verfallen. Die Heimfahrt in der S-Bahn wird zum establishing Shot ihrer Figur, wie sie bitter, frustriert, horizontlos in ein dumpfes Nachsinnen versinkt und ab und an einen Schluck aus der Pulle sich genehmigt.

Zuhause erwartet sie die Trennung von ihrem Mann, sie schmeißt ihn mit wenig Habseligkeiten raus, wie der Makler kommt, der die Wohnung kaufen will, sie preist alle Mängel der Wohnung lauthals an.

Es folgt der Sprung in die Vergangenheit. Sie ist wieder 16, geht zur Schule. Etwas hellerer Teint, ein fröhlicheres Gesicht und altmodische Klamotten reichen vollkommen aus, um den Zeitsprung glaubwürdig zu machen. Sie ist ja die, die schon 25 Jahre älter ist, das wird sie bei diversen Gesprächen auch anbringen. Jetzt wird ihr Leben also wieder genau so ablaufen, wie schon einmal, sie schafft es nicht, auszuscheren, auch wenn sie es versucht.

Wieder finden die Theaterproben des Goldoni-Stückes „Die Verliebten“ statt; Camille wird die Rolle der Eugenia spielen und ihr künftiger Mann den Fulgenzio. Das Drama des Versuchs seiner Wiederholung kann sich entwickeln.

Noémie Lovovsky macht nicht Kunst um der Kunst willen, nicht um der Perfektion willen, sie vergleicht sich nicht mit irgendwelchen Größen. Sie will diese Geschichte, diese Reflexion über das Leben und die Liebe lebendig, quicklebendig auf die Leinwand bringen, nicht theologisch missionarisch versessen, nicht bierernst muss das sein, lieber mal ein bisschen outriert spielen, etwas overacten ist doch ganz lustig und unterhaltsam, besonders der Lehrer und der Regisseur des Goldoni-Stückes oder der Liebhaber, mit dem sie sich auf dem Bett einen Ausziehwettbewerb liefert, der den Lover ganz schnell verzweifeln lässt, lieber das als Langeweile aufkommen lassen.

Für die Verspieltheit sprechen einige Gegenstände aus ihrem Leben, die, noch bevor das Spiel anfängt, isoliert über die Leinwand fliegen oder schwimmen. Die Katze, die Uhr. Es ist ein erzählpraktisches Kino, wofür sich Noémi Lovovsky entschieden hat. Im Rahmen dieser Rückschau stellt sie sich auch die Frage: geht die Liebe am Alltag kaputt? Zum Abschluss gibt’s ein schönes Chanson über die Klippen am Rande des Ozeans.

Percy Jackson: Im Banne des Zyklopen

Hier mischen Marc Guggenheim und Rick Riordan als Autoren Figuren aus den antiken Sagen zu einem gelungen Pop-Corn-Coup für die heranwachsende Generation mit ihren Gefühlsaufwallungen, Gefühlsumwälzungen und ihrem Fantasy- und Abenteuerbedarf, mit Angelpunkten im eigenen Leben, ob Bankautomat oder Wellensurfen.

Für die Regie, die diese nahrhafte aber überhaupt nicht schwer verdauliche Melange noch richtig sahnig schlägt, zeichnet Thor Freudenthal, der schon „Gregs Tagebuch – Von Idioten Umgzingelt!“ erfrischend auf die Leinwand gebracht hat.

Ein Film, bei dem gegen 3D nicht zu mäkeln ist. Und selbstverständlich braucht es für so eine überbordende, nie aber den Zuschauer erdrückende Fantasiewelt einen ruhigen, eher unauffälligen Typen als Hauptperson, Logan Lerman als Percy Jackson; denn das macht die Spannung aus: den unauffälligen Normalbürger eintauchen lassen in den brodelnden Vulkan einer Fantasiewelt, die sich aus antiken Sagen nährt.

Wobei Normalbürger zwar visuell zutreffen mag, vermutlich die Besetzung geradezu darnach ausgesucht worden ist; aber Unterschiede müssen auch sein; Percy ist der Sohn des Meeresgottes Poseidon und kann unter Umständen entsprechende Kräfte und Talente mobilisieren.

Percy befindet sich mit seinen Freunden Grover und Annabeth im Tainingslager; hier gibt es verzwackte Kletterwände mit Eigenleben zu überwinden. Bei einem Angriff wird Grover allerdings entführt. Wenn Percy das Goldene Vlies aus dem Besitz des Zyklopen ergattern kann, wird er auch seinen Freund wieder befreien können. Eckdaten für eine Abenteuergeschichte, die sich im Lot befindet.

Halbgöttertum als Bebilderung des Zustandes, in dem der Mensch sich in der Entwicklung vom Kind zum handlungsfähigen Erwachsenen befindet, das dürfte bestens funktionieren.

Wilde Bildwelten, die dem Aufruhr des Heranwachsens gewiss angemessen sind: Skylla und Charybdis als ein Höllenschlund. Was Wellen, von im Kreis schwimmenden Haien alles anrichten können. Das Gefühl der Ohnmacht im Heranwachsenden und gleichzeitig das Gefühl gottgleicher Stärke, beispielsweise Gewalt über das Wasser zu haben. Oder das schöne Beispiel des Zyklopen, des Einäugigen. Die Spannung zwischen Mensch und Monster, zwischen Mensch, Gott und Halbgott, alles in wilder Gefühlsvermengungen. Aber auch der Zusammenhalt einer Gruppe. Am schönsten im Bild, wenn sie nach überstandenen Abenteuern vereint in einem Boot rudern.

Es scheint den Machern darum zu gehen, sich frischfröhlich beim antiken Sagenschatz zu bedienen, diesen als Inspiration für tolle Animationen herzunehmen, sei es der Minotaurus oder der riesenhafte Zyklop oder der junge Einäugige, diese in eine spannende Abenteuergeschichte zu packen, die für die Menschen in dieser extremen Entwicklungsphase eines Menschenlebens voll der krassesten Widersprüche Bebilderung liefert.
Das tut dieser Film gewiss.
Und vielleicht fühlt sich der eine oder andere nach dem Kinobesuch inspiriert, bei den Quellen, den antiken Sagen selbst nachzulesen.

Gloria

Das ist der Film der Hauptfigur, der Film von Paulina Garcia, die als Gloria mit traumwandlerischer Sicherheit den Parcours meistert, den ihr Sebastian Lelio, der mit Gonzalo Maza auch das Buch geschrieben hat, ausgelegt hat.

Eine 58-jährige Frau hat sehr wohl ein Recht auf ein Leben, das nicht nur aus Büroalltag und Gymnastikstunden besteht, sie hat sehr wohl ein Recht, Männer kennenzulernen, Abenteuer zu erleben.

Gloria ist seit 12 Jahren von ihrem Mann geschieden. Die Kinder sind längst aus dem Haus. So frequentiert Gloria in ihrer Freizeit Single-Partys, tanzt und flirtet, ist zu haben zum Pferdestehlen.

Mit Rodolfo scheint es allerdings mehr zu werden als nur einer der üblichen One-Night-Stands. Eine Beziehung bahnt sich an. Schnell schon nimmt sie Rodolfo, Betreiber des Vergnügungsparkes „Vertigo“, mit zu einem Familienfest. Mit Rodolfo verlustiert sie sich ausgiebig, genießt abenteuerliche Spiele, wie Pumpgun-Schießen oder Bungeespringen. Lebenslust und Vergnügen.

In der beliebt lateinamerikanischen Erzählweise, die gerne von den Telenovelas geprägt ist, nah bei den Figuren bleibt und sich viel Zeit lässt, da muss auch mal Platz für ein Gespräch über Perurinal-Anästhesie sein, eine gepflegtes Abendessen zu viert, wo es um Chile geht oder um Facebook und virtuelle Massen und Revolution; aber auch die Geschichte vom unglücklichen Nachbarn, der über Gloria wohnt, bekommt ihr Plätzchen – und sie dafür das Kätzchen ohne Fell; auch die Augentropfen wollen nicht vergessen werden.

Mit den Jahrzehnten auf dem Buckel ist das Beziehungs-Building allerdings nicht mehr so leicht. Der Mensch ist nicht unbedingt freier als in seiner Jugend. Rodolfo lebt erst ein Jahr in Trennung und hat das Gefühl, er sei noch verantwortlich für seine Familie, lässt sich immer wider telefonisch aus Tête-á-têtes mit Gloria herausreißen. Um dies Problem zu lösen, machen sie es nicht anders als junge Paare, sie fahren für ein paar Tage ans Meer, sie fahren nach Vina. Und wie sie das Kuscheln anfangen wollen, klingelt Rodolfos Telefon. Gloria will schon wieder abreisen. Kurz vor der Tür stellt sie ihr Gepäck ab, dreht sich um, legt einen dezenten Striptease hin und die Sex-Action kann heftig beginnen. Später Swimming-Pool, Bar. Plötzlich verschwindet Rodolfo. Gloria verbringt eine von jener Sorte Nächte, wo man morgens irgendwo aufwacht und nicht mehr weiß, was geschehen ist. Aber solche Erlebnisse können auch Entwicklungsschübe bedeuten. So dass der Schluss des Filmes ein einziges, Optimismus verbreitendes Fest mit Tanz und Gesang für die befreite Gloria wird – ansteckend.

Trance

Danny Boyles hochkünstlerisch-künstlicher um ein Thema in 3 Bildern rotierender Bilder- und Musikrausch über die Ängste eines Nachwuchsauktionators in Bezug auf ein millionenteuren Rembrandt mit einer skurrilen Psychofalle für die Gangster; weiterlesen hier.

Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel

Hier melden sich junge, drängende Talente mit großem Kinowollen; leider fehlt ihnen eine Väter-Generation, an der sie sich reiben können (Tom Tykwer kommt dafür nun wirklich nicht in Frage). So muss denn der gute alte Heinrich von Kleist als Sparringpartner herhalten, was nicht das Übelste sein muss, um Kinoreflexionsanspruch anzumelden. Review siehe Filmfest München 2012.

Conjuring – Die Heimsuchung

Ohne Katholizismus wäre dieser perfekt komponierte Geisterbahnfilm womöglich nie entstanden, denn ohne Katholizismus kein Exorzismus und ohne Exorzismus kein schöner Exorzismusfilm – und dies, obwohl die Perrons gar nicht katholisch sind, sie sind überhaupt nicht religiös. Zum Glück gibts aber auch noch die Warrens. Die sind Dämonenforscher in den 60ern/70ern in Amerika, wo auch der Film von James Wan spielt, zu welchem Chad und Carey Hayes das Drehbuch geschrieben haben.

Die Warrens erforschen parapsychologische Phänomene, Geisterphänomene – und im Extremfall, und um einen solchen handelt es sich hier, praktizieren sie auch den horrorfilmergiebigen Exorzismus. Sie halten Vorlesungen vor vollen Auditoriumsrängen. Das erinnert an die Vorlesungen des Prof. Bender zur selben Zeit in Freiburg i. Br.; wissenschaftlicher Jahrmarkt, vergnüglicher wissenschaftlicher Eskapsimus gewissermaßen, denn beweisen kann diese Wissenschaft gar nichts, sie kann nur die Phänomene beobachten und diese Beobachtungen und allfällige, mitspielende Requisiten, wie eine initiierende Spieluhr mit eigenwilligem Spiegel auf der Innenseite des Deckels mit Sammlereifer zusammentragen. Davon zeugt eine Art Horror-Asservaten-Kammer im Keller des Hauses des Wissenschaftler-Ehepaares Warren. Gruselig. Aber hier seien die Geister ruhig und sicher aufbewahrt, meinen sie. Und wer’s nicht glaubt, der ist im falschen Film. Das ändert nichts daran, dass alles auf wahren Begebenheiten beruhe, die Aussagen der Wissenschaftler und die Geschichte dieses Filmes. Eine Hauptattraktion in diesem Keller ist eine genial geformte und geschminkte Horror-Puppe. Sie befindet sich sitzend in einem Glaskasten. Erinnert an einbalsamierte katholische Heilige in ihren Glassärgen in Kirchen. Aber die Puppe sitzt in ihrem Glasgehäuse. Sie ist vielleicht die zentrale Figur im Film. Sie erscheint schon im Anspann.

Die Warren ziehen mit ihren 5 Töchterchen in ein neues Haus. Ein wahres Horrorhaus, wie uns die Filmemacher step by step und Steigerung um Steigerung fast zwei Stunden lang offenbaren werden.

Das Haus ist in herrlich bedeckten Horrorfilm-Farben gehalten und ausgeleuchtet, braun-grau-beige. Die Räume werden so inszeniert, dass ständig überall etwas passieren könnte. Und natürlich hat das Haus eine Geschichte. Die hängt damit zusammen, dass vor x Jahren um 03.07 Uhr etwas Furchtbares passiert sein muss. Denn um diese Zeit sind die Uhren des Hauses stehen geblieben. Und um diese Zeit „erwachen“ sie auch gerne wieder kurzzeitig für einen Minutensprung.

Zudem hat die Dekor-Abbteilung der Filmproduktion für die dunklen Kellerräumlichkeiten viel Spinnweb beigetragen. Zur Action gibt es, ohne allzu viel zu verraten, vielleicht noch anzumerken, dass nach den ersten Spukgeschichten sich Familie Warren an die Perrons wendet, die widerwillig zwar, einwilligen, die Phänomene zu untersuchen, was uns einen interessanten Einblick in die technische Erforschung solch physikalisch nicht erklärbarer physischer Phänomene in den 70ern gibt.

Auch die Darsteller werden mit großer physischer Präsenz in den Räumen inszeniert, Licht, was sie als angreifbar erscheinen lässt vor der sich wie wegschleichenden Hintergrundfarbgebung. Das macht sie so wenig relativierbar. Und das macht die Räume räumlicher als 3D es vermag. Weil die Vorstellung des Zuschauers sich ganz ohne Widerstand in diese Räume hineinarbeiten kann, zwecks Erhöhung des Gruseleffektes. Besonders physikalische, nach den Gesetzen der Schulphysik nicht erklärbare Phänomene, erhalten so ihre härtest-mögliche Wirkung.

Jedenfalls ziehen die Perrons bei den Warrens für einige Zeit ein, auch der Sheriff und ein Assistent für die Kamera- und Tontechnik werden beigezogen. Dieser Massenauflauf im Haus dürfte zu einer zusätzlichen Verstärkung der Reaktion der oder des Geistes, der Spukfigur führen. Sonst wärs ja keine schöne Geisterbahn, durch welche uns James Wan mit größtem Vergnügen jagt und führt.

Dass es sich um einen Tatsachenberichte handle, das gehört wie das Salz zur Suppe zum Reiz eines solch höchst gepflegten und erstklassig auf Spannung getrimmten Horrorspektakels.