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Das Große Heft

Mehr Bilderbuch als Film, mehr Ikonenmalerei denn laufende Bilder.

In einfachen, meist karg eingerichteten Bildern wird die Geschichte von 13jährigen Zwillingsbrüdern während des Zweiten Weltkrieges nacherzählt. Der Vater im Krieg. In der Stadt war kein Sein mehr. So bringt die Mutter die beiden Buben zu ihrer Mutter. Die Zwillinge gleichen sich wie ein Ei dem anderen, ein wunderbarer Cast, sie scheinen so wenig medienversaut oder werden zumindest als Unschulden vom Lande ausgestattet, in Szene gesetzt und fotografiert. Die Oma wohnt abgelegen auf dem Land. Die Mutter hat die Tochter 20 Jahre nicht mehr gesehen. Die Oma ist böse. Sie gilt in der Gegend als Hexe. Sie hat ihre Kinder geschlagen. Sie schlägt die beiden Buben. Die Buben schlagen sich durch. Sie wehren sich. Sie stählen sich gegen Schläge und gegen Kälte.

Es gibt viel Grausamkeit im Krieg. Aber der Vater hat seinen beiden Söhnen ein Heft gegeben und ihnen gesagt, sie sollen darin alles aufschreiben. Dieses auch titelgebende Heft scheint die Grundlage für den Film zu sein. Es sind noch wenig entwickelte, krackelige Kinderschriften mit einigen Zeichnungen ergänzt. Abends sieht man die Buben auf der Ofenbank im Heft schreiben. Kriegsereignisse: sie finden einen halberfrorenen Soldaten im Wald. Sie wollen ihm Decken und zu Essen bringen. Inzwischen ist er gestorben. Sie greifen sich Waffe und Munition, verstecken diese.

Es gibt Momente, wo es gut ist, über geheime Munition zu verfügen. Wenn die blonde Magd des Pfarrers sich über Juden, die plötzlich in großer Zahl deportiert werden, lustig macht.

„Hasenscharte“ ist ein etwas älteres Mädchen aus der Nachbarschaft, die chronisch kleptomanisch veranlagt ist. Etwas verbindet sie mit den Zwillingen. Und der Pfarrer ist auch nicht frei von menschlicher Schwäche und macht sich erpressbar. Denn Geld, das ist nicht schlecht, über welches zu verfügen.

Aber Janos Szasz, der diesen Filme gemacht hat, urteilt nicht über die Menschen. Wie ein naiver Maler nimmt er das Heft zum Vorbild, bebildert, kommentarlos und ohne zu werten. Man sieht in dasitzen und überlegen, was das Wesentliche einer jeden Einstellung sei. Dadurch erhebt er das Alltägliche, ob gut, ob böse, zu Kunst, zu sakraler Kunst. Eine Leidensgeschichte. Ganz christlich, ur-christlich.

Für uns Westler hat dieses östliche Kino immer auch etwas Mystisches, etwas Ritual- oder Liturgiehaftes. Wie ein gregorianischer Gesang. Eine traurige Geschichte in Bildern besingen. Diese Kinokunst hat etwas Stillebenhaftes. Mit sehr viel Gefühl für Ästhetik; das Traurige, Abgründige ist nie abstoßend; es ist zutiefst menschlich. Selbst der Lagerkommandeur von der SS mit der Skulptur von eiserner Halskrause liebkost an einer Stelle die Buben. Mit diesen durchkomponierten Bildern könnte man eine große Ausstellungshalle füllen. Und andachtsvoll in deren Betrachtung versinken.

Das Künstlerische an dem Projekt betont auch der Sound, oft bedeutungsvoll-künstlerisches Trommeln. Auch merkwürdig, die beiden Buben tragen fast den ganzen Film lang die weißen Hemden und die schwarzen Hosen aus der Stadt; die Hemden mit der Zeit nicht mehr ganz so weiß.

Das kleine Gespenst

Nach dem Motto „Hauptsache lustig“ und „der Poesie in einem Kinderstück ist nicht zu trauen“ pfropft hier Alain Gsponer nach einem Drehbuch von Martin Ritzenhoff der poetisch-hintergründigen Geschichte von Otfried Preußler einen hölzern inszenierten Handlungsstrang mit Schulkindern auf in Anbiederung an das zahlende Zielpublikum, so wird aus seinem Film ein Holterdipolterkino zum saisonalen Gebrauch.

Die Geschichte von Otfried Preußler konzentriert sich in der Hauptsache auf das Gespenst, was mit seiner nächtlichen Existenz nicht zufrieden ist und den Tag erleben möchte. Dort erst entwickelt sich das niedliche Geschöpf, weil es jetzt ganz schwarz ist, zum eigentlichen Schreckgespenst für die Menschen, zum Bürgerschreck.

Wobei das Gespenst selber, was hier in der fiktiven Realität der Schauspieler animiert worden ist, ganz neckisch durch die Gegend wirbelt. Als Sprecherin wurde Anna Thalbach offenbar angehalten, in der Art ihrer Mutter Katharina Thalbach zu sprechen; was der Figur zumindest ein eher bodenständiges Cachet verleiht, es des Verträumten, des Träumerischen beraubt.

Alain Gsponer möchte Spaß haben bei der Arbeit und dass die Kinder Spaß haben beim Zuschauen; der Spaßfaktor wird höher bewertet als der tiefere Geschichtsfaktor. Für einen Lacher gehe ich über eine Leiche, hat mal ein Provinzkomiker gesagt; insofern ist der Cast auch nicht so wichtig, ist egal, ja sogar erwünscht, dass er hölzern agiert. Den Kindern kann man alles bieten. Hauptsache, es stolpert einer oder fällt.

Einzig Uwe Ochsenknecht als Bürgermeister und sprechendes Bild von General Thorstenson zeigt einen Ansatz von Figur, die showmäßig etwas hergibt und doch ernst genommen werden kann. Wieso allerdings Herbert Knaup, der sich seinen Auftritt sicherlich gut bezahlen lässt, als Uhrmachermeister Zifferle besetzt werden musste, kann jedenfalls seine Darstellung aus sich heraus nicht plausibel machen. Da gäbe es sicher skurrilere, kinderfreundlichere Figuren. Aber dieser Zifferle ist so gar nicht lustig, trotz Hauptsache-lustig-Regie.

Das kleine Gespenst, das mit einem Bund von 13 Schlüsseln, der jede Tür und jedes Tor öffnet, nächtens Gänge durch die Eulenburg macht, ist unzufrieden mit seiner nächtlichen Existenz und dass es tagsüber schläft. Es hat einen Wecker, und da führt der Film als Selbstzweck, der die Geschichte nicht vorwärts bringt, aber Hauptsache lustig, obwohl nur halb so lustig, einen komplizierten Weckmechanismus in der Art einer Dominosteinreihe ein, der, Hauptsache lustig, vielleicht für einen Übungsfilm eines Studenten witzvoll wäre, hier aber grad gar nichts zur Erhellung der Geschichte beiträgt, am allerwenigstens das Wesen des Gespenstes erhellen kann.

Gleichzeitig fängt die Pfropfeschichte mit dem Schüler an, der an Gespenster glaubt und der sicher ist, eines gesehen zu haben und der es bei einer nächtlichen Exkursion seiner Schule im Schloss auch aufspürt.

Dann verwurstelt sich die Geschichte der Schüler mit der des Gespenstes, die Dramaturgie legt sich hier quasi selbst eine Falle. Gleichzeitig bereitet sich Eulenburg auf das 375-Jahr-Jubiläum der Abwehr des Schwedenangriffs vor. Es wird wirklich kompliziert, vom Film ausgehend die Geschichte plausibel nachzuerzählen, weil die beiden Stränge sich in die Quere kommen. Jedenfalls schafft es das Gespenst, den Tag zu sehen, wird aber ab diesem Moment dunkel, verirrt sich in der Kanalisation, wird zum Angstgespenst der Stadt und verdirbt sogar das Festspektakel, indem es bei der Festaufführung den Eulenburgern gegen die Schweden behilflich ist und so diese Erinnerungsveranstaltung auseinandertreibt; auch diese Geschichte, damit’s lustig ist, inszeniert bei Vernachlässigung der Tragweite.

Gleichzeitig ist noch eine Uhr aus dem Schloss verschwunden und der Schüler wird verdächtigt, der Dieb zu sein. Das Gespenst möchte wieder ein echtes Nachtgespenst und wieder weiß werden. Die Schüler können ihm helfen dabei, denn die Eule verrät ihnen, dass nämlich die Turmuhr, man könnte es schön auf Englisch ausdrücken, bei einer Reparatur von Uhrmacher Zifferle von a.m. auf p.m. gestellt worden ist und dadurch den Rhythmus des Gespenstes durcheinander gebracht hat.

Im weißen Rössl – Wehe Du singst!

Der problematische Versuch, das auf den Bühnen Deutschlands und Österreichs seit Jahrzehnten erfolgreiche Singspiel „Im Weißen Rössl“ von Ralph Benatzky als Material für eine modern intendierte, distanzierende Adaption für die Leinwand zu verwenden.

Es scheint das Herzensprojekt von niemandem gewesen zu sein. Ausgenommen vielleicht der Darsteller des Leopold, ein wunderbarer Fritz Karl, der all die Verzweiflungen der unerhörten Liebe zur Wirtin Josepha hinter einer von professionellem Kellnertum beherrschten Mimik verbirgt und ihr durch dieses Verbergen ein grandiose Präsenz gibt und der Darsteller des Dr. Siedler, Tobias Licht, der in den Gesangsszenen spielt, als würde er gerade die Geburt zum Schlagerstar, eine seelenwandernde Wiedergeburt von Peter Alexander durchleben und der außerdem ein ausgezeichneter Sprecher ist, bei dem noch der windigste Text Prägnanz erhält; aber auch die Darstellerin der Josepha, Edita Malovcic hat Professionalität genug, dass sie die Rössl-Wirtin an jedem österreichischen Hoftheater verbindlich spielen könnte. Auch Gregor Bloeb, dem Sigismund, ist eine gewisse alpine Urigkeit nicht abzusprechen in einer beinah pikant zu nennenden Schnittmenge zur Schlagerstarschmierigkeit. Das sind die Highlights aus dem konfusen, nicht sehr homogenen Cast. Bei einem Singspiel, noch einem österreichischen dazu, ist die Besetzung in Deutschland immer ein Problem, erfordert höchstes Problembewusstsein vom Caster und vermutlich auch Kenntnis des Genres.

Wie sowieso sich vor allem die Frage stellt: was hat die Macher dieses Filmes, es sind Jan Berger als Autor, Christian Theede als Regisseur und Frau Prof. Regina Ziegler als Produzentin a) zur Produktion bewogen und b) mit diesem Cast und diesem Stab. Denn auch das Filmorchester Babelsberg, was versuchen muss einen modernistischen Sound zu erzeugen, scheint wenig Bezug zu Benatzky zu haben (oder sich nicht genügend beschäftigt damit), haut einen jazzigen Sound über die alten Songs – oder mal melodramatisch „so blau, so blau“, aber schafft es nicht, die bewährten Qualitäten der Tradition, die sie rausschmeißt, durch eine Musik, die ein Verhältnis dazu herstellt, zu ersetzen. So wird dem Original etwas weggenommen, aber es erhält keine aufwiegende andere Qualität.

Das gilt auch für die Bearbeitung, für die Kostüme und Kolorierungen (man möchte kitschkritisch sein, drückt aber beim Kitsch nur noch mehr und geschmackloser auf die Tube). Man entfernt den k. u. k. -Höhepunkt des Originals, den Auftritt des Kaisers und ersetzt ihn durch einen platten Schuhplattlerwettbewerb, der auch gar keinen Vorlauf bekommt und als Höhepunkt dann eine Mischung aus Schuhplatteln und Wrestling um den Verkaufsvertrag zwischen Siedler und Sigismund wird. Dabei ist das Thema Autorität und Untertanentum beileibe nicht aus der Welt.

Wobei hier wie bei allen Songnummern nur eine uninspirierte Choreographie sich abmüht, die sich an längst verblichener ZDF-Unterhaltung orientiert: möchten die Macher das Durchschnittsalter der Zuschauer auf 90 hochschrauben? Oder ging es primär darum, Subventionsgelder abzugreifen?

„Im Weißen Rössl“ ist ein nicht tot zu kriegender Evergreen, selbst wenn man ihn in einem regenverhangenen Berlin anfangen lässt (schade, dass da nicht wenigstens der Song „Wenn es hier mal richtig regnet, dann regnet es sich ein, denn die Gegend ist gesegnet, mit Regen allgemein“ eingepasst wurde). Das hätte doch wenigstens karikierenden bis relativierenden Charme entwickeln können. Aber der Grund für Berlin wird ein anderer gewesen sein. Da dürften ein paar Hintersaßen des Kinogewerbes den Vorsatz entwickelt haben, aus dem leinwandsperrigen B-Starlet Diana Amft einen regelrechten Filmstar zu machen. Also musste eine entsprechende Rolle her. Wie man dafür ausgerechnet auf das Weiße Rössl kommt, bleibt undurchsichtig; jedenfalls musste auch das Buch entsprechend umgeschrieben werden, denn der Film soll ja für den deutschen Markt genau so attraktiv sein wie für den österreichischen.

Ferner ist kaum zu erwarten, dass es ein großes Casting um die Rolle der Ottilie, die hier im Film zum Schaden des Ganzen aufgebläht worden ist, stattgefunden hat. Das war wie erwähnt vermutlich eine interne Ausmarcherei, die sicher hundertmal spannender gewesen ist, als der Film es nachher wurde. Und hatte zur Folge, dass der wunderbare Doktor Siedler mit einer Partnerin spielen muss, von der so gar nichts rüber springt. Der Zuschauer soll aber bittschön glauben, dass Siedler vom Blitz getroffen ist – vielleicht eher vor Schreck über die Besetzung.

Wenn die Macher, an ihrer Spitze Frau Professor Regina Ziegler, schon ein Kino der Heimatfilme der 50er Jahre machen wollen, und wenn sie es schon fahrlässig ohne jeden nachvollziehbaren Geistesblitz karikieren wollen, dann sollten sie wenigstens ein Traumpaar ausfindig machen, wie es damals Romy Schneider und Karlheinz Böhm gewesen sind. Aber dieser Mühe hat sich die Produktion nicht unterworfen oder war schlicht nicht in der Lage, die Folgen einer solchen Billig- oder Schnell-Schnell-Besetzung und gänzlich ohne umfassenden Wettbewerb abzusehen. Insofern Unfähigkeit. Insofern höchst problematisch, dass das Projekt mit öffentlichen Geldern gefördert wurde. Ein kurzsichtig kalkulierter Film, der nur auf die nächsten Fördergelder schielt, weil die bleiben ihm erhalten, ob der Film floppt oder nicht.

Dass Diana Amft leicht lispelt, das ist noch das kleinste Übel, hätte aber viel Reiz bekommen können, wenn das eingebaut worden wäre als ein Problem von ihr. Schlimmer ist, wenn sie in einer intimem Passage dem Dr. Siedler den Zeigefinger entgegenstreckt, wie sie sowieso sich wohl wenig mit der Gestik, dem Gestus der Figur beschäftigt zu haben scheint.
Fürs Kino fehlen hier jede Menge an Qualifikationen.

Faktisch wurde der Film zwar auf den Gegensatz Stadt/Berlin und Land/Weißes Rössl hin getrimmt, aber im Geiste des Weißen Rössls, hätte der dann auch viel deutlicher zur Herstellung von Jokes und Komik herhalten müssen.

Ein weiterer Beitrag zur Sammlung in Formalin eingelegter Filmhomunculi des geförderten deutschen Filmes, in der Rubrik „Auswüchse des deutschen Filmfördersystems in den ersten zwei Dekaden des 21. Jahrhunderts“.

Master of the Universe

Eine spannende Facette zum Bild von der Bankenkrise.

Was ist das Besondere an diesem Dokumentarfilm von Marc Bauder? Erstens ist er ein doppelter Dokumentarfilm, der im Zuschauer erst den beabsichtigten (dritten) Dokumentarfilm entstehen lässt, nämlich einen Einblick in das Innenleben der hermetisch nach außen abgeschlossenen Frankfurter Banken in ihren Hochhäusern zu ermöglichen. Einerseits durch kameratechnisch eindrückliche architektonische Dokumentation dieser Glitzerfassaden und der Innereien dahinter durch Kameramann Börres Weiffenbach, andererseits durch den Glücksfall von Protagonisten Rainer Voss, einem ehemals führenden Investmentbanker, der jetzt Privatier ist und allmählich Distanz zum Bankengewerbe und seinen Auswüchsen gewinnt und aus dieser Position im nächsten Glücksfall dieser Produktion, nämlich der Location, einem seit 6 Jahren leer stehenden Bankenturm in Frankfurt, in leeren Räumlichkeiten aus seinem Leben und seinen Einsichten erzählen kann.

Ein minimales Wissen und Interesse für den ganzen Bankencrash sollte der Zuschauer allerdings mitbringen; dann wird er jedoch das Kino um eine spannende Facette dieser Angelegenheit reicher verlassen, einer Angelegenheit, die letztlich kein Mensch ganz durchdringen und verstehen kann.

Dass Voss in diesem Bankenwesen so weit kommen konnte, hat, meint er, genau so mit Glück zu tun, wie die Garage mit Bill Gates. Er gehörte einer jüngeren Generation von Bankern an, als hier das Bankenwesen noch total reguliert und entsprechend veraltet, anachronistisch war. Damals kamen die Amerikaner und die Engländer, die schon unter Reagan und Thatcher 1986 die Liberalisierung der Banken erlebt hatten und findig neue Produkte zur Gewinnsteigerung lancierten. Diese brachten das den jungen Bankern hierzulande bei. Und diese konnten so mit ihrem Wissensvorsprung, auch technisch in Richtung Computer, schnell Karriere machen.

Die Produkte wurden immer abenteuerlicher. Aber wenn einer eines erfunden hatte und damit erfolgreich war, so zogen die anderen nach. Wie die Lemminge. Das Diktat der Umsatzsteigerungen war enorm, so dass immer auch die Grenzen in Richtung Nicht-Legalität weiter gezogen worden sind.

Voss beschreibt einen großen, leeren Raum, dass das ein Traderraum gewesen sein könnte, da wo die Händler waren, im Extremfall Räume mit bis zu 1000 Tradern, jeder mit seinem herrschaftlichen Schreibtisch, Bürostuhl, Monitore, Telefone. Ab zehn Uhr vormittags hätte sich die Temperatur erhitzt. Das Gefühl Herrscher der Welt zu sein mit all den Transaktionen hätte sich in ihnen breit gemacht.

Voss berichtet aber auch von der bedingungslosen Hingabe an den Job, das Sich-Anpassen, das Übernachten im Büro, um zwei Uhr eingenickt um 5 Uhr von der Putzfrau geweckt, um eine Präsentation dringend fertigzustellen. So konnte man sich Sporen verdienen.

Voss berichtet auch davon, wie er sich in der übrigen Welt immer mehr isoliert habe; es gab Kitas, Familieneinladungen zu Weihnachten, man ging da oder dorthin in Urlaub, blieb unter Seinesgleichen, man brauchte sich um die Außenwelt nicht kümmern, um die Folgen der Deals, es war ein geschlossenes System, von der Wirklichkeit entfernt, mit früheren Freunden konnte man über so vieles nicht mehr reden. Dieses Gefühl des Außerirdischen demonstrieren viele der Kamerablicke und Blickwinkel.

Angenehm in dieser Doku ist, dass sie nur diesen Hauptdarsteller hat und den Bankenraum. Es gibt einige dokumentarische Einblendungen, beispielsweise von einem hartnäckigen Hearing nach der Lehmann-Pleite. Diese werden anfangs wie auf eine Leinwand an der Fensterfront projiziert und Voss ist der Zuschauer. Später wird sogar die Kanzlerin einen Auftritt haben, anrauschen mit dem Luftwaffenairbus. Vorher gabs die Info über die Dutzenden von Milliarden der Bad Banks, für die der Steuerzahler aufkommen wird. Diese Zahlen hat Voss auf ein Fenster geschrieben,

„Es gibt niemanden, der die Rechnungslegung der deutschen Bank versteht“, die ist zu komplex, das wäre wie die Frage nach der Existenz des Gottesteilchens. Darum hat der Filmemacher wohldosiert etwas Kantatenmusik an einer Stelle darüber gelegt. „Letztlich weiß niemand, wie die Finanzindustrie funktioniert“.

Aber es gibt Akteure, die zum Beispiel ein Interesse am Zerbröseln des Euro haben und dafür Milliarden einsetzen können und anfangen den schwächsten Spieler, Griechenland beispielsweise, zu torpedieren. An einer Stelle hat Voss den Geschäftsbericht der UBS in der Hand; seitenweise sind dort Gerichtsverfahren aufgeführt, für die Gelder zurückgestellt werden müssen.
„Das fliegt uns irgendwann um die Ohren“, „dass das ein gutes Ende kriegt, das glaub ich keine Sekunde“. „Je größer die Scheiße, desto dicker die Corporate Social Responsibilities-Broschüre“.

Zur Semantik: die Märkte würden lernen: sie lernen nichts!
Was lernen wir daraus?

Gefährliche Begierde – Im Rausch dunkler Gelüste (DVD)

Hochartifizielle, künstlerisch komplexe, stilsichere, akademische Kinocollage als Manual für Einsteiger, die sich mit dem Drehbuchschreiben und dem künstlerischen Schaffensprozess hinsichtlich Verfilmung, der zwillingshaften Doppelung von Realität und Fiktion und dem Dazwischenfunken der Liebe vor dem Hintergrund der Psychologie des Carl Gustav Jung und der „participation mystique“ auseinandersetzen wollen. Sebastian Koch versucht in der Hauptrolle des Drehbuch- und Romanautors und Drehbuchprofessors Martin Ehrlichmann schauspielerische Privacy zu spielen mit minimalen Gesichtsmuskelreaktionen im Grenzbereich zum Tik oder als Ausdruck von Sichtbarkeit des Zuhörens.

Der Autor schließt einen Vertag mit dem Publikum, sagt Figgis, der Autor und Regisseur, in diesem seinem Film. Welchen Vertrag schließt er selbst mit dem Publikum mit diesem Film, in welchem sich alles um das Drehen erotischer Filmszenen dreht, also um viel Film im Film und um den Film herum, und in welchem der Realität immer wieder der Boden unter den Füßen weggezogen wird, andererseits die Realität in Form eines krimischreibenden Kommissars auch noch beachtet werden will?

Geraucht wird hier oft und sicher wegen des schönen visuellen Effektes – aber vielleicht auch sinnbildlich für den künstlerischen Prozess. Oder: Film ist wie mit dem Auto durch die Nacht fahren. Bridge, Ditch, Church. Schlag nach bei Figgis!

Alphabet

Jeder Mensch ist von Natur aus ein Genie, aber was nützt es ihm, wenn er – bildlich gesprochen – im Death Valley zur Welt kommt, wo es nie regnet. Das Tal des Todes taucht ganz am Schluss des Filmes auf als Beweis für die Eingangsthese; einmal hat es nämlich geregnet im Death Valley und im Frühjahr drauf begann es dort heftig zu sprießen, Blumen über Blumen, ein Meer von Blumen im Death-Valley!

Was wäre eine Welt voller Genies, könnte man fragen nach diesem Film von Erwin Wagenhofer, dem Dokumentaristen, der schon mit „We feed the world“ und „Let’s make money“ sich globalen Themen angenähert hat. Er scheint jetzt selbst auf einer Schiene festgefahren, er scheint selbst, so wie es im Film als Negativbeispiel dargestellt wird, unkreativ geworden zu sein, sich aufs Prinzip festgelegt haben, um die Welt zu reisen, punktuell dokumentarisches Material zu sammeln, um im Kino ein globales Thema, hier das der Bildung des Menschen, der Erziehung, zu illustrieren.

Prinzipiell stehen sich, wenn auch nicht systematisch dargestellt, aber eben auch nicht mit der Freiheit, wie der vor den Nazis geflohene Arno Stern es in seiner wunderbaren Malschule in Paris seit Jahrzehnten mit Kindern praktiziert, zwei Lehren gegenüber: die schulische, die trimmende, die ehrgeizige, die Konkurrenzlehre und die freie à la Arno Stern oder à la Hirnforscher Gerald Hüther – die beide in ländlichen Idyllen zu hausen scheinen, à la anthroposophischer Ansatz, den Wagenhofer allerdings gänzlich ignoriert, gegen den beibringenden Ansatz, den der auf Leistung, Effizienz und Anpassung aus ist, wie ihn eine Gymnasiastin aus Hamburg beklagt oder wie er die erste halbe Filmstunde lang aus China rapportiert wird, zum Beispiel die regionale Vorentscheidung in der Provinz Sichuan für die internationale Mathematik-Olympiade.

Und immer wieder dreschen Herrschaften von McKinsey oder Mr. Pisa Management- und Bildungsanalysestroh.

Der Film dürfte sich vornehmlich an ein Publikum richten, was sich mit dem Thema Bildung beschäftigt und was gerne Zeit mit dem Thema in Seminarräumen verbringt oder er könnte möglicherweise in den Schulunterricht eingebaut werden und zu selbstreflexiven Diskussionen innerhalb unseres Bildungssystems führen.

Was aber Erwin Wagenhofer mit diesem Film auch beweist, dass das Bildungsthema kinobildnerisch eher trostlos und unergiebig ist.

Andererseits könnte man sagen: Erwin Wagenhofer präsentiert uns Bildungsphilosophie- und praxispositionen wild und bunt durcheinander wie in einem Gartenbeet mit Wucherblumen; er versucht einerseits den freien, den genialen Ansatz zu praktizieren. Aber der kommt wiederum merkwürdig wenig genialisch rüber; weil doch zu viel ausgefahrene Dokumentarstruktur sichtbar wird, auch wenn er diese punktweise zu konterkarieren versucht, indem die Gesprächspartner beispielsweise erst kurz bevor sie abgespielt sind, vorgestellt werden; indem er die Bildungs- und Lehrräume gerne als Leerräume zeigt, bevor die Seminarteilnehmer oder Schüler sie füllen.

Vom Standpunkt der ökonomischen Produktion aus allerdings könnte eingewendet oder als positiv bewertet werden: der Film will den Menschen Hoffnung machen, auch wenn Patrick aus Dortmund, der als Security-Mann für 8 Euro pro Nacht arbeitet, als hoffnungsloses Gegenbeispiel herhalten muss, dass, wie auch wissenschaftliche Reihenuntersuchungen über Jahre an Heranwachsenden gezeigt haben, der Mensch von Natur aus ein Genie, also frei sei und dass je älter er wird, der Prozentsatz von Genies eines Jahrganges drastisch sinkt; dank Anpassungs- und Lernleistungsdruck. Solche Aussagen wirken allerdings anhand der Probleme unserer modernen Industriegesellschaften (Thomas Satttelberger ein ehemaliger Personalchef riesiger Firmen wie Mercedes, Telecom, Continental würde am liebsten einiges an dieser erstarrten Bildungskultur erst mal zertrümmern) doch eher als gut gemeintes Geschwätz in wissenschaftlichem Mäntelchen weit abseits der Lebenspraxis.

The Human Scale

Eine Dokumentation von Andreas M. Daalsgard über das Denken des Architekten Jan Gehl zum Städtebau, der das Bewusstsein für städteplanerische Belange stärkt.

Jan Gehl reflektiert und plant seit 40 Jahren menschengerechte Städte. Die Städte sind für die Menschen da und nicht umgekehrt. Wir wissen mehr über Gorillas als darüber, was Glück in Städten bedeutet. Von den Stammesgemeinschaften zu den Kleinfamilien und Singles. Sehr graphische Fotographie, Bilder von Verkehrs- und Passantenströmen, von Routen. Spannende Doku mit Städteplanern.

Erst formen wir die Städte, dann formen sie uns. Corbusier, der Modernismus und die Abtötung des Lebens. Rasante Urbanisierung in China innert einer Generation. Die Hutongs, die alten chinesischen Nachbarschaften. Pendlerstress. Einsamkeit.

Man misst das, was einen interessiert.
Kopenhagen. Entwicklung in den 60ern wie China heute. Erforschung der Bewegungen der Menschen. Jan Gehl studierte das. Autofreie Straßen. Plätze für öffentliches Leben.
2007 kamen diese Erforschungsmethoden nach New York. Robert Moses: Entwurf großer Straßen, rational, funktional. Aber das machte die Stadt nicht lebenswert. Sie hatten keine quantitativen Methoden, das Leben der Fußgänger zu untersuchen. Nur Autos. Datensammeln über die Bewohner. Neue Vorschläge gegen Alltagsroutine. Fußgängerzone Times Square. People want a different lifestyle. Schneeballschlacht am Times Square.
L.A.: einen Tag im Jahr sind die Straßen autofrei.

Wie macht man mit weniger mehr? Chongcing. die am schnellsten wachsende Stadt in China. Zentrum liegt wie Manhattan auf einer Halbinsel. Neue Fußgängerwege. Fußgängerrouten in der Innenstadt. Suche nach kleinen, freien Räumen, um sie zu öffentlichen Räumen zu machen. Sitzen, Kartenspielen, Handeln.
Siena 1965. Hier fing Gehl an zu forschen. 5 Km pro Stunde (Fußgänger); 60 Km pro Stunde (Auto), braucht viel Platz.
Melbourne. Der Traum vom raumfressenden Landhaus mit 2 Garagen; das war einmal. In den 80ern war Melbourne praktisch ausgestorben. Das Leben etwas Organisches, was dort entsteht, wo man es nicht erwartet. Die Gassen, damals die dreckigsten Ecken. Die Einführung der Cafés, von 2 auf über 500.

Wir steuern auf ein selbstgeschaffenes Chaos zu.
Dhaka, Bangladesch. Wachstum jährlich 6 – 7 Prozent. Die am schnellsten wachsende Stadt der Welt. Aktivisten haben Gehls Buch übersetzt. Zahlen sammeln über Fußgänger etc. Nicht nur Reiche und Mittelschicht in Planung einbeziehen. Man hat sie nicht berücksichtigt, aber sie sind immer noch da. Wo sollen die Prioritäten sein. Weltbank zahlt für Zehnjahresplan. Straßenentwicklung. Socially unfair. Protestgruppen. Zu viele Verkehrsunfälle mit Fußgängern als Opfer. Mehr öffentliche Verkehrsmittel. Erdbebenproblem, Grundwasserproblem, Versiegelungsproblem. Wir müssen Städte planen, in denen die Kinder sich bewegen können.
Eine menschenfreundliche Stadtplanung ist nicht teuer.
Christchurch, Neuseeland. Erdbeben von 2011. Meiste Opfer in Hochhäusern und Innenstädten. Zerstörung der Lebensqualität. Rote Zone. Bis zu 1500 Gebäude müssen abgebrochen und ersetzt werden. Gehl / David Sinn besuchen Christchurch im Schock. Einbeziehung der Öffentlichkeit. 106’000 Ideen für die Neugestaltung. 100 Leute angestellt um das zu sichten. Keywords. Niedrige Gebäude, Platz, kleinere Einkaufszonen, Gärten, eine Stadt für die Menschen. Stadt und die Erinnerung (es geht um Herz, Gefühl). Sechs Etagen am Rentabelsten. Aus dem Hochhaus geht man nicht so schnell raus. Lego als Ausgangspunkt für die Planung.

Wir can invite people
We can invite people to sit.
Werkzeugkiste für Stadtplanung ist unvollständig; kostet nichts bis gar nichts; denn der Mensch ist im Grunde genommen ein kluges Tier, das weiß, was es gern hat und mag.

Vive la France – Gesprengt wird später

Wie mit dem Handlungszwang eines Terroristen muss hier auf Biegen und Brechen eine Komödie auf die Leinwand gestanzt werden.

Die Filmemacher Bernardo Barilli und Dominque Gauriaud als Autoren und Michael Youn als Regisseur, haben dafür ein Land irgendwo zwischen Afghanistan und Kirgistan erfunden, ein urzeitliches Gebilde wie ein Germanendorf weitab von der Welt und jeglicher moderner Kultur. Hier gehört es zur guten Sitte, die Frauen schon beim morgendlichen Tanz heftig zu ohrfeigen.

Dieses Land, Taboulistan wird es genannt, leidet darunter, dass es von der Welt, die sie ja auch überhaupt nicht zu interessieren scheint, nicht wahrgenommen wird.

Der geniale Staatsführer hat nun die Idee, zwei Männer als Terroristen in Richtung Frankreich loszuschicken. Sie sollen ein Flugzeug entführen und in den Eifelturm donnern lassen. Eine recht krude Idee. Vom Vorbild 9/11 jeden substanziellen Background (Leiden unterm amerikanischen Imperialismus) ausgeblendet. Nur um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhalten.

Auf so einem dünnen Ziel lässt sich schwerlich eine spannende Komödie aufbauen. Für die zwei Terroristen werden zwei Komiker gestellt, die eine Art Urkomiker darstellen sollen und die immer in jedes Fettnäpfchen treten. Das wirkt innerhalb der vorgegebenen Mission merkwürdig unkomisch.

Dummerweise wird das Flugzeug, das sie nach Paris bringen und in den Eifelturm crashen soll, wegen Verstopfung der Luftstraßen und Streiks nach Korsika umgeleitet. Unsanfte Begrüßung in Korsika. Von einem Elend und Vorurteil geraten sie ins nächste.

Zum Beispiel trägt einer unserer zwei begnadeten Komiker ein Shirt, auf dem RTL steht, was in Frankreich mit Pro-Schwulität in Verbindung gebracht wird. Also setzt es Haue und Verfolgung. So geht es ständig weiter. Einer landet wegen einem gebrochenen Nasenflügel im Spital. Da wird ihm die Niere herausoperiert. Oder es geht um Missbrauch im Gefängnis, da sollen sie Fluffi und Kroko für den Gefängniswärter im Gefängnis spielen mit zwei voluminösen Kostümen, wie sie für die Werbung in Einkaufszentren benutzt werden. Dann eine abenteuerliche Flucht aus dem Gefängnis.

Das ist vielleicht das Hauptproblem dieser Möchtegern-Komödie, dass sie sich nicht für ein Thema entscheiden kann, will sie den Terrorismus auf die Schippe nehmen, das haben schon die Engländer mit zwei Deppen als Terroristen nicht besonders erfolgreich versucht, soll es um die Vorurteile gegen Immigranten und andere Nationalitäten gehen oder gar um ärztlichen Pfusch? Allein für letzteres ließe sich doch eine abgrundtief schwarze Komödie schreiben und inszenieren. Nichts davon hier. Sie lernen auch die guten Seiten von Frankreich kennen, das Essen und die Frauen und eine engagierte Reporterin. Und zu guter Letzt wollen sie gar nicht mehr sich selbst opfern. Vielleicht wollen sie vor ihrem Tod noch einen besseren Film machen? Die deutsche Synchro versucht am unteren Ende dieses tiefen Niveaus mitzuhalten.

Out in Ost Berlin

Ein teils kolorierter Blick auf die Regenbogen-DDR, auf die Stellung der Schwulen im Osten Deutschlands bis zum Fall der Mauer.

Zuerst war Schwulität verboten nach dem Paragraphen 175. Dann wurde der Paragraph aufgehoben, aber die sich formierenden Schwulenaktivisten wurden vom Staat ängstlich beobachtet und kontrolliert, so wie Bayern zur Zeit Flüchtlingstrecks einschüchtern will. Zum Schluss versuchte der Staat sich der Schwulen selber anzunehmen, sie in seine politischen Jugendbewegungen zu integrieren. Das sollte sich vielleicht Herr Putin, der ja in der DDR gewirkt hat, nochmals vor Sotschi 2014 in Erinnerung rufen.

Jochen Hick und Andreas Strohfeldt haben Buch und Regie für diese spannende Dokumentation übernommen, die wieder einen ganz eigenen Blick in die Vergangenheit Ostdeutschlands wirft und mit vielen Archivaufnahmen aufwartet in einem breiten Spektrum von Spielfilmszenen über öffentliches Material bis hin zum privaten Super-8-Film.

Einen Teil der Vergangenheitsbilder haben sie im Außenbereich koloriert, was ansprechend wirkt. Es gibt aber auch Aufnahmen aus der Gegenwart. Einzelne der Interviewpartner lassen sie durch das heutige Berlin spazieren. Oder Jürgen Liftin führt uns zu einem Wachturm, an dessen Fuß eine Gedenktafel an den Tod seines Bruders erinnert, des ersten DDR-Flüchtlings, der erschossen worden ist, und der „Puppe“ genannte wurde, weil er immer besonders hübsch gekleidet war; wobei Jürgen Liftin sich vehement dagegen wehrt, seinen Bruder als homosexuell zu bezeichnen.

Die rosa Lebenswirklichkeit in der DDR schildern prima ausgesuchte Gesprächspartner und -partnerinnen: Peter Bauersdorf, der seit 48 Jahren mit seinem Lebenspartner zusammenlebt und immer davon geträumt hat, ein Eheleben zu führen wie jedermann, unauffällig und angepasst; Marina Krug hat sich mit anderen lesbischen Frauen im Arbeitskreis „Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche“ organisiert, sie erlebte staatliche Verhinderung, wie sie im ehemaligen KZ Ravensbrück einen Kranz zum Gedenken an die lesbischen Opfer niederlegen wollte. Auch Klaus Laabs hatte sich politisch in der Homosexuellen-Bewegung engagiert, ebenso wie Christian Pulz, Marinka Körzendörfer, Michael Eggert, Peter Rausch, Bettina Dziggel, Michael Raimann.

Peter Tatchell stellte die Verbindung zu internationalen Aktivisten her; er wollte bei den Weltfestspielen in Berlin mit einem Plakat auf das Thema aufmerksam machen; aber seine britischen Landsleute hinderten ihn daran. Andreas Fux ist Fotograf und sollte aus diesem Grund für die Stasi die Künstler- und Schwulenszene fotografieren und ausforschen, was er nicht mit sich vereinbaren konnte. Eddy Stapel wurde das Priesteramt verweigert, weil er sich für die Ordination offen schwuler Priester einsetzte und war Mitpromotor der Gründung von Arbeitskreisen Homosexualität in fast jeder DDR-Stadt.

Informativ ist dieser Dokumentarfilm auch aus dem Grund, weil die Interviewpartner ein hochreflektiertes Verhältnis zu ihrer Geschichte haben und deshalb ungewunden zielführende Informationen beitragen können. Es gibt aber auch neue Begriffe zu lernen; eine Zeitlang wurden die Homosexuellen medizinisch schikaniert mit der Begründung der Erkennung von Geschlechtskrankheiten noch vor AIDS, so wurden sie in die „Tripperburg“ bestellt, wo sie sich für einen Abstrich auf einen gynäkologischen Stuhl, genannt die „Pflaumenburg“ (?), setzen mussten. Und so ganz en passant gibt’s zwischendrin eine schnelle Folgen ausgewählter sozialistischer Bruderküsse unter Spitzenpolitikern, lecker, lecker.

Kaiserschmarrn

Ein Sekundärunfall als Folge des Kulturunfalls „Filmförderung“, insofern als gerade mittelbegabte Figuren sich wohlig und relativ konkurrenzlos ernähren können in den geförderten Gefilden; somit Reserven und Beziehungen aufbauen, die sie für unsubventionierte Eigenproduktionen nützen können, um, wie hier vorexerziert, sich endlich als Protagonist anzubieten, die vermeintlich vom Subventionswesen nicht anerkannte Fülle des Talentes voll auszukosten, was hier allerdings nicht gut kommt.

Explizit: Ein gschaftlhuberischer Darsteller, der einen ungepflegten Schweizer Akzent hinrotzt, der dieser rundliche Kumpeltyp ist und im deutschen subventionierten Film ganz gut beschäftigt, sprich mit guten staatlich gegönnten Einnahmen versehen, scheint unglücklich darüber zu sein, dass er in diesem Subventionsteich immer nur Chargen spielt und keine Protagonistenrollen bekommt, wahrscheinlich nicht einmal die Chance auf ein Casting. Andererseits hat er aber beim subventionierten, deutschen Film genügend Geld verdient, dass er eine Low-Budget-Produktion mit noch einem Produzenten und dem mitproduzierenden Regisseur stemmen kann. Das scheint der reale Hintergrund für diese rotstichige Möchtegern-Parodie zu sein, die am Wörthersee spielt und für diesen gschaftlhuberischen Schauspieler mit dem ungepflegten Schweizer Akzent eine Möchtegern-Paraderolle bereit hält.

Ein sich unterschätzt fühlender Darsteller möchte sich als Protagonist empfehlen. Dazu möchte er die beiden Genres Pornofilm und Wörthersee-Heimatfilm als persiflierende Elemente zu einer Geschichte verschmelzen, eine Idee, die nicht ganz des Reizes entbehrt (Drehbuch: Daniel Krauss, Lasse Nolte). Der Darsteller möchte zwischen den beiden Genres ohne weiteren Rollenhintergrund hin und her springen und so seine Vielseitigkeit beweisen. Die beiden Figuren sind Alex Gaul und Zacharias Zucker.

Alex Gaul ist die erste der beiden Hauptrollen dieses gschaftlhuberischen Darstellers mit dem ungepflegten Schweizer Akzent. Der ist ein Pornodarsteller und seine Oma möchte, dass er einmal wenigstens ins richtige Fernsehen kommt. Wenn diese Grundsituation nun als solche solide und glaubwürdig eingeführt worden wäre, so ließe sich ja vielleicht etwas darauf aufbauen (Regie: Daniel Krauss).

Jedenfalls kleistert es die Dramaturgie des Filmes so zusammen, dass gleichzeitig bei seinem nächsten Dreh am Wörtersee, originelle Idee: der erste 3D-Porno, in praktisch derselben Location und demselben Hotel Zacharias Zucker, der Volksmusikstar einen Film fürs richtige Fernsehen dreht. Und – hackeliger und weniger charmant erzählt geht nicht – er es schafft, den Zacharias aus dem Spiel zu ziehen und als dessen Doppelgänger seine Position einzunehmen, um vollkommen zu versagen. Auch das könnte sogar ein Stück weit funktionieren, wenn auch dieses zweite Drehteam irgendwie glaubwürdig vorgestellt worden wäre und nicht mit dem dicken Etikett vor jedem Satz „Vorsicht Parodie!“.

Aber wo nichts aufgebaut wird, kann auch nichts demontiert werden; was aber offenbar die Absicht der Autoren war, ein Blick hinter die Kulissen zu werfen, die Allmacht der Redakteure zu karikieren, das Versagen des Schauspielers am Set, aber das passiert so unglaubwürdig, die Reaktionen von Mitspielern und Crew sind so übertrieben gespielt, dass die ganze Übung gewaltig in die Binsen geht.

Vielleicht hat sich’s im Buch ja noch irgendwie plausibel gelesen, was ich mir allerdings schwer vorstellen kann; andererseits scheint jeder halbwegs Gebildete auf ein Buch reinzufallen, in welchem vom V-Effekt von Brecht die Rede ist oder Shakespeare erwähnt wird oder gar ein Buch von Spinoza auf einem Nachttischchen sich befindet. So haben Grit Böttcher, Heinrich Schafmeister, Markus Knüfken, Ottfried Fischer, Ilja Richter, Hannes Jaenicke, Gerit Kling Rollen zugesagt.

Der einzige Moment allerdings, der kurz Empathie aufkommen lässt, der etwas von der Wörthersee-Stimmung, wie sie in Fernsehserien und Filmen gerne evoziert wird, rüberbringt (und das zu können, wäre ja die Voraussetzung für die Parodie) ist Günther Grauer als Portier wie er seinen Pornostarsong in einer Hotelzimmerflucht singt.

Der Grund, warum Genre hier nicht funktioniert, dürften die eingangs erwähnten Überlegungen zur Herstellung dieses Filmes gewesen sein: ein gschaftlhuberischer…. und entscheidet sich nicht nur für Genre, sondern gar noch für den Versuch der Parodie desselben; was allerdings auch aus dem Grund nicht gelingen kann, weil das Genre ja gar nicht beherrscht wird. Denn Genre heißt doch auch oder gar in erster Linie: mit einfachen Geschichten und Mitteln Geld verdienen wollen (siehe „Insidious, Chapter 2“). Aber dazu muss man was verstehen davon.