Historisches Kinderausbeutungsdrama, was von Xavier Koller nach einem Buch von Fritjof Hohagen und Klaus Richter nach dem Roman von Lisa Tetzner und Kurt Held zwischen krudem Swisskitsch und Vorstadtkrokodile-Kinderabenteuerfilm holzhackig präsentiert wird.
Wie kann so ein Produkt zustande kommen, mit dem vermutlich niemand recht zufrieden sein kann? Es gab vor nicht allzu langer Zeit in der Schweiz den Film „Der Verdingbub“, der hat dort die Gemüter bewegt und die Menschen ins Kino gelockt. Er hatte ein Ausbeutungsthema behandelt, was in der Schweiz bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts akut war: Kinder wurden zu fremden Familien gegeben, weil ihre eigenen arm waren oder nicht existiereten und sie wurden oft brutal ausgebeutet und schlecht behandelt. Durch diesen nationalen Erfolg angespornt dürften Produzenten, die Zugang zu Fernseh- und Redaktionsgeldern haben, sich auf die Suche nach einem ähnlichen Stoff gemacht haben. Und siehe da, es gibt ihn: Teens aus armen, südschweizerischen Bergdörfern, die rank und schlank und beweglich und bei guter Gesundheit waren, wurden von Menschenhändlern an Kaminfeger im reichen, industrialisierten Norditalien, in Mailand, verkauft, um als Hilfskräfte der Kaminkehrer in die Kamine hochzusteigen und den Russ runterzukratzen, als verlängerte, lebendige Kaminkehrerbesen.
Um sich gegen die miese Behandlung zu wehren, schließt sich eine Gruppe der Jungs aus dem Tessin zusammen. Sie nennen sich „die schwarzen Brüder“. Wie sie hören, dass die Schweizer Polizei ein Kopfgeld von Tausend Franken auf den Menschenhändler, der sie von zuhause weggelockt hatte, ausgeschrieben hat, reift in ihnen der Entschluss, den Händler zu fangen und ihn auszuliefern.
Bei Xavier Koller reifte wohl der Entschluss, die letzte halbe Stunde des Filmes, die diese Aktion zeigt, als ganz normalen, etwas hölzernen Kinderabenteuerfilm zu inszenieren. So geht der vorgeblich ernste Gehalt der Geschichte flöten, umso mehr als das Besetzungstohuwabohu offenbar vor allem darauf geschaut hat, nur ja keine Jungs zu besetzen, denen man die Frische des Berglers abnehmen würde, die Knackigkeit, Drahtigkeit, Gelenkigkeit. Glaubwürdigkeitsproblem durch die Besetzung.
Brave Stadtjungs dürfen historische Abenteuerkindergeschichte nachspielen. Aber nicht nur deshalb verliert der Stoff an Glaubwürdigkeit. Die Sprachregie ist eine einzige Katastrophe. Die meisten Figuren sprechen ein steriles Synchron- und Fernsehhochdeutsch, irgendwo scheint Schweizer Akzent drin zu sein und dann wiederum scheint es, als ob gebrochenes Deutsch mit undefinierbarem Akzent bevorzugt wird.
Hinzu kommt eine krude Schauspielerei, vor allem die Erwachsenen brüllen andauernd. Historienfilm heißt Grobheit vorzeigen. Hier geht schlicht nichts zusammen. Das ist vielleicht der Kompromiss, der das Produkt verunzierende, unattraktiv machende Kompromiss durch die Zusammenarbeit verschiedener Länder und Produzenten und Geldgeber. Jeder will auf Nummer sicher gehen mit seinen Besetzungs- und Ausgestaltungsvorschlägen. So kommt am Schluss ein schwer verdaulicher Klumpen heraus.
Dadurch, aber auch durch den Mangel an Drehbuchkunst, wird die ehrenvolle Intention, ein interessantes Thema ans Licht zu bringen, den Bach ab geschickt. Jeder Geldgeber scheint etwas durchgedrückt zu haben. Jeder Geldempfänger hat pflichtschuldigst Professionalität, auch wenn es darum ging zu zeigen, dass man Texte auch brüllen kann, vorgegaukelt. Gemeinsam haben sie das Projekt ruiniert. Wahrscheinlich, weil keiner sich etwas getraut hat und weil Funktionäre zu viel dreingeredet haben. Mussten sie unbedingt ihren Mangel an Qualifikation beweisen? Vermutlich ist das Koproduktionsmodell so komplex, dass auch keiner Schuld ist an dem bescheidenen Output mit viel zu vielen Mängeln in Relation von Geld und Aufwand zum Resultat. Gute Absicht plus gute Absicht plus gute Absicht ergeben ein minderwertiges Resultat.
Der Film scheint für alle Beteiligten lediglich unter dem Motto des Geldverdienens gesehen worden zu sein, nicht anders hat der Menschenhändler auch gedacht. Zudem bescheidene Inszenierung des Chors, speziell der schwarzen Brüder, wenn die in der Gruppe agieren und reagieren müssen, wie schlecht eingeübtes Theater.
So scheint die erste Stunde fast mit Bedacht auf alles, was Spannung erzeugen könnte, zu verzichten. Es wäre halt zusätzlich Arbeit. Wie bei einem Zelt. Es schnell hinzustellen, das geht. Dann aber die Seile an die Pflöcke, die erst den Halt verleihen, festzuzurren, vorher die Pflöcke richtig in den Boden zu rammen, das artet in harte Arbeit aus. Die ist hier beim Drehbuch garantiert nicht geleistet worden. Ah, und doch ein jugendmoralisch einwandfreies Werk: nie zu vergessen, „dass man alles erreichen kann, wenn man Freunde hat“. Hier hatte offenbar niemand Freunde.