Hier ist Faintville in Ontario, Kanada. To faint heißt auf Englisch, in Ohnmacht fallen, la ville heißt auf Französisch die Stadt, die Stadt also, die englisch-französisch in Ohnmacht fällt, in der Schule steht an der Wand geschrieben „Ici on parle francais“.
Dieser deutsche Film wurde in Kanada auf Englisch gedreht. Faintville heißt die Stadt, der Ort, weil die Einwohner wegziehen. Eine Kamerafahrt zeigt vor allem stehengelassene, liegen gebliebene Autos. Wenige Schüler nur besuchen die Schule. Zur Gymnastikgruppe im Gemeindezentrum trifft sich ein halbes Dutzend Aufrechter.
Aber nicht genug, dass die Stadt am Dahinschwinden ist. Unser Protagonist Mike, in Alex Ozerov haben die Filmemacher ein begabtes Bürschchen gefunden, ist 16 und will mit seinem Leben abschließen. Er bereitet sein Ende und auch die Todesnachricht, die im lokalen Blättchen erscheint, minutiös vor, selbst den Zimmerboden legt er mit Plastik aus, damit die Blutspritzer, die er hinterlässt, wenn er das Gewehr auf sich richtet, nicht den Boden oder die Möbel beschmutzen, zu viel Arbeit möchte er seiner alleinerziehenden Mutter, die Krista Bridges als eine Nervöse spielt, nicht hinterlassen.
Mike ist ein Pechvogel, der überlebt. Ihn zu schildern, in einer Aneinanderreihung von Szenen wie Miniaturen, das unternimmt dieser Film von Florian Cossen nach dem Drehbuch von Elena von Saucken. Das Wort Faintville haben sie auch für die Farbgebung der Bilder konsequent übernommen, alles, was irgendwie an Blut und Rot erinnert, ist so gut wie raus, alles Lebendige, Pulsierende; ein Bilderbogen in kanadischem Pastell.
Mike ist ein mehrfacher Pechvogel. Denn wie er überlebt, stellt der Arzt einen walnussgroßen Gehirntumor fest. Das reicht noch nicht, nachdem er im sich anbahnenden Verhältnis zur Gymnastiklehererin Bea Santos als Miranda wieder einen Sinn für das Leben zu entdecken dabei ist, wird sie von einem Auto überfahren.
Obwohl Kanada den deutschen Filmemachern sicher gut tut, sie freier zu machen scheint, kommen sie nicht ganz von der Lehrhaftigkeit, dem Erklärmodus los. Sie interessieren sich nur wenig für kinematographisch ergiebige Vorgänge, sie bringen die Szenen mehr illustrativ, modellhaft.
Die Todessehnsucht von Mike wird illustriert mit Besuchen beim Beerdigungsinstitut, beim Probeliegen in einem Sarg, schließlich mit der eigenen Herstellung eines Sarges, aber das wird nur impressionistisch angedeutet, da ist kaum Interesse, Vorgänge konkret nachvollziehbar zu machen, oder dann wird Slapstick versucht, immerhin indiziert das wiederum Humorabsicht, wenn Mike die langen Bretter für den Sarg, die er irgendwo besorgt, wobei auch nicht klar ist, ob geklauft oder nur mitgenommen, auf sein Fahrrad zu hieven versucht. Das macht aus dem Kino so etwas, wie ein Gang durch eine Bilderausstellung.
Durch die Todesanzeige taucht plötzlich Mikes Vater auf, ein Deutscher, der umtriebige Sebastian Schipper als Frank, der versucht ein akzentfreies Englisch zu sprechen.
Einmal machen die beiden zusammen Schießübungen in einem Steinbruch – bei der Szene fiel mir völlige Abwesenheit von Psychologie auf; erinnerte mich in seiner Machart an Marjane Satrapis The Voices, in seiner Bilderstickerei. Die Szene wirkt mehr wie ein Vorwand, um einem Gespräch zwischen den beiden einen Rahmen zu geben.
In vielen Szenen wird die Absicht deutlich, dass diese Pechvogelgeschichte durchaus aus dem Aspekt des Humors erzählt werden sollte, zumindest ohne Verzicht darauf; aber vielleicht ist es just der Verzicht auf einen konkreten Handlungs- und Spannungsfaden, der diese Bemühung allzu leicht ins Leere laufen lässt. Insofern wirkt das Portrait der Todessehnsucht eines Teens auch mehr absichtsvoll, als dass es auf den Punkt trifft, mehr theoretisch als zu Herzen gehend. Eine anpsrechende, etwas breit geratene, theoretische Erörterung.
Humorabsicht: wie der Arzt dem Jungen sagt, er werde definitiv sterben, da reagiert der Film mit Walzermusik. Mutter hat einen Frisiersalon. Einmal soll der Sohn aushelfen und ausgerechnet seiner Gymnastiklehrerin die Haare waschen, das wird auch nur verwuselt gezeigt, irgendwann platzt der Wasserschlauch, aber selbst das bleibt blutleer theoretisch, als ob der Boden der Realität nicht berührt werden dürfe. Oder Logikproblem mit dem Hausarrest. Da ist die Tür verriegelt. Aber der Vater, der unverhofft auftaucht, kann problemlos einsteigen. Also hätte Mike auch problemlos abhauen können. Vielleicht typisch für das Malerhafte ist die Beerdigung eines überfahrenen Rehes. Geschichte eines Pechvogels, der nicht sterben kann.