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Malala – Ihr Recht auf Bildung

Malala Yousafzai ist mit 16 bereits Friedensnobelpreisträgerin. Die Geschichte ist bekannt. Sie ist im Swat-Tal in Pakistan aufgewachsen. Ihr Vater, ein Lehrer, hat eine eigene Schule gegründet, in der er die Schüler ermutigt hat, rebellisch zu sein. Damit ist das Mädchen von klein auf Tag und Nacht in der Schule – im Film wird das mit einer der kontinuierlich dazwischengeschnittenen Animationen erläutert, ein Kind im Krabbelalter, was durch die Räume kriecht und Lehrstoff schnüffelt.

Man darf sie gewiss als frühreif oder altklug bezeichnen, sehr hell, sehr wach. Politisch nehmen die Taliban immer mehr überhand. Ein Mullah wird erwähnt, der sich, auch das wird in einer Animation gezeigt, mittels der Muezzin-Lautsprecher täglich an die ganze Bevölkerung wendet, speziell an die Frauen. Die üble Seite der Taliban ist, dass sie die Frauen von Öffentlichkeit und Bildung ausschließen, dass sie Morddrohungen (die eine Mauer des Schweigens nach sich ziehen) aussprechen und Schulen zerstören.

Eine BBC-Reporterin sucht Originalstimmen von Mädchen, die sich dazu äußern, die bereit wären, ein Buch darüber zu schreiben. Malala ist bereit. Sie ist gerade 13, wie das Buch erscheint. Es machte Furore. Erst bleibt die Autorin anonym. Schließlich wird sie identifiziert und bedroht, wird zum Ziel eines Anschlages, der weltweit Aufsehen erregt, wird angeschossen.

Schwere Operationen, erst in Pakistan dann in England folgen. Und eine erstaunliche Genesung, zwar mit Beeinträchtigungen des Gehörs, der halben Gesichtsmuskulatur. Ihr Geist scheint unlädiert, wach wie eh und je. Malala hegt keinerlei Rachegefühle. Sie macht sich als Prominente jetzt erst recht zur Sprecherin für die Sache der Mädchen und der Frauen. Sie hat früh ihre Mission gefunden.

Der Film von Davis Guggenehim bringt auch Familienszenen aus Birmingham, wo die Familie mit noch zwei Brüdern inzwischen wohnt, wie sie Karten spielen und ganz normale Kinder sind, die sich gegenseitig Dinge vorwerfen, wie es unter Geschwistern so ist. Der Film scheint mir ein Folgeprodukt des Medienrummels, den der Nobelpreis ausgelöst hat.

Malala reist als Botschafterin für die Sache der Mädchen in der Welt herum. Immer züchtig mit Kopftuch, aber ohne Schleier. In der Schule in England ist es ihr nicht ganz wohl, da ist sie nicht so überlegen wie in Pakistan. Ein Leben zwischen Schul- und Familiennormalität in England, das die Minions liebt und über sie lacht einerseits und eines Weltpromis andererseits, der Flüchtlinge aus Syrien in Jordanien empfängt oder in Afrika Schulen besucht und Hoffnung verbreitet oder vor der UN und bei Kongressen spricht, eine moderne Kämpferin für die Rechte der Mädchen, die zur Emanzipation aufruft.

In der Animation wird sie dargestellt als heldische Figur im knallroten Kleid in düsterer Umgebung die hoch auf einem Berg über kämpfenden und kriegenden Männern ihre Botschaft ins Land hinausruft: aus ihrem Atem entstehen langgezogen die Schriftzüge ihrer Worte. Guggenheim betreibt schier religiöses Legendbuilding wie für eine Pilgerstätte. Malalas Aufruf: 1 Kind, 1 Lehrer, 1 Buch und 1 Schreibstift genügen, um die Welt zu verändern. In diesem Sinne ein ansprechender, leicht lesbarer und mit genügend Gefühl angereicherter Agit-Prop-Film.

Unser letzter Sommer

Die Dampflok bringt ein mächtig zischendes, aber auch ein gemütlich durch die Landschaft tuckelndes Element in diesen weiteren Naziaufarbeitungsfilm, eine polnisch-deutsche Koproduktion, in der sowohl polnisch als auch deutsch gesprochen wird.

Michael Rogalski, der polnische Regisseur und Autor, habe Fotos seiner Großeltern aus dem Sommer 1943 zum Anlass für diesen Film genommen, Fotos, die von einer unbekümmerten Liebe erzählen. Dumm nur, dass außenherum Krieg ist, dass die Lok nach Auschwitz fährt zur Desinfektionsanlage. Deshalb liegen überall auf den Gleisen verstreut menschliche Habseligkeiten.

Vielleicht ist Rogalski auch zu Ohren gekommen, dass wer immer ein Nazithema als Drehbuch anbiete, unbesehen der cineastischen Qualifikation auf offene Geldhähne bei deutschen Filmförderungen (Mitteldeutsche Medienförderung MDM und Medienboard Berlin-Brandenburg MBB sowieso dem Deutschen Film- und Fernsehfonds und der Filmförderanstalt FFA) stoße, ebenso beim deutschen Zwangsgebührenfernsehen, hier rbb und MBB, denn den Zwangsgebührenzahlern soll immer wieder, das gehöre zur Zwangsgrundversorgung, die Nazizeit um die Ohren gehauen werden.

Hier wird zwar nicht um die Ohren gehauen, auch wenn die Nazis – und das war sicher ein weiterer Fördergrund, dass auch ein paar deutsche Pfründenschauspieler mit von der Partie sein dürfen – gelegentlich schreien, sich anschreien oder Opfer anschreien und laut ist es auch, wenn die Lok Dampf ablässt.

Herausgekommen ist eine Naziverarbeitungsgeschichte wie es schon zur Genüge viele gibt. Eine Geschichte, in der der historische Rahmen ausgespart bleibt, die auf dem Lande spielt, in der es viel Naturidylle zu sehen gibt, plätschernder Bach und Wiesen und Laub. Und ein Trüppchen Deutscher, die eher dilettantische Krieger sind, alle so privat wie im Pfadfinderlager.

Auf der polnischen Seite ist Sohn Romek, dessen Traum das Dampflokfahren ist; er arbeitet bereits auf einer solchen. Er ist verliebt in Franka, eine Bauerntochter. Auf der deutschen Seite gibt es den Soldaten Guido: er repräsentiert die Gewissensbisse, das Menschliche im Militärbetrieb. Die beiden jungen Männer werden, so zeigen es junge Enthusiasten gerne im Film, sich in einer feindlichen Konstellation gegenüber stehen und feststellen, dass sie auch nur Menschen sind. Oder sie werden mit Franka zusammen amerikanische Schallplatten hören, die auf einem Plattenspieler abgespielt werden, der aus einem Flüchtlingskoffer stammt.

Es tritt noch eine geflohene Jüdin ins Geschlechterspiel, denn beim Plattenhören springt der Liebesfunke offenbar vom Deutschen auf die Polin über, so bleibt der Pole frei und findet das Mädchen verstört im Wald.

Woran mag es nun liegen, dass zu vermuten ist, dass diesen Film wohl kaum jemand interessieren wird? Es könnte wirklich an den Rahmenbedinungen liegen, wie für einen Film, wie oben dargestellt, an Geld zu kommen ist. Gerade die zwei jungen Männer sind an sich Interesse weckende Darsteller und spielen mit einem heiligen Ernst, die jungen Frauen haben da weniger Präsentationsmöglichkeiten; Filip Piotrowicz als Romek und Jonas Nay als Guido. Aber es liegt auch am Drehbuch: das sich eben nicht entscheiden kann, was es wirklich erzählen will, das sich nicht für eine Hauptperson und ihre Konflikte entscheiden kann oder will, was wie bemüht drauf schaut, genügend Weltkriegsrequisiten, die an das Grauen erinnern, aufzufahren, das vielleicht mit der Liebe zur Dampflok am Anfang schon ganz falsche Signale setzt.

Ein Buch, was sich damit begnügt, seine Figuren in diesem Setting zu belassen und glaubt, damit schon deren Charaktere erforscht zu haben. Denn die skeptische Haltung dem Krieg gegenüber, die scheint lediglich formal eingeführt, als Haltung des Filmemachers dem Krieg gegenüber. Insofern interessieren die Figuren und ihre Schicksale nur in geringem Maße. Es wirkt in diesem Buch alles absichtsvoll, es scheint absichtsvoll gewisse Erwartungen an einen deutschen Nazizeitverarbeitungsfilm erfüllen zu wollen: Leichenfledderei, Raubgut im Spind horten, Leute erschießen, aber auch Gnade oder Verständnis, auch Nazis waren menschlich, Hinweise auf die Menschentransporte und dass das Leben außerhalb der KZs seinen Gang geht, Thema Partisanenkampf, die Russen, Vergewaltigung; so will sich aber kein Publikum gängeln lassen.

Schönes Requisitendetail: die Kopfhörer eines Kurzwellenempfängers in eine Blechschüssel legen, das wirkt als Verstärker. Und als Kunst um ihretwegen: schöne Parallelfahrten von Motorrad mit Beiwagen und Dampflokomotive.
Die Nazizeit auswringen bis zum geht nicht mehr, bis zum letzten Blutstropfen.
Von so viel öffentlichem Interesse wie ein Schüleraufsatz über die Bierherstellung.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Imagine Waking Up Tomorrow and All Music Has Disappeared

Da hat sich Stefan Schwietert, der mit „Heimatklänge“ kulturell betört hat, mit dieser Dokumentation über Bill Drummmond, den britischen Missionarssohn und Musiker mit Verwertungsverweigerung, auf etwas eingelassen.

Drummond war in den frühen Neunzigern ein überaus erfolgreicher Musiker. Mit dem reinen Erfolg steht er auf Kriegsfuß. Er erregte Aufsehen mit einer Performance, in welcher er eine Million Pfund in Noten verbrannte. Die Aktion ist immerhin auf Video gebannt. Als Relikt findet sich in einem Container mit der Hinterlassenschaft seiner Band ein Ziegelstein, der aus der Asche der verbrannten Noten gepresst worden ist.

Aber auch die Rechte für die Musik jener Band, die KFL hieß, seien alle zurückgezogen. Die Stücke dürfen nicht mehr öffentlich aufgeführt werden. Darüber, wie er die Musikaktion, bei der Schwietert ihn hier ein Stück begleitet, finanziert, erfahren wir nichts.

Drummond hat die Nase voll von Konservenmusik, von der Musik als Ware. Das erzählt er bei einer Fahrt mit dem Land Rover durch eine der vielen englischen Bilderbuchlandschaften, die in diesem Film nebst schöner Fotografie aus dem Arbeitsleben vorkommen. So sei er einmal über Land gebraust. Die Musikkonserve, die er laufen hatte, habe er abgestellt und nur den Motor gehört und angefangen, Töne zu diesem Geräusch zu produzieren.

Herausgekommen ist die Kunstaktion The 17. Drummond baut sich einen Chor zusammen: er fährt entlang eines Breitengrades und wo immer er Menschen vermutet oder findet, in Fabriken, der Landwirtschaft, Schule, Altenheim, Taxistand oder Straßenbau, so bittet er sie, ihm ins Mikro einen Score zu singen. Ein Score ist demnach eine Anleitung für eine einfache Tonkombination.

Am Schluss des Filmes montiert er diese Scores zusammen und hört es sich, das Kamerateam von Stefan Schwietert ist auch dabei, aber ohne Mikro!, auf einem einsamen Felsen am malerisch-wilden Meer und verstärkt durch Lautsprecher an. Dann wird das Tape gelöscht. Der Kinozuschauer, der eben die Sammlung dieser Töne dokumentiert bekommen hat, hört nur das Rauschen des Meeres, der Musikkanal ist für ihn abgestellt, er wird auf diese Weise um das Resultat der Recherchearbeit von Drummond geprellt.

Zwischendrin wühlt Schwietert in Bills privaten Fotoalben, in der Geschichte seiner Band. In keiner Sekunde versucht Bill via Kamera die Leute für sich zu vereinnahmen, Sympathie zu gewinnen. Er geht seiner Wege, er tritt auf als ein Musikmissionar, die Leute machen mit oder auch nicht, Geld bekommen sie keines dafür und schon gar kein Tape mit dem Resultat. Es ist eine Art verquere Verwertungsverweigerungsphilosophie, die Drummond hier über das Verwertungsprodukt Dokumentarfilm, das Stefan Schwietert sicher nicht ohne Verdienstabsicht gestartet hat, verbreitet. Und enthält dem Zuschauer den Höhepunkt des Sammlereifers vor, Kinogenuss interruptus.

Insofern war dieses Anhören des Endproduktes eine rein private Angelegenheit. Warum also über die Vorarbeiten berichten und das Publikum vom Endergebnis ausschließen? Allerdings nicht ganz: einen kleinen Eindruck bekommt der Zuschauer gefiltert, nämlich das, was über den Kopfhörer, nach außen dringt, wie Bill sich das Resultat mit dem Tontechniker probehalber anhört.

Fazit: Kommerz ist Scheiße, aber Nicht-Kommerz kann es genauso sein. Wobei ein wissenschaftliches Projekt, zu erforschen, ob Stimmen des gleichen Breitengrades Ähnlichkeiten aufweisen, faszinierend sein könnte. Oder: ein hilflos-skurriles Aufbegeheren, ein Zeichen gegen die heutige Allverfügbarkeit von Musik, wie es mit dem i-Pod anfing.

Zu guter Letzt wird’s noch Mitmachkino: Bill fordert das Publikum auf, Töne zum eigenen Puls zu improvisieren. So komplimentiert man seine Leute aus dem Kino mit dem Konserven-Life-Effekt.

Monaco 110: Aprikot not Orange (BR, Freitag, 16. Oktober 2015, 21.00 Uhr)

Was zur vorangegangen Folge von Monaco 110 (Liebe, Lügen Leidenschaft) gesagt worden ist, gilt auch hier.

Auch hier werden zwei Geschichten, die nicht mal ein Echo oder eine Assoziation auslösen, bar jeglicher Resonanz und die so gar nichts miteinander zu tun haben, fantasielosest ineinander verschnitten.

So gemütlich und miteinander verbandelt wie hier ist vielleicht eine Polizeistation auf dem Dorf im Dachauer-Land. Rührseliges Verschwinden eines Kindes, Kindsentführung, es is oifach a koa Baby abgelegt worden, so fürsorgliche Polizisten und eine Spindaufbruch-Geschichte im Schwimmbad, als ob Spindaufbruch in Zeiten von Wohnungseinbrüchen und Fahrradunfällen, von Flüchtlingstrecks und Demos so ungefähr das brennendste polizeiliche Problem in München sei; wo leben diese Autoren und die sie offenbar gut findenden Redakteure?

Auch hier stehen öfter einige Figuren recht abgestellt und schauspielerisch hilflos in der Gegend rum.

Die nervige Akkord-Zupf-Musik kann es nicht lustiger machen, im Gegenteil, sie macht nur ärgerlich bewusst, was wohl die Intention gewesen wäre und wie wenig sie erreicht wurde: eine leichte Komödie im Münchner Polizeimilieu.

Ein Lob des Familiären. Traum von einer Welt, in die der Wind von Globalisierung, Konkurrenz- und Leistungsdruck, von Rationalisierung und Gewinnoptimierung nicht hineinbläst. Man könnte auch sagen: abgestanden wie die Pfründenwelt in einem gigantischen 8-Milliarden-zwangsgebührenfinanzierten Geldhaufen, der seinen Grundauftrag längst aus dem Auge verloren hat und nur noch mit Selbsterhalt und Quotenschielen beschäftigt ist, aber da er schielt, sehen die Resultate entsprechend verheerend aus: garantiert kein Bericht aus unserer Arbeitswelt, eventuell der Arbeitswelt im geschützten Milliardenbereich „Zwangsgebührenhaufen“. Insofern ein Kitsch – und Kitsch kann nicht zum Grundauftag gehören. Kann auch nicht der Realität, ob augenzwinkernd oder nicht, im Polizeibetrieb entsprechen: von dort hört man nur noch, die seien am Anschlag wegen Flüchtlingen und Pegida-Demonstrationen und Fußball.

Die Autoren belegen auch, wie schwierig es offenbar ist, eine glaubwürdige Arztrolle zu schreiben.

Filmhund Potzi macht seine Sache gut.

Diese Serie dünstet eine anbiedernde Familiarität aus, die als ob sie dich in den Oberarm kneifend behaupten wolle, schau doch, wir sind ja auch nicht perfekt und so ein Depp wie Du sind wir noch allemal, solchene Kariakturen von Menschen wie unsere Zuschauer.

Mir stößt auf, dass ich vom Staat gezwungen werde, solchen Wischiwaschi-Anspruch mitzufinanzieren, solche Tümelei, von der mir nicht im geringsten ersichtlich ist, wie die etwas mit dem Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu tun haben soll, denn Unterhaltung ist es schon grad gar keine gute, sondern nur billige, vermutlich viel zu teuer eingekaufte: zeigt uns die Gagen, die Honorare, die Saläre, legt sie offen! Wer hat hier wie viel vom Zwangsgebührenhaufen für sich abgestaubt?

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Spooks: Verräter in den eigenen Reihen (DVD)

Zuerst kommt der Fall ins Spiel. Der britische Geheimdienst MI5 hat einen der Topterroristen mit Hilfe und im Auftrag des CIA in London gefangen genommen und ist dabei, diesen an den CIA zu überstellen. Ein schwerbewachter Konvoi steckt im großstädtischen Verkehrsstau fest. Der Konvoi wird topüberwacht von allen möglichen Kameras, von einem Helikopter und in einem PKW vorneweg sitzen zwei kleinere Chargen des MI5.

Zwischen den stehenden Autos rasen Motorräder heran. Sie befreien den Hochsicherheitsgefangenen und brausen mit ihm weg; der Heli ist dummerweise abgezogen worden.

Der Terrorist Qasim, Elyes Gabel, wird als der Prototyp einer neuen, besonders gefährlichen Generation von Terroristen charakterisiert, als sprachgewandt, charismatisch und überzeugend; außerdem lernte er im Nahen Osten das Töten. Immerhin habe der MI5 einen Undercover Agenten ins Netzwerk von Qasim eingeschleust.

Nun kommen die Gegenspieler um den Fall ins Spiel, die den entfleuchten Qasim, aufspüren und dingfest machen sollen; denn er hat einen ganz großen Anschlag mitten in London angedroht, einen wie nie zuvor, der unbedingt verhindert werden muss.

Diese Gegenspieler aus dem Geheimdienstmilieu werden in der Jagd auf Qasim die bestimmenden Figuren sein. Beide sind für die Geheimdienste nicht ganz koscher, aber wahre Asse; sind in gewisser Weise Agenten „hors classe“, mit ihren unkonventionellen Mitteln außerhalb der regulären Jobbewältigung anzusiedeln.

Harry Pearce, Peter Firth, ist der alte mit allen Geheimdienstwassern gewaschene Fuchs mit einem Gesicht, in dem die Menschheitsgesichte oder auch nur die eines Psychopathen eingeschrieben sein könnte, so sicher ist man sich nicht. Er ist immer wieder für eine Überraschung gut. Die Leute unterschätzen ihn auch noch nach Jahren.

Ihn soll ausgerechnet Will Holloway, Kit Harington, unterstützen. Den muss der MI5 allerdings erst aus Moskauer Gefangenschaft befreien, so ganz nebenbei eine kleine waghalsige Action mit britischem Understatement vorgetragen. Er ist ein freier Agent und hat keine Lust, für den MI5 zu arbeiten, hat doch ausgerechnet Harry ihn vor drei Jahren aus dem Dienst gechasst aus weiter nicht einsichtigen Gründen. So zeichnen sich denn in Wills Gesicht oft Zweifel und Verwunderung, tiefe Skepsis wie Unsicherheit, so dass jede seine Aktionen zum Vornherein zum Risiko wird; und genauso wie Harry wirkt er oft am Rande des Anschlags. Sie sind in keiner Weise glatte Typen, geleckte Typen; sie ziehen Misstrauen und Vorurteil an.

Spannungserhöhend kommt in diesem brillanten Thriller von Bharat Nalluri, der ein Drehbuch von Jonathan Brackley und Sam Vincent nach der Fernsehserie von David Woistencroft zur Vorlage hatte, hinzu, dass die Flucht Qasims offenbar von höchster Stelle im MI5 gedeckt, ja sogar ermöglicht worden ist. Es sind nicht allzu viele Figuren, die auf dieser Ebene im Film vorgestellt werden, die den Verrat begangen haben könnten. Wobei auch hier die Raffinesse des kleinen Bauernopfers, resp. des geopferten Laufburschen, von den Autoren souverän eingesetzt wird.

Allein schon die Annäherung von Will und Harry, bis sie sich überhaupt begegnen, ist ein hyperkonspiratives Versteck-, Hase- und Igelverfolgunsjagd- und Abschüttelspiel der Sonderklasse, setzt von beiden höchste Raffinesse und gleichzeitig Vertrautheit mit Verdunkelungsmethoden voraus und der Schirmkontakt ist nur ein lässiger kleiner Gag dazwischen, wenn Will auf dem Weg zu Harry den ganzen CIA und MI5 und wer auch immer hinter ihm her ist, abschütteln muss.

Dann fängt es erst richtig an, ob und wieso die beiden überhaupt zu einander Vertrauen entwickeln können. Das erscheint immerhin mit dem Rekurs auf ein Stück gemeinsame Geschichte und den Tod des Vaters von Will möglich; da gibt es gemeinsame Verbindungen in die Vergangenheit.

Eine besondere Pille mit erschütternden Wirkungen spielt ein Rolle: auf dem Couvert, das sie enthält steht verheißungsvoll: Way out /Ausweg. Die Agenten immerhin, die finden immer einen Ausweg. Wenn das mal nicht beruhigt.

Den Count-Down zelebrieren die Filmemacher in Zeitlupe und mit vielen inneren Monologen von Fassungslosigkeit und die deutsche Nachsynchronissation trägt ihr Teil zur Spannung dieses exzellenten Thrillers aus London bei.

Mediterranea – Refugees Welcome?

Ayiva (Koudous Seihon) und Abas (Alassane Sy) sind zwei junge Männer aus Burkina Faso. Sie träumen von einem besseren Leben in Europa und machen sich auf den beschwerlichen, illegalen Fluchtweg durch die Sahara über Algerien, Libyen und dann per Boot nach Italien.

Ayiva lässt sein Töchterchen zurück, dem er eine günstigere Zukunft als sie in Burkina Faso zu erwarten hat, bereiten möchte. Er ist der helle, wache, weltoffen-freundliche Typ, während Abas mehr der politisch intellektuell denkende Skeptiker ist, der nicht gleich freundlich zu jedermann ist, der sich nicht unbedingt an die Anleitung des Vorarbeiters in der Orangenplantage hält, der die Zustände, in denen sie in Italien leben, nicht tatenlos akzeptieren wird.

Also ein spannendes Gespann von Protagonisten, das Jonas Carpignano für seinen mit großer Gründlichkeit recherchierten – Jahre für die Feldforschung in Rosarno in Süditalien – und entwickelten Film gecastet und die Rollen entwickelt hat, so dass der Film, auch wenn er fiktional ist, den Eindruck eines atemberaubenden Reencactments erweckt.

Zu diesem Eindruck trägt ihr wesentliches Teil die Kamera von Wyatt Garfield bei, der die actionhaften Momente der Flucht wie Besteigen eines schon mit Säcken überladenen LKWs durch die Flüchtlinge, Überfall der Flüchtingsgruppe in der Sahara durch Banditen, Besteigen des Gummibootes an der libyischen Küste, Gewitter bei der Überfahrt, das Kentern, Aufstand der gemobbten Schwarzen in Rosarno (2010 hat es da tatsächlich Unruhen gegeben), der Arbeiterstrich für die Jobs auf der Plantage, aber auch Party und Tanzen mit moderner Wackelkamera in der Qualität der Stimmungserzeugung wirkungsvoll aufnimmt; der aber genügend Momente findet, in denen er die Protagonisten portraithaft im inneren Monolog vertieft zeigt, beim Telefonieren, Zigarette rauchend oder schlicht beim Sinnieren: hier kommen die beiden faszinierenen Charaktere der Protagonisten und mit ihnen die Schönheit Afrikas eindrücklich zur Geltung.

Heilige sind sie beide nicht. Es geht um Überlebenskampf, es geht um den Weg ins gelobte Europa, was sich nach einiger Zeit nicht mehr so strahlend darstellt. Auch die Fotografie in Italien ist alles andere als werbeprospekttauglich. Die Afrikener hausen anfangs in armseligen Verschlägen, die Nächte bibbernd kalt, Holzfeuer geben nicht genug Wärme.

In den Kontakten nach Hause muss die Lage schöngeredet werden. Ayiva klaut in einem Zug der italienischen Eisenbahn einem Reisenden seinen Koffer und kommt damit an dicke Wollpullover und einen MP3-Player ran. Dieses Requisit nutzt Carpignango, um ein Schlaglicht auf die Handelsstrukturen, die sich um solche Flüchtlingsunterkünfte herum bilden, zu werfen. Dabei ist er auf einen Jungen gestoßen, kaum mehr als zehn Jahre alt, der schon abgebrüht handelt wie ein Großer, der mit allen Wassern gewaschen ist, eine kinematographische Rosine sondergleichen. Oder wie Ayiva Handschuhe auftreibt und sie an seine Pflückerkollegen weiterverscherbelt.

Ayiva selbst entwickelt durch seine offenes und intelligentes Wesen, er lernt schnell italienisch, ein persönliches Verhältnis zum Plantagenbesitzer Rocco, der relativ menschlich gezeichnet wird. Er wird auch in dessen Familie aufgenommen und einmal eingeladen. Bei diesem Essen sieht man nur Ayiva. Aber Rocco begrüsst die beiden Gäste in der Familienrunde – und der Kameramann winkt von hinter der Kamera hervor; gelungener Hinweis auf die dokumentarische Intention dieses Spielfilmes. Dieser kommt zugute, dass Carpignano beim Cast bis auf die Rolle des Abas sich auf Originalfiguren aus Rosarno beschränkt. Wobei er zum Darsteller des Ayivas, Koudous Seihon, der selbst den Fluchtweg gemacht hat, über die Jahre eine Freundschaft entwickelt hat und ihm die Rolle, die sich allerdings aus diversen Quellen nähren dürfte, auf den Leib geschrieben hat.

Durch diese lange, intensive Befassung mit dem Thema und den Leuten in Rosarno ergibt sich die starke Glaubwürdigkeit der Darstellung, dieser Effekt des Reenactments, der zu einem beindruckenden, spannenden, einmaligen Kinoerlebnis führt und zugleich Begeisterung für das Kino als solches, was imstande ist solche Erlebnisse zu erzeugen, wecken kann.

Hotel Transsilvanien 2

Halloween ist nah, dieser amerikanische Kulturimport. Das schlägt sich im Kino nieder. Da sind die Gespenster nicht mehr zu halten. Zeit also für die Fortsetzung des Wimmelbildfilmes Hotel Transsilvanien, Numero Zwoo; der wiederum lebt, wie Vampirfilme es an sich haben, von Rumänienexporten.

Töchterchen Marvis von Frank ist bereits über 100 Jahre alt, man sieht es ihr nicht an. Sie heiratet, also erst mal ein Hochzeitsfilm, da stehen die Figuren noch ordentlich Spalier.

Und bald schon gibt es Nachwuchs, Dennis, ein Mischling aus Mensch und Vampir, denn der Vater ist ein rein menschlicher Amerikaner (hört sich an wie ein Widerspruch in sich selbst). Frühestens, wenn die Vampirzähne sprießen, wird sich zeigen, ob Vampir oder Mensch.

Im Hotel, was Frank und Mavis betreiben, herrscht Toleranz, das ist auch die Message des Filmes, dass man andere respektieren soll, also der Mensch den Vampir und der Vampir den Menschen; das ist ein Gesetz des Hotels und nicht nur ein Gesetz der Menschen. Die Erde als ein Hotel gesehen, in welchem alles Getier und Gemensche sich vertragen soll.

Aber es gibt die Unterschiede. Ein Vampir kann fliegen, kann sich verwandeln, sollte nicht zu viel Tageslicht sehen (das ist beim auch hier vollkommen überflüssigen 3D insofern doppelt störend, als die Angelegeneheit eh schon wenig Licht hat).

Der Papa Vlad von Frank, der zur Geburtstagsparty von Dennis, so heißt der Enkel, eingeladen ist, möchte wissen, ob dieser ein Vampir ist, ob er die Zähne hat und fliegen kann. Allerdings ist kurz vorher ein Test von einem hohen, hochriskant wackeligen Gerüst aus fast daneben gegangen, wenn Papa Frank nicht rasend schnell kurz vorm Aufprall des Sohnes sich in eine rettende Fledermaus verwandelt hätte (Test nach dem Motto, wirf das Kind in die Luft, dann lernt es fliegen). All das ist auf Handy aufgenommen. Wenn solche Aufnahmen mal in Umlauf sind …

Die Geschichte ist, das ist die Eigenart von solch animierten Wimmelbildfilmen, in dem physikalische und empirische Gewissenheiten in Frage oder auf den Kopf gestellt werden und die naturgemäß kaum referierbar sind, nur ganz dünn zu Faden geschlagen und mehr der Vorwand für ein Fest an Animationstricks und -gags und Verwandlungen und Schrumpfungen und Pannen und Pleiten und die Erfindung von unendlich vielen Figuren zwischen Mensch und Tier, in den besten Momenten in der Nachfolge eines Hieronymus Busch; es ist diese ungezügelte, aufwändige Zeichentrickwelt, die so tut, als kenne sie keine Regeln, einerseits, die andererseits ganz strenge Regeln befolgt, nämlich mindestens alle 5 Sekunden ein Gag, etwas, das durch die Luft fliegt, etwas, das sich auflöst, etwas, das hängen bleibt oder sich verwickelt; oder, da hat der Film Momente poetischer Langsamkeit, wenn auf einem Elektrotretroller mehrer Figuren übereinandergschichtet im Schneckentempo in Richtung Hotel Transsilvanien sich aufmachen und gewinnen und gewinnen kein Tempo – auf der Autobahn.

In der deutschen Nachsynchronisation fällt vor allem die Stimme von Mavis auf, eine erfrischend natürliche Frauenstimme inmitten lauter Synchronroutiniers, die sich im Rahmen der Möglichkeiten ihrer Routine Mühe geben.

Das A und das O an moralischer These eines solchen Wimmelbildmovies ist: die Familie ist das Entscheidende im Leben, verkleidet in ein närrisches Halloween-Vergnügen, das einmal kurz innehält für den respektvollen Satz: du hast die Menschen zwar in Dein Hotel nicht aber in Dein Herz gelassen.

Crimson Peak

Neben dem Anrühren des Stoffes mit der gigantischen Ausrüstungskelle dürfte der Hauptspaß der Filmemacher, das ist Guillermo del Toro, der mit Matthew Robbins auch das Drehbuch geschrieben hat, quasi die Häutung bis aufs Blut einer feinen Gesellschaft, besonders der industriellen und adeligen, gewesen sein; was sich auch stilistisch bemerkbar macht von der anfänglichen, überbordenden Ausstattungs- Kostüm- und Beleuchtungsorgie, von der perfekt geleckten Welt mit fast erschreckender Perfektion inszeniert, in die auch die deutsche Synchronisation hervorragend sich einfügt, bis hin zum Absturz in mickrigen, billig und wie schlecht gespielt wirkenden Horror-Schocker-Trash, immer das Ziel vor Augen den karminroten Höhepunkt, den Blutrausch, das Blutbad.

Das war die Weissagung, das Gespensterdrohwort für Edith Cushing, einer Großindustriellentochter, hinreißend dargestellt von Mia Wasikowska. Grausam für das Mädchen, dass sie ihre Mutter, die früh verstorben ist, nicht einmal mehr im Sarg sehen durfte; der war versiegelt, weil die Schwarze Pest die Todesursache war. Dunkle Töne früh im Leben des Mädchens und dieses Filmes.

Die Filmemacher ergehen sich nach einem Zeitsprung zu Edith als junger Erwachsener im High-Society-Leben der Cushings, Geschäftsbesprechungen und Gesellschaften in Räumlichkeiten, die jedes anspruchsvolle Museum mit Handkuss übernehmen würde.

Edith träumt davon, Schriftstellerin zu werden, sie interessiert sich auch für die Medizin und vielleicht auch ein bisschen für den Ophtalmologen und Arzt ihres Vaters, Dr. Alan Michel, Charlie Hunman, ein seriöser Arzt ohne Arg.

In all die Sorglosigkeit und feinst kostümierte Lebendigkeit taucht Sir Thomas Sharpe auf, von Anfang an als zwielichtiger Charakter und Verführer charakterisiert. Er kommt aus Europa, sei ein Baronet, was immer das für ein Titel sein mag, bringt der feinen Gesellschaft von Ediths Vater den Europaimport Walzer bei. Seine Auserwählte ist Edith – nicht zur Freude von Vater und dessen Geschäftsfreunden.

Der Baronet ist in der Familie aufgetaucht, weil er Investoren sucht für eine Erfindung, die er getätigt hat, eine Maschine zur Förderung von Ton, die er entwickelt hat, die aber erst im Modell funktioniert.

Papa Cushing ist weder vom Investitionswunsch des Baronets noch von der sich abzeichnenden Liaison zu seiner Tochter angetan. Er möchte Sharpe aus seinem Horizont weg haben. Das setzt er in Gang noch bevor er eines merkwürdigen Todes stirbt, der Zuschauer bekommt es mit, eines ganz und gar nicht natürlichen Todes – aber zum Schreiben schön gepflegt und detailliert inszeniert.

Ab diesem Horrormoment, wobei Edith schon vorher immer wieder nachts Erscheinungen hatte, die die Filmemacher liebevoll in 5-Sterne-Geisterbahn-Manier computeranimieren, geht es mit der Qualität des Filmes, mit den Darstellern, mit dem Stil rasant bergab auf einem ungeheuerlichen, britischen Schloss, Allerdale Hall in Cumberland, mit ganz offensichtlich von der Ausstattung ewig weit mit roter Erde verlegten Wegen und Plätzen und direkt vor dem Schloss steht das erste Exemplar von Sharpes Fördermaschine, der das Schloss nur mit seiner Schwester Lady Lucille Sharpe, Jessica Chastain dezidiert als böse Monsterfrau kostümiert und inszeniert, bewohnt.

Mit Edith ist Sharpe inzwischen verheiratet und dass sich die beiden Frauen nicht grün sind, wird schnell ersichtlich, genau so die Vermutung, dass mit dem Tee, den sie exponiert serviert, etwas nicht stimmen kann.

Ab hier buchstabiert del Toro den Film noch schwerfüßiger in kapitalen Lettern als ob er bereits angeschlagen sei, ob so viel menschlicher Sauerei und Windigkeit und Dreckigkeit und Skrupellosigkeit, die er transportiert und von der er spürt, dass sie nicht weniger wird, sondern zusehends jede Facon verliert, je mehr es auf den Crimson Peak zugeht, je mehr eine primitive Massenmördergeschichte einer monströsen Liebe Kontur gewinnt.

Dunkle Vorzeichen sind nicht nur manche Geräusche oder das offene Hausdach, die Kälte im Schloss Allerdale oder ein wiederaufgetauchter Spitz, der doch längst tot sein sollte, sondern vor allem auch die Wasserleitungen, die rotes Wasser über die Hähne fließen lassen, das rühre von der roten Farbe der Tonerde, in der das Schloss dabei sei zu versinken. Die Wasserröhren geben ein tönernes Dröhnen von sich.

Mit dem „kleinen Souvenir“, das Lucille unter einer Steinplatte für alle Fälle versteckt hält, ließe sich der Geschichte schnell der Garaus machen. Oh Schauder, Oh, Geisterbahn, der alte Jahrmarkt hat dich wieder.

Kein Kostümfilm ohne Hinweis auf das Heute; hier vielleicht eine flmische Resonanz auf die gnadenlose Brutalität und den herben Zivilisationsverlust durch Isis?

The Tribe

Myroslav Slaboshpytskiy bietet uns mit seinem Film internationales, intellektuelles Kunstkino, das sich an der Erwartungshaltung des Kinoentwicklungshilfe-Fonds Hubert Bals Fund des Rotterdamer Filmfestivals orientiert haben dürfte.

Welche Provokationen sind nötig, welche Aesthetik ist nötig, um an internationalen Festivals zu reüssieren, Außenorientierung statt dass der Regisseur uns Geschichten aus seinem Land, aus der Ukraine erzählt. Sein Gehörlosendrama spielt immerhin in der Ukraine. Und diese wird auch, wie es das internationale Publikum erwartet, entsprechend korrupt und armselig, verkommen geschildert.

Es ist auch ein Männerfilm, die Frauen sind Schlampen, gehen auf den Strich, lassen abtreiben.

Der Film will den Eindruck eines Real-Time-Soziodrams erwecken. Wenn die beiden Frauen vom Gehörlosen-Institut vom Fahrer und dem Zuhältermitschüler auf den LKW-Strich gefahren werden, dann ziehen sie sich in einer einzigen, minutenlangen Einstellung im Hinterraum eines ruckligen Kastenwagens ganz geschwind um, das hat, wie so viele andere, speziell Gruppenszenen, etwas faszinierend Choreographiertes.

Auch wenn die Gang, der Stamm oder die vier Hauptakteure, allesamt junge, sportliche Männer zu einer Aktion marschieren, so versprüht das Rhythmus und Energie. Es gibt einen hauchdünnen Storyfaden und eine ziemlich dysfunktionale Gehörlosenanstalt, die offenbar Schule und Berufsausbildung in einem ist, die aber weniger Handlungsfaden denn Kulisse für viele, möglicherweise provokant gedacht Szenen bilden soll.

Wie der Neuankömmling von den beherrschenden Typen durchsucht wird, Oberkörper, Schuhe, Füße. Wie er sich bei einem Initiationskampf vor malerischer Ruinenkulisse durchsetzen muss. Ist wirklich gut inszeniert, hübsch zu sehen, wie die Extremitäten aufeinander einschlagen, die im gleichen Moment noch für das Gebärden, ein sehr energiegeladenes und machohaft schnelles obendrein, verfügbar sein müssen. Unser leicht bärige Protagonist gewinnt, indem er seinen Gegner beißt.

Der Protagonist scheint ein gutes Reservoir an Kräften zu haben, was der Film später noch zu Horrorbildern ausbeuten wird und als ultimative Rache zeigt, wie er mit den Nachtkästchen die Schädel der lieben Mitbewohner zertrümmert – aber hier hat der Film sich längst selbst verraten. Hat gezeigt, dass er die Gehörlosigkeit als Mittel zum ästhetischen Zweck (und vielleicht mit dem Hintergedanken, der leichteren internationalen Vermarktbarkeit) einsetzt.

Die Story, die dann doch nur üblicher Jugendtrash ist mit all seinen Grausamkeiten, Überfällen, Diebstahl, Prostitution, gewinnt so zwar einen unique selling point und kann sich bei aller Gewissheit der Zumutung, das über zwei Stunden durchzuziehen, mit dem Prädikat „kompromisslos“ schmücken: die internationalen Festivals fahren auf so etwas ab; das normale Zahlpublikum dürfte es eher abschrecken.

Denn an Story ist der Film wenig interessiert. Die Abläufe in so einem Internat, die werden weitgehend ausgeblendet; mal eine Schulstunde, mal eine Stunde Holzbearbeitungsunterricht oder die Herstellung eines Holzhammer, passendes Symbol für diesen Film, alles nur fragmentarisch.

Der Film kapriziert sich auf Grausam-Aethetizismus, aber auch auf nackte Körper schön auf Tüchern auf den Boden gelegt zum Ficken, auf sportliche Männerkörper in straffen Unterhosen, auf das ausführliche Zeigen einer Abtreibung oder einer Verwüstungsaktion eines Büros und genauso geschmackvoll die Warteschlange vor dem italienischen Konsulat. Realtime-Realismus verästhetisiert.

Der Protagonist oft durch die leeren, langen, frisch hellblau gestrichenen Institutsgänge wie in einem Horrorfilm gehend. Die Erwartung wird er erfüllen. Für den Hörenden wird diese Gehörlosen-Welt eine verschlossene Welt bleiben, da kann der Film auch nicht weiterhelfen, umso mehr als er sich auf Verhaltensklischees beschränkt. Den internationalen Intellektuellenromantizismus bedient er mit Bildern eines verwahrlosten Rummelplatzes. Es ist eben nicht so schwer, Verkommenheit auf die Leinwand zu bringen, und hier geschieht es sogar geschmackvoll, Verkommenheit als eine geschmackvolle, abgehobene Kunstwelt, in der die Mechanismen und Gesetze der realen Gesellschaft weitgehend außer Kraft gesetzt sind, für gefühlsdefizitäre Kunstintellektuelle gedacht. Eine Art wollüstigen Eskapismus‘ im lauwarmen, abgstandenen Badewasser von Verkommenheit der Jugend und der Kaputtheit der Ukraine.

Black Mass

Buddelkastenfreundschaft und Familienbande, nichts hält besser, kann besser halten als jedes Gesetz und jede Vorschrift. Hier geht es um solche nach der realen Geschichte der irischen Mafia in Boston in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts.

Die Hauptfigur ist James „Whitey“ Bulgar, fast perfekt nachgespielt von Johnny Depp und sicher noch perfekter nachgestylt. Maske und das Spiel von Depp verkörpern diesen abgrundtief skrupellosen Mafiatypen, der wo immer es möglich ist, seine Finger drin hat, nur legal darf es nicht sein, das ist ein beeindruckendes, düsteres Leinwandportrait, diese Augen, die nur darüber zu wachen scheinen, keinen Nachteil zu inhalieren und im richtigen Moment mit Waffen oder auch mit roher Körpergewalt zuzuschlagen.

Er und sein Bruder sind in einfachen Verhältnissen im Bostoner Süden aufgewachsen. Sein Bruder Billy macht auf der legalen Seite der Stadt Karriere und wird Senator. Ihn stellt Benedict Cumberbatch dar – bei der Parade zum St. Patricks-Day mit einer Leichtigkeit von tänzelndem Schritt im Gang, den Johnny Depp für Jimmy nicht in die Rolle eingebaut hat (falls ich mich nicht täusche, komm im Abspann ein kurzer Auftritt des Originals, das sich genau durch deutlichere Leichtigkeit und Agilität in der Körperlichkeit unterscheidet).

Da der Bruder von Jimmy Senator ist, ist es nicht weiter verwunderlich, dass in Boston nie richtig Aktion gegen Jimmy unternommen wird. Allerdings ist auch noch der Buddelkastenfreund aus Südboston, John Connolly, Joel Edgerton, im Spiel, der zum FBI avanciert ist und dort schützend seine Hand über Jimmy hält. Sein wichtigstes Argument: Jimmy sei der entscheidende Hinweisgeber gegen die Italiener-Mafia im Norden Bostons (die Jimmy selbstverständlich ein Dorn im Auge ist).

Mit blutigen Kollateralschäden funktioniert das Game auch lange gut. Bis ein Staatsanwalt nach Boston versetzt wird, der Ernst macht mit dem Aufräumen bei der irischen Mafia. Die Resultate seines Wirkens sind im Abspann zu lesen.

Scott Cooper hat nach einem Drehbuch von Mark Mallouk und Jez Butterworth, die sich auf Dirk Lehr und Gerard O’Neill beziehen, Regie geführt. Er entwirft ein konsequent düsteres Bild von Boston, nicht nur durch Zurückhaltung beim Einsatz von Lichtquellen und viele Nachtaufnahmen – so dass die paar bunten Häuschen ganz irreal wirken im Viertel, wo die Bande aufgewachsen ist und die Mutter anfangs noch lebt (wobei Frauen kaum vorkommen in diesem Film, noch eine Nutte und die Frau von Connolly, die ersten beiden sterben, die Mutter eines natürlichen Todes, was zu einem schön gedämpften, kirchlichen Requiem führt, die Nutte eines unnatürlichen Todes und was mit der Frau von Connolly passiert, das erfahren wir nicht – wirklich ein Thema zum Inklammernsetzen).

Zu Düsterkeit tragen Regie und Maske bei. Die Regie, die die Männer ihre Texte langsam und gesetzt, direkt an der Grenze zur Bedeutsamkeit sprechen lässt, so halsig-kehlig wie möglich als Pendant zur Maske, die jedes Härchen im Griff hat und die Gesichter als verbrecherische Portraits erscheinen lässt – egal auf welcher Seite sie stehen, ob Mafia oder Cop. Elimination alles Naturalistischen aus Bewegung, Sprechduktus, Handlung, selbst Erschießungen passieren fast nur symbolisch, modellhaft (was auch einen Eindruck von Lehrbuchhaftigkeit zur Folge hat; ein eindrücklich bebildertes Mafia-Lehrbuch anahnd dieser Geschichte) hingehen ans Auto, Knarre hoch, abdrücken, in aller Ruhe abmarschieren. Den Titel erfüllend, eine schwarze Messe zelebrierend, wobei auch das schwarze Massachusettes, welches als „Mass.“ abgekürzt wird, mitschwingt.

Auch Clint Eastwoods faszinierte in Mystic River ein zwielichtiges Boston.

Ein Stück lebendig gemachte Bostoner Mafiageschichte. Oder auch: ein Protokoll in Form eines düsteren, filmischen Poesiealbums. Die poetischste Szene, die auch mit Bewegung zu tun hat, ist der Trance-Dance, der kurze, den Connolly im gut bevölkerten FBI-Büro mit Kopfhörern an den Ohren ausführt, wie das Geständnis der Italien-Mafia publik wird. Männlicher Ritualtanz nach erfolgreichem Geschäftsabschluss oder Torschuss.