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Ewige Jugend – Youth

Ob ein Künstler aufhören kann, ob ein Künstler in Ruhestand gehen kann und nur noch apathisch die Tage verbringen will, obwohl er fit ist wie ein Pferd, nicht mal die Prostata zeigt Schwächen, das ist eine der Fragen, die Paolo Sorrentino („Il Divo“, La grande Bellezza) in seinem neuesten, man darf es ruhig so nennen: Meisterwerk, welches rund und eckig zugleich ist, untersucht.

Wie in einer Monade, die das große Ganze der Künstlerwelt spiegelt, versammelt Sorrentino auf seinem Labortisch unter der Lupe einige Vertreter dieser Spezies in einem Schweizer Alpen-Kur- und Spahotel in Wiesen, Graubünden.

Weit über die Hälfte des Filmes bleibt das hermetisch, funkt die äußere Welt nur mit kuriosen Auftritten herein durch einen Emmissär von Her Britannic Majesty the Queen, die unbedingt ein Konzert von Fred Ballinger in London dirigiert haben möchte mit den „Simple Songs“, die ihn einsten berühmt gemacht haben.

Michael Caine spielt diesen Ballinger, den der Karriere gegenüber renitent und resistent gewordene Dirigenten mit stechenden Augen als Grandseigneur von Weltklasse. Aber er hat den Beruf hinter sich gelassen trotz bester medizinischer Checkresultate, er muss der Welt andauern erklären, dass er jetzt seine Tage nur noch apathisch verbringe.

Teils mit Gesprächen mit dem Filmregisseur Mick Boyle, den Harvey Keitel im Gegensatz zu Caines Ballinger eher nervös spielt. Boyle ist dabei, seinen finalen Film vorzubereiten. Er ist umgeben von einer Corona launig typisierter Nachwuchsintellektueller als Drehbuchschreibern.

Die Themen der beiden Herren gehen über frühere Liebschaften, das Erlernen des Radfahrens oder über Altherrenprobleme mit dem Wasserlösen, was zu trockenen Pointen im einstelligen Tropfenbereich führt oder plötzlich werden die beiden Alten im Wald Voyeure einer Sexszene – das ist kurios bis an die Grenze eines Altersnihilismus.

Familiär sind die beiden verbandelt. Die Tochter von Caine ist mit dem Sohn von Keitel zusammen. Die Tochter von Caine, Rachel Weisz als Lena Ballinger, ist auch die Managerin ihres Vater. Sie wird in diesem Film die Trennung von Julian verkraften müssen.

Die beiden alten Herren schließen im Dinner-Raum Wetten ab über das Verhalten anderer Gäste, ob ein Ehepaar an einem Nachbartisch überhaupt ein Wort miteinander sprechen werde. Das sind Momentaufnahmen aus dem Esssaal, die erinnern in ihren detailgenauen Beobachtungen an den Esssaal im Restaurant von Jacques Tatis „Ferien des Monsieur Hulot“ und können zum großen Puzzle zusammengesetzt werden kann.

Die Masseuse von Caine mit der Zahnspange ist so eine wunderbare Figur. Oder der Typ wie ein Sumo-Ringer, der schwer atmet, aber als Linksfüßer großartig mit einem Tennisball spielt. Es ist eine verspielte Welt, eine aufregende Welt aus lauter aufregenden Figuren, die gleichzeitig alltäglich sind, aber auch mal ein versponnener Einfall, der an Theaterinstallationen von Christoph Marthaler erinnert, Schlaglichter auf die verschiedenen Gruppen von Personal werfen oder wie Caine versonnen auf einer Kuhwiese sitzt und anfängt das Kuhkonzert zu dirigieren – und die Kuhherde reagiert tatsächlich auf sein Dirigat, hier könnte er von Carl Valentin inspiriert sein.

Ein gewisse Doppelung dieses Einfalls bietet das Konzert der Kuckucksuhren in einem völlig überladenen Souvernirshop. Jede Szene, jede Einstellung gibt einen neuen Blick auf diese merkwürdige Einrichtung in der Nähe von Davos, da kommt einem Thomas Mann der Zauberberg in den Sinn.

Es gibt Unterhaltung für die Herrschaften. Die Künstler, Sänger, eine Seifenblasenartistin und eine Alphornbläsergruppe stehen auf einer Drehbühne oder dem verehrten Publikum wird eine Hitlerparodie geboten; später wird der Darsteller darüber philosophieren ob es besser sei, Horror zu erzählen oder Sehnsucht/Lust.

Es schaut eine Miss Welt vorbei, die gar nicht so dumm ist, wie das Klischee von ihr verlangt. Mit Jane Fonda als Brenda Morel bricht wie eine Lawine eine ganz andere Geschäftsrealität in diese skurrile Alpengeruhsamkeit herein. Es kommt zu einem heftigen, höchst konventionell inszenierten Dialog und einer Abrechnung zwischen ihr und Caine, der sie in seinem letzten Film („Life’s last Day“) unbedingt drin haben möchte, schließlich hat sie ihm ihre Karriere zu verdanken.

Derweil bricht Caine aus dieser Monadenwelt aus, kann sich auf Drängen der Tochter doch zu einem Besuch bei seiner Frau in Venedig entscheiden, bringt ihr Blumen. Sie war einst seine Muse, seine Sängerin. Jetzt vegetiert sie dement vor sich hin. Das Grab der Strawinskys wird besucht, kannte der Dirigent doch den Komponisten.

So hat die Routinekulturaktivität plötzlich die Einfried-Stimmung eingholt und zerstört. So rafft der Film sich zu einem realkünstlerischen Schluss auf, der wiederum so konventionell schön ist, dass man das Kino gar nicht mehr verlassen möchte. So nah am Heute scheint mir Kino selten, am Thema Altern und Kunst und mit so viel Witz und Würde präsentiert mit einem handverlesenen und bestens eingesetzten Ensemble.

Zwischen Himmel und Eis

Dieses aufregende Stück Antarktis-Forschungsgeschichte von Luc Jacquet (Das Geheimnis der Bäume) über und mit dem visionären Glaziologen Claude Lorius hätte in Deutschland eine bessere Behandlung durch das Marketing verdient, zumindest was den deutschen Titel und das Presseheft betrifft.

Auf Französisch heißt der Titel schlicht „Der Himmel und das Eis“. Das löst nicht solche vom Thema ablenkende Fantasien aus, wie der Deutsche Titel mit „zwischen“ dazwischen, zwischen Himmel und Erde, zwischen Himmel und Hölle.

Noch stärker weist das hübsch gestaltete Presseheft weg vom Film. Mit der Medaille „Prädikat besonders wertvoll“ soll die Assoziation an einen besonders wertvollen Film, wie an einen besonders wertvollen Wein erweckt werden. Das mag noch angehen. Das Prädikat verdient der Film hundertmal. Nur ist die Frage, ob so ein Prädikat Zuschauer anlockt.

Weit schlimmer finde ich, dass der Film so angepriesen wird, wie diese modischen Naturfilme mit den grandiosen Kameras und den geistig bescheidenen Kommentaren, wobei der deutsche Sprecher noch eine Erwähnung wie ein Star bekommt. Das ist hier besonders peinlich, weil der eigentliche Star, Claude Lorius auf der Titelseite überhaupt nicht erscheint; obwohl er, wie ein paar überflüssige Reinschnipsel gegen Schluss des Filmes beweisen, oft in Talkshows gewesen ist, also nicht gänzlich unbekannt sein dürfte.

Hier also ein Max Moor als angepriesener Sprecher, der offenbar auch Moderator ist; er spricht so diskret, dass er als Voice-Over durchaus akzeptabel ist; da aber der Forscher in der Ich-Person erzählt, wäre es ein zusätzliches Plus für die deutsche Kopie geworden, wenn ein Schauspieler das gesprochen hätte, der die Rolle quasi auch studiert hätte. Denn Lorius ist mit seinen über 80 Jahren, mit denen Jacquet ihn nochmals aufs Artktiseis stellt, eine hellwache, neugierige, visionäre Person und Persönlichkeit.

Angemessen wäre ein reißerischer Titel: die irren Entdeckungen des Claude Lorius in der Antarktis. Er hat sehr jung schon, in den frühen 50ern an einer der ersten Antarktis-Expeditionen nach dem Krieg teilgenommen und ein ganzes Jahr mit zwei anderen Forschern auf einer abgelegenen Forschungsstation verbracht.

Die Antarktis hat ihn darauf hin nur noch mehr fasziniert. Im Laufe des Lebens ist er auf über 20 Expeditionen gekommen, die immer aufwändiger ausgestattet waren. Denn sein Vision hatte es in sich, hat überall auf der Welt aufhorchen lassen und ihm internationale Zusammenarbeit ermöglicht. Er war sich sicher und hat das bewiesen, dass im ewigen Eis, je tiefer er bohrt, anhand der Luftbläschen die klimatischen Bedingungen über die Jahrtausende abzulesen sind und damit die Zyklen von Eiszeit und Eisschmelze und hochaktuell immer noch für uns, für jeden Verbraucher, den Einfluss des CO2-Ausstoßes der Menschen auf diesen Zyklus, dass dieser ihn ernorm beschleunigt. Das ist heute Allgemeinwissen. Ein bisschen erfüllt ihn das mit Stolz, dass die Geschichte ihm inzwischen recht gegeben hat.

Diesen wissenschaftlich trockenen Stoff bereitet Jacquot nun überhaupt nicht lehrhaft auf. Er hatte Zugang zu Archivfilmen verschiedener Expeditionen, oft in Super-8. Das sind cineastische Fundstücken der Extraklasse.

Wenn eines von zwei Frachtflugzeugen, die in der Antarktiks verfügbar sind beim Start abstürzt, so stürzt das Lorius in eine große Krise, er befürchtet, die Amis würden keine weitere Expedition finanzieren. Aber für die ist so ein Flugzeug gar nichts im Gegensatz zum Wert seiner Forschungen.

Wie diese uralten Eisbohrkerne gefördert werden, wie sie verpackt werden, aber auch wie die Forscher bei eisigsten Temperaturen Transportfahrzeuge reparieren, wie sie die Ölfässer außen anzünden müssen, um den Sprit in die Tanks zu gießen, wie ein Mast mit Forschungsgeräten einknickt und mühsamst, verflucht seien die Konstrukeure, Schraube für Schraube wieder zusammengesetzt werden muss. In diesen Momenten wird dieser Film noch zusätzlich zum spannenden Abenteuerfilm genaus so wie beim lebensgefährlichen Weg über Gletscherspalten. Erfindung des Isotopenthermostates. Oder gar die Hölle auf Erden, die russische Station, in der es nach Kerosin und Wodka riecht.

The Gift

Zu Risiken und Nebenwirkung der Ehe konsultiere man diesen Film von Joel Edgerton, der nicht nur das Buch und die Regie übernommen hat, sondern auch noch den Ehegefährder Gordo spielt, gerne auch genannt „Weirdo“, kein Schmeichelwort, der die vergifteten Geschenke (Gifts) in diese Ehe bringt.

Rebecca Hall als Robin hat offenbar nicht genau hingeschaut, wer ihr Lover, ihr Bräutigam und dann ihr Ehemann geworden ist, wer Simon, Jason Bateman, wirklich ist, was er in seiner Vergangenheit – womöglich auch in seinem Charakter – für Hypotheken verborgen hat.

Der Film könnte gesehen werden als eine Illustration zum Weisheitssatz: Drum prüfe, wer sich ewig bindet.

Als Bühne für dieses Moral- und Konversationsstück wählt Edgerton einen stylishen und karg eleganten Flachbau mit breiter Fensterfront, eine Villa über L.A.. Den Locus Dramae zeigt er uns zuerst und leer. Man kann sie schon ahnen, die Geister die hier wirken werden.

Dann sind Stimmen zuhören. Es treten auf eine Maklerin mit dem Ehepaar Simon und Robin. Sie sind gerade dabei von Chicago nach Kalifornien zu ziehen, ein Karrieresprung für Simon. Aus den Umzugskartons ist die Info zu erhalten, dass es mit dem Kinderwunsch noch nicht geklappt hat, dass aber schon Vorbereitungen getroffen worden sind. Dieser wird, das ist die positive Nachricht, im Laufe des Filmes in Erfüllung gehen. Das zu bebildern wird ein kalifornisches Baby vor die Kamera gezerrt, was mir jedesmal in der Seele weht tut.

Unser Konversationsstück gibt Hinweise auf Talente von Robin, die sie aber nicht richtig nutzen kann, wirft einen Blick zu Nachbarn und in die Firma von Simon. Bei ersten Einkäufen in der City tritt der Vergifter auf den Plan. Er kennt Simon aus Schulzeiten. Dieser scheint sich nicht so richtig zu erinnern. Aber wer neu ist an einem Ort, ist froh, alte Bekannte zu treffen und einladen zu können.

So ganz geheuer ist Gordo, an den sich Simon allmählich zu erinnern scheint, nicht, auch dem Zuschauer nicht, denn gerade offen ist sein Blick nicht zu nennen; er bombardiert die Familie richtiggehend mit Geschenken, er lädt das Ehepaar in ein superreiches Anwesen ein, aber erklären kann er sein Geschäft nicht. Bald ist es um den Hund von Simon und Robin geschehen.

Gordos Anwesenheit wird die Ehe von Robin und Simon in ihren Grundfesten erschüttern. Solche Erschütterungen schlagen sich in der Psyche nieder, können zu Angstträumen und Hysterie führen, zu Eklats. Immer offensichtlicher wird, dass Robin, die glasklar wie über den Dingen agierende Rebecca Hall, nicht so richtig hingeschaut hat bei ihrem Ja-Wort und dass sich das nun massiv rächt. Die Musik fühlt intensiv mit, spürt den Ängsten und Drohungen skrupellos nach, nimmt den Zuschauer mit auf diese horrible Ehe-Gefängnisbesichtigung als einem höchst gepflegten Kammerspiel – einer Ehehorrordelikatesse.

Gleich zwei weitere Horrorfilme, die in feinen Villen um L.A. spielen, stehen in der Kinostartschlange: Knock Knock und The perfect Guy.

Love

Gaspard Noé beleuchtet zu lässigem Musikgroove zweieinviertel Stunden lang in leider wenig ersprießlichem 3D aber voller Neugier und unter dem Motto der Tabulosigkeit bildschön die Essenzen von Liebespraxis und Liebesphilosophie.

Dass die Erzählung, die eine Aneinanderreihung von still und leise und schnell aneinander geschnittenen Momentaufnahmen, auch in dieser Weise aufgelöster Szenen, besteht, kreisförmig ist, dürfte dem Aspekt der Reproduktion in der Betrachtung der Liebe geschuldet sein, ergibt sich naturgemäß.

Noé möchte zeigen, dass Liebe etwas Natürliches, Menschliches ist, was selbstverständlich zum Leben gehört, was eine Qualität und einen Gehalt von Leben ausmacht. Anders ausgedrückt: mit diesem Film gibt Noé zu verstehen, dass er nicht versteht, wieso Liebe und Sex im bürgerlichen Alltag immer noch in vielen Bereichen tabuisiert sind.

Der Protagonist Murphy, Karl Glusman, ist Leben und Liebe zugleich und hat auch kein Problem, sich mit Electra, Aomi Muyock, und mit Omi, Klara Kristin, gleichzeitig zu vergnügen – die Frauen ebensowenig.

Die Liebesakte selber sind achtbare Pornographie mit allem Drum und Dran, aber auch mit einer Ebene drum herum, mit Gesprächen oder auch heftigen Krächen bis zu Eifersuchtsszenen sowie voice-over gesprochenem, innerem Monolog von Murphy, den Noé an einer Stelle scherzhaft mit Murphys Gesetz in Verbindung bringt, dass bei ihm alles schief geht, was schief gehen kann; insofern hat er Reflektionsstoff genug und der bekommt mit jedem Erlebnis, mit jeder Erektion neue Nahrung.

Murphy scheint ein Gefangener seiner unersättlichen Liebessehnsucht zu sein, möchte einerseits nichts auslassen, andererseits Beziehungssicherheit bis zum Ende. Einmal stellt er immerhin fest, dass ein Schwanz kein Gehirn habe und darunter scheint Murphy zu leiden.

Er ist ein sentimentaler Amerikaner in Paris, der hier das Filmemachen lernen will. Das gibt Anlass für eine kleine Szene mit Omi und Kamera im Bett, die Variante „privates Sexmovie“.

Zwischen den Sexakten stellt Noé Murphy mit Handy in einen Türrahmen, fotografiert ihn von vorn und von hinten, statisch, wie er seinen Frauen nachtelefoniert, wie ein begossener Pudel allein zum Bett geht und sich unglücklich fühlt. Seine Bewegungen sind dann erotisch ruhig so wie seine Stimme – als könne er kein Wässerschen trüben, als sei er der Diener seines Schwanzes und dass er möglicherweise ein eitler Gockel ist, kommt in diesen Momenten schon gar nicht in Betracht. Das fällt erst auf, wie er mit einem Zwitter konfrontiert wird, der/die ihn anmacht. Da sind Murphy und seine scheinbare sexuelle Toleranz richtiggehend überfordert.

Den wichtigsten künstlerischen Vergleichshinweis liefert Noé mit dem Plakat von Salo, das in Murphys Zimmer hängt und einmal ist er ganz entsetzt, dass einer Frau 2001 von Kubrick kein Begriff ist. Und dann noch „Birth of a Nation“. Es gibt eine Drogensequenz, Disco, Swingerclub, wo auch das Zuschauen zelebriert wird, Vernissage, Polizeistation und ein Polizist, der ein Referat über die Franzosen und die Liebe hält.

Themen im Film sind: Liebe, Toleranz, Ekstase, Rausch der Liebe, Unersättlichkeit, Sex und Sentimentalität, Sehnsucht nach Allverschmelzung, Geheimnisse machen einen Menschen stärker, Leben und Tod (Friedhofspaziergang), die Leere, Lieben und Haben (à la Erich Fromm Haben und Sein), Liebe mache die Menschen helle, Liebe als Schutzraum, Liebesschwüre, Angst um Liebesverlust, Angst vor dem Verlassenwerden, vor der Einsamkeit.

Für Noé gilt: was ihn bewegt, das will er bebildern.

Highway to Hellas

Es geht um Einsamkeit. Im doppelten Sinne. Die Einsamkeit des Christoph Maria Herbst in seiner Rolle als Jörg Geißner und um die Einsamkeit dieses Jörg Geißner im Leben und in Griechenland.

Aus seinem Privatleben erfahren wir nur, dass er eine ganz böse Knallcharge von Chefin hat. Die so tot wie Leichinger heißt und ihn übers Handy anbellt, antreibt, anschimpft. Er solle vorwärts machen mit seiner Inspektion der griechischen Insel, auf der die Investoren loslegen wollen.

Er soll glaubwürdig machen, dass die keine Krankenstation und kein Elektrizitätswerk haben und berichten, wie der Strand sei. Einsam ist Herbst in seiner Rolle, weil er offenbar versucht, von früheren eigenen Erfolgen billig zu übernehmen, einsam in der eigenen Masche gefangen. So wirken die Auftritte immer wie auf lustig gemacht. Dabei bleibt auch der Zuschauer einsam.

Die Geschichte von Arnd Schimkat und Moses Wolff, die mit dem Regisseur Aron Lehman (der mit Kohlhaas oder die Verhältnismässigkeit der Mittel vorübergehend Hoffnungen geweckt hat) auch das Drehbuch verfasst haben, könnte, so viel ist abzulesen, zumindest den Schadenfreudenfaktor abzudecken versuchen, wenn Menschen versuchen, andere Menschen zu übertölpeln – dämlicher und leichter ist es mit Einsamen, die in ihrer Sehnsucht nach Menschentum geneppt werden.

Das verstehen die Griechen. Die Inselgriechen vielleicht noch besser. Besonders, wenn es darum geht, Geldströme aus Subventionen locker zu machen. So sinnen denn der Bürgermeister und seine Kumpane auf Listen, dem Kommissar, wie sie ihn nennen, eine Welt vorzumachen, die es so gar nicht gibt, damit die Bank sich nicht durchsetzen kann, denn die Einheimischen wollen aus ihrer Insel ein Galapagos machen, die Finanzhaie einen Ballermann.

Das Krankenhaus scheint tatsächlich zu existieren, und da dieser Befund witzlos ist, versuchen die Filmemacher mit dem Chefarzt und Chirurgos eine Nummer zu produzieren, dass er besoffen auf dem OP-Bett liegt und aufschreckt, wenn der Kontrolleur kommt.

Mit dem Elektrizitätswerk wird’s schwieriger, denn die Insel wird über ein Seekabel mit Strom versorgt. Wobei nicht ersichtlich ist, warum die Investoren auf einem eigenen Elektrizitätswerk beharren, wenn doch die Stromversorgung gesichert ist.

So bauen der Bürgermeister und seine Kumpel einen alten Schuppen zur Fassade eines Elektrizitätswerkes um, prototypisches Beispiel für ein potemkinsches Dorf und bei der Besichtigung durch den volltrunkenen Geißner gibt es einen originellen Moment im Film, wenn gezeigt wird, wie die kreativen Griechen im Inneren des Schuppens den Sound eines arbeitenden Elektrizitätswerkes herstellen.

Leider, wir sind im Ödland der deutschen Komödie, und diese Klangaktion bleibt weit und breit der einzige erheiternde Moment in dieser faktischen Tragödie um Einsamkeit. Und das ist nicht lustig, wenn Einsame manipuliert werden. Um diesem traurigen Eindruck entgegenzuwirken, haben sich die Filmemacher ein Ende einfallen lassen, bei dem alle, auch der einsame Herbst, sich von der Mole ins Meer stürzen und juhuen. Wobei Panos, Adam Bousdoukos, als Deutsch-Grieche noch am ehesten Natürlichkeit in den Laden bringt, die urwüchsige, die wir von den Inselgriechen erwarten – im Film und im Klischee zumindest.

Hasret – Sehnsucht

Von Ben Hopkins, der mit Ceyland Ünal Hopkins auch das Drehbuch zu diesem Film geschrieben hat, gab es schon Welcome to Karastan, ein individueller Film.

Jetzt hat Hopkins eine Istanbul-Hommage versucht. Individuell auch diese. Dabei legt er im Film selber den ständigen Clinch, in dem er steht, offen, mosert darüber und hackt die unangenehme Seite entsprechend lieblos ab: nämlich die Forderung der Fernsehredaktionen, ZDF und arte, die ihm viel zu wenig Geld gegeben hätten, zu erfüllen. Die wollen, jetzt kommt es an den Tag: Info, Info, wie alt die Stadt sei etc. und viele Zeitrafferaufnahmen, die einen beängstigenden Eindruck vom Moloch Stadt machen sollen, das möchte die Fernsehredaktion, für die wir unsere Zwangsgebühren vom bescheidenen Budget abknapsen müssen. So weit, so einfach, man denkt, man guckt in Redakteurs Hirn wie der Zahnarzt in einen faulen Zahn.

Hopkins ist aber auch liebend gern ein Ego-Darstller, das war er schon im vorherigen Film. Aber Istanbul hat ihn deutlich fertiger gemacht als Karastan. Denn die Folge des wenigen Fernsehgeldes war, so stellt er es im Film mindestens dar, dass er und sein Team als blinde Passagiere in einem Frachtcontainer sich nach Istanbul verschiffen lassen müssen.

Dann gibt es einen netten, schwarz arbeitenden Hoteldiener. Hopkins trifft mit seinem Team auf syrische Alawiten (ist das nicht die Schicht um den syrischen Assad?), die auf dem Schwarzmarkt die Preise kaputt machen.

Istanbul verwirrt den Filmemacher, und die Forderung der Fernsehredaktion noch mehr. So dass nicht recht klar wird, was ihn überhaupt interessiert an dieser Stadt und weshalb er sie so liebt. Ein Türke scheint er jedoch nicht zu sein.

So entscheidet er sich für ein recht beliebiges Istanbul-Potpourri, non-touristisch, das schon, aber immer wieder der Fernsehanspruch, auch Bilder von der schönen Prinzeninsel zu schießen. Das erinnert an die Karastan-Situation (hier die Wünsche des Diktators, dessen Position im jetzigen Film die Fernsehredaktion einnimmt). Das Team von Hopkins ist auf dieser schönen Prinzeninsel fix und fertig, fragt sich, was sie da sollen. Denn zu sehen, und das nur von außen und hinter Mauern, gibt es lediglich ein leerstehendes Waisenhaus. Aber die Fernsehredaktion wollte es und bekommt Ratlosigkeit statt Spannung oder Erbauung geliefert, um den Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ad absurdum zu führen.

Es gibt eine Reihe von Bildern verschiedener Religionsgemeinschaften, einen kurzen Einblick in eine Tanzprobe von Kindern, viele nächtliche Schwarzweiß-Aufnahmen von leeren Gassen, gerne auch am Rande des Fotoexperimentes, Hinweise auf die rasende Gentrifizierung, die rücksichtlose Bauerei, der ganze Quartiere weichen müssen, eine Sufismus-Seance von Derwischen, Kaffees kommen vor und auch Friedhöfe genau so wie ein Tänzchen türkischen Tangos – kunterbunt durcheinander, was ihm vor die Kamera läuft – da wird sich mancher Zuschauer sagen, der nie ein Pauschaltourist sein will, das könne er auch und den Reisezuschuss von ZDF und arte würde er klaglos mitnehmen und dafür die verlangten Zeitrafferaufnahmen ohne Gewissensbisse liefern.

Als kleiner Storyansatz dient die Begegnung mit einem Exzentriker, der erzählt, Istanbul sei früher ein Katzenstaat gewesen und der sonderbare Telefonnummern von Toten weitergibt, es gibt eine geheimnisvolle Frau, die plötzlich auf Bildern auftaucht; alles recht konfus zusammengeschnitten.

Irgendwann reicht es dem Team von Hopkins. Sie wollen zurück nach Deutschland. Er lässt sie einen Container am Hafen besteigen und da erst 60 Filmminuten vorbei sind, bleibt Hopkins allein in Istanbul, beschäftigt sich mit den Geistern der Stadt, wenig ergiebig für den Zuschauer. Ein trauriges Beispiel für den verheerenden Einfluss des Fernsehens auf das Kino. Hopkins‘ Sehnsucht dürfte die nach einem nicht bevormundeten Kino sein.

Stonewall

Mit der dialektischen Klarheit des erfolgreichen Action-Regisseurs zeichnet Roland Emmerich anhand des Coming Outs seines brillanten Protagonisten Jeremy Irvine als Danny Winters aus Kansas und nach dem Drehbuch von Jon Robin Baitz die Monate vor den Stonewallkrawallen in der Christopher Street in New York nach, an die inzwischen jährlich weltweit Hunderte von Gay Pride Umzügen erinnern als Meilensteine der öffentlichen Anerkennung und auf dem Wege zur gesetzlichen Gleichstellung von Homosexualität und Transgender.

Rückblenden erzählen die Vorgeschichte von Danny Winters. Er wächst in einem Kaff in Kansas auf. 1969 beendet er das College. Sein Vater ist Coach an seiner Schule, trainiert die jungen Männer auf sportlich und männliches Selbstbewusstsein, das jegliche Art von Gefühlen für das eigene Geschlecht nicht nur ablehnt, sondern als krank und irre verteufelt. Grauenhafte Diskriminierung von Geschlechterrollenabweichung.

Danny ist verliebt in seinen Buddelkastenfreund Joe, Karl Glusman, der in „Love“ von Gaspard Noé demnächst eindrucksvoll zu sehen sein wird. Danny verzehrt sich vor Sehnsucht und Joe lässt sich bereitwillig auf eine Liebesszene im Auto ein. Sie werden überrascht und Joe denunziert Danny beim eigenen Vater. Der wirft seinen Sohn umgehend aus dem Haus. Danny reist ab nach New York, um an der Columbia University zu studieren.

Zielbewusst landet der neugierige Provinzler in der Christopher Street, wird von Ray/Ramona, Jonny Beauchamp, angemacht und wird dadurch Kontakt von dessen Clique von Strichern und Transen angemacht, kann bei denen unterkommen, lernt das Milieu kennen von der Lust- als auch von der Schmerzseite, denn Razzien und Prügel durch Polizisten sind hier trauriger Alltag nebst Disco-Highlife und Massenlager in billiger Pension zum Übernachten. Der Film schildert diese Atmosphäre aus Menschlichkeit, Lust, Laster, Gewalt und Schwulenverbot ausgiebig, denn es baut sich in diesem explosiven Gemisch das auf, was zur Eskalation vom 28. 6. 69 führt, die als ein Meilenstein in die Geschichte der Gay Rights Bewegung eingehen wird und die der Film als seinen Fixpunkt gewählt hat.

Danny gerät an Trevor, Jonathan Rhy Meyers. Dieser ist elektrisiert von dem jungen, frischen Mann aus der Provinz und führt ihn an eine politische Gruppierung heran, die für die Rechte der Schwulen kämpft. Allerdings ist der ländlich-unverbildete Danny leicht geschockt, zu sehen, welch braver Buchhaltertyp in dem Saal vor der kleinen Gruppe spricht und wie ordentlich der sich für die Gay Rights einsetzt in Hemd, Schlips und Anzug. Auf der anderen Seite erlebt Danny all die Brutalitäten durch die Polizei, Razzien, aber auch die Lügenhaftigkeit und Untreue von Trevor. Vom Clubchef wird Danny mit Gewalt an eine alte reiche Tunte verschachert, dort geht zum Glück ein Feueralarm los. Alles Erlebnisse in diesem bunten Stonewall, die sich zu ziemlich viel Wut aufstauen. Vom Drehbuch her wird sie auf den Protagonisten gebündelt und fokussiert. So dass er es ist, der nach einer weiteren Razzia im Club von draußen den ersten Stein wirft und somit eine mächtige emmerichsche Action-Sequenz in Gang setzt.

Jeremy Irvine (Die Frau in Schwarz 2: Engel des Todes) nutzt die Chance der Glanzrolle, die ihm Jon Robin Baitz geschrieben hat, vergleichbar vielleicht mit derjenigen des Terry Malloy eines Marlon Brando in „die Faust im Nacken“: ein makellos strahlender Held, der die paar Blessuren, die ihm das Schicksal verabreicht, spielend wegsteckt. Irvine spielt auf der Klaviatur der Gefühlslagen von Neugier, Wut, Demütigung, Glück, Lust, Schmerz und auch die Wandlung vom Grünschnabel vom Lande zum selbstsicheren, geouteten jungen Studenten von der Columbia-University facettenreich und mit faszinierender Leinwandpräsenz – in den entsprechenden Momenten mit jenem Seidenglanz in den Augen, der oft das gewisse Etwas von Stars ausmacht.

Familienbande – You’re Ugly Too

Ein Kabinettsstückchen an hypothetischem Fall einer Resozialisierung mit gallig britisch-belgischem Humor, ein packendes, kleines Soziodram, das mehr in der Art eines konstruierten Exemplums denn eines Reality-TVs rund um das Thema Resozialisierung noch die Themen Gewalt von Männern in der Familie, Drogenabhängigkeit und Coming-of-Age verbunden mit häufiger Bewusstlosigkeit griffig konkret werden lässt. Der Versuch einer Neu- und Ersatzkonstruktion von Familie auf hauchdünnem Eis.

Will, Aiden Gillen, wird vorzeitig auf Bewährung freigelassen aus dem Knast, damit er sich um seine aufgeweckte Nichte kümmern kann, da deren Mutter, die Schwester von Will, gestorben ist. Den Vater gibt es schon lange nicht mehr.

Dramaturgisch ist das ein Gebäude von hoher Brüchigkeit, diese wird noch erhöht durch das Defizit von Nichte Stacey, die unter Nekrolepsie leidet, das sind Bewusstseinsverluste mitten am Tag. Das macht es zudem schwer, an der Schule aufgenommen zu werden.

Von Ersatzvater Onkel Will kann nicht behauptet werden, er sei schon clean, dazu dürfte der Knast nicht der richtige Ort gewesen sein. Da sind Amphetamine wie Methylphenidat, das der Arzt Stacey verschreibt, eine merkliche Verführung und eine weitere Gefahr, in die sich Will begibt.

Der Film spielt in Irland. Will und Stacey richten sich in einer kleinen Campersiedlung in einem Wohntrailer notdürftig ein, entwickeln schnell ein gegenseitig besorgtes Verhältnis ganz ohne Kitsch vielmehr mit einigen direkten Bemerkungen, die andere durchaus als verletzend empfinden könnten.

Will ruft täglich zur verordneten Stunde bei seinem Bewährungshelfer an, auch so eine riskante Stolperschwelle; man hofft inständig, dass die Telefonzelle nicht defekt sei, wenn er mitten in einer familiären Szene ankündigt, er müsse kurz weg.

Mit der Jobsuche tut er sich nicht leicht mit seiner direkten Offenheit, mit seiner Ehrlichkeit seine Lebenssituation betreffend. Wer will schon Ex-Knastis engagieren.

Diesen Befund findet nur der kleine Bub von Emilie, Erika Sainte, geil, die den belgischen Input zu diesem Film beiträgt. Sie ist eine Lehrerin und kann beim Schulproblem nützlich sein. Sie taucht eines Abends unverhofft am Wohnwagen von Will und Stacey auf. Sie rennt vor ihrem gewalttätigen und mit Kumpeln sich betrinkenden Mann Tibor, George Piestereanu, davon, sucht Zuflucht im fast schon anheimelnd zu nennenden Trailer.

Tibor ist ein sympathischer, bäriger Kerl, attraktiv als Mann, als LKW-Fahrer kann er Will sogar einen Job besorgen. Allerdings gerät Emilie zusehends ins Magnetfeld beider Männer, die das gelassen sehen, sie aber als Ventil den Witz von der Kuh und den beiden Heuballen erzählen lassen.

Wobei Will geneigt ist, Familienträume zu spinnen, die er über jedes Gesetz stellen würde. Halt und Perspektive könnte ihm das geben, wenn nicht das Gesetz noch da wäre. Resozialsierung ist ein harter Kampf, fast wie der der Europäer mit Griechenland, ein ewiges Dilemma zwischen Disziplin und Austerity einerseits und zwischen Leben und Glück andererseits, zwischen leben und leben lassen. Der Originaltitel des Filmes „You’re Ugly Too“, Du bist außerdem hässlich, das ist die bitterböse Pointe eines rabenschwarzen Arztwitzes, den der Film bis kurz vor Schluss aufbewahrt.

Mia Madre

Das Geheimnis dieses Filmes kann ich nicht ausplaudern, da es nicht leicht zu entschlüsseln ist. Warum kann einen der Bericht oder die Konstruktion einer doch, hm, banalen Realität dermaßen faszinieren, das Leben einer Filmregisseurin, die einen Film nah am Leben machen will, die ihre Schauspieler immerzu und gnadenlos pusht, sich einerseits als Schauspieler einzubringen und andererseits nah an den Figuren zu sein?

Der Film, den sie dreht, ist ein sozial engagierter Film, in dem es um eine Heuschrecke geht, die eine Firma aufkaufen möchte und als erstes Arbeiter entlassen wird zum Behufe der Gewinnmaximierung und Verbesserung der Rentabilität.

Das Privatleben von Margeritha, großartig verkörpert von Margeritha Buy, auch hier treibt Nanni Moretti, der mit Valia Santella + 3 auch das geschickte Drehbuch geschrieben hat, sein Spiel mit der Kunst und dem Leben, indem er den Vornamen der Darstellerin auch als Rollennamen benutzt, Nähe zur Realität und doch Differenz dazu, das scheint ein Mittel zu sein, deutlich sichtbar an der Rolle des Stars im Film, des internationalen Stars Barry Huggins, gespielt von eben einem internationalen Filmstar, John Turturro, der im Gegensatz zur Realität immer einen Tick zu dick Kunst draufsetzt, somit als Vertreter der Commedia fungiert, er ist am Set ein Zusatzproblem für die Regisseurin, die ihn, auch kleine Differenz zur Realität, persönlich in einem Kleinwagen abholt vom Flughafen und zum Hotel fährt, während er, vollkommen übernächtigt sie direkt anmacht im Glauben, sie sei die Fahrerin. Das größere private Problem für die Regisseurin ist die Titelfigur des Filmes, auch da muss man nachdenken, wieso dem so ist, ganz großartig Giulia Lazzarini als Mutter Ada, die bereits todkrank ist und im Spital liegt, die auf die Intensivstation verlegt wird, eine ehemalige, beliebte Professorin, die ihrer Enkelin Livia versucht Latein beizubringen.

Livia lebt bei ihrem Vater Vittorio, während Margeritha mit Giovanni, Nanni Moretti (auch hier wieder Realität und Abbild: Giovanni, Kurzform Nanni) zusammen ist, einem Ingenieur, der gerade dabei ist, seinen Job zu verlieren.

Das mag das Geheimnis sein in diesem Meisterwerk, Meisterwerk allein schon deswegen, weil es einen reinzieht in diese heutigen und doch recht alltäglichen Familien- und Arbeitsverhältnisse, auch wenn Film mit der Pinzette herausgepickte Sonderrealität ist.

Die Absicht, die im Film formuliert wird, dass Film ein Abbild der Realität zu bieten habe, die versucht der Film selber und erfüllt sie grandios, sie verschwimmen ineinander, die hier entwickelte und vorgeführte fiktionale Realität ergibt eine glaubwürdige Realität in der noch dazu verschiedene Realiäten oder Bewusstseinsebenen dauernd ineinander fließen, schöne Momente dafür sind kleine Absenzen, die Margherita bei einer Pressekonferenz hat oder zwischen dem Befehl “Action“ und dessen Überlappung mit einer kurzen, vorherigen Besprechung mit dem Protagonisten.

Der ist schwierig, schlecht vorbereitet, eitel, Turturro hebt das mit Laune hervor und platzt mit seinem übertriebenen italienischen Akzent wie ein Elefant in den Porzellanladen der präzise beobachteten und sortierten Gefühle an so einem Filmset.

Auch das ist eine Stärke dieses Filmes, dass man schnell Sympathie gewinnt sowohl für die Filmmannschaft als auch für die Familie von Margherita. Dass man gespannt und neugierig auf die Realität ist, die Nanni Moretto mit leichter Meisterhand und immer mit der kleinen Differenz zur „realen“ Realität auf die Leinwand zaubert.

Beispielhaft an Autofahrszenen im Film, wenn das Auto auf einem filmspeziellen Tieflader gefahren wird und vollgestopft und umringt ist von Licht- und Tontechnik und der Crew, die wie die Hühner auf einer Bank am Zugfahrzeug arrangiert sind und der Darsteller soll so tun, als habe er eine Straße vor sich.

Und das kleine Echo auf die Schwierigkeiten des Fahrens selber, wie Livia ihren ersten Roller bekommt und ausprobiert. Gebannt schaut man zu, wie hier Leben lebt und vorbeigeht.

Weitere Details: die Komparsen, die unecht aussehen. Die Privattelefone, die die Regisseurin am Set mit den Handy führt. „Do not touch my hair“, das Mimotische des Protagonisten, des Stars, das Geschimpfe über die Dialoge „di merdo“. „Take me back to reality“; man spürt förmlich, wie sowohl das Leben als auch die Kunst auf Sand gebaut sind.

Die von Moretti konstruierte Realität wirkt wie ein glaubwürdiges Abbild der „realen“ Realität – mit den kleinen Differnzen, damit keiner glaubt, es sei „die“ Realität an und für sich. Hier fließen Kunst und Leben fugenlos ineinander. Differenz zur Realität: manchmal läuft die Regisseurin am Set eher wie eine Aufnahmeleiterin herum. Kino soll die Alltagsrealität reflektieren. Ist so unsere Zeit? Gut möglich – so sicher auch – so kann sie durchaus sein.

Herr von Bohlen privat

Dieses filmische Portrait von André Schäfer über den Krupp-Erben und Liebling der Gesellschaft in den 60ern, den reichen Lebemann und Milliardär Baron Arndt von Bohlen und Halbach, setzt sich zusammen aus einer kleinen Castingszene für den Darsteller des Barons, in der der Zuschauer erfährt, dass die Texte des Reenactments aus Originalzitaten des Krupp-Erben bestehen, was sich als ein Qualitätsmerkmal des Filmes erweisen wird, dazu mischt der Filmemacher Archivfootage, Fotos, Filme, Klatschberichte, Sternreportagen und er interviewt Zeitzeugen wie den Klatschreporter Michael Graeter, die Betreiber des Restaurants Grüne Gans in München, den Maler Mathias Waske oder einen ehemaligen kaufmännischen Angestellten des Krupp-Konzerns, Holger Lippert.

Für die Nachspielszenen wählt Schäfer Originallocations aus Marokko, Sylt, München, Österreich; nur in der Villa Hügel in Essen, dem früheren Familiensitz, in dem zuletzt Berthold Beitz gewohnt hat, da war das Drehteam nicht willkommen; aber man kann auch am Zaun drehen, einen herrschaftlichen Mercedes davor parken und auf das Anwesen und seinen großzügigen Umschwung schauen.

In Arnd Klawitter hat Schäfer einen hervorragenden Protagonisten gefunden, den schon die Maske äußerlich nach einem Waske-Gemälde perfekt doubelt. Klawitter beschränkt sich in seiner knapp sprechenden Darstellung jedoch auf den schwulen Habitus – ihm wurde noch ein großäugig erotolechzend schauender Lover zur Seite gestellt, Arne Gottschling.

Wobei es immer riskant ist, in dieser Art von Biopic Originalaufnahmen reinzusetzen. Man sieht Aufnahmen von Arndts Hochzeit, von Parties, von Auftritten mit dem Familienclan. Da fällt, je länger der Film dauert und wie geschildert wird, dass auch seine Schönheit leidet, die Differenz zwischen Original und Nachspiel stärker auf. Auch fehlt bei diesem Nachspiel dieses merkwürdige, weltabgehobene Lächeln einer Figur, die in einem Sonderuniversum aufgewachsen ist, als ob das Leben nur aus Ironie bestehe, als könne es gar nicht richtig ernst genommen werden.

Wer sichs merken kann, erfährt einiges an Zahlenmaterial und über die Besitztümer der Krupps. Aber auch, dass Beitz den geschäftlich als nicht begabt angesehenen Nachfolger schlau wie ein Fuchs enterbt hat, so dass dem feinen Kerl nur noch zwei Millionen Mark pro Jahr geblieben sind; wodurch er sich schnell verschuldete, denn Besitzungen und Personal schlucken diese wie ein trockener Schwamm das Wasser.

Der Film ist allerdings mehr als nur das Portrait eines reichen Snobs, mehr als nur Gay-Anekdote. Er wirft einen grellen Blick auf ein Stück Geschichte der Bundesrepublik, auf die Verwicklung der Großindustrie mit der Politik, egal, ob Kaiser, Führer oder Bundeskanzler.

Es kommt eine Szene aus den Nürnberger Prozessen vor, in dem kurz Benjmin Ferencz zu sehen ist, über den gerade das eindrückliche filmische Biopic A Man Can Make a Difference in die Kinos gekommen ist, denn der Vater von Arndt gehörte nach Ferencz‘ Kriterien zu jenen Top Nazi-Verbrechern, aus denen er 24 für die Nürnberger Prozesse ausgewählt und zur Verurteilung gebracht hat.

Ein Leben auf den Schaumkrönchen der Gesellschaft des Wirtschaftswunders eines Menschen, der erkannte hat, dass er nicht zum Arbeiten geboren ist, der gegen Mittag erst aufsteht, dann einige Martinis braucht, bis das Leben los geht. Wobei nebenbei zu erfahren ist, dass so großzügig er gelebt hat, immer enorm viel Personal auch, besonders in dem riesigen österreichischen Schloss, er ebenso großzügig (und über seine Verhältnisse hinaus) gespendet hat an eine Kinderorganisation in Thailand, an Mönche.

Knallig der imposante, extravagante der Mutter mit germanisch-heldischem Kopfputz bei des Sohnes Hochzeit, die wie eine Farce wirkt.

Ein Mensch, zur Privatheit verdonnert.