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Carol

Der Film spielt zur Zeit des Amtsantrittes von Präsident Eisenhower in den USA, eine Zeit aufblühenden Wohlstandes, Limousinen mit erotisch gewölbten Chassis und aufkommender Strenge im Hinblick auf sittliches Verhalten (hier kommt dieses als „morality cause“, als „Verhaltensmuster“ vor), Kalter Krieg und McCarthy-Ära.

Todd Haynes verfilmt nach einem Drehbuch von Phyllis Nagy einen Roman von Patricia Highsmith: die Geschichte einer lesbischen Liebe zwischen einer feinen Dame und einer einfachen, jungen Immigrantin aus Irland, die als Verkäuferin in der Spielwarenabteilung eines exklusiven Warenhauses arbeitet.

Die Dame kauft für ihr eigenes Kind, ein Mädchen, ungeplant eine Spielzeugeisenbahn und lässt die Handschuhe auf dem Tresen liegen. Therese Belivet, so heißt die Verkäuferin und wird gespielt von Rooney Mara, schickt die Handschuhe der Dame mit dem Spielzeug nach. Diese, als unnahbar attraktiver Hollywoodstar gespielt von Cate Blanchett, die Titelfigur Carol, revanchiert sich mit einer Einladung.

Bei Carol zuhause steht es nicht zum Besten. Sie lebt in Scheidung von ihrem Mann. Ihr Mann versteht das nicht und will das Kind. Carol hatte auch ein Verhältnis mit ihrer Budelkastenfreundin Abby, Sarah Paulson. Auch das hat sie beendet.

So begeben sich Carol und Belivet in einer anturnenden Limousine auf ein Roadmovie nach Chicaco. Aber hütet euch vor aufdringlichen Kurzwarenhändlern, die merkwürdig wenig Kurzwaren dabei haben. Ausgerechnet in einer Ortschaft namens Waterloo kommt es zum Höhe- und kurz darauf zum Tiefpunkt der Geschichte.

Todd Haynes stellt seine Szenen aus. Er lässt sie staatstheaterlich spielen, schafft dadurch einerseits die nötige Distanz, aber auch die entsprechende Genauigkeit, jede Geste ist inszeniert und gesetzt, das ist vor allem ein Festspiel für Cate Blanchett, von der man die Augen nicht lassen kann; das gilt auch für ihre Partnerin Rooney Mara als Therese, Carols alter Ego in Jung.

Es gibt eine kleine Szene als Hommage ans Kino in einem Vorführraum und auch die Fotografie erhält ihren Stellenwert, denn Therese liebt es, zu fotografieren, aber erst durch Carol fängt sie an, sich auch für die Menschen zu interessieren.

Haynes hat eine wunderbare Art, Szenen mit Unschärfen oder verregnetem Glas oder Ähnlichem auf eine kinozauberhafte Art ineinander übergehen zu lassen, so dass das eben Gesehene und Erlebte noch kurz nachhängen kann und gut verdaulich wird wie mit einem Digestiv.

Es ist absolutes Startheater für die beiden Darstellerinnen. Die Männer haben eher undankbare Parts, der Ehemann darf gerade mal finden „it is bold“, wenn er erfährt, dass die Gattin die Verkäuferin eingeladen hat. Sie sind ja auch nicht so von Interesse, sind zu anhänglich oder zu egostisch oder schlicht zu dumb.

Spätestens wenn die beiden Damen nackt zugange sind im Bett kommt die Erinnerung an einen neueren Film gleichen Themas, der allerdings in der Heute-Zeit spielt: Blau ist eine warme Farbe von Abdellatif Kechiche bei dem eine etwas andere Auffassung von Kino für Aufregung sorgt und den Zuschauer bannt. Oder liegt es lediglich an der Zeit, dass im Amerika der frühen 50er noch die Zeit der Studios war, weshalb der Film von Todds in dieser Manier gemacht ist, bei der alles ausgestellt wirkt, das Kino als ein Laufsteg für die Stars und ihre Eigenschaften, während Kechiche das Leben als Reenactment erst inszeniert und dann hautnah, atemberaubend, abfilmt als Dokument dieses Nachspielens. Das ist ein aktueller Trend, während Todd Handwerk wie exquisite Porzellankunst praktiziert und sie als solche zu erkennen gibt, für Kenner und Liebhaber.

Haynes inszeniert seine beiden Protagonistinnen wie Schmuckstücke für die Vitrine, Vitrinenkino, besonders Cate Blanchett ist in jeder Sekunde, in jeder Pose durchgestylte Dame, perfekt geschminkt, angezogen und ebenso ihr Habitus. Insofern wirkt die Szene, in der sie vor lauter dunkel angezogenen Herren ein Plädoyer für das Kindswohl hält, wie grotesk; denn wer in jeder Sekunde auf das eigene Aussehen achtet, bei dem wirkt diese Bedingungslosigkeit, die sie für den Einsatz für das Kindswohl fordert, zumindest zwiespältig; wie auch die Momente, in denen sie das Kind hält oder mit ihm unterwegs ist, immer der Eindruck entsteht, dies sei lediglich ein Dekorstück für die Dame.

Knock Knock

Angst gehört zur menschlichen Existenz und je mehr Besitz einer hat im Leben, eine Frau, die Künstlerin ist und zwei süße Kinder, ein großzügiges, modernes Haus in einem angenehmen Viertel von Los Angeles und einen schönen Beruf als Architekt, desto mächtiger kann die (Verlust)Angst werden, desto mehr kann ein Filmemacher mit einem Faible für das Horror-Genre, wie Eli Roth, der mit Nicolás López und Guillermo Amoedo auch das Drehbuchgeschrieben hat, auf der Klaviatur dieser Ängste filmisch spielen.

Feine Behausungen in L.A. scheinen im Moment eine Welle von Horrorfilmen ausgelöst zu haben The Gift und The perfect Guy.

Erst mal schön das Familienleben schildern. Das ist eine sorglose Fröhlichkeit, eine Spielerei, der Papa spielt mit den Kindern Monster, was pädagogisch richtig ist, den Kindern Ängste bewusst machen und vorher vergnügt sich das Ehepaar noch ehelich, bis es von den Kindern gestört wird.

Vater Evan, Keanu Reeves, der im Horror-Genre eine hervorragende Falle macht, hat Geburtstag. Die Kinder stürmen mit selbstgebackenem Kuchen ins Elternschlafzimmer. Vertrautheit, Familiarität wird locker-flocky geschildert, die sichere Intimität einer Familie.

Seine Frau Vivian, Collen Camp, will das Wochenende am Meer verbringen. Vorher wird noch der Transport einer ihrer bunten Statuen, die an die Figuren von Niki de Saint Phalle erinnern, zu ihrer nächsten Ausstellung mit Louis besprochen.

Alle verlassen das Haus, nur Schoßhund Monkey bleibt bei Evan, der unbedingt noch eine Arbeit fertigstellen möchte. Jetzt ist er mit dem Hund allein in dem ausladenden Flachbau.

Schnitt. Gewitter. Nacht. Er dröhnt sich zu mit Musik, früher war er DJ, und brütet über seinem Projekt. Zwei junge Damen, Genesis und Bel, Lorenza Izzo und Ana de Armas, klopfen an die Tür. Sie haben sich verlaufen, ihr Taxi ist weg, sie haben sich in der Adresse vertan, sie sind durchnässt.

Eli Roth schildert das realistisch, diese erste Begegnung des Strohwitwers mit den zwei flirrend verführerischen Frauen. Evan denkt an nichts Böses noch Lustvolles, er möcht den beiden Damen lediglich eine Taxe besorgen, doch die braucht 45 Minuten. Schnell fangen sie an, Evan zu umgarnen, zu bezirzen, sie verführen ihn.

Da wir in einem Horrorfilm sind, wird das alles eine ganz furchtbare Entwicklung nehmen, die Dämme der Zivilisation brechen, der Horror verselbständigt sich, er kennt keine Grenzen, schreckt vor nichts zurück, und das in einem so vertrauenswürdigen und vor allem von der Innenausstattung her so sorglos fröhlich-bunten Ambiente.

Warnung: vielleicht sollte man doch etwas vorsichtiger im Umgang mit Facebook sein – wir wissen über andere Seiten dieses Social-Networks Bescheid, dass es zu leicht die braune Sache drin lässt, dass das Safe-Harbourabkommen nicht garantiert ist. Und es kann ziemlich verteufelt werden, wenn man sich spontan auf ein Abenteuer einlässt, das sich einem in einem einsamen Moment anbietet – das ist der bittere, prüde Moraleintrag.

Heidi

Die Berge nicht ernst genommen.

Oh du liebe, lahme Einfalt, fahr an die frische Luft in die Berge und du kannst wieder gehen, das ist hier die naive und rückständige Interpretation des Heidi-Stoffes in der Regie von Alain Gsponer nach dem Drehbuch von Petra Volpe, präsentiert in Yogurt-Werbeästhetik.

Bei Gsponer schließt sich mit dieser Heidiverfilmung ein Kreis. Mit einem Kurzfilm zum Heidithema hat er seinen ersten Auftritt an Filmfestivals gehabt und jetzt, 10 Filme später, ist er wieder, diesmal mit großem Subventionsaufwand, bei Heidi gelandet. Seine Anfänger-Heidi war entspannt und nett despektierlich, so das bisschen Erinnerung, was daran geblieben ist.

Hier geht es nicht um die große, epische Kinoerzählung, die nie ihr Ziel aus den Augen lässt, und den Zuschauer und mit ihm die x-fache verfilmte und allbekannte Erzählung weich und sanft gebettet auf die Heilung, auf die Erlösung hinführt, das ist Alain Gsponers Regieart nicht, der ein Routine-Drehbuch von Petra Volpe nach den Heidi-Bestsellern von Johanna Spiri aus den Jahren 1880 und 1881 als Drehvorlage abarbeitete.

Mit der Regie für dieses Projekt dürfte Gsponer von den vielen Förderern und Finanzierern betraut worden sein, weil er keinem Weh tut, weil ihn nicht der Tiefsinn interessiert, weil ihm wichtiger ist, dass sich ständig was tut auf der Leinwand, weil seine Produkte wohlwollenderweise nett genannt werden können (Akte Grüninger, Das kleine Gespenst, Lila Lila) und vermutlich, weil er ein Garant zur Erfüllung des Drehpensums ist. Die Erinnerung an alle diese Filme schwächelt schnell, vermutlich aus dem Grund, weil sie nicht sorgfältig genug gearbeitet sind.

Für die epische Erzählung, die einen Stoff wie ein Aroma in den Zuschauer einsickern lassen kann, ist Gsponers Regiestil zu flatterhaft, zu fahrig, da lässt er sich zu leicht ablenken von Komparserie (Angst vor der Lücke und der Immobilität) und Innenausstattung, in der er sich gelegentlich zu verlaufen droht und auch von der Sehnsucht nach werbewirksamen Alpenbildern; dieses Fehlen des Verständnisses für die Gewichtung und auch die Herstellung eines Spielraumes und die Abfolge verschiedener Kadrierungen zur Annäherung, Fokussierung und Herstellung der angemessenen Distanz zu einer Szene versucht Gsponer mit vorgeblicher Lebendigkeit zu kompensieren, Hauptsache es tut sich was und wenn es nur die Kamera ist, die wirkt, als verliere sie gelegentlich die Nerven und den Überblick.

Vermutlich aus einer Ahnung heraus, dass durch diese Methode das Wesentliche der Geschichte verloren geht (Quintessenz dieser Heidi-Verfilmung: die Alpenluft wirkt Wunder und macht Lahme wieder zu Gehenden), peppt er die Tonspur mit einem nervenden Untertext auf, der ständig behauptet: hey, wir machen einen geilen Film.

So ist es nur konsequent, dass bei solcher Ersatzbeschäftigung eines Regisseur, er die Schauspieler nicht im Griff hat, er Figur- und Sprachregiekompetenz nicht beweisen kann. Das wirkt sich in eklatant unterschiedlichen Schauspielerdarstellungen aus, eine direkte Folge des Castings; es gibt Schauspieler, die haben offensichtlich Spaß daran, präzise Figuren zu entwickeln und zu spielen: Katharina Schüttler als Fräulein Rottenmeier, Michael Kranz als der Herr Kandidat, während Bruno Ganz mehr wie ein Maskerade-Opa wirkt, ein Städter so leicht und beweglich wie direkt aus dem Alters-Gym. Hannelore Hoger überzeugt als Großmama Seesemann und an der Stelle, an der sie eine kleine Geschichte vorliest, gibt sie vor, was Sprechkultur im Film sein kann, von welch bildendem Wert für das kindliche Gehör, was besonders auffällt, da um sie herum ein teils grauenhafter Sprachensalat passiert, oh Graus, weil eine absurde Vermarktungstheorie das künstlerische Interesse an einer brauchbaren Tonspur über Bord geworfen hat und ein Hochdeutsch, wie auch immer, verlangte.

Der Geißenpeter ist ein Naturtalent. Während Vater Seesemann mit seiner gespreizten Zeigefingergestik auf eine Laienbühen als Erfahrungshintergrund schließen lässt.

Zur These, dass Gsponer die Alpen als Heilmythos inszeniert, wobei ich mich frage, ob das wirklich die Idee von Johanna Spiri gewesen ist, und falls ja, was Gsponer mit dieser Umdeutung bezwecke, ob er da geistig nicht weit hinter Spiri zurückfällt, lässt sich als Indiz anführen, wie er auf der Alp oft juchzen und juhuen lässt. Oder wie er den Anfang des Filmes inszeniert mit Adlerflug und Bildern, man traut seinen Augen kaum, von denen man erwartet, dass sie sofort zu einer Alpenmilch- oder Schockoladen-Werbung führen würden – in keiner Weise aber die Demut der Menschen vor der mächtigen und unberechenbaren Natur auch nur antippt, geschweige denn erahnen lässt.

Naturduselei also statt genaues Hinschauen auf die Unterschiede der Menschen, auf den Culture Clash von Stadt und Land, was von mir aus gesehen die Essenz des Heidistoffes ist, an der dieser Film bis auf Äußerlichkeiten vorbeigeht, wodurch ihm ein nicht allzu langes Leben vergönnt sein dürfte. Die Berge ernst genommmen, mit anderem Stoff zwar, zeigt der Film eines anderen Schweizers, „Das Deckelbad“ von Kuno Bont (DVD-Review folgt demnächst).

Der Perlmuttknopf

Hochkünstlerisch verwobene, chilenische Diktaturaufarbeitung vor kosmologischem Hintergrund von Patricio Guzmán.

Das Mittel für seinen Zugang zum Kosmos und der entsprechenden Philosophie ist für den Filmemacher das Wasser, wobei mir jetzt die freihändige Rekonstruktion seiner kosmologischen Lebensthese nicht leicht fällt, denn bald schon ist Guzmán wieder in der Atacama-Wüste beim riesigen Teleskop-Park, diesen Lauschern ins Weltall, die ihn nicht nur in ihrer geometrischen Anordnung faszinieren, sondern auch in ihrer industriell-militärischen Funktion, wie sie sich alle wie auf Kommando drehen. In der sie umgebenden Wüste ist er bereits in seinem Film „Nostalgia de la luz“ auf verräterische Spuren der Gräuel der Pinochet-Diktatur gestoßen.

Diesmal führt der Weg dorthin über den Umweg des fjordhaft zerklüfteten Patagoniens zu den Aborigines, von denen es heute noch exakt 8 in die Zivilisation eingewiesene Nachfahren gibt. 8000 sollen es gewesen sein, in fünf Stämmen mit fünf verschiedenen Sprachen, die auf und mit dem Wasser gelebt haben, ein faszinierendes Volk in vollkommenem Einklang mit der Natur, mit einer intuitiven Navigationsbegabung, die sie ohne technische Hilfsmittel sicher die 1000 Kilometer bis zum Kap Horn und zurück paddeln ließ. Das haben diese letzten Nachfahren mit ihrer gurgelnden Sprache, die die Sprache des Wassers sein könnte, in ihrer Jugend noch erlebt.

Guzmán arbeitet in seine geschmackvoll montierte Dokumentation beeindruckendes Archivfootage aus Fotos und Filmen und Zeichnungen ein, die von dieser einmaligen Einheit von Mensch und Natur Zeugnis ablegen.

Die europäischen Eroberer und Siedler haben diese Kultur zerstört, diese Menschen wie Tiere behandelt, wie Aussätzige. Der spleenige Engländer Robert FitzRoy hat sich einen Spaß daraus gemacht, einen dieser Ureinwohner für ein Jahr mit nach England zu nehmen, ihn dort zu zivilisieren, ihn in eine Militäruniform zu stecken und dann wieder bei seinem Stamm abzuliefern. Der Junge, der Jemmy Button geannt wurde, habe nie wieder zu seiner ursprünglichen Identität zurückgefunden. Sein Stamm habe für dieses Experiment als Zahlung einige Perlmuttknöpfe erhalten.

Womit in der Nacherzählung der Nexus zur Militärdiktatur gegeben ist; im Film ist es die Ära Allende, die den Indios ihre Reservate zurückgegeben hat. Denn just ein Perlmuttknopf ist es, den Taucher am Meeresgrund vor der Küste Chiles als Ablagerung an Eisenstangen finden, die Gefolterten zum Beschweren umgebunden wurden, damit sie nach Abwurf aus einem Helikopter ins Meer nicht wieder auftauchten. Wie diese Leichen vorbereitet und verpackt wurden, dafür gibt es im Film eine detaillierte Rekonstruktion.

Als assoziativ-illustratives und nicht argumentatives Element schneidet Guzmán eine Aktion der Künstlerin Emma Malig in seinen Film, die eine exakte Landkarte Chiles von mehreren Metern Länge mit all den Verästelungen herstellt, die dieses Gebilde mehrfach anthropozentrisch deuten lässt.

Guzmáns Gedankenkonstrukte haben etwas Artifizielles und sind nicht so ohne Weiteres logisch und widerspruchsfrei darstellbar, aber sie werden mit beachtlichem ästhetischem Furor und Geschmack vorgetragen und stellen deutlich die Frage: wie kann es in einer harmonischen Natur zu solch furchtbaren Exzessen wie der Pinochet-Diktatur komme? Wie kann der Mensch so gegen die Schöpfung agieren – womit klar wird, dass es sich um einen bemerkenswert theologischen Film handelt, wobei die Aborigines das Wort Gott nicht einmal kennen, (casus knacksus, und das der Polizei auch nicht). So besehen könnte man Guzmán als Filmemacher in der nicht allzu dicht besiedelten Region von Terence Malik ansiedeln.

Dämonen und Wunder – Dheepan

Das Glück ist in diesem Film von Jacques Audiard (Der Geschmack von Rost und Knochen, Ein Prophet), der mit Thomas Bidegain und Noé Debré auch das Drehbuch geschrieben hat, zuerst ein Ersatzglück.

Es ist nicht ein Glück, was aus geordneten und geplanten Verhältnissen entsteht, es ist nicht: Geburt in der Familie, Schule, Beruf, Liebe, Heirat und Kinder, alles bruchlos. Dieses erste, also das natürlich-biographische oder „reguläre“ Glück ist bei unseren Protagonisten in den Bürergkriegswirren in Sri Lanka zerstört worden.

Das Ersatzglück für Dheepan, Jesuthasan Antonythasan, Yalini (Kalieaswari Srinivasan) und die Schülerin Illayaal (Claudine Vinasithamby) ist, dass sie sich die Papiere einer ausradierten Familie besorgen und damit nach Frankreich ausreisen können.

Dort bleiben sie vorerst unter dem falschen Namen dieser Familie zusammen, kommen als solche in ein Asyllager in der Banlieu von Paris mit dem wundervollen Namen Le Prés, die Wiese. Plattenbauten der schlimmsten Art und Brutstätten der Kriminalität.

Dheepan bekommt eine Hausmeisterstelle in einem der Blocks und die Familie, die keine Familie ist, die eine Familie ist aus Menschen, die ihre Angehörigen im Bürgerkrieg von Sri Lanka verloren haben, eine Wohnung.

Französisch sprechen sie praktisch nicht. Aber „on se débrouille“, man wurstelt sich durch. Die Tochter kommt in eine Integrationsklasse und wird bald schon in die normale Klasse wechseln. Die Frau kann als Köchin und Putzfrau bei einem behinderten Herrn Habib im Wohnblock gegenüber arbeiten in einer Wohnung im obersten Stock. Dass sie 500 Euro dafür im Monat bekommt, ist für sie unfassbar. Dass Herr Habib eine Tarnfigur für die Drogengeschäfte von Brahim (Vincent Rotters) ist, dessen elektronische Fußfessel etwas über seine Vergangenheit erzählt, stört Yalini nicht.

Einige Informationen über diesen Wohnblock liefert uns Audiard aus der Perspektive der Wohnung der Hausmeisterfamilie, denn aus ihrem Fenster im Parterre können sie wie bei Hitchcock im Fenster zum Hof einiges an Aktivitäten gegenüber beobachten – und der Zuschauer damit.

Die Dämonen der Vergangenheit, die Gespenster, machen vor diesem Rückzugsort des Ersatzglückes nicht Halt und gefährden es massiv. Das ist der Spannungsfaden, den Audiard benutzt, um eine exakte Milieustudie mit großartigen Darstellern, die Geheimnisse und Abgründe haben, zu liefern, die schmerzhaft bewusst macht, wie schwer es ist, Kriegstraumata zu beschwichtigen, zur Ruhe zu bringen und mit einem erträglichen, kleinen Ersatzglück abzufedern. Für jenes winkt hier England.

Mistress America

Um Noa Baumbach (Gefühlt Mitte Zwanzig) herum, der hier die Regie übernommen und mit Greta Gerwig, die eine der Hauptrollen spielt, auch das Buch geschrieben hat, entwickelt sich so etwas, vergleichbar vielleicht mit dem deutschen Boulevard-Theater wie der Komödie am Kurfürstendamm oder der Komödie im Bayerischen Hof, allerdings für eine deutlich jüngere Generation und Film statt Theater und amerikanisch statt deutsch.

So liegen denn doch Welten dazwischen. Gemeinsam dürfte sein: die gehobenere, bürgerliche Gesellschaftskomödie. Wobei es sich bei Baumbauch ausschließlich um eine nachwachsende, intellektuelle Schichte handelt, die wollen alle Künstler werden. Brooke, die agile Greta Gerwig, träumt davon, ein Restaurant zu eröffnen, was auch Kunst- und Debattiersalon und Verkaufsladen für Klamotten sein soll, ein intellektuell-künstlerischer Treffpunkt, ein gar nicht so seltener Traum in solchen Kreisen.

Ihr begegnen wir allerdings erst über den Umweg von Tracy, Lola Kirke. Sie erfährt, dass ihr Vater die Mutter von Brooke heiraten soll; so schneit sie bei ihr in New York herein. Tracy selbst hat schriftstellerische Ambitionen. Diese und das Projekt von Brooke und natürlich die privaten Beziehungen und Liaisons und Affären und die Kunst geben viel Stoff für die entsprechenden Gespräche und Pointen.

Bald aber drängt sich der Handlungsstrang in den Vordergrund, dass Brooke noch Geld braucht zur Eröffnung ihres Ladens. Da fällt ihr aus ihrer Vergangenheit in Connecticut Mamie Claire ein, Heather Lind, die mit dem superreichen Goldman-Manager Dylan, Michael Chernus, verheiratet ist.

Mamie Claire schuldet Brooke noch etwas, denn sie hatte sie damals mit einer Kreation von Shirt betrogen. Diese dramaturgische Idee gibt dem Film die Möglichkeit, aus der Enge New Yorks auszubrechen, an Megavillen in Connecticut vorbeizufahren und einen extravaganten Neureichen-Bau, ein „stylish House“, vorzuführen. Hierbei trifft sich das amerikanische Genre wieder ganz gut mit dem deutschen Pendant, bei allen Unterschieden: auch hier sind feine Milieus als Kulisse nicht unbeliebt, um menschliche Irrungen und Verwirrungen augenzwinkernd unterhaltsam vorzuführen. Und dann noch etwas Steubenparade eingestreut.

Der kleine Prinz

Die poetische Geschichte von Saint-Exupéry vom kleinen Prinzen ist für einen Langfilm zu kurz. Also erfinden die Drehbuchautoren Irena Brignull und Bob Persichetti eine Drumherum-Geschichte, damit Mark Osborne gegnügend Fleisch oder Knetmaße oder aus was die Figuren auch immer sind, für einen Langfilm zusammenbekommt.

Der Titel wird dadurch allerdings irreführend: er schraubt die Erwartung einer Literaturverfilmung hoch. Doch wird die Geschichte in einen explanativen Zusammenhang gesetzt, der erklären will, was Fantasie ist, wozu sie gut ist, der selbst eine fantasieabtötende Gegenwelt darstellt, eine Welt geplant wie ein Schaltschrank.

Das fängt mit der Ausbildung und der Auslese des Nachwuchses an, der eingetrichtert bekommt, er sei etwas Besonderes. Das ist eine Welt, die bildlich durchaus ergiebig ist und fernab jeglicher Poesie, wie der kleine Prinz sie so faszinierend vertritt. Es ist eine kafkaeske Welt oder tatisch im Sinne seiner modernen Architekturen, in denen der Mensch ein Rädchen ist und bedingungslos zu funktionieren hat.

So auch eine Frau, glatt wie Teflon, die reine Stereotypie einer ehrgeizigen Mutter, die nur auf die Karriere ihres Töchterchens bedacht ist, die die Zukunftspläne für sie genau im Griff haben will.

Es gibt in der Schaltschranksiedlung allerdings einen Ausreißer. Das ist genau das Haus neben unsererem Mädchen und seiner Mutter. Das ist ein Haus wie aus einer anderen Zeit und aus Wurzelseppeästhetik. Die Figur, die darin lebt, ist im Mörtel- und Spachtel-Modus fabriziert, dicke Nase, die Figur krumm wie ein Wanderstab. Das ist ein alter Pilot in einem windschiefen Haus, wie ein Pickel in der Siedlung. Im Garten steht noch ein Flugzeug.

Wie das Mädchen allein zuhause ist, bricht plötzlich ein Flugzeugpropeller sich Bahn durch die Gartenmauer unter Hinterlassung von Fensterfrontscherben im Wohnraum. Dadurch ist der Weg frei, die zwei Welten miteinander in Kontakt zu bringen.

Denn das Mädchen passt nicht ganz in die Planbarkeitsfolie der Mutter, neugiert lieber zu ihrem Nachbarn hinüber, der ihr eine spannendere Welt erschließt, als das, was die Schule zu bieten hat, die Welt von Poesie und Fantasie.

Der Pilot ist niemand anders als Saint-Expupéry, der dem Mädchen die Geschichte vom kleinen Prinzen erzählt. Der muss allerdings gesucht werden. Das wird eine abenteuerliche Geschichte, die mit einem Flug beginnt. Das Flugzeug landet mitten im Verkehr einer Großstadt mit Hochhäusern.

Der Prinz, der Herr Prinz, arbeitet als Hausmeister. Er ist gerade dabei, auf dem Dach eines Wolkenkratzers die Kamine zu reinigen und ständig bricht sein Besen.

Später landen das Mädchen und der Prinz und der Fuchs in einer Recycling-Anlage. Oben kommen Fahrräder rein, unten Büroklammern raus. Und schon ist ihr Flugzeug dabei, geschreddert zu werden. Was in letzter Minute noch verhindert wird, so ganz übliche Abenteuergeschichte halt, die mit der wunderschönen Geschichte vom Kleinen Prinz und der merkwürdigen Weltdistanz von Saint-Exupéry und der fliegerischen Freiheit seiner Phantasie so gar nichts zu tun hat.

So wenig wie der Schwall von Musik teils aus dem Schlagersegment, der über all das gelegt wird und genauso wenig das auch hier nur lichtschluckende und überflüssige 3D der Angelegenheit Faszination zu verschaffen imstande sind, kommt lustmindernd die deutsche Sprecherspur hinzu, die zwar einen passablen Erzähler hat, aber sonst so nicht Fisch und nicht Fleisch ist, die auftrumpft mit den Stars Til Schweiger und Matthias Schweighöfer, was im Hinblick auf die englische Originalvertonung schmerzhaft die Defizite deutscher Sprecherkultur deutlich macht; ein Ohrenschmaus ist diese Synchronisation nicht.

Der große Tag

Die spannendste Figur in diesem Film von Pascal Plisson (der die mit seinem Auf dem Weg zur Schule geschürte Postkartenfotografie-Erwartungshaltung unterläuft) ist eine Nebenfigur, der Vater des 12jährigen Albert auf Kuba. Ihm beim Kampf seines Sohnes, der darüber entscheidet, ob dieser an die nationale Boxschule aufgenommen wird, zuzuschauen, das ist Kino pur, der ist vom Aussehen her ein markiger Kinotyp eher alter Schule und vor allem, was in ihm abgeht, wie er mitfiebert in der Hoffnung, sein Sohn werde siegen und damit das Eintrittsbillet in die Schule schaffen, um seine eigenen die Träume zu erfüllen, das ist ein Hingucker.

Spannend in der Kubaphase ist noch eine Nebenfigur. Das ist der Freund von Albert, sein Kumpel, sein Coach, der am Schluss altklug meint, er habe einen Freund verloren und dafür einen Meister gewonnen (so träumt sich Plisson wohl die Weisheit eines kubanischen Jungen).

Plisson hat sich dieses Mal vier Teens schön über den Globus verteilt vorgenommen, die auf eine wichtige Schwelle auf dem Weg zu einer Karriere sich befinden, die ein besseres Leben als das zuhause verspricht. Er begleitet sie, wie sie darauf hinarbeiten, um dann noch kurz zu skizzieren, wie die Resultate sind und wie es weitergeht.

In Indien möchte die Tochter eines Rikschafahrers Ingenieur studieren, dazu muss sie es mittels eines speziellen Förderprogramms an eine vorbereitende Schule schaffen.

In Afrika will ein junger Mann Ranger in einem Naturreservat werden.

In der Mongolei möchte ein Mädchen auf einer Zirkusartisten-Schule aufgenommen werden und der kubanische Junge soll Vaters Traum vom Boxweltmeister erfüllen.

So weit so prosaisch, so alltäglich, so normal, eine Schwelle im Leben, die der überwiegende Teil der Menschheit einmal oder immer wieder zu bestehen hat. Plisson möchte mit seinem Film Hoffnung machen und deutlich werden lassen, wie wichtig Bildung sei und dass es für die Besten Wege gibt, sich gesellschaftlich nach oben zu verbessern.

Die Beispiele sind willkürlich gewählt oder nach undurchsichtigem Modus, hoffen wir nicht, dasss Plisson der chronischen Dokumentaristen-Reiselust erlegen ist und sich darnach die Motive ausgesucht hat. Er scheint allerdings mit seinem Projekt recht überfordert zu sein, dürfte es mit diesem Dokumentarfilm, der mit schmalzigster Musik sentimental dick unterlegt ist, an keine renommierte Filmschule schaffen.

Er hat sich das unsägliche asthmatische Fernsehprinzip des Ineinanderzopfens der vier Geschichten, die keinen Bezug zu einander haben, zu eigen gemacht, dieses noch mit willkürlichen Schnitten unangenehm gestaltet.

Während in seinem ersten Film außerordentliche Schulwege von einigen über den Globus verstreuten Kindern ständig Bewegung erzeugten, fällt diese hier weg. Stattdessen inszeniert Plisson verkrampft mit seinen Darstellern Alltag nach, Gespräche bei Tisch oder vorm Zubettgehen, Gespräche mit den Trainern und Lehrern, ein konfuser Mix aus meist unergiebigen Situationen, der seine beabsichtigte These nicht vermitteln kann.

Auch ist die Berichterstattung unkritisch, denn gerade so hochgezüchtete artistische Quälereien, und es schaffen es dann nur sehr wenige, haben ihre bedenklichen Seiten. Das gilt aber auch für den Sport.

Plisson wirkt hier von seiner eigenen Themenstellung ins Rudern gebracht. Inszeniert steif das Leben der Leute nach, wählt die Szenen nach einer einfallslosen Dramaturgie aus und in Indien dreht er ausgerechnet in Varanasi, um noch die berühmte Ganges-Stelle, wo die Leichen verbrannt werden, ins Bild zu bringen, vollkommen zusammenhangslos, was das Motiv seiner dortigen Protagonistin betrifft, das riecht nach billiger Effekthascherei und nach Tourismusdokumentarismus.

Mollath und plötzlich bist du verrückt (BR, Dienstag, 8. Dezember 2015, 22.45 Uhr)

Wenn dieser Film belegt, was als Dokumentarfilm an der HFF, der Münchner Filmhochschule gelehrt wird, so heißt Dokumentarfilm im Hinblick auf den hier vorgeführten Gustl Mollath:

Mäuschen spielen, heißt, sich an eine berühmte Geschichte ranhängen, heißt in der Nähe sein, heißt, die Leute ein bisschen quatschen lassen, heißt, mit Gustl Mollath eine Bergfahrt machen, eine Schiffahrt, ihn Ferrari fahren lassen, ihn über die Euromünzmotive philosophieren lassen, heißt ihn in Berlin allein Korbbälle einwerfen lassen, heißt im Hintergrund pausenlos eine Balla-Balla-Zupfmusik auf die Tonspur setzen, heißt beim Presserummel sich von den Kollegen in den Hintergrund drängen lassen ohne dezidiert zu diesen auf Distanz zu gehen, heißt Mollath über seine selbstgezogenen Pflanzen plaudern lassen, heißt, ihn ein Titanic-Titelbild mit Merkel-Karikatur als Mollath zeigen lassen, heißt, ihn sich rechtfertigen lassen, heißt, ihn aus der Psychiatrie erzählen lassen, ihn sein universelles Denken antippen lassen, heißt, ihn fragen, ob er seine Ex-Frau geliebt habe, heißt ihn ins Valentin-Musäum in München begleiten, heißt ihn in der Kirche vor Wiederaufnahme des Verfahrens eine Kerze anzünden lassen, heißt, seinen Anwalt in Hamburg auf seiner Dachterrassse besuchen, diesen eine Zigarette rauchen und ein bisschen plaudern lassen, heißt pseudoausgewogen die Gegenanwältin Statements abgeben lassen, ebenso einen skeptischen Journalisten, heißt keine Klarheit in all die Unklarheit um diesen Fall zu bringen, heißt, das Thema Justizirrtum weiträumig umschiffen, zu groß für Doku-Mäuschen, heißt Mollath zu einer Theateraufführung, in der sein Fall verhandelt wird, begleiten, heißt, ein Musterbeispiel für eine möglichst recherchefreie Doku ohne klare Haltung abliefern, heißt Mollath über die Mondlandung philosophieren lassen, heißt auf jegliches strukturierendes und durchdringendes Denken verzichten.

Das scheint das zu sein, was Leonie Stade und Annika Blendl an der Münchner Filmhochschule gelernt haben, einen recht beschränkten und kapitulierenden Begriff von Dokumentation. Vielleicht sollte mal eine gründliche Dokurecherche über diesen Unterricht gewagt werden.

Der Film ist weit davon entfernt, gut genug für das Zwangsgebührenfernsehen mit seinem demokratischen Grundauftrag zu sein.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Tatort: Einmal wirklich sterben (ARD, Sonntag, 6. Dezember 2015, 20.15 Uhr)

Lesbische Liebe bewahrt vor Retraumatisierung nicht.

Das schönste und Tatort-selbstironische Bild ist dasjenige, wenn die beiden Kommissare Batic und Leitmayr mit Zoodirektor Gruber auf dem Elektrogefährt an den Flamingos vorbeifahren, es herrscht Nachtruhe, aber welch Lärm bricht bei dieser Vorbeifahrt aus, das zeigt den gesellschaftlichen Stellenwert dieses Sonntag-Abend-Krimi-Gefässes in deutschen Haushalten, das in diesem Fall, den Claus Cornelius Fischer und Dinah Marte Golch geschrieben haben, und welchen Markus Imboden mit seinem Kameramann Martin Farkas zu anschmiegsam zusammenschneidbaren Bildern inszeniert und aufgenommen hat im Sinne eines illustrierten Volkshochschulkurses fürs Volksfernsehen das Thema Trauma und Traumatisierung bearbeitet in Form einer leicht nachvollziehbaren Kriminalschnitzeljagd, in der in jeder Szene die nötige Info für den nächsten Schritt gegeben wird, auch wenn nicht alles hundertprozent schlüssig ist.

Wobei just die Frage, die sich zumindest in meiner Küchenpsychologie stellt, ob nämlich eine gute menschliche Beziehung vor Retraumatisierung bewahren kann, umgangen wird. Die menschliche Beziehung, in der Emma Meyer (Anna Drexler) steckt, ist eine lesbische zu ihrer Judolehrerin, wird aber überhaupt nicht näher reflektiert – Drehbuchirrtum: aus dieser Beziehung sogar ein Rätsel zu machen, was sich nur höchst unvollständig und nur nach und nach erschließt; das Bild, was sich über diese Beziehung ergibt, scheint mir reichlich nebulös. Leichter wird es nicht dadurch, dass die Darstellerin diese Retraumatisierung so schuldbewusst ausstellt; dafür wird man nicht nur die Darstellerin verantwortlich machen können; wer kennt sich schon aus mit derlei; sollte die Regie das kennen und können oder hätten die Drehbuchautoren sich besser kundig machen sollen?

Die kommen ins Schnaufen, die beiden Kommissare und dann müssen sie auch noch einen komplizierten Dialog liefern, wenn sie die vielen Treppen zur Witwe ihres Kollegen Wallners hochlaufen zur Feier des Todestages und die immer Polizeifunk abhört, die physische Leistung ist ihnen anzusehen. Sie gehen bewaffnet zu diesem Treffen; erwartbar liefert der Polizeifunk den Faden zur nächsten Szene, die vorher schon angekündigt wurde mit einem Kapuzentypen, der bei Familie Danzers gleich nebenan klingelt, dem ganz schockiert schon die Tür aufgemacht wird, als wisse der Hausherr, dass gleich Übles passieren wird; und wieder kommen die beiden älteren Herren ganz schön ins Schnaufen, wie sie zu Familie Danzer rüberrennen.

Mit vielen Beweis- und Logiklücken werden gleich die richtigen Beweisstücke gegriffen. Nur Ausweise haben sie keine gefunden. Schau mal das Familienfoto. So hoppelt und holpert sich die Geschichte mit Hyperventilation und auch Stottern zusammen, auch die Auskünfte von Frau Wallner. Am See gibt’s wieder viel zu schnaufen und dann müssen sie noch ins Wasser mit den Klamotten, ein Boot entern und Erste Hilfe leisten. – So viel zum Schnauffaktor.

Die Produktwerbung für das Dienstauto der Kommissare funktioniert immer noch bestens, das Auto glänzt wie frisch vom Händler und das Markenzeichen wird auch ganz diskret in eine Bildlücke geschoben; hat halt der Kameramann kurz nicht aufgepasst. Und wenn es auf das erleichternde Ende zugeht, gibt’s noch eine schöne Automarkenwerbefahrt mit Blaulicht durchs Grün zum See.

Geschmackvolle Impressionen von Zebras und Elefanten im Zoo rahmen die Handlung und unterbrechen sie.

Einzelrollen:
Beeindruckend wach und präsent: Christine Lerch, Lisa Wagner.
Den Kuchen von Johanna Wallner, Ulrike Arnold, den möchte man auch gerne bestellen.
Zoodirektor, der zur Unzeit von Kommissaren in den Tierpark bestellt wird, ist keine leichte Aufgabe.
Klaus Pohl versucht aus dem Exkommissar Busch die Nummer eines verzottelten Alkoholikers zu machen, dafür sieht sein Mantel allerdings sehr gepflegt aus.
Mit einem Kurzauftritt als Vermieterin gleich klar zu machen, dass man nicht die Ehefrau ist, ist auch nicht leicht.
Schwierige Figur ist sicher auch Helmbrecht, Simon Schwarz, der immer verunsichert und doch selbstjustizbereit sein muss, cholerisch; bei solchen vom Drehbuch klischeehaft gebauten Figuren wird schnell offensichtlich, dass der Krimi sie braucht, um falsche Spuren zu legen.
Der Kalli, Ferdinand Hofer, tickt inzwischen zuverlässig wie ein mechanischer Wecker.

Wie die Kommissare versuchen, sich ein Trauma zu erklären, so peilen sie damit natürlich Lieschen Müller auf dem Sofa zuhause an: Hiroshima als Lehrbeispiel dafür wie es ist, wenn von einem Moment auf den anderen alles anderes ist, so muss es für die Kleine gewesen sein.

Oft entsteht der Eindruck, dass die Chargen so inszeniert werden, dass die Kommissare, die das schon eine Ewigkeit machen, wie bestelltes Publikum drum herum stehen, sie sind ja kollegial, aber sie lassen oft durchblicken, dass sie sich sicher nicht äußern werden zu den Schauspielkünsten ihrer Kollegen, die mit Rollen und Geld nicht so gesegnet sind wie sie. Sie sind schließlich die Kings. Eigentlich sollte ein Tatort insgesamt gut genug sein, um einen solchen Einblick in die Pfründenhierarchie dahinter nicht durchscheinen zu lassen.