Alle Beiträge von Stefe

Nichts – Was im Leben wichtig ist (DVD)

Ein Alter, das keine Grenzen kennt.

Sie sind keine Kinder mehr, aber noch nicht strafmündig. Sie kennen keine Grenzen. Sie können töten und nicht dafür belangt werden. Solche Fälle sind kürzlich durch die Medien gegangen.

Diese Kids entdecken das Denken, das Hinterfragen, wie Pierre Anthon (Harald Kaiser Hermann) hier im Film von Trine Piil Christensen, die mit Seamus McNally auch das Drehbuch nach dem Bestseller von Janne Teller geschrieben hat.

Die Frage nach der Berufswahl in einer Schulstunde löst in Pierre Anthon eine nihilistische Argumentationskette aus, die unter den gegebenen Umständen keinen Sinn im Leben und ebensowenig in der Schule erkennen kann. Diese Macht des Denkens treibt ihn aus dem Sozialgefüge von Schule und Familie hinaus hoch in den Gipfel eines Baumes, in dem er sich einrichtet und nicht mehr daran denkt, runterzukommen. Ein verständnisvoller Vater unterstützt das Unternehmen; der Vater glaubt, das werde sich schon geben.

Die Mitschüler aber werden durch die Tat aus ihrem Tran gerissen. Sie wollen Pierre Anthon dazu bringen, wieder herabzusteigen. Sie veranstalten eine Art Wettbewerb, jeder solle etwas opfern, was ihm etwas bedeutet. Diese Dinge, zuerst sind es Gegenstände, stapeln sie in einer Scheune zu einem „Haufen“.

Die Dynamik der Opfergaben verselbständigt sich, kennt keine Grenzen mehr, steigert sich bis zum Eklat und zum Medienereignis und führt dazu, dass Pierre Anthon wieder runtersteigt; aber sein Denken hat er dabei, was zu einer weiteren Dramatisierung führt.

Lust aufs Land – Bayerische Hofgeschichten (BR, Montag, 22. Mai 2023, 20.15 Uhr)

Jeden Tag zwei Stunden im Mist stehen,
und zwar jeden Tag! –

diese Aussage eines der Protagonisten dieses Filmes von Michael Gärtner unter der redaktionellen Betreuung durch Matthias Luginger stößt einem erst auf, wenn man sich fragt, warum die Glücksbotschaft des Filmes musikalisch dermaßen fett überhöht wird.

Diese weckt erst Zweifel an der so süffigen wie verführerischen Hochglanzpräsentation von zwei Modellen moderner Landwirtschaft. Dazu passt, dass schlechtes Wetter, Klimaveränderung und Naturkatastrophen praktisch ausgeblendet werden.

So lautet auch der Titel, der will dem Zuschauer Lust aufs Land machen, sei es, indem er selber das Landwirten für sich überlegt oder indem er als Feriengast sich in einem Hof im Allgäu einquartiert oder indem er in Passau in das Restaurant geht, wo „Farm to Table“ praktiziert wirt: direkt vom Hof auf den Teller.

Die beiden Höfe, die die BR-Redaktion zum Vergleichen ausgesucht hat, liegen einmal im Allgäu und einmal in Niederbayern. Vielleicht steckt da Proporzdenken dahinter. Im Allgäu bewirtschaftet ein junger Mann und Familienvater seinen geerbten Hof in einer Kombination aus High-Tech und biologisch. Der kann per Remote Control verfolgen, ob die Kühe, die ein Melkrecht haben, selbständig sich in den sich selbst desinfizierenden Melkroboter begeben und wieviel Milch sie gerade liefern.

Dieser moderne Landwirt muss nicht täglich zwei Stunden im Mist stehen, dafür setzt er einen Mistkehrroboter ein, der automatisch und regelmäßig agiert. Dafür bereitet dem High-Tech-Landwirt das Geld immer mal wieder Kopfzerbrechen, da er Investitionen getätigt hat und dadurch finanzielle Verpflichtungen schultern muss, die sich gleich bleiben, auch wenn der Milchpreis fällt.

Für die beiden Landwirte in Niederbayern, die sich mit dem gemeinsamen Selbstversorgerhof ihren Lebens- und Partnertraum erfüllen, fällt immer schwerer das Alter ins Gewicht, die abnehmende Leistungsfähigkeit; aber sie planen, ihre Landwirtschaft und ihr Restaurant an zwei junge Syrer, Flüchtlinge, zu übergeben, die sich schnell eingearbeitet haben.

Tatort: Game Over (ARD, Sonntag, 21. Mai 2023, 20.15 Uhr)

Ein Sportler meint im Rausch des Erfolges, man müsse bereit sein, weiterzugehen als alle anderen; kurz darauf geht ein Mensch weiter als alle anderen; er schießt auf einer Autobahnbrücke auf eine Polizistin. Da ist jemand weitergegangen als alle anderen.

Dann geht der Tatort von Lancelot von Naso nach dem Drehbuch von Stefan Holtz und Florian Iwersen unter der redaktionellen Betreuung von Cornelius Conrad flott weiter mit routiniert-systematischer Polizeiarbeit. Die führt den Zuschauer in die Game- und Drogendealerwelt und in ein schickes Loft. Wird dann etwas langsamer, hält sich vorübergehend mit Witzchen über Wasser oder mit einem moralischen Hinweis, wie schlimm das ist, wegen einem defekten Rücklicht erschossen zu werden. Setzt die Polizei selbst ins Zwielicht. Viele Polizisten, die bei dem Online-Spiel dabei sind.

Später verläppert sich der Fall in der bayerischen Landschaft; versucht sich zwischendrin mit modernen Städteaufnahmen von München. Mühsamer wird es, wie die beiden Kommissare auf unterschiedlichen Wegen in die gleiche Wohnung eines Kollegen eindringen; da scheint nur noch Dilettantismus am Werk.

Wie die Spielerwelt so ein bisschen eine kindische Welt ist, das zeigt dieser Tatort. Und wie der junge Kollege vom verdächtigen Kollegen in Gewalt genommen wird, schreit die Kollegin erst hysterisch bis sie Hilfe anfordert, vielleicht ein paar Ausbildungslücken.

Aus heiterem Himmel springt der Tatort dann in die Familie des Spielers und spricht von Abmachungen, die sie haben und bricht einen Ehekrach vom Zaun.

Irgendwann irrt der weißhaarige Kollege mit vorgehaltener Pistole durch labyrinthische Kellerräume, wie sie in Krimis gerne eingesetzt werden. Daraufhin gibt es eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Mutter (vor ihren Schülern) und dem halbwüchsigen Sohn, der nicht am Game teilnehmen darf, weil Mutter meint, der Sohn sehe gar nicht, was das Spielen mit ihm mache (der Zuschauer sieht es auch nicht).

Immerhin zieht diesmal der andere weißhaarige Kollege bei der Wohnungsdurchsuchung weiße Handschuhe an. Bei der folgenden Mülldurchsuchung hat auch der zweite weißhaarige Kommissar Gummihandschuhe an.

Dieser Tatort hat sich inzwischen längst in ein wenig antörnendes Fahrwasser aus gängiger Routine austauschbarer Actionfilmelemente begeben und die Kamera achtet minutiös darauf, dass das BMW-Zeichen auf den Polizeiautos auch schön werbewirksam rüberkommt. In Minute 18 wird Oskar Weber identifiziert.

Ein Nebeneffekt dieses Tatortes dürfte sein, dass Games, diese Schießspiele, weiter bekannt und populär gemacht werden; je mehr solche Gewaltbilder über die Bildschirme der Öffentlich-Rechtlichen flimmern, desto mehr fressen sie sich als selbstverständlich in den Köpfen fest. So werden Waffen auch bei uns immer selbstverständlicher.

Ganz Schema: etwa eine Viertelstunde vor Schluss spitzen sich die Dinge zu, alles versammelt sich zum Countdown aus Standard-Actionfilm-Versatzstücken inklusive Geiselnahme in der Messestadt bei dem Turnier. Wobei der Zusammenschnitt von Gamer-Endphase und dem Endspiel auf dem Dach keinen besondern Kitzel zu erzeugen vermag. Dann träufelt der Tatort in einer Erklärbefragung aus.

Kommentar zu den Reviews vom 18. Mai 2023

Die Preziosen dieser Kinowoche wirken eher so, wie zufällig zusammengewürfelt oder angespült, jedes Teil für sich betrachtenswert, aber schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, nicht mal das Bett des Prokrustes könnte da hilfreich sein. In New York wird hochstilisert und geschmakvoll schwarze Noramlität zelebriert. Im Vallis (Schweiz) stellt eine blaue Linie die rote Linie dar. Ein junger Deutscher soll die Asche seiner Mutter an einem bestimmten Ort auf Kuba zerstreuen. Eine remarkable junge Österreicherin dringt mit Chuzpe in die heilige Welt der männlichen Sterneköche ein. Beinah hätten sich zwei weltberühmte französische Comicfiguren im Ukrainekrieg verheddert, es war dann aber nur die chinesische Armee. In England lotet ein stoischer Filmemacher die Beweglichkeit von Bürokratie aus. Auf DVD wird es brenzlig um einen Teen, der unter Depressionen leidet. Im Fernsehen gab sich ein Schlagerstar als wacher Bürger zu erkennen.

Kino
A THOUSAND AND ONE
Black Normality in New York

DIE LINIE
Kontaktverbot für eine gewalttätige Tochter

ERNESTO’S ISLAND
Die DDR und Kuba

SHE CHEF
Tanz einer Frau am Sternekochhimmel

ASTERIX UND OBELIX IM REICH DER MITTE
Hereditas mixturata de Goscinny et Uderzo

LIVING – EINMAL WIRKLICH LEBEN
Ob Du’s glaubst oder nicht: Bürokratien haben tatsächlich Spielraum.

DVD
THE SON
Hochexplosives Gemisch: Pubertät und Depression

TV
LEBENSLINIEN: KATJA EBSTEIN – SCHLAGERSTAR MIT WIDERSPRUCH
Dass das schon ein Widerspruch sein soll, eine Schlagersängerin, die auch politisch denkt?

Asterix & Obelix im Reich der Mitte

De bello Asterixo Obelixque
Quantum parvum originellum

Teatrum multum grimasticum, fabula gravis, storia simplex, due heroum gallici. Ideas lassus.
Idea bene columba-smsa.

Bellum magnum in China. Caesar de Roma, Asterixo Obelixque de Gallia, exercitus chinesus amplissimus, eine Relation wie bei der Auseinandersetzung in der Ukraine, das zahlenmässig x-fach überlegene russische Heer, hier Invasor, gegen einen Bruchteil von Verteidigern. Nix referat tempus actualis. Fantasia industriale. Fabula Hit-and-Run und Zaubertrunk von Miraculix.

Hereditas de René Goscinny et Albert Uderzo. Pauca inspiratio de Guillaume Canet.

Multa Routina. Nix Humorix. Inszenierung Holterdipolterix.

Living – Einmal wirklich leben

Wunderbar ironische Betrachtung des Wesens eines Beamten

Der Film von Oliver Hermanus nach dem Drehbuch von Kazuo Ishiguor, Akira Kurosawa (nach dessen Film Ikiru) und Shinobu Hashimoto spielt im England der frühen 50er Jahre.

Waren die Briten vielleicht eh schon förmlich, so waren es die Beamten besonders. In Anzug und mit Melone sind die Mitarbeiter des Planungsbüros gemeinsam mit dem ÖPNV unterwegs. Sie werden eingeführt über den Neuzugang Peter Walkening (Alex Sharp, der Neugier weckend das Feierliche eines Beamtenanfängers verkörpert). Mit ihm als Hauptfigur müsste der Film allerdings anders verlaufen. Hier dient er dazu, zur Hauptfigur überzuleiten, das ist der Abteilungsleiter, der an einer Station zusteigt, sich aber nie zu seinen Mitarbeitern setzt; es ist Bill Nighy als Williams.

Ritualhaft passiert der Marsch vom ÖPNV zum Amt. Der Umgangston ist gedämpft. Die Akten stapeln sich. Der Nachwuchs lernt, dass man mit zu kleinen Aktenstapeln als unterbeschäftigt gilt.

Das Motto der Abteilung scheint zu sein, was man lange genug liegen lässt, erledigt sich oft ganz von selbst. Wenn Klienten etwas wollen, werden sie prinzipiell erst auf andere Abteilungen verwiesen. Und wenn es wirklich nicht mehr anders geht, dann wird die Akte auf einem Stapel abgelegt.

Das erleben auch vier Frauen, die sich dafür einsetzen, dass auf einem verwahrlosten Grundstück ein Kinderspielplatz errichtet werden soll durch die Stadt, durch die städtische Verwaltung.

Es gibt Einblicke in das vertrocknete Privatleben von Williams. Die Frau ist gestorben, Sohn und Freundin würden dringend Geld brauchen, um eine Familie zu gründen und er selbst weiß, dass er todkrank ist.

Das erstarrte Herz von Williams fängt wieder an zu leben, wie es zu einer außerberuflichen Begegnung mit seiner ehemaligen Angestellten Margaret Harris (Aimee Lou Wood) kommt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Film anhand des Beispiels des Kinderspielplatzes die mögliche Bandbreite von Beamten-Aktivitäten ins andere Extrem auffächern kann. Das passiert so liebevoll und anrührend, ohne sich je billig lustig zu machen über Beamtenmentalität; denn auch Beamte sind – irgendwo und irgendwie – nur Menschen, die ihr Leben als Plackerei empfinden.