Bardo – Die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten

Genialisch

Zugegeben, die erste halbe Stunde dieses neuen Filme von Alejandro G. Inarritu (The Revenant, Birdman, Biutiful, 21 Gram, Amores y Perros) der mit Nicolas Giacobone auch das Drehbuch geschrieben hat und der mit irren Kinoqualitäten aufwartet, die für Netflix, wofür der Film bestimmt ist, viel zu schade sind – deshalb kommt er ja auch vorher im Kino! – Bandwurmsatz – also der Film hat mich die erste halbe Stunde eher verwirrt; er wirkt wie hingerotzt um des provokativen Hinrotzens willen.

Später kommen Sätze vor, wie derjenige von den sinnlosen Momenten, die das Leben ausmachen (frei interpretiert) oder man könnte auch sagen: ein Bandwurmfilm aus einer Reihe sinnlos brillanter Symbol- und Kinomomente zum Thema des Biopics über einen berühmten Journalisten, Silverio Gacho (Daniel Giménez Cacho), Mexikaner, der in der USA reüssiert und, das ist die Plotidee, eine hohe Ehrung in Empfang nehmen soll.

In Silverio Gacho findet der Film seinen Flucht- oder Fliehpunkt, sein Zentrum, seinen Bezugspunkt. Es ist eine Bilderversammlung, die diesen Menschen porträtiert, charakterisiert, durchleuchtet bis in tiefste Ängste hinein von der Geburt – tja, der Junge will nicht raus aus dem Mutterbauch, im Gegenteil, man wird ihn wieder hineinstecken, um gleich schon mal eine wie gekünstelt brillant erfundene Szene zu zitieren – bis hin zu einem Entschwinden über dem eigenen Schatten bei einem Gang durch eine aride, dünnst versteppte Hochebene, um gleich noch so eine Szene zu spoilern.

Vielleicht eine Art Bewusstseinsstrom, der in dem zu ehrenden Journalisten abläuft, er hat Angstträume vor dem Auftritt in einer Talkshow, dort vollkommen zu versagen. Er bewegt sich durch Tanztrubel, durch Menschenmengen, durch Situationen, die wie Kunstaktionen aussehen und sich als Szenen eines Drehs erweisen.

Inarritu rührt mit großer Kelle an, immer mit fantastischer Kamera, oft mit Menschenmassen. Die brisanten Themen von Mexiko, den USA und auch zwischen den beiden Ländern, die imperiale Seite Mexikos als Rückbleibsel aus der Kolonialgeschichte, Widerstand dagegen, historische Kriegsspiele; Rassismus; das Thema des Journalismus genau so wie dasjenige der eigenen Familie, derjenigen aus der er stammt, der übergroße Vater, die Mutter, als auch diejenige, die er selbst gegründet hat.

Es vermengen sich die Bilder, es vermanscht sich die Realität und die Rationalität. Dann wieder ganz konkret bei der Einreise in die USA eine diskriminierende Behandlung, bloß weil er mexikanisch aussehe. Der Unterschied Reich-Arm wirt lateinamerikapassend behandelt. Ja, es ist eine endlose Reihe sinnlos toller Kinobilder mit der der Film sich vielleicht der Sinn- und Existenzfrage des Protagonisten annähert.

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