We Are All Detroit

Alles ist eitel,

mit diesem Zitat des Barockdichters Andreas Gryphius, das sich mit der Vergänglichkeit, dem Zerfall und dem Werden beschäftigt, überschreiben Ulike Franke und Michael Loeken ihre vergleichende Paralleldokumentation über Detroit und Bochum.

Einwohner dieser von der Vergänglichkeit der Autoindustrie stark betroffenen Städte bekommen ein Papier mit Gryphius-Zitaten in die Hand gedrückt und lesen daraus für die Kamera und den Zuschauer vor. Ein sympathischer Einstieg in den 2-Stundenfilm, der klarmacht, dass es sich bei dieser Betrachtung keinesfalls um ein leicht bemühbares Lamento handelt, wie es gerne der Tenor von Medienberichten ist, wenn in München beispielsweise wieder ein Traditionsgeschäft schließt und wieder eines.

Wandel ist das Zeichen des Lebens. Und neues Leben blüht aus den Ruinen, das wird der Film zeigen. Diese Haltung erinnert an den Film Over Your Cities Grass will Grow, in welchem der Künstler das Thema zum eigenen Kunstwerk, das wieder verschwinden wird, macht.

Detroit galt nach dem Zusammenbruch von Teilen der amerikanischen Autoindustrie jahrelang als Modell für eine dystopische Stadt schlechthin (die Ryan Gosling für Lost River nutzte).

Die Stadt hat in der Zeit einen Drittel ihrer Einwohner verloren. Meilenweit sind nur verlassene Häuser und Fabriken zu sehen. Die Wende scheint gekommen. Obwohl einer der Protagonisten, der Inhaber in der dritten Generation eines Werkzeugladens, gerade dabei ist, sein Geschäft aufzugeben, obwohl die vierte Generation schon in den Startlöchern steht. Aber um seinen Laden herum entsteht Neues, ein Unternehmer näht in seinem kleinen Betriebe die besten Jeans, ein französisches Restaurant hat eröffnet, auf dem Markt in der Nähe bietet ein Paar Blumen, Gemüse, Früchte aus seinem eigenen Anbau auf einem revitalisierten Grundstück an. Gleichzeitig bietet ein Reiseführer Touren durch das immer noch leerstehende, riesige Packard-Gelände an, das ein peruanischer Investor für einen lachhaften Preis gekauft habe, auf dem sich aber gar nichts tut.

In Bochum gibt es Parallelen, aber auch Unterschiede. Ein Amerikaner staunt, wie schnell die Stadt aktiv geworden ist, das Gelände der geschlossenen Opelfabrik wieder zu beleben mit der Initiative 51.7. Aber statt Innovation anzuziehen wird erst ein regionales Verteilzentrum für DHL errichtet. Das ist nicht unbedingt das, was ein Städteplaner sich wünscht, das kann in zehn Jahren auch schon wieder vorbei sein. Immerhin bringt es Arbeitsplätze, wovon allerdings eine ganz Reihe mittelfristig wegrationalisiert werden dürfte.

Besonders lebendig wird dieses Stück Industriegeschichte, wenn ehemalige Arbeiter (oder auch eine ehemaliger Cadillac-Ingenieur) aus den Fabriken die leestehenden Hallen oder was nach deren Abriss davon übrig geblieben ist vor sich sehen, in Erzählungen aus ihrem Arbeitsleben berichten, wie sie durch die Arbeit in der Autofabrik ein gutes Leben hatten, sich Familie, Häuschen und Auto leisten konnten oder Imbissbetreiber schwärmen von ihren Glanzzeiten.

Die gute Auswahl der Protagonisten sowie eine klare, unsentimentale Fotographie tragen mit zur Qualität dieser mit dem Fernsehen koproduzierten Dokumentation bei.

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