Bloody Nose, Empty Pockets

Wie der Blick in einen Tropfen Wasser

Hat das Leben nicht mehr zu bieten, als dieses Feuer? Das hat sich eine der Protagonistinnen in diesem Film von Bill Ross IV und Turner Ross gefragt, als sie als Kind die Wohnung ihrer Familie abbrennen sah.

Der Satz wirkt signifikant für die kristallklare Substanz dieses Filmes: das Wesen der (schummrigen) Stammkneipe als solches filmisch verbindlich auf die Leinwand zu bringen. Ein Blick wie durch eine Vergrößerungsglas auf einen quirligen Mikrokosmos voller unverbindlicher Nähe. Es ist Familienersatz. Es ist eine Alkoholhöhle.

Es herrscht ein pausenloser Austausch unter den Agierenden, den Stammgästen und dem Wirt, der Bedienung. Kein Thema wird ausgespart. Je länger der Abend, desto tiefer, desto persönlicher die Äußerungen, die gerne im Weltschmerz enden, die die Sehnsucht nach Liebe, nach Heimat, nach Anerkennung ausdrücken, die andererseits vor dem Hintergrund der Einsamkeit ablaufen, die von Schicksalsschlägen berichten oder Aggressionen freisetzen.

Als Impulsgeber für die Diskurse dient zudem das Fernsehen, das ständig läuft. Außerdem sorgt die Juke Box für die tonale Umarmung.

Ein Film, bei dem man sich ständig fragt, ist das jetzt eine reine Doku, gerade weil das abstrakte Wesen der Stammkneipe so hervorragend zur Geltung kommt, oder wie viel Fake ist dabei.

Ein Film, bei dem man mehr über die Umstände des Zustandekommens erfahren möchte, weshalb er einen so fasziniert, wobei es sich doch vorgeblich um eine Peripherie-Kneipe in Las Vegas handeln soll: das „Roaring 20’s“, das dabei ist, dicht zu machen.

Das Doku-Team ist vorgeblich am letzten Abend dabei; ab und an guckt es vor die Tür des Lokals oder gar in andere Lokalitäten, zu denen Stammgäste gewechselt haben.

Wie geschickt die Filmemacher Bill Ross IV und Turner Ross agieren, kalkulieren und manipulieren zeigt ein Blick in das Presseheft. Es gab einen Hauptdreh von 18 Stunden am Stück und mit zwei Kameras. Ihr ideales Lokal haben sie in New Orelans gefunden und filmisch angepasst; es gibt im Hintergrund des Tresen wunderbare Sofas.

Dass die Darsteller verkabelt sind, verheimlichen die Filmemacher nicht. In der letzten Szene von Michael, einem der Protagonisten, sieht man, dass er in der Gesäßtasche seiner Hose einen Sender trägt, der grün aufleuchtet, wenn er spricht. Auch sein Mikro vor der Brust ist zu sehen.

Überraschend ist dann doch, dass die Darsteller alle gecastet sind, natürlich in Bars, und dass die sich gar nicht gekannt hatten vor dem Dreh. Vor allem haben die Filmemacher drauf geachtet, keine dummen Leute zu besetzen, es sind keine dumpfen Trinker und Barhocker, es sind Menschen, die über das Leben nachdenken, die vielleicht Alkohol brauchen, um das zu verarbeiten, um das zu äußern; im Cast gibt es eine Tendenz zum abgestürzten Künstler und Althippie mit langen weißen Haaren neben einer runden Palette von Frauen, die mit ihren Wünschen nicht hinterm Berg halten.

Die Protagonisten haben in ihrem Leben den Kneipen- und Bargang lange geübt und dem Alkohol sind sie nicht abgeneigt, einem ‚juicy Coctail‘ beispielsweise, ohne das hätte es wohl kaum funktioniert, dass die Szenen so glaubwürdig, so natürlich wirken und überhaupt nicht, als hätten da andere Regie geführt.

Nicht dass mir neue Erkenntnisse zum Thema gekommen wären; aber wer in den „Roaring 20’s“ war, der weiß für immer, was es mit solchen Bars auf sich hat; kennt jetzt einen Prototypen. Und er hat Michael, Cheryl, Marc, John, Lowell, Ira, Bruce, Pete, Felix, Al, Rikki, Pam, Shay, Tra, Trevor, Kevin, David, Kamari, Sophie, Miriam kennengelernt und könnte sich vorstellen, mit ihnen einen zu heben.

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