Lost in Face

Gesichtserkennung
ist ein großes Thema in der Computertechnologie überwiegend im Sinne der Fahndung und unheimlicherweise im Sinne einer totalen Überwachung.

Im Alltag ist für uns Normalmenschen Gesichtserkennung eine Selbstverständlichkeit, ja eine elementare Fähigkeit im Umgang mit Menschen. Jemanden wiederekennen. Man verliebt sich in die Gesichtszüge von jemanden, man lässt sich bezaubern, man fühlt sich wohl beim Anblick eines bestimmten Gesichtes. Oder auch umgekehrt. Wie wichtig in der zwischenmenschlichen Kommunikation diese Gesichtserkennung ist, wird einem so recht bewusst, wenn man Menschen begegnet, die diese Fähigkeit nicht haben, die Prospagnosie haben, die Gesichtserkennungsschwäche.

Man kann es ja probieren, sich in eine belebte Straße setzen und sich vorstellen, die Menschen hätten alle nur eine weiße Scheibe statt eines Gesichtes oder gar Affengesichter (nun ja, die Vorstellung kann einem durchaus mal passieren). Die Welt ist eine andere, bekommt andere Wertigkeiten.

Künstlerin Carlotta hat diese Krankheit. Die ist bedingt durch eine kleine Ecke im Gehirn, die nicht richtig funktioniert.

Valentin Riedl hat Carlotta in diesem höchst künstlerischen Film dokumentiert. Zum Künstlerischen des Filmes tragen auch Ausschnitte aus fantasievollen Trickfilmen von Carlotta bei. Sie dreht drei Stunden täglich, dann kommt nochmal so viel Zeit für die Bearbeitung des Materials hinzu. Hier sind zu sehen vor allem schwarz-weiß-Filme mit einem roten Haarschopf, der sich in wild-abstrakten Strukturen bewegt. Es ist Selbstreflektion. Wenn gezeichnete menschliche Figuren hinzu kommen, so haben sie diesen weißen Fleck statt eines Gesichtes. Anregendes und munter-lebendiges Kino.

Riedl ist Neurowissenschaftler und Filmemacher. Er hat ein Faible für das, was das Kino aus der Wissenschaft, aus den Fotos eines Computertomographen zum Beispiel, herausholen kann. Er scheint ein sehr persönliches Verhältnis zu Carlotta zu haben. Einmal beim Interview an ihrem Arbeitstisch fingert er an einem Gegenstand herum; Carlotta entreißt ihm diesen und meint unbefangen direkt, sie gebe ihm ein anderes Spielzeug.

Im Film gibt es oft über Tablett in schönem Arrangement aufgestellt Archivaufnahmen eingespielt, von der Yacht von Carlotta, über ihr teils abenteuerliches Leben ist zu erfahren, die schwere Zeit in der Schule und das Mobbing dort, so wie sie Gesichter zeichnet, eindrückliche Bilder wegen ihrem kleinen Wahrnehmungsdefekt, die Geschichte mit ihrer Mutter und mit einer Freundin und vor allem die Kanarienvögel und ihr Pferd. Mit unbändiger Lebensenergie scheint Carlotta von früh bis spät aktiv zu sein; für öde, behäbige Doku-Statements bleibt kein Platz.

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