Gasmann

Intellektuell bis zur Handgreiflichkeit.

Oder: Eine Selbstbesichtigung künstlerisch-intellektuellen Nachwuchses, nicht mehr blutjung, trotzdem: ambitioniert. Auch ideologisch. 

Zentrum dieses Filmes von Arne Körner, der mit Akin Sipal auch das Drehbuch geschrieben hat, ist ein Stammtisch in der romantisch verklärt dargestellten Kneipe ‚Silbersack‘. Eine Männerrunde. Eine Künstlerrunde. Eine Intellektuellenrunde mit ungebrochen revolutionärem Impetus, auch wenn die Lebenspraxis daran sichtlich nagt. 

Heilig für die Runde ist ein Ausflug auf eine Datsche in einem deutschen Wald. Hier kommt es zu einer Handgreiflichkeit wegen einer Shellack-Platte; die Nazizeit steckt im Genom der Gruppe, sie kann es nicht loswerden. 

Bernd (Rafale Stachowiak), der gerne betont, dass er Bernd und nicht Bernhard heißt, ist der Schauspieler in der Gruppe und nimmt im Film den größten Raum ein, sein fruchtloses künstlerisches Tun am St. Pauli Theater – über dessen Eingang der Name „Ernst Deutsch“ prangt. 

Bernd ist geschieden, kann den Unterhalt nicht bezahlen, ist eine leidende Künstlernatur, Raucher und im Theater bekommt er eine Nazirolle in der Uraufführung des Stückes „Gasmann“. Auch im Theater geht die intellektuelle Auseinandersetzung schnell in Handgreiflichkeiten über. 

Arne Körner betreibt eine Selbtbesichtigung des Theaters, des Filmes. Er ventiliert die Themen, was ist der Unterschied zwischen Theater und Film. Der Regisseur wird von einem Filmprojekt in Versuchung geführt – mit Folgen für die Uraufführung und für den Stammtischausflug. 

Die Theaterhaltungen sind von brechtisch bis brooksch zu lesen. Wenn Bernd meint, er komme sich bei der Rolle vor wie eine Stehlampe, die angeknipst werde, so kann das als Hinweis auf das epische Theater der Entfremdung von Brecht gelesen werden und als Kontrapunkt zum ‚method acting‘ des amerikanischen Kinos. Wenn der Regisseur Frank Winter (Peter Ott) verlangt, er möchte jetzt nur Spiel, Körper, Raum, so fällt einem das Theater von Peter Brook ein. Daraus zaubert Mathis (Kristof Van Boven) eine irre Maschinennummer; ein Schauspieler, der einem in seiner Intensität und Konzentriertheit an einen James Cagney oder einen Fritz Kortner erinnert. 

Ganz in diesem Stil ist auch die Schauspieler-Attitüde: für die Kamera zu spielen. Die antikapitalistisch ideologische Gelagertheit der Künstler kommt zum Ausdruck, wie Bernd in einer Tiefgarage an einen schnittigen, grünen Sportwagen pinkelt. Das erinnert an eine Anekdote, die der berühmte, vierschrötige DDR-Großschauspieler Wolf Kaiser zum Besten gegeben haben soll. Bei einem Besuch in Zürich habe er an das Promilokal ‚Kronenhalle‘ gepisst und dabei über den Kapitalismus geschimpft. Auch in Percy, der eben ins Kino gekommen ist, pinkelt Christopher Walken an ein Werbeschild von Monsanto. Antikapitalistisches Pinkeln scheint in im Kino. 

Der Künstlerstammtisch der Genossen vom Silbersack befindet sich also in prominenter Umgebung. Es ist noch ein Bildhauer dabei, der respektlos eine Skulptur, die aus dem Giacometti-Umfeld stammen könnte, in seiner Galerie abliefert, der Journalist unter den Stammtischlern muss erleben, wie er seinen Redaktionsplatz mit einer Praktikantin teilen soll, die als Internet-Native hervorragenden Umgang mit den Social-Media pflege. Sie ist Volontärin und nicht Praktikantin. Für den Verkäufer des ‚Kiezfegers‘, der blutjung ist,haben die Stammtischbrüder nicht viel übrig, auch hier muss der hochintellektuelle Diskurs, Luhmann hin oder her, der Handgreiflichkeit weichen. 

Der Film ist ein selbstironisches Proträt einer Künstlergeneration, die überwiegend nicht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder vom Stadt- und Staatstheatersystem glatt gebügelt worden ist – entsprechend sieht die materielle Seite aus -, und die sich irgend einen verqueren Funken Hoffnung noch bewahrt haben. Die Musik lässt vermuten, dass in dieser Lebensphase eine gewisse Nervosität Handeln und Denken bestimmt. Und wo liegt der Unterschied zwischen Abstraktion und Schrott und derjenige zwischen Verödung und Intensität? 

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