Zustand und Gelände

Illustriertes Aktenstudium

Aus den Anfängen der systematischen Umsetzung des Naziwahnsinns. 

Übergangszeit. Wie die Nazis anfangen sich einzurichten und ihre Gegner und vermuteten Gegner wegzusperren in Schutzlagern, Arbeitslagern, Lagern für politische Gefangene, Übergangs-, Durchgangs- und Konzentrationslagern. Wie sie 1933 systematisch aktiv werden. 

Ute Adamczewski muss sich durch riesige Aktenberge aus der Zeit gewühlt haben. Aus diesem Material hat sie einen Film zu einem eher vergessenen Thema der braunen Zeit zusammengstellt, einen Zweifüßer, wenn man so will. 

Zu sehen sind auf der Leinwand, auf dem Screen Bilder aus Deutschland, gerade die nicht typischen, nicht signifikanten Ansichtskartenmotive, sondern Wohnhäuser, Häuser, auch Wald und Straßen, Stilleben vornehmlich, die Häuser in Anlehnung und Abänderung an die berühmten Häuserfotografen Bernd und Hilla Becher, besonders im Hinblick auf die Neutralität der Gebäude, die innerlich ganz unterschiedlich genutzt werden können, aus einer Schulaula, Vereinshäusern oder aus einer Fabrikhalle kann ein Gefangenenlager werden, später dann werden Supermärkte oder Schwimmbäder gebaut, wo früher Gräuel passiert sind. 

Die Häuser und Gebäulichkeiten sind so fotografiert, dass man sich gut die verschiedensten Nutzungen denken kann, auch als Lager…, weil sie so banal alltäglich sind. 

Zudem sind auf der Bildfläche Erinnerungstafeln, Mahnmähler, Ehrenmäler zu sehen. 

Die Ausgangsidee ist die, wie 1933 – das wird im Anfangstext erwähnt – die verschiedensten Arten von Häusern in eben diese Lager umgewandelt werden. Dazu gibt es jede Menge Reporte, Protokolle, Zeitungsberichte, Behördentexte aber auch Bewerbungsschreiben für ausgeschriebene Stellen, Erinnerungsberichte von Gefangenen, Berichte von SA-Gruppen, Briefe der unterschiedlichsten Organisationen, Vereinigungen, aber auch von Ämtern und Ministerien. 

Der Film könnte auch als eine Ergänzung zum Roman von Oskar Maria Graf „Unruhe um einen Friedfertigen“ gesehen werden, in welchem Graf die heraufkommende Naziherrschaft schildert. 

Eine ernste Frauenstimme liest die Texte vor. Darunter sind auch literarische Stücke. Der Film wird so zum Kompilationsfilm aus Akten, aus denen die Gründlichkeit und Systematik des Aufbaus des auf tausend Jahre konzipierten Nazireiches detailliert ersichtlich wird, wie wohl kaum zuvor im Kino. 

Die Fotos zeigen die Gesichtslosigkeit Deutschlands, die Austauschbarkeit der Architektur; es gibt auch Innenaufnahmen, Weihnachtsmarkt und heutige Wandsprayereien, weitere Heuteverweise, dabei verschwimmen, nicht zufällig, Gegenwart und Vergangenheit.

Wobei ein gravierender Unterschied zwischen Nazis aus der braunen Zeit und Neonazis aus der Heutezeit darin zu bestehen scheint, dass die Nazis damals von einem ungeheuren Optimismus und einer enormen Aufbauenergie geprägt waren, sie wollten dem Volk Straßen, Autos, Wohnungen, Ferienheime bringen, während die heutigen, soweit ich das mitbekommen, nichts Utopisches entgegensetzen; denn Straßen, Autos, Wohnungen, Ferienheime gibt es en masse; die aktuellen Neonazis und Konsorten scheinen nur noch auf das rassistische Hasselement zu setzen, auf Ressentiment bei sich benachteiligt Fühlenden. 

Der Film pirscht sich zusehends an das heutige Ostdeutschland heran.

Ersichtlich wird, was für ein Aufwand für Aufbau und Organisation der verschiedenen Sorten von Lagern betrieben wurde: Gedächtnisprotokolle, Polizeiberichte, Freilassungsgesuche, Briefe von Stadtverordneten, Protokolle einer Amthauptmannschaft, Materialbestellungen, Ministeriumsbriefe, Aufstellungen der Kosten für die Häftlinge, Bestellung von Ausstattungsgütern, Kostenaufteilung zwischen Ländern und Ministerien, Wareneinkauf, über den Zweck der Schutzhaft, über Hinrichtungen von Widerständlern, die Auflösung von Schutzlagern, Details der Lagerorganisation. Entlassungserklärungen. 

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