Malsana 32

Weglaufen geht nicht.

Manolo (Iván Marcos) zieht mit Candela (Bea Segura), erwachsenem Sohn Pepe (Sergio Castallanos), dem kleinen Sohn Rafael (Ivan Renedo), der erwachsenen Tochter Amparo (Begona Vargas) und seinem Vater, der schon altersschwach ist, in die Stadt. Die Familie hat dort eine ausladende Mehrzimmerwohnung im dritten Stock eines stattlichen Stadthauses gekauft – möbliert (die alten Möbel erzählen schon alles über das Genre!). 

Der Vorspann vor den Titeln spielt in eben dieser Wohnung. Murmeln spielen dabei eine Rolle. Und selbstverständlich Horror, das Genre wird gleich angekündigt. Es gibt eine signifikante Begebenheit. 

Dann ein Sprung; vier Jahre später. Die Familie vom Land kommt mit einem vollbeladenen Auto in Madrid an. Der Zuschauer weiß bereits und kann sich darauf einstellen, dass diese Wohnung horrormäßig belastet ist. 

Zu viel soll man ja bei einem Horrorfilm nicht spoilern. Aber ein paar Bemerkungen, warum dieser Film von Albert Pintó (Killing God – Liebe Deinen Nächsten) so hinreißend ist, müssen erlaubt sein. 

Das Drehbuch haben Ramón Campos, Gema R. Neira, David Orea, und Salvador S. Molina geschrieben. Der Film sieht Horror in einem größeren Zusammenhang, also nicht nur als reine Geisterbahn, als reines Jahrmarktvergnügen. Hier spielen Schuld und Läuterung eine bedeutende Rolle. 

Das zeigt sich in den Biographien der Familie vom Lande. Hier ist etwas passiert, was nicht der katholischen Moral (in Spanien die überwiegende) entspricht. Es ließe sich mutmaßen, dass die Familie deswegen glaubt, davor weglaufen zu können mit dem Umzug nach Madrid. Die Geschichte geht also davon aus, dass die Familie vom Lande auf das Thema Schuld und damit verbundenen Horror sensibilisiert, geeicht ist. 

Pinto erzählt das furios mit allen malerischen Talenten des spanischen Kinos, wie sich nach und nach die Horrorstruktur (oder Schuldstruktur) der Vorbewohner bemerkbar macht. 

Dazwischen schaltet Pinto die Horrormaschinerie kurzzeitig gekonnt auf Turbo, wirbelt die perfekten Horroreffekte mit leichter Hand über die Leinwand, um gleich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen, das, was an Menschlichem irgendwo mal schief gelaufen ist. Und die Frage, ob Befreiung, Läuterung, Hilfe möglich sei. 

Die Horrorerlebnisse in der Wohnung, jedes Familienmitglied wird auf seinen eigenen Horrortrip geschickt, wirken sich negativ auf den Job von Vater und seiner Geliebten aus, das kann verraten werden, dass die Mutter der Kinder gestorben ist. Sie brauchen das Geld, um die Zinsen für die Hypotheken für die Wohnung aufzubringen. 

Die reale, materielle Lage spitzt sich parallel zur Horrorlage zu. Die Familie hält es nicht mehr aus in den eigenen vier Wänden. Einzelne Mitglieder greifen auf Hilfsangebote von außen zurück, was die Horrordimension weitet. 

So besehen scheint mir Horror eine bestens unterhaltsame Beschäftigung mit dem Schuldthema. Taktisch geschickt wähnt der Film den Zuschauer anfänglich in Pseudohorrorsicherheit, indem er schon nach wenigen Minuten nach der Ankunft der Familie in Madrid, wie ein Spitzenkoch ein pfifiges Gewürz über sein Mahl streut, schnell mal da und dort bekanntermaßen bekannte, vertraute Horrorelemente einfließen lässt, vom elektrischen Flackerlicht bis zum Telefonanrunf aus einem Telefon mit herausgerissenem Kabel, die magisch wirkende Murmel oder der Kreisel bis hin zum Plattenspieler oder dem Fernseher, die selbstständig in Funktion treten. Und genau, wenn der Zuschauer glaubt, er kann dem Film vertrauen (was ein berühmter Kritiker einst als Begründung fürs Einschlafen im Kino angeführt hat), schaltet der Film in den nächsten Gang, schaufelt eine Dimension tiefer und weiter. Und zu Horrorfilmen passen deutsche Synchron allemal. 

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