Gretel & Hänsel

Horrotrip Kindheit.

Der Hunger treibt Gretel (Sophia Lillis) und ihren kleineren Bruder Hänsel (Samuel J. Leakey) in den Wald, in den romantischen Wald (der bei aller äußeren Lieblichkeit desto bitterer zum Horrorwald mutiert), in den mythischen Wald. Sie streuen keine Brosamen. Sie treibt der Hunger nach vorn; sie denken nicht an ein Zurück.

Aber die Welt ist bei allen schönen, teils warmen Bildern, dunkel, dunkle Mächte überall. Keine vertrauenswürdige Menschen, keine Freunde, sie sind allein. Sie begegnen Figuren, die wie Zauberer aussehen, die ihnen einen Tipp geben können, aber nicht wirklich helfen, allenfalls mit einer Axt.

Endlich finden sie ein schwarzes, abgeschrägtes Haus, aus dem ein Licht dringt. Holda (Alice Krige) ist eine geheimnisvolle, aber nette Frau. Endlich ein freundlicher Mensch, der Interesse an den Kindern zeigt. Vor allem Hänsel fühlt sich wohl. Es gibt auch einen reichlich gedeckten Tisch. Der Zuschauer ahnt schon, dass der Schein doch täuschen könnte. 

Gretel, die ältere, sieht mehr, spürt mehr, nicht nur dass sie ihre erste Blutung, die von Alpträumen begleitet ist, erlebt; sie fragt sich, wo all die Früchte, Beeren, das feine Essen herkommt; denn es gibt nirgends einen Garten, nirgends einen Stall. 

Gretel hat das zweite Gesicht; sie kann mit Pilzen sprechen; sie misstraut der Freundlichkeit von Holda. Zu recht, wie sich herausstellen wird; aber auch Holda hat ihre eigene, ganz furchtbare Geschichte. 

Regisseur Osgood Perkins erzählt das alte Märchen, das die Brüder Grimm einsten aufgeschrieben haben, nach dem Drehbuch von Rob Hayes aufregend neu in einer Ästhetik, die teils ganz nah der deutschen Romantik kommt, besonders beim Waldmotiv, was aber immer wieder konterkariert wird einerseits von Erzählstimmen und den Dialogen, von denen es viele gibt, andererseits mit Innenräumen, die mehr an große Oper oder elitäre Performance erinnern als an genrehafte Horrorräume; wenn auch der Trip der beiden alleingelassenen Kinder ein wahrer Horrortrip ist, immer am Rande des Scheiterns, am Rande der Ohnmacht den dunklen Mächten gegenüber. 

Aber etwas regt sich doch in höchster Not im heranwachsenden Menschen, so dass noch Platz für die Coming-of-Age-Moral bar jeglicher Süßlichkeit ist, dass Gretel zu sich selber findet, zu ihrem eigenen Selbstvertrauen. 

Und auch Hänsel wird seinen Weg gehen; er hat sich, während des Erwachsenwerdungsprozesses von Gretel mit der Axt und einer gezackten Säge im Wald neben dem Hexenhaus beschäftigt, die Axt im Haus erspart den Zimmermann, auf eine auch literarische Moral hochgerechnet, könnte man zu interpretieren versucht sein. 

Eine kunst- und stilvolle Hochkulturinterpretation des Märchens begleitet von wohli-gruseliger Musik, der Horror nicht trashhaft sondern bildlich-symbolisch für die Imponderabilien des Heranwachsens genommen. 

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