The Self-Portrait (DOK.fest München 2020)

Künstlertum und Krankheit.

Lene Marie Fossen leidet an Anorexie , Magersucht auf Deutsch. Aber nicht nur, dass sie Probleme mit dem Essen hat. Sie will auch nicht eine Frau werden, hat die Pubertät nicht erlebt, hat keine Regel. Das erzählt die 28-jährige norwegische Fotografin. 

Aus dieser Krankheit heraus hat sie angefangen, Selbstportraits zu schießen. In einem verlassenen Gebäude auf der griechischen Insel Chios. Sie stellt die Kamera auf. Diese macht alle paar Sekunden Klick. Sie posiert in Gewändern mit apartem Faltenwurf, stehend, sitzend, im Rahmen eines Fensters, auf einem Bett. Es sind schwarz-weiß Fotos von scharfen Lichtgegensätzen. Schmerzhaft eindrücklich. 

Ein norwegischer Meisterfotograf erinnern die Bilder an Caravaggio. Dieses verhungerte und gleichzeitig unschuldige Schmerzensgesicht, die Gestalt, die nur aus Haut und Knochen zu bestehen scheint, die an Bilder von den KZ-Befreiungen erinnert, die aparten Gewänder darüber, die Selbstexposition vor der Kamera. Und das, ohne je den Beruf des Fotografen gelernt zu haben. 

Es ist persönlicher Ausdruck des Leidens am Leben, wie er tiefer kaum gehen kann, wie er urmenschengeschlichtlich ist, Passion. Es ist ihr Gefühl, nichts wert zu sein, wohl eine Urhumankonstituante. 

Eine kleine Erfolgsstory hält der Film von Margreth Olin, Katja Hogset und Espen Wallin, der sich über mehrere Jahre erstreckt, dann doch noch bereit. Jemand lässt die Bilder dem norwegischen Starfotografen zukommen, der erkennt sofort die Qualität und verhilft zur ersten Ausstellung. Bald hat sie auch eine Agentin. 

Jetzt könnte ein Traum von Erfolg und Ruhm beginnen, vielleicht gar mittels psychiatrischer Behandlung die Heilung von der Krankheit? Ein Autounfall bringt diese Träume zum Stoppen. Lene verbringt ein Jahr in der Klinik, sie kann den Hals nicht mehr bewegen, ist ans Bett gebunden, ist deprimiert, sieht keinen Lebenssinn mehr. Nach dem Klinikjahr ist sie aufgepäppelt und fängt wieder an zu fotografieren. 

Das menschliche Sein und Leiden und dessen bildliche Reproduktion dürften Bewussstseinsaxiome für das Humane überhaupt sein; was im Kino mit dem bewegten Bild fortgeführt wird und an so etwas wie kulturelle Urmasse rührt.

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