Über die Unendlichkeit

Ein altes Paar

sitzt auf einer Bank über der Stadt und schaut und betrachtet. 

Es geht um Erinnerung an die Endlichkeit des Lebens. Die Unendlichkeit der Liebe, die schwebt gegen jedes physikalische Gesetz als Paar ganz langsam über die Stadt heran. 

Die Endlichkeit, die Erinnerung, die ist in diesem lebendigen Cartoon-Bogen pastellen, wie das Farbreduzierte vergilbter Potkarten; der Zahn der Zeit, der an den Farben nagt. 

Nicht anders sieht es mit den Darstellern, den erinnerten Figuren aus. Die Gesichter sind schon aschfahl. Wie die Erinnerung überhaupt nicht farbenfreudig ist, auch nicht besonders lichtfreudig, schon gar nicht gibt es blühende Wiesen, gerade eine fast abgestorbene Topfpflanze oder einen Blumenstrauß, von dem nur braunes Packpapier zu sehen ist. Die Topfpflanze wird zwar besprayt, aber dann ist sie wieder nur Dekor für den jungen Mann, der die Liebe nicht gefunden hat, wie die Erzählerin sagt. 

Es sind die menschlichen Alltäglichkeiten und Schwierigkeiten. Die Erinnerung fängt meist mit dem refrainartig vorgetragenen Satz an: „Ich sah einen Mann, der“, das kann auch eine Frau sein, eine Managerin, die keine Scham hatte. 

Die Erinnerung macht Cartoons aus dem Leben, One-Take-Aufnahmen in fixem Setting, das selbst auch den Farbverlust des Verlaufs der Zeit erleidet, ein Text oder ein kleiner Dialog, ein Pfarrer, der nicht mehr an Gott glaubt, aber den Verdienst als Pfarrer braucht, beim Psychologen oder in der Sakristei. 

Es ist eine eigene Kunst, die Roy Andersson (Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach) hochentwickelt hat. Man muss die Szenen so gründlich und geduldig anschauen wie eine Ausstellung von Cartoons wie beispielsweise von Sempé. 

Der Film kann auch vorzüglich als Gedächtnistest verwendet werden. Wer kann am Schluss noch lückenlos und in der richtigen Reihefolge alle Szenen aufzählen? Und dann noch interpretieren? 

Wobei: das Beobachten, das Schauen ist doch das Erste auf dem Weg zum Verstehen und zur Erkenntnis. 

Es gibt Enttäuschungsszenen, der Mann, der in einem Restaurant ein Blind Date hat, aber die Frau nicht vorfindet; die Frau in einem Ball der Einsamen Herzen, die lieber dem Champagner zuspricht als dem Herren, der sie begehrt, eine Frau, die aus einem Zug aussteigt und nicht abgeholt wird. 

Ungeschickszenen, die Frau in einer großen Halle, deren einer Stöckelschuh kaputt ist, der Kellner, der nicht bei der Sache ist und den Wein weiter ausschenkt, auch wie das Glas schon voll ist. 

Misstrauen ist ein Thema, der Mann, der den Banken nicht traute und sein Geld unter der Matratze hortet. Der Alptraum, ein Gekreuzigter zu sein. Omaglück, sie knipst ihren Sohn mit dem Baby. Trauer: Eltern, die ihren Sohn verloren haben. Elementare Ereignisse.

Die Bilder sind eine Poesie der Einfachheit, der Nüchternheit und der Abwesenheit jeglich Sprudelnden, Bunten, Kunterbunten, Vielfältigen. Als ob hinter all der Bewölkung und dem Zwielicht das Nordlicht leuchte. 

Vielleicht ist es ein Versuch, das Sein der Dinge zu schauen, was Abstraktion bedeutet, Verzicht auf alles Laute und Knallige, auf alles Unruhige; das Aufgekratzteste sind drei Mädels, die vor einer Gartenkneipe illustrativ zu einem Lied tanzen. 

Wobei Andersson Themen wie Ehrenmord, Gewalttat in Beziehung (in einer Markthalle) und Krieg nicht ausblendet (und die Nazizeit mit einem verwirrten Hitler). Und irgendwie ein merkwürdiger Nihilismus, der aus der Szene, in der sich ein Pärchen über den Erhalt der Energie auch bei veränderten Formen unterhält. Viellweicht stottert ja manchmal nur der Motor. 

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