Ein ganz gewöhnlicher Held

Schnell kommt bei diesem Film von Emilio Estevez die Erinnerung an die Dokumentation Ex Libris – Die Public Library von New York von Frederick Wiseman. Der stellt diese öffentliche Bücherei als wirkungsvollen, gesellschaftlich-sozialen Organismus vor.

Auch Estevez setzt eine öffentliche Zentralbibliothek, die von Cincinnati, in den Mittelpunkt, aber es ist ein fiktionaler Streifen.

Mit einem Sog, als ob er dem Verlauf der Zeit folgt, fängt er kurz vor 9 Uhr am Haupteingang an. Menschen stauen sich, ganz offensichtlich typisch filmische Obdachlose, und warten auf die Öffnung. Stuart (vom Regisseur selbst gespielt) drängt sich durch die Menge. Er ist ein Mitarbeiter der Bibliothek. Er begrüßt viele der Wartenden, alte Bekannte offensichtlich.

Im Museum selbst ist, im ersten Moment ist nicht klar, ob das Drehbuchpikanterie ist oder ob es ernstere Konsequenzen haben wird, ein ausgestopfter Eisbär ausgestellt worden, weil dessen Museum gerade renoviert wird. Originalität einer Symbolik gesucht?

Immer mehr aber entfernt sich der Film von der Art der Wisemandokumentation. Estevez nimmt sich viel Zeit für die Schilderung, wie die Obdachlosen hier ihre Tage verbringen und auch damit, was die Leute an den Auskunftstellen für Fragen haben und damit, die These zu insinuieren, dass wer liest, ein besserer Mensch sei oder werden könne, ein etwas naiver Glaube an die Kraft des Wortes, als ob es keine schlechten Bücher gäbe, Bücher mit Anleitungen zu karrieristisch-egoistischem Handeln, Bücher der Propaganda, der Hetze, des Terrorismus.

Behauptet wird auch, dass in Cincinnati gerade ein Wetterausnahmezustand mit klirrenden Kältetemperaturen herrsche, ein Problem für die Obdachlosen. Das Problem im Film ist allerdings, dass er nicht eine Sekunde das Gefühl dieser Kälte vermittelt, es interessiert ihn schlicht nicht, ihn interessiert, das drängt sich zusehends in den Vordergrund, intellektualistisch-moralistisch zu verkünden, dass Obdachlose auch Menschen seien, auch wenn sie eine Menge Vorstrafen haben mögen.

Der Film erweist sich hierbei als engagiert und mächtig sendungsbewusst, als moralinisch konstruktivistisch, um schlechtes Verhalten einerseits der Medien und andererseits des Staates zu bashen. Dazu muss auch John Steinbeck in einem entsprechenden Moment herhalten.

Die Obdachlosen verlassen die Bibliothek an diesem Tag bei Schließung nicht, weil sie sonst erfrieren würden, da alle Wärmeräume der Stadt voll seien. Ferner behauptet der Film, seine Hauptfigur Stuart habe selbst eine Obdachlosenkarriere hinter sich und habe dank Büchern und Bibliothek zu einem geregelten, behausten, bürgerlichen Leben gefunden, daher sein Engagement, daher vielleicht auch sein konsequent schuldbewusst-vorwurfsvoller Blick.

Die Bibliothek-Besetzung wird zum Medienereignis. Aber wie Stuarts Geschichte durch die Medien verbreitet wird, verändert sich bei ihm gar nichts, was das Rollenspiel als Maskerade offenlegt, als Masche, gar Selbstüberhöhung eines Regisseurs, Zampano sein und gleichzeitig das Opfer spielen. Der Umgang mit der Nacktheit von Männern trägt das seine bei zum Eindruck einer nicht ganz offenen, ehrlichen filmischen Angelegenheit, sondern eher von intellektualistischem, soziallastigem Überlegenheitsgestus, gar falschem Prophetentum. Message-Kino, moralisches Belehrkino, Weltverbesserungskino. Oder ein Lagerfeuerlied paraphrasiert: Wo man liest, da lass Dich nieder, böse Menschen lesen keine Bücher.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert