Wo ist Kyra?

Andrew Dosunmu, der mit Darci Picoult auch das Drehbuch geschrieben hat, nähert sich seinem Topos, einer Schelmengeschichte aus verzweifeltem Anlass, mit einer faszinierenden Mischung aus verhaltener Diskretion, also viele Einstellungen durch Durchbrüche, Spalten oder auch über Spiegel – und soweit wie möglich mit den üblichen alltäglichen Lichtquellen, also oft düster – und aus direkter Fixiertheit auf die Anstandsdistanz weit überschreitender Nähe zu Details.

Diese Details können neben der Handlung liegen, ein verwahrlostes Bettuch, ein nacktes Bein, den Rest der Liebesszene soll sich der Zuschauer imaginieren. Die Hand einer alten Frau, die mühsam versucht ihre Strümpfe anzuziehen, großes Gemälde.

Dosunmu erzählt viel über die Details. Die alte Frau, das ist Ruth (Suzanne Shepherd). Sie geht am Stock wie eine Greisin, mühsam, jede Bewegung ist ein Kampf. Sie wird gepflegt von ihrer Tochter Kyra (Michelle Pfeiffer). Die ist zu ihr gezogen. Sie hat keinen Job mehr. Sie sucht einen. In ihrem Alter sind Absagen die Regel.

Mutter stirbt. Kyra lernt Doug (Kiefer Sutherland) kennen. Das wird eine Liebesgeschichte. Aber Kyra braucht Geld. Sie wird zur Rentenschwindlerin. Sie verkleidet sich als ihre Mutter, vermummt sich, Perücke, Sonnenbrille, dicker Schal, Stock, richtig schön chargierter Gang. Diese Szenen wirken gespenstisch. Anfangs ist auch gar nicht klar, ob es sich um Symbolik handelt.

Auch die Musik lässt mit ihrem Grollen Abgründiges, Tiefgründiges, Metaphorisches vermuten. Das Gespenst der Mutter. Insofern kann ich dem ein Lächeln abgewinnen.

Wobei die Geschichte doch deutlich rationaler, banaler ist, eben die Rente. Das macht den Reiz dieses Filmes aus, wie Dosunmu das erzählt, wie er mit seiner Haltung spielt. Michelle Pfeiffer macht das großartig.

Aber Doug kommt hinter die Schwindelei, ist nicht einverstanden, er kann ihr ja helfen. Für einen großen Teil des Publikums dürfte der Film zu düster sein. Ich kann ihm ein humoristische Grinsen abgewinnen, auch deshalb, weil die Darsteller das so prima vorführen und weil Dosunmu so diskret zwischen Nähe und Distanz, Anstand und Intimität der Vorgänge, die ihn interessieren, wechselt.

Die deutsche Synchro hat das begriffen und bleibt zurückhaltend gepflegt, verhält sich ähnlich wie die unaufdringliche Kamera, die oft ruhig bleibt, als stehe sie vor einer Guckkastenbühne: die Ehre gebührt dem, was geboten wird.

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