Nuestro Tiempo

Es geschafft haben.

Mehr Erfolg geht in unserer Zeit (das ist die Übersetzung des Titels: Nuestro Tiempo = „unsere Zeit“) kaum: als Literat erfolgreich und anerkannt sein, verheiratet mit einer erfolgreichen Musikerin, drei prachtvolle Kinder haben, auf einer Bullenranch weit abseits der Megacity Mexiko leben, ein gediegen teuer eingerichtetes, aber keinesfalls protziges Anwesen bewohnen, Angestellte haben.

Das sind Juan (Carlos Reygadas, der Autorenfilmer, der auch das Buch geschrieben und die Regie geführt hat), seine Freu Esther (Natalia Lopez) mit ihren drei Kindern. Sie stehen vorbildhaft, modellhaft für Sinngebung in unserer Zeit, für modernes Leben. Für einen vorerst zu präsentierenden und nicht zu hinterfragenden Lifestyle, der die Vorzüge von Stadtkultur mit den Vorzügen des Landlebens kombiniert.

So extensiv, wie hier in Mexiko Viehwirtschaft betrieben wird, so extensiv schildert Reygadas das Leben auf dem Lande. Es ist vielfältig und menschenreich. Kleine Buben treiben sich in Gruppen im Schlamm herum, Mädels sonnen sich in einem Schlauchboot, die Halberwachsenen hängen zusammen und spüren, dass der erste Kuss in der Luft liegt. Das ergibt vor einer wunderbaren Lagune Bilder eines gelösten, friedlichen Lebens in faszinierender Landschaft.

Der amerikanische Hausfreund Phil (Phil Burgers), der auf der Ranch mitgeholfen hat, wird verabschiedet. Er wird zu dritten Hauptfigur und zum Prüfstein der Liebe von Esther und Juan. Er wird für Juan zum Anlass wachsender Eifersucht, die ihn dazu treibt, heimlich das Handy von Esther zu kontrollieren. Er ist für den Autor Reygadas aber auch das Mittel, tief in die Eingeweide der Liebe hineinzuschauen. Gibt es die große Liebe? Wodurch zeichnet sie sich aus? Wie verhält sich die Liebe zur eigenen Identität, wieviel von dieser Identität muss der oder die Liebende abgeben?

Reygadas nähert sich dem Thema häppchenweise. Wirft da eine These ein, dort einen Fakt, lässt Liebesspiele zwischen Phil und Esther als Möglichkeit erscheinen, prüft, ob sie gar passiert sind. Verweilt minutenlang bei einem Konzert moderner Musik mit einer Trommelsolistin, schweift dabei ab auf die große City, auf Raumimpressionen aus dem Foyer, auf das Gesicht (und die Gefühle) der Zuschauerin Esther.

Den schonungslosesten Blick auf diese Liebe wirft er bei einem Monolog von Esther während eines Landeanfluges, uncut, über das nicht enden wollende Häusermeer von Mexiko City.

Der Regisseur lässt die Leinwand auch mal länger dunkel, wenn Vater und Sohn ein intimes Gespräch führen, denn der Sohn steht vor der Abreise und hat gerade die ersten Schmetterlinge im Bauch.

In Bezug auf Inspiration, dass der Autor immer Inspiration brauche und nichts tödlicher für ihn sei als Routine und Festgefahrenheit, als, es geschafft zu haben, referiert Autor Juan auf Jospeh Conrad, um die Spirale der Liebesuntersuchung noch eine Drehung weiter zu treiben mit der inszenierten Möglichkeit des Seitensprungs von Esther mit Phil. Das glückliche Lächeln auf ihrem Gesicht darnach wird ihm zu denken geben.

Als Quintessenz im Denken des Autors Jean wird Reygadas eine großartige, wie mit Milchglas ins Pastellene verzückte Szene mit Bullenkämpfen hinzufügen.

Ob Reygadas mit diesem Film möglicherweise ein unsere Epoch charakterisierender Film gelungen ist, vermag ich bei dieser Nähe nicht zu entscheiden. Der Begriff „Meisterwerk“ dürfte auf jeden Fall angebracht sein, der Film trägt spielend über die fast drei Stunden.

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