Der Fall Collini

Das Dreher-Gesetz.
Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitsgesetz, kurz EGOWiG.

Das war ein deutsches Bundesgesetz, das 1969 beschlossen wurde. Es sorgte für jede Menge Nazi-Verbrecher für Entlastung, indem Nazimörder nur als Totschläger zu bestrafen waren. Das heißt, dass die Taten nach 20 Jahren verjährten. Juristische Schnellreinigung.

So einen Fall nahm Ferdinand von Schirach zum Anlass für seinen Roman von 2011.

Jetzt haben Robert Gold, Jens-Frederik Otto und Christian Zübert versucht, ein Drehbuch daraus zu schreiben für die Regie von Marco Kreuzpaintner (Coming In). Eine Vorgabe scheint gewesen zu sein, eine Glanzrolle für Elyas M‘ Barak darin zu finden. Das sollte der junge Anwalt, der erst einige Monate praktiziert, Caspar Leinen sein.

Elyas M‘ Barak spielt das fabelhaft und mit Zwischenschattierungen, er macht „bella figura“ in der Robe mit dem weißen Hemd und der weißen Krawatte und seiner ungeteilten Aufmerksamkeit.

Der Fall ist interessant konstruiert. Leinen rutscht zufällig in einen unklaren Mordfall hinein. Der wird in der ersten Szene gezeigt. Manfred Zapatka hat hier einen kurzen Auftritt als Hans Meyer, ein Vorstandsboss in gläsernem Büro in einer oberen Hochhausetage. Er bekommt Besuch und wird umstands- und wortlos ermordet.

Der Mörder ist Fabrizio Collini (Franco Nero). Aber er sagt nichts. Leinen nutzt die Chance, sich als Pflichtverteidiger zu melden. Dann stellt sich heraus, dass der Ermordete so etwas wie sein Ziehvater war. Es ist nicht zu erwarten, dass ein Manfred Zapatka eine Rolle spielt, die nach wenigen Sekunden umgebracht wird. Er taucht in Rückblenden auf in einem glücklichen Familienleben.

Kann ein Anwalt als Protagonist einen deutschen Kinofilm tragen? Das ist die Frage. Anfangs bekommt er die Chance, sich als Frischling gegen die Gerichtsroutine zu profilieren. Er ist in dem Verfahren, für das sich nicht ein Zuschauer interessiert, der einzige der die Robe anzieht. Darauf weist ihn die Schlampermoral der übrigen Beteiligten hin. Der Vorgang ist etwas umständlich konstruiert und reicht vorerst nicht zur Profilierung als Protagonist.

Das nächste Problem vielleicht eher. Dass er den Mörder seines Ziehvaters verteidigen soll. Hier wird Berufsehre gegen Familienehre gesetzt. Der abgebrühte Richard Mattinger (Heiner Lauterbach mit Langhaarperücke) sagt ihm ganz klar, was Vorrang hat. Es ist also auch kein Konflikt, der als Spannungsmacher funktionieren könnte. Denn Leinen akzeptiert das, widmet sich ehrgeizig dem Fall, will einzig der Wahrheitsfindung dienen. Insofern ist das mögliche Konfliktpotential gleich wieder eliminiert. Das wird eher melodramatisch ausgetragen, es gibt Gespräche zwischen ihm und der Enkelin von Meyer, Johanna (Alexandra Maria Lara). Sie versteht es nicht, dass er die Pflichtverteidigung nicht abgibt. Aber das geht gar nicht. Insofern ist diese Spannungsfeder auch nur von kurzer Antriebskraft. Und da er sich entschieden hat und beruflichen Ehrgeiz mitbringt, schafft er es, den Täter zum Sprechen zu bewegen.

Der Mörder fördert Ungeheuerliches zu Tage, was Rückblenden nach Italien kurz nach dem Kriegsende und Untaten von Deutschen in den Film trägt, die ihn wie einen der üblichen Aufarbeitungsfilme erscheinen lassen und dem Anwalt Leinen noch ein paar nette Auftritte, aber weit davon enternt, die Spannung des Filmes zu erhalten, bringen, aber da kann der Schauspieler ausdrücklich nichts dafür. Wobei das Ungeheuerliche aus dem Krieg Ungeheuerliches aus der etwa 20 Jahre alten Bundesrepublik als Nachwirkung zeitigt.

Dass solche doppelten Ungeheurlichkeiten hier im Film nichts zu einer Spanne beitragen, mag auch mit dem deutschen Gerichtssystem zusammenhängen, das nicht, wie das amerikanische schon per se im Film für Spannung sorgt mit seinen Geschworenengerichten. Dazu fällt mir eine Anekdote ein, die mir zu Ohren gekommen ist: ein bekannter deutscher Regisseur hatte in einer Fernsehserie eine Szene mit einem Schauspieler in einer Notarrolle zu drehen. Vorher beugte er sich zu dem an seinem Schreibtisch sitzenden Darsteller des Notars und erklärte ihm, dass er leider zur Anwaltsrolle (sic!) nichts sagen könne, da solche nur im amerikanischen Kino interessant seien. Es scheint mir, als wolle dieser Film Jahrzehnte später beweisen, dass sich daran bis heute nichts geändert hat.

Nachbemerkungen

Anfangs ist die Rede von einem Schwurgericht, im Gericht später gibt es keine Geschworenen.

Die erste Gerichtsszene, ist die zweite Szene mit dem Protagonisten Elyas M‘ Barak. Die erste mit ihm ist lediglich illustrierender Art, man sieht ihn beim Boxtraining. Das Boxen spielt aber weiter im Film keine Rolle. In der ersten Gerichtsszene kommt er etwas zu spät, trägt aber seine schwarze Anwaltsrobe. Die Szene scheint zwei Dinge zu bezwecken, zum einen den Protagonisten als etwas linkischen Anfänger erscheinen zu lassen und zum anderen als eine Art Bashing verfallener Gerichtsarbeitsmoral: denn er wird von Richter und Staatsanwalt blöd angemacht, weil er die Robe trägt. Das sei nicht üblich bei solchen Prozessen, bei denen niemand im Publikum sitzt. Dafür eine ganze Szene; was für einen Thrill soll das wohl in Gang setzen? Wobei mir das unwahrscheinlich erscheint, speziell, wenn es um Strafsachen geht. Eine verlorene Szene, was das Interesse für den Protagonisten betrifft, vielleiht gedacht für jene, die in ihm noch den Fack-Ju-Goehte-Lehrer sehen. Für den Film selber von keinerlei Bedeutung. Hinzukommt, dass das, was Bedeutung haben könnte, weggenuschelt wird, nämlich wer das Mordopfer ist. In dem Moment kann allerdings der Zuschauer die Beziehung zwischen Mordopfer und Jung-Anwalt auch noch nicht kennen. Auch hier wird ein wichtiger Fakt erst mal vergeheimnisst.

Wie denn der Film sein zentrales Thema, die Dreher-Gesetze, bis ganz zum Schluss aufbewahrt. Das scheint die deutsche Drehbuchkultur zu sein: unter Spannung zu verstehen, dass die Essenz des Filmes möglichst lange vergeheimnisst bleibt, dass immer erst im Nachhinein erklärt wird. Mit diesem Rezept erleidet das deutsche Kino ein über‘ s andere Mal Schiffbruch (zuletzt mit Trautmann). Deutsches Drehbuchgeheimnis: den Zuschauer ins Tal der Ahnungslosen schicken.

Was eine Qualität der Regie von Kreuzpaintner ist: er versteht sich bestens auf die Skandalisierung und die Emotionalisierung von Szenen, ja er erreicht bildjournalistische Qualitäten im Sinne der Sensationsberichterstattung, wie er die Erschießungsszene in den letzten Atemzügen des Filmes wie eine sensationsgierige Schlagzeile ausstellt. Als Daueremotionalisierer setzt er die Musik ein, sie ist ein Dauerantreiber, gibt noch der langweiligsten Szene Gewicht. Da zeigt er eindringlich die persönlichen Befindlichkeiten von Barak und der Enkelin des Mordopfers. Nur sind die für die Erzählung kaum von Belang, sie dienen offenbar dem Selbstzweck der Bedröppelung des Zuschauers. Dazu zählt zum Beispiel die Szene in der Pathologie: vom Erzählfaden her bringt sie gar nichts. Sie will den Anwalt als Bedröppelten zeigen. Das ist für einen Protagonisten wenig hilfreich, umso mehr als er sich eh entschieden hat, der Anwaltsehre den Vorrang zu geben und damit der Verteidigung des Mörders seines Gönners und Ziehvaters. Auch die Rückblenden auf die Jugend im gigantischen Schloss und dessen Park des späteren Mordopfers mögen nett sein, bringen aber die Geschichte nicht vorwärts, geben dem Protagonisten kein Futter. Er hat auch kaum Chancen, den Spürhund zu spielen. Die Geschichte mit dem Pistole, gut, die fällt ihm ein, dass im Schloss ebenso eine Pistole ist, wie der Mörder gebraucht hat. Aber wie er zu seiner Italienisch-Dolmetscherin und späteren Kanzleimitarbieterin kommt, das ist schon sehr an den Haaren herbeigezogen: Panne mit dem Mercedes, in die nächste Pizzeria laufen, eine komische Bestellung aufgeben, oh, oh und dann noch die Walther und schon ist die Erkenntnis da, dass im Bundesarchiv in Ludwigsburg etwas zu finden sei.

Das Erzählproblem ist, dass der Zuschauer dem Film quasi immer die Würmer aus der Nase ziehen muss, um zu erfahren, was überhaupt Sache ist und worauf der Film hinaus will. Der Film hätte ja einen Rahmenerzähler einsetzen können, der dem Zuschauer klar macht, er habe hier eine Geschichte, die mit einem unmöglichen, aber immer noch gültigen Gesetz in der Bundesrepublik ursprünglich zu tun habe. Schon wäre man gespannt. Aber dass es um dieses Gesetz geht, das erfährt der Zuschauer wenige Minuten vor Schluss. Und dann geht es weiter im Modus des Sensationsjournalismus und bequem für den Zuschauer: es gibt auch einen Übeltäter und den muss man gar nicht extra ins Gericht laden.

Auch die Beerdigungsszene ist eine überflüssige Bedröppelungsszene, die den Anwalt in einer Gefühlssuppe schwimmen lässst, die aber zum Fortgang der Story nichts beiträgt. Einzig, dass dort der Vater des Anwaltes auftaucht, der in Hamburg einen Buchladen betreibt. Irgendwie verstehen sich die beiden plötzlich. Aber das Drehbuch wird ihn bald brauchen, nämlich dann, wenn plötzlich innert kürzester zeit 1500 Seiten Akten in Ludwigsburg studiert werden müssen.

Erklärend ist auch die Szene mit dem Verkehrsunfall, dem ein Teil der Familie des Ermordeten zum Opfer fällt. Auch das ist nur Hinterherillustrierung, die Infos liefert, die keinen Menschen mehr interessieren, die im Nachhinein erklären, weshalb der Anwalt dort zum Ziehsohn wurde. Was dem Protagonisten allerdings kein Futter für Konflikte gibt.

Die Erzählung in diesem Film ist viel zu kompliziert, sie erweckt den Eindruck, sie sei nur am Nachbessern, weil sie glaubt, das Essentielle dürfe erst am Schluss klar werden, weil von Anfang an mit Unklarheiten gearbeitet wird, die dann pausenlos nachjustiert werden müssen.

Auch die Szene mit Lauterbach und Barak beim Segeln, wozu? Sie dient lediglich dazu, ein gewisses freibeuterisches Anwaltstum zu bashen, das auf Deals aus sei. Denn wenn Lauterbach das nicht betriebe, hätte er nicht die Villa am See (von der man bisher gar nichts wusste und die einen auch weiter nicht interessiert, die keine Rolle für den Fortgang spielt).

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