Cirque de Pic

Clown/stumm/nicht stumm

Pic, Meister des Spiels mit der Maske im Zirkus und im Theater, verliert in einer inszenierten Nummer die Stimme, findet sie in der nächsten, um verwirrendste Verwandtschaftsbeziehungen auf die Reihe zu kriegen, dabei taumelt er ganz nah in den Bereich des Kabaretts.

Zirkusgeschichte geschrieben hat Pic lange zuvor: als der melancholisch-poetische Künstler der Seifenblase, der in einer blauen Sternenkugel ins Rund der Zirkusmanege gerollt kommt, daraus entsteigt wie von einem anderen Planeten, Seifenblasen entstehen lässt, mit ihnen jongliert und spielt. Mit diesem einzigartigen Glanzstück besiegelte er anno 1980 in Köln Aufstieg und Ruhm des Zirkus Roncalli.

Mäeutische Dienste leistete dabei der Schweizer Emil Steinberger, der 1979 in Deutschland mit dem Film „Die Schweizermacher“ für Furore gesorgt hatte (Steinberger hat es sich nicht nehmen lassen, zur Premiere des Filmes am Donnerstag ins Kinok nach St. Gallen zu kommen). Er brachte Pic, der damals in München mit seinem Partner Pello im TamS-Theater gastierte, mit Bernhard Paul zusammen. So wurde der Zirkus Roncalli aus der Taufe gehoben.

Für diese Zeiten kann der Schweizer Dokumentarist Thomas Ott auf reiches Archivmaterial zurückgreifen, eindrückliche Schwarz-Weiß Fotos von hinter den Kulissen des Zirkus von Franziska Messner-Rast und Filmmaterial von unvergesslichen Zirkusnummern wie dem Glockenspiel (Zirkus als Carillon mit Zuschauern!) oder die Angelegenheit mit dem Huhn Hugo.

Pic kann aus jener Zeit fabelhaft Anekdoten erzählen, von der Nachtfahrt im Zirkuszug mit wippenden Elefanten oder von der Lungenentzündung des Huhnes und der Röntgenaufnahme bis hin zum Dschungel in Zofingen.

Das Anarchische, das Familiäre, die Herausforderung vor bis zu über 3000 Zuschauern zweimal täglich mit höchster Konzentration die Auftritte präzise zu absolvieren, das war das Zirkusleben, alles zu geben, die Schwierigkeiten mit der Seifenblase, widrige Umstände, eine Heizung, die bläst.

Ausgleich zur dieser exzessiven Verausgabung ist das Malen, Figuren etwas kräftiger als die von Sempé, immer auf der Suche nach dem Einfachen, das den ganzen Menschen ausdrückt, seine Haltung und Stellung in der Welt, die knappe Frage nach dem Wesen des Menschen.

Der Schritt auf die Theaterbühne ist ein harter Bruch zum Zirkus, auch filmisch. Das Licht, gerade für die Maskenszenen, ist extrem anspruchsvoll (Lorenz Knöpfli), wenn Pic ein halbes Dutzend oder mehr Theatergänger skizziert mit wenigen, charakterisierenden und exzellent unterscheidbaren Bewegungsabläufen; die Figuren haben ein Ticket in der Hand, es steht eine Bank neben dem Theaterwegweiser, ins Theater kommen sie nie, schwenken aber stolz die Eintrittskarte – Kulturgänger.

Die theatrale Spiegelfunktion wird deutlich, wenn bei der Aufführung eine Lachwurze in der Nähe der Kamera sitzt, die die Bühnenvorgänge frei heraus mit Lachern quittiert.

Thomas Ott hat als alleiniger Filmemacher mit minimalem Aufwand, generell eine Kamera mit Mikro drauf, das Materiall für diesen Solitär von filmischem Clownporträt eingefangen. 12 Jahre lang hat er jeweils 8, 10 oder 12 Tage Pic begleitet, hat den Aufbau beobachtet, die Lichteinrichtung, ist Pic in sein Atelier gefolgt oder hat ihn beim Hängen einer Bilderausstellung beobachtet.

Im Film gibts auch Handyaufnahmen. Und beim Ausprobieren einer Dialektimitationsnummer genügt Pic sein Laptop und ein Zigarillo im Mundwinkel. Hier produziert er die Laute eines ihm nicht geläufigen Dialektes (aus Basel), indem er jede einzelne Silbe wie das Wunderwerk einer Seifenblase formt. Da ist er wieder ganz bei sich, der große Clown, wird eins mit dem Traum von der Seifenblase.

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