Der Goldene Handschuh

Akin, ein Hamburger Zille?

Fatih Akin bleibt sich treu, schon vor über zwanzig Jahren zeichnete er im Kurzfilm „Getürkt“ eine liebevolle, zu Herzen gehende Idylle der Wohnung seiner Oma in der Türkei, auf deren Balkon er Hasch anpflanzte.

Seither macht er Langfilme und bringt es in der Kunst der Zille-Idylle zu wahrer Meisterschaft.

Jetzt ist das Hamburger „Milljöh“, falls man das so bezeichnen kann, der frühen 70er Jahre dran.

Mit spitzwegscher Akribie sind die beiden Hauptlocations nachgebaut und eingerichtet: die runtergekommene Kneipe „Der goldene Handschuh“ mit Jukebox und die Dachwohnung des Fritz Honka (Jonas Dassler). Dieser arbeitet erst als Hafenarbeiter, später als Nachtwächter.

Honka ist eine auffällige Figur mit Schielauge und einer verformten Nase. Der für die Rolle vielleicht noch etwas junge Jonas Dassler entwickelt für die Figur, was im deutschen Kino selten ist, einen ganz eigenen Gang, wobei manchmal nicht klar ist, ob dieser arthritisch bedingt ist; auch die Hände hält er manchmal, als ob die Arme etwas verkrüppelt wären und wenn seine Action heftig wird, überschreitet er ab und an die Grenze zur Knallcharge oder zur Klamotte. Bei Nahaufnahmen auf das Gesicht und die sorgfältige Maske kommt er aber als ein ganz spezieller Typus überzeugend rüber.

Und wenn jemand so offensichtlich „spielt“, dann ist das Publikum schnell zu begeistern von der gut ablesbaren Schauspielerei als solcher.

Für die Bestallung der Hafenkneipe mit überwiegend älteren, knorrigen Männern und aus der Form geratenen, älteren Frauen hat die Gattin des Regisseurs, Monique, einen ausgezeichneten Cast gefunden mit einem Schlag ins Derb-Proletarische, es sind keine vom Subventionsfernsehen oder Kino verbrauchten Gesichter dabei.

Das Hamburgisch als Lokalkolorit ergänzt die Stimmung an menschlicher Abschaumigkeit trefflich.

In dieser sich selbst genügenden, harmonischen Idylle passieren Dinge, die sind nicht korrekt. Honka hat ein gestörtes Verhältnis zu Frauen, er fängt an, sie zu ermorden.

Wie am Bankschalter verhält sich Akin bei den Untaten: Diskretion, Abstand halten. So sieht man den Honka von hinten, wie er auf dem Bett auf einer vor ihm liegenden Frau rumfuhrwerkt.

Honka war ein Serientäter. Und da Serientäter nicht pausenlos morden, bleibt Akin realistisch in dem Sinn, dass er vor allem die Zeit zwischen den Morden zeigt. Da hängt Honka in der Kneipe rum oder lädt Frauen zu sich ein, ohne dass er sie gleich tötet und man sieht ihn auch mal auf Arbeit.

Irgendwann aber muss jeder Film zum Ende kommen, Akin könnte unendliche viele solche Zille-Idyllen aneinanderreihen. Die Griechen in der Wohnung unter Honka werden wichtig, weil ein Ende kommen muss. Denn wie er oben mit einer Schere auf ein Opfer losgeht, reißen die Griechen drunter einem toten Tierkopf den Kiefer auf, schneiden Fleischiges raus – das ist einer der wenigen, aber relativ plumpen Verweise auf die Horribilität des Streifens, oder während Honka seinem Opfer Wiener in den Hintern steckt, schneidet Akin eine junge Metzgerin dagegen, die Rohfleisch isst. Das wirkt so ein bisschen billig. Aber auf seine Art ist das Milljöh ja auch billig.

Jedenfalls werden die Griechen in dem Moment wichtig, weil es von der Schlachterei über ihnen von der Decke tropft. Das führt zu einem Feuer und zur Enttarnung des Serienkillers, der so gar nicht killerhaft rüberkommt, eher wie ein Glöckner-von-Notre-Dame zwischen Schul- und erwachsenem Theater.

Was mich wundert: Filmemacher wollen mit ihren Filmen Erfolg haben. Für die Berlinale reicht es so allemal. Aber für das breite Publikum, und gerade einem solchen will der Film als moralische Anstalt zeigen, dass ein Massenmörder auch nur ein Mensch ist, müsste das Drehbuch dann doch mehr Wert aufs Narrativ, auf die Geschichte legen. Akin hält es wohl nicht für nötig, schreibt das Drehbuch gleich selber nach dem Roman von Heinz Strunk.

So ist der Film eine beliebige Zahl aneinandergereihter, intensiver Idyllen aus dem Hamburger Milljöh von anno frühe Siebziger, aber eine Kinogeschichte ergibt sich daraus nicht. Das deutsche Kino ist mit sich selber immer viel zu schnell zufrieden. Und wundert sich dann über die Diskrepanz zwischen 400 Millionen Förderung und der relativen Bedeutungslosigkeit des Outputes. Immerhin fließt der Schnaps in Strömen: Milljöh eben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert