Der Junge muss an die frische Luft

Eine herausragende Stärke der Regisseurin Caroline Link (die mit Ruth Toma auch das Drehbuch nach dem autobiographischen Buch von Hape Kerkeling geschrieben hat) ist sicher der Umgang mit Kinderdarstellern. Das hat sie schon in ihrem Durchbruchsfilm „Jenseits der Stille“ meisterlich bewiesen.

Das ist ihr auch jetzt wieder mit dem Darsteller des jungen Hape Kerkeling (ich hasse es, bei Kinderdarstellern die Namen schon im kommerziellen Sinne zu schreiben; wie mir sowieso beim leichten Entzücken über begabte Kinder dieses gleich im Hals stecken bleibt, was wird aus diesen Kinderstars später? Ist es nicht eine Art von Kindsmissbrauch, Kinder zu Kinostars zu machen?). Der Film spannt sich über die Jahre 1971 bis 1973, also des Sieben- bis Zehnjährigen mit Umzug der Familie von Bocholt (vom Land) ins städtischere Recklinghausen.

Das ist der Lebensausschnitt, den die Autorinnen gewählt haben. Die Subventions-Fließband- und Herz-Schmerz-Autorin Ruth Toma hat bewährte Alltagssätze, wie sie sich in ihren Drehbüchern längst als austauschbar erweisen, einfließen lassen; die Protagonistin fragt einen Arzt: Haben Sie einen Moment Zeit? Und er antwortet „Ich habe gerade Pause“ oder es fällt der Satz „Der Mama geht’s nicht so gut“ und kurz darauf: „Papa, der Mama geht’s grad nicht gut“ (was dem Zuschauer eh bereits dick vorgespielt worden ist) und dann ein Satz wie ein Dietrich für alle Drehbuchsituationen „Und wer soll sich hier um alles kümmern?“ oder an anderer Stelle „Einer muss sich hier um alles kümmern“ (Tomassche Kümmersätze) und dann noch die Mutmachersätze, dass man alles schaffen könne, man dürfe nur nicht aufgeben, so kann man vieltextig und wenigsagend Filmzeit verspachteln und Filmförder- und Zwangsgebührengelder, die hier massenhaft eingeflossen sind, in Nichtigkeiten auflösen.

Einige Kochhinweise über Marillen hinzfügen, das sind auch so beliebig austauschbare Drehbuchinhalte, die Frau Toma sich leichter und umaufwendiger beschaffen kann, als sich ernsthaft mit der Hauptfigur zu beschäftigen.

Der Haupthinweis auf den späteren Erfolg von Kerkeling sind allerlei Erwachsenenimitationseinlagen. Die arbeitet Frau Link auch wirklich hübsch mit den kleinen Protagonisten: bestes Kompliment dafür: allerliebst. Das wird jede Oma entzücken, die noch etwas ungelüfteten 50er-Jahre-Geist im greisen Haupte aufbewahrt. Nur gehen diese Omas, die das Zielpublikum scheinen, eher nicht mehr ins Kino. Den Rest der Menschheit dürfte diese geistige Käseglockenenge des Drehbuches vom Kinogang abschrecken.

Dagegen wirken die Autos aus der Zeit, es sind die Modelle der späten 60er und der frühen 70er Jahre alle erstaunlich auf Hochglanz poliert und das im Ruhrpott, wie frisch aus dem Sammlermuseum.

Es ist dies ein weiterer Ruhrpottfilm, der wie in einer merkwürdigen Nostalgieschlaufe hängen bleibt; am klarsten kommt noch die liebevoll zusammengestellte Ausstattung zum Tragen. Das war schon in einigen neueren Ruhrpottfilmen so: zuletzt in So viel Zeit, vor kurzem in Sommerfest oder auch in Radio Heimat.

Nebst der Ruhrpottnostalgie ist in diesem Film auch eine Sehnsucht von Frau Link einerseits nach buntem Familienleben (das sie stellenweise mit gutem Flow nachzeichnet) und andererseits nach ländlich weichgezeichneter Idylle zu diagnostizieren: Felder, Bäume Wiesen, ein Bub der reitet – immer wieder dazwischen geschnitten.

Und sonst werden jede Menge, wie sie es im deutschen Subventionsfilm lieben, Essens- oder Essenszubereitungsszenen erfunden, Umzug, Schule, weil das alles viel leichter ist als Charakterstudien der Figuren und davon ausgehend eine spannende Dramaturgie herzustellen. Stattdessen fade Herz-Schmerz-Suppe. Ruhrgebietsfilm als Rührgebietsfilm, Tendenz nostalgisch und ohne Biss oder Würze.

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