Außerhalb des S-Bahn-Bereichs
fahren die Leute Autos wie in einem 3.-Welt-Staat, gibt es wenigstens an wenig begangener Stelle einen Würstl-Automaten, heißt „zwei Einzelzimmer“, dass die beiden Zimmer durch einen Vorhang getrennt sind (so können sich die beiden Kommissare Batic und Leitmayr wenigstens hören und riechen und müssen sich nicht sehen), gründet sich gegen die Landflucht eine Kommune, die sich „Freies Land“ nennt mit dem charismatischen Führer Ludwig Schneider (Andreas Döhler) und seiner hingebungsvollen Frau Lene (Anja Schneider) und hier kann ein Sigi Zimmerschied sogar Polizist sein.
In diese Welt jenseits der S-Bahn verschlägt es die beiden Kommissare, weil die Spuren eines Todesfalles hierherführen, auf den ersten Blick ein Selbstmord, auf den zweiten möglicherweise ein Mord, denn wo ist das Messer?
Andreas Kleinert, der mit seinen ersten Filmen als großes Kinotalent galt, lässt dieses hier aufblitzen (Buch: Holger Joos; Redaktion: Stephanie Hecken); sonst scheint er sich sein Geld mit ein bis zwei TV-Movies im Jahr redlich zu verdienen. Mit diesem Tatort nach dem ordentlich gearbeiteten Buch von Holger Joos will er offenbar mehr.
Mit einer Ästhetik, die sich konsequent an den Heimatfilm (bis hin zum religiös-folkloristischen Abendmahlbild) herantastet, so gründlich, dass selbst der Pas de Deux der beiden Münchner Kommissare leicht aus dem Tritt gerät, ja dass die beiden momentweise wie im falschen Film wirken, der mehr Kino ist als Fernsehen, der die ganze Fernsehhektik und -schludrigkeit hinter sich lässt, versteht er zu faszinieren, im Kopf dauernd die Frage abspulen zu lassen, bin ich hier noch im Tatort?
Denn das Opfer, der tote Florian, war aus dieser Kommune „Freies Land“. Diese will ihr eigenes Land gründen, sie hat die Nase voll von der BRD, anerkennt diesen Staat nicht mehr an; Reichsbürger, ick hör dir trapsen.
Wobei das Fernsehen in einer der entscheidenden Szenen, wie Ludwig Schneider im Wirtshaus eine Werbeveranstaltung für seine Bewegung abhält, den Text entschmerzt und Wischiwaschi bleibt und auch das Thema der Lügenpresse wird eher gemütlich angegangen in einem hübschen Bild von Leitmayr mit dem alten Alois (Peter Mitterrutzner), wobei das einführende Beispiel, ob es denn stimme, dass der Eiffel-Turm in Paris stehe und woher man das wissen könne, verheißungsvoll anfängt, aber dann zerläuft sich die Argumentation; insofern bleibt der Haupteindruck des Filmes dann doch eher der von Heimatfilmgemütlichkeit mit einer ganz kurzen, aber ganz gezielten BMW-Werbung, da haben die mords zirkeln müssen mit der Kamera, damit das BMW-Logo auf dem Dienstwagen so prägnant aufblinkt, aber BMW verlangt es wohl so. Der Zeitpunkt ist gut gewählt, kurz vor dem Sturm auf Freiland.
Immerhin, soviel Tatort-System-Dramaturgie muss sein: zehn Minuten vor Schluss kommt kurzfristig etwas Wildwest-Stimmung auf im Ort außerhalb des S-Bahn-Bereiches.
Zutreffend dürfte sein, dass die Leute von dieser Kommune ganz genau die Einsatzregeln für die Polizei kennen; daraus resultiert eine der stärksten Szenen: wenn drei junge Männer mit ihren Handys die beiden Kommissare genau in diese Auseinandersetzung hineinziehen, was sie dürfen und was nicht, sie arg in Verlegenheit und in die Nähe der Grenzüberschreitung bringen und alles auf Handy festhalten (da schenken sich die Darsteller nix!).
Bei der Countdown-Szene ist allerdings unverständlich, dass das SEK den gezielten Todesschuss ins Herz abgibt und nicht einen gezielten Schuss auf die Hand mit der Pistole – wir sind ja hier nicht an der israelisch-palästinensischen Grenze.