Stromaufwärts

Eine Kamera, die vom Licht, vom Grün, vom Karst und vom Wasser Kroatiens gleichermaßen angetan ist, begleitet zwei wenig gesprächige Männer durchschnittlichen Alters und durchschnittlicher Statur und Aussehens auf eine Fahrt mit Motorboot flussaufwärts.

Symbolisch betrachtet schwimmen sie gegen den Strom und bewegen sich in Richtung Quelle, in Richtung Ursprung. Beides trifft auf die beiden Männer zu.

Es sind dies Homer (Olivier Gourmet) und Joe (Sergi Lopez), die Marion Hänsel (Schwarzer Ozean), die mit Hubert Mingarelli auch das Drehbuch geschrieben hat, unbekannteweise auf dieser Bootsfahrt zusammenbringt.

Die Ausgangssituation lässt kurz an Brokeback-Mountain denken. Zwei nicht allzu redselige Männer, die sich nicht kennen, und die vor einer gemeinsamen Unternehmung in einer einsamen Gegend stehen.

Die Beweg- und Hintergründe sind hier allerdings unterschiedlich. Hänsels Thema ist in eine andere Richtung gestrickt. Es geht ihr nicht um die Überwindung der Einsamkeit durch Liebe.

Bei Hänsel geht es um die Identitätssuche eines Mannes im Hinblick auf das Verhältnis zum Vater. Denn der Vater, Ivan, den haben die beiden Männer, die sich bis jetzt nicht kannten, gemeinsam.

Joel, der Autor in Amerika ist und zehn Bücher geschrieben hat, hat diesen Vater gekannt, hat ihn als unangenehm cholerische und gewalttätige Figur kennengelernt, besonders, wenn er alkoholisiert war.

Homer hingegen weiß gar nichts über ihn. Er hat ein LKW-Geschäft mit 14 LKWs und 14 Fahrern, die für ihn unterwegs sind.

In nur ganz vorsichtig und ganz allmählich einsetzenden Gesprächen im Laufe der Flussfahrt, am Lagerfeuer, beim Campen, nachts oder beim Fischen, entsteht ein Bild von diesem Vater. Die Frage der Selbstbestimmung des Mannes; wie beide daran denken, was wäre, wenn dieser Vater, der in fragwürdigen Unternehmungen überall auf der Welt zugange war, wenn dieser Vater sehen und erfahren könnte, was seine Söhne jetzt tun. Dass der eine zehn Bücher geschrieben hat (der Vater habe keines davon gelesen) und dass der andere diese LKW-Firma betreibe.

Später wird die Frage als unwichtig abgetan. Wen interessiert das schon.

Marion Hänsel lässt den beiden in letzter Sekunde vor der Abfahrt von Kindern im Hafen einen Hund schenken. Einerseits ist die Hundesymbolik – und es ist einer mit großen Ohren und treuen Augen, so richtig sympathisch hündisch – ziemlich fett geraten.

Andererseits lenkt der Hund von einer Fixierung auf das Männeridentitätsproblem aus der Perspektive des Vaters willkommen ab. Verraten werden darf sicher noch, da es sehr früh im Film klar wird, dass das Ziel der Reise eine Einsiedelei oben am Fluss bei den Wasserfällen ist. Denn dort wurde der Vater erschossen aufgefunden.

So wird über eine kleine Wegstrecke, wenn der ‚Tierbeobachter‘ (Luchse, Wölfe) mit Gewehr Sean (John Lynch) zu ihnen stößt, die Möglichkeit einer Kriminalgeschichte virulent. Aber auch das wirkt mehr als ein Manöver um mit Irdischem (ebenso wie die physische Geschichte mit dem verstauchten Knöchel) von dieser männerphilosophischen Suche nach Sinn und Gewicht eines Vaters im Leben eines Mannes abzulenken, sie nicht mit zuviel Gewichtung schwer zu machen. Das deutet an, wie delikat das Thema ist.

Wozu ist das Leben eines Mannes gut, wenn der Vater es nicht sieht, es nicht sehen kann? Und was hat es mit dem Sich-Treiben-Lassen auf einem Fluss zu tun?

Homer ist der cholerische, Joel der humorvolle der beiden Brüder.

Wirkt ein Mann nicht merkwürdig verloren, wenn der Vater ihn nicht sehen kann?

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