Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben (ARD, Sonntag, 30. April 2017, 20.15 Uhr)

Anfangs knistert es und fängt superspannend an, erst recht im Vergleich zum extrem schwachen Vorgängertatort Die Wahrheit.

Es geht um Vertrauen. Wie viel Vertrauen ist zwischen den beiden Kommissaren Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) in 27 Jahren der Zusammenarbeit gewachsen? Das will nichts weniger als ein Untersuchungsausschuss ergründen. Der nicht geklärte Fall aus dem Vorgänger-Tatort soll gelöst werden.

Der Täter (Typ unergründlicher Psychopath mit Zahlentick) wird nach einem weiteren Mord gefasst. Der Vorwurf steht im Raum, dass der Mord zu vermeiden gewesen wäre, wenn der Polizeichef vorher die Mittel für einen umfassenden Speicheltest freigegeben hätte (Jürgen Tonkel als Polizeichef ist erträglich, solange er klein im Bild ist und sachlich bleibt, mit dem kleinsten Ansatz von Zwider-Emotion in der Sprache verliert er an Souveränität). Der Untersuchungsauschuss will das klären, vernimmt Leitmayr, denn Batic liegt im Krankenhaus. Diese Befragungsszene setzt einen starken Anfangsakzent.

Zwischen die Befragung geschnitten wird als Rückblende ein kleiner Actionfilm: verunglückte Überführung des Täters aus der JVA Straubing nach München, bewacht von Leitmayr und Batic.

Die Spannung wird aufgebaut durch den Untersuchungsausschuss, vor den Leitmayr zitiert wird. Ihm wird auf den Zahn gefühlt. Er fängt an, wahrhaftig zu werden, ganz ohne Schauspielerei quasi, hier wird es packend, hier entsteht die Hoffnung, etwas tiefer in diese vertraute Routinefigur vom Fernsehen hineinzuschauen. Das ist die Erwartung, die Regisseur Phlip Koch nach dem Buch von Holger Joos nach einer Idee von Erol Yesilkaya geschickt aufbaut.

Unterstützt wird er elementar durch das karge Bühnenbild von Oliver Hoese und den unheildräuenden Sound von Sebastian Pille.

Mit dieser Befragung wird der Berufsroutine auf den Zahn gefühlt, die sich nach so langer Zeit in so einem Job einschleicht, Flüchtigkeiten, Nachlässigkeiten, Ungenauigkeiten, Involvierung in das Privatleben eines Opfers. Diesen Fehler hat Batic im Vorgängerfilm gemacht, ein arger Fauxpas gegen die Professionalität und eine Falle, aus der kaum mehr rauszukommen ist.

Für Leitmayr vor dem Untersuchungsausschuss ist die Frage, wie weit deckt er seinen Kollegen, die sind ja wie verwachsen miteinander und ihm ist die Geschichte nicht verborgen geblieben.

Der Rückblendeneinschub mit dem Actionfilm über die Überführung des Tatverdächtigen ist wenig aufregend, betulich. Die Macher sollten Free Fire studieren, was in einer leerstehenden Fabrikhalle alles drehmöglich ist.

Dadurch, dass der Film sich immer mehr der Rückblendengeschichte zuwendet, verliert er die straffe Konzentration, die sich auch in den Gesichtern spiegelt, weicht dem Gerenne, Geschnaufe, der Rauferei der aus dem Ruder laufenden Gefangenenüberführung. Hier wird Leitmayr emotionaler, und je emotionaler er wird, desto mehr verliert sich das in der Befragung geweckte Interesse an seiner Figur. Es wird übliches Fernseh-Actiontheater. Hier ist Berufsroutine zu besichtigen, hier gibt es keine neuen, tieferen Schichten des Kommissars zu ergründen.

Ein weiteres Beispiel dafür ist das Gespräch mit Kalle auf einer Brückenkanzel. Kalle gewinnt hier durch seine zurückgenommene Versachlichung wieder an Interesse. Oder das Gespräch zwischen Leitmayr und Batic im Spital. Leitmayer will die Wahrheit von Batic hören, um den Vorwurf der Lüge, die gegen ihn erhoben wird, aus der Welt zu schaffen. Dabei scheint Philip Koch in seiner Regiekunst überfordert und den Schauspielern gehen viel zu schnell die Zügel zum Lautwerden durch. Theatralik statt Spannung.

Hinzu kommt Leitmayrs Hinkerei. Hinkt man mit einer Fleischwunde im Oberschenkel dermaßen übertrieben? Der Film fasert mit dem Verlassen des Untersuchugnsausschusses zusehends auseinander in viel Hyperventilation, Gehinke, Geblute und andere Routine-Emotionalitäten.

Was dann doch auch eine Schwäche des Buches sein dürfte. Denn das Gewicht wird zusehends auf die Rückblenden, die überemotionalisierten, verlagert, der Zuschauer wird von der konzentrierten Befragungsschiene, die erstklassig und Interesse erweckend gemeistert wird, auf die deutlich weniger geformte Actionschiene geschubst, das wirkt wie eine Sitzverlagerung von einem Möbel, das einem Sicherheit verleiht, auf einen wackligen Stuhl. Geschnaufte Geständnisse sind wenig ergiebig.

Wahrheitsfrage: Tja: Wie soll das weitergehen – mit uns?
Der Psychomörder in seiner grimmigen Konzentration auf sein Unglück bestimmt in den Anfangsszenen die Konzentration des Filmes.
Die Krankenschwester handelt überzeugend, Lilly Forgach.

So verhaut denn dieser Tatort, zwar auf höherem Niveau als sein Vorgänger, die prima Ansätze, zum einen mit der Storyline, die nicht zum Untersuchungsausschuss als Klammer zurückkehrt und zum anderen mittels pseudodramatischer Inszenierung von Action, die die Fakten und Wahrheiten sowie die Figuren verschwimmen lassen.

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